Heringhausen, 22. Juni 2018 –
“Bei der Streckenplanung waren wir schon etwas sadistisch” berichtete sieben Stunden vor dem Start ein verschmitzt dreinblickender Andrew Kesper von der Tourist-Information in Willingen, der vor zwei Jahren mit seinem Pendant vom Diemelsee, Klaus Hamel, die ganze Sache ausheckte. Der Rest ergab sich. Man holte einen weiteren Nachbarn, Claus Günther, Tourismuschef vom Edersee mit ins Boot und Europas härteste Wanderveranstaltung war geboren. Unter der Headline “Extrem-Extrem Wandern” starteten in 2017 119 hochambitionierte Langstreckenwanderer. Trotz extremsten Wetterbedingungen mit Unwetter und Hagel finishten seinerseits 55 Teilnehmer. Und vor einem Jahr hatte man sich für eine Neuauflage in 2018 entschieden.
“Ihr seid verrückt, Ihr seid immer noch verückt und dagegen gibt es keine Therapie” ergänzte Klaus Hamel mit einem breiten Grinsen, der in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Claus Günther und dem Wandertitan Thorsten Hoyer vor fünf Jahren die mittlerweile etablierte 24-Stunden-Wanderveranstaltung am Edersee entwickelt hatte. Spannend die Spreizung des Diemelsee Veranstaltungsplans 2018 der am Empfang in der Touristeninformation am Diemelsee auslag. Zwischen Lagerfeuer mit Stockbrot, Benefizkonzert des Bläserkreis Twiste-Eisenberg, Lange-Saune-Nacht und Klosterführung findet man als Veranstaltungshinweis im Monat Juni “Unterstützen Sie Europas Extrem-Wanderelite beim Start vor dem Haus des Gastes Heringhausen, die 157 Kilometer und 3.200 Höhenmeter in 48 Stunden bewältigen”.
Bei Ankunft hatte ich Bedenken. Heringhausen eine 400 Seelen zählende beschauliche Kommune, direkt am Diemelsee des Naturparks gelegen – hier soll das Epizenttrum der europäischen Wanderszene liegen? Kaum zu glauben! Das am See liegende Gasthaus hatte am Ankunftstag Ruhetag, die nächste Einkaufsmöglichkeit war im Nachbarort vorzufinden, einzig im am See gelegenen Campingplatz war ein Anflug von Betriebsamkeit zu verzeichnen.
Das sollte sich jedoch am Folgetag gewaltig ändern. An der in der Ortsmitte gelegenen Tourist-Information war die Meldezentrale, an der die angemeldeten Teilnehmer registriert wurden. 134 Teilnehmer hatten sich zur diesjährigen Extremwanderung angemeldet, darunter 27 Frauen und auch eine Vielzahl von Wiederholungstätern. Bereits zwei Stunden vor dem offziellen Start trudelten die ersten Wanderspezialisten ein. Exzellent vorbereitet die Logistik der Veranstaltung. Auf dem 156 Kilometer langen Trail, der sich von Willingen im Westen bis nach Basdorf am Edersee im Osten erstreckte, waren insgesamt acht Getränke- und Verpflegungsstationen vorbereitet. Bei Kilometer 85 und 101 waren darüber hinaus zwei Ruhestationen, eine davon mit Duschmöglichkeit eingerichtet. Als zusätzliche Serviceleistung hatten die Veranstalter angeboten, Wechselkleidungstaschen an die Ruhestationen zu transportieren. Betreutes Wandern auf hohem Niveau.
Bereits vorab wurden die Teilnehmer mit den relavanten Information nebst GPS-Tracks für die technikaffinen Wanderfreaks ausgestattet. Im Starterpaket selbst war neben dem begehrten T-Shirt zudem eine exzellent aufbereitete Roadmap beigelegt, als Planungsgrundlage für die nächsten 48 Stunden. Wohlweislich hatte man darauf verzichtet ein Höhenprofil der Gesamtstrecke zu hinterlegen Subtil und wirkungsvoll. So wurde zumindest unterschwellig vermieden eine zusätzliche motivationshemmende Barriere einzubauen. Jedoch, eine Vielzahl von Teilnehmern, die aus der Region stammten berichteten vor dem Start über anstehende Mörderanstiege die im Bereich der längsten Etappe zum 843 Meter hohen Langenberg zu erwarten waren. “Wenn Du du diesen Abschnitt gemeistert hast, dann bist Du durch” so der weise Rat eines Mitwanderers. So war diese Aussage nicht gerade erbaulich, da behaftet mit dem schalen Beigeschmack, dass nach 101 Kilometer ein Mörderanstieg anstand.
Pünktlich um 16.00 Uhr begrüßte der Bürgermeister der Gemeinde Diemelsee, Volker Becker, die Wanderteilnehmer und freute sich sichtlich über den großen Zuspruch bei solch einer außergewöhnlichen Veranstaltung. Damit jedoch nicht genug. Im Gegensatz zu anderen kommunalen Stadt- und Kreisvertretern, die bei entsprechenden Veranstaltungen im Regelfall immer durch terminliche Sachzwänge “leider verhindert sind, so gerne man auch teilnehmen würde” begrüße Becker die Wanderfreaks in Wanderhosen und Wanderstiefel. Just zu seinem 50. Geburtstag hatten die kommunalen Bediensteten der Gemeinde, dem Amtschef die Teilnahme an der Veranstaltung geschenkt. Nicht nur an Mann der Worte, sondern auch ein Mann der Taten. Am langen Ende absolvierte der Langstreckennovize Volker Becker sage und schreibe 50 Kilometer und heimste sich sicherlich manch einen Sympathiepunkt bei der Einwohnerschaft und bei den Teilnehmern ein.
Nach den letzten Instruktionen von Claus Günther, Klaus Hamel und Andrew Kesper starteten 124 von 134 gemeldeten Teilnehmern. Mit dabei die belgische Wandermaschine Rudy de Roovere, der in 2017 die knapp 160 Kilometer lange Strecke in sage und schreibe unglaublichen 31 Stunden durchfräste. Aus der Wanderbrille betrachtet waren die Wanderverhältnisse zum Start geradezu ideal. Gute 15 Grad, ein mit massiven Cumuluswolken angereichter Himmel. Noch am Vortag genossen die Campingplatzbewohner das kühle Bad am See bei guten 31 Grad. Jedoch die prognostizierten Klimadaten versprachen nicht durchgängig Gutes. Temporär auftretende Regenschauer, Windböen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 45 kmH und einstellige Nachttemperaturen, so die Prognose des Wetterdienstes, die sich diesmal leider bewahrheitete. Das einzige Glück, durch die immer wieder auftretenden Windböen zogen die Schauerwolken relativ rasch durch das Sauerland und verhinderten größeres Ungemach.
Um 16.10 Uhr startete der Wandertross. Von Anbeginn nahmen die sportlich ambitionierten Extremwanderer das Heft in die Hand und setzten sich vom Pulk der übrigen Teilnehmer ab. Jedoch auch für den normal ambitionierten Wanderer war die Zeitplanung durchaus anspruchsvoll. Jede Station war mit einem Zeitfenster belegt. Die erste Station wurde bei 22 Kilometern bis maximal 5,5 Stunden nach Start offengehalten, Kilometer 33 war mit 8,5 Stunden belegt und 51 Kilometer mit insgesamt elf Stunden. Klare Kante zeigte der Veranstalter bereits im Vorfeld: “Die Veranstalter behalten sich vor, bei wesentlicher Zeitüberschreitung der Stationszeiten Teilnehmer zu der nächsten Station zu transportieren oder bei erkennbarer Verletzung den einzelnen Teilnehmer aus der Wanderung zu nehmen und zum Startpunkt zurück zu transportieren.” Ergo wußte man, auf was man sich eingelassen hatte. Alte-Socken-Wanderer die mit geruhsamen Hüftschwung durch die herrliche Region ziehen waren hier nicht angesprochen.
Die Streckenplanung orientierte sich an die ausgezeichnete Infrastruktur dieser Region. Diemelsteig, Urwaldsteig, Kellerwaldsteig, Uplandsteig, Lichtenfelser Panoramaweg und der Sauerländer Höhenflug. Ein spektakulärer Wanderweg reihte sich an den Nächsten. Ein einziger Nachteil: um die Wege zu verbinden mußten phasenweise länger Asphaltstrecken in Kauf genommen werden, was natürlich das Laufwerk zusätzlich belastete. Die Campingpplätze Goldbreite und Hege passierend ging es zur Einstimmung hinauf zum Diemelsteig. Bereits nach 3,5 Kilometern erreichte man das erste Highlight, den Aussichtspunkt St. Muffert, eine fantastische Aussichtsplattform mit einem Logenblick auf den untenliegenden Diemelsee. Rasch war der Diemelseer Ortsteil Adorf erreicht. Die massiv ausgeprägt sanfthügelige Landschaft ist ein deutliches Indiz für eine hier zu vermutende frühere Vulkanlandschaft. Bemerkenswert waren dabei die ausgzeichneten Weitsichtmöglichkeiten in die Weiten der hier vorhandenen Agrarzonen. Vorbei durch Benkhausen erreichte man den “Weg der Stille”, ein auch von den Organisatoren hervorgehobener Abschnitt auf dem Trail. Jedoch mit Stille war in der Wandergemeinschaft nicht zu rechnen. Man kennt sich in der Szene der Langstreckenwanderer. Viele bekannte Gesichter, viel Gesprächsstoff, Kurzweiligkeit war angesagt und eine willkommene Abwechslung auf solch einer Langstreckenveranstaltung.
Mit einem Zeitpuffer von einer Stunde war die erste Verpflegungsstelle nach 22 Kilometern in Rhena erreicht. Die Verpflegungsleistung war auf der ganzen Veranstaltung hervorragend. Fleischkase, Käsebrot, Bratkartoffel mit Ei, Nudeln mit Bolognesesauce, Gemüsesuppe, Leberkäse und Salat, Hähnchen- und Spaghettispieße, Miniburger, Gulasch- und Kartoffelsuppe, Bockwurst mit Kartoffelsalat, Müsliriegel, Kaffee, Tee, Wasser, isotonische und zuckerhaltige Getränke, Obst und Traubenzucker, Kuchen – man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass es sich hier um einen kalorienreichen Erlebnismarsch handelt. Entscheidend sollte jedoch sein, dass am langen Ende die persönliche Körnerbilanz ausgeglichen blieb.
Einen Tag nach der kürzesten Nacht des Jahres verabschiedete sich der Tag und die Nacht übernahm gegen 22.00 Uhr die Regie für die nächsten Stunden. 48 Stunden setzen auch die Teilnehmer logistisch unter Druck. Wie lange hält das Handyakku durch, wie oft muss die Batterie des GPS-Gerätes gewechselt werden, langen die Kapazitäten der Taschenlampe, hoffentlich funktioniert die Powerbank, und das mitgeschleppte Solarpanel am Rucksack, hoffentlich gibt es keine weißen Flecken um ungehindert Facebooknachrichten und What,up Meldungen in die Welt zu jagen. Schon spannend mit welchen herausfordernden Themen sich manch ein Wanderfreund im 21. Jahrhundert auseinandersetzen muß, um sich in der freien Natur zu bewegen.
Die zweifelsohne schönste Pausenstation war in Goldhausen eingerichtet und idealerweise als Doppelstation vorgesehen, da sich hier die eingeplante Wanderacht kreuzte. Die Station, nach eigenen Worten “Der Gipfel der Gemütlichkeit”. Eine urige Holzhütte mit schönen Ausblicken in die Upländer und Sauerländer Bergwelt. Hier könnte man auch ohne Probleme 48 Stunden verbringen. Ausgesprochen nett, wie aber auch an allen anderen Stationen, die hier verantwortliche Hüttenwirtin – und wirt. Exzellent und zuvorkommend der Service, betreutes Wandern auf hohen Niveau. Man tat sich schon schwer diese Stätte der Gastlichkeit nach einer halbstündigen Pause zu verlassen, just zu einer Zeit wo durchaus der Verzehr eines Weißbieres angebracht gewesen wäre. Das Herz sagte ja, der Verstand nein, diesmal gewann die Ratio.
So ging es, da alternativlos, hinein in die Nachtstrecke um nach insgesamt neun Stunden Kilometer 53 in Basdorf erreichen. Im Nachgang betrachtet deutlich zu schnell. Jedoch die Frische der Nacht, die sich durch die immer wieder ein setzten Windböen verstärkte, führte dazu, dass von Müdigkeit nicht wirklich die Rede sein konnte. Kalte Frischluft als energetischer Antriebsfaktor ist durchaus nicht zu verachten. Pastagestärkt wurde das Sportlerheim in Bassdorf verlassen um in das Areal des Edersees abzusteigen. Faszinierend war es die Verbindungsachse Diemelsee-Edersee unter die Schuhsohlen zu nehmen, um selbst die Erfahrens zu sammeln, wie vernetzt die vorhandenen Naturräume sind. Eine Erkenntnis, die für folgende Wanderexkursionen in dieser Region wertvolle Hinweise geliefert haben.
Hinter Basdorf wartete der nächste spektakuläre Abschnitt, der Einstieg in den Urwaldsteig. 68 außergewöhnliche Kilometer in einem der schönsten Waldabschnitte unseres Erdballs. Wanderfreunde und all diejenigen die es werden wollen, sei hochgradig und ausdrücklich empfohlen den Urwaldsteig am hellichten Tage, idealerweise im goldenen Herbst, zu entdecken. Die Zeitschrift GEO kürte einst den Urwaldsteig zu einen der zehn schönsten Waldwege weltweit!! So hatten die Streckenplaner auch das Herzstück des Urwaldsteigs, den legendären Knorreichenstieg in die Passage eingebaut. “Blöde gelaufen” so mein Gedanke im wahrsten Sinne des Wortes, da durch ein nicht optimales Zeitmanagement, auf diesem Trail der Abschnitt noch im Dunklen begangen werden mußte. So setzte das Morgengrauen erst kurz vor Herzhausen ein. Da der Abschnitt jedoch aus den 24-Stunden-Wanderveranstaltungen am Edersee hin- und ausreichend bekannt war, war die nächtliche Sichtbeeinträchtigung verschmerzbar.
Unter der Devise “Kaffee am Morgen, vertreibt Kummer und Sorgen” waren deutlich erkennbare Ermattungsanzeichen wie weggeblasen. Der frische Windeintrag erleichterte zudem den Start in den neuen Tag. Von nun an ging es bergauf – tendenziell von Kilometer 65 bis zu Kilometer 115. Die Worthüseln “Mörderanstieg” drängten sich schlagartig wieder auf. Jedoch, es sollte alles anders kommen als gedacht. Durch herrliche Waldabstiege führte in langen Schleifen der Weg hinauf um vom Urwaldsteig zum Lichtenfelser Panoramaweg zu wechseln. Mittlerweile setzten immer wieder kurze Schauer ein, unterlegt mit eisigen Böen und gefühlten Temperatureinträgen im einstelligen Bereich. Herbstfeeling Mitte des Jahres -einfach grausig. Jedoch aufgeheizt von den warmen Vorwochen war die Wettersituation am langen Ende für dieses Wanderevent durchaus zweckmäßig, wenn auch in der Spitze phasenweise unangenehm. Allemal- das ist eben Outdoor mit allen Konsequenzen – jammern zwecklos.
Bald war wieder die urige Hütte in Goldhausen bei Kilometer 85 erreicht. Nebenan hatte der Veranstalter eine Ruhezone eingerichtet und die vorher konfektionierten Taschen standen bereit um sich im Eventualfall neu einzurüsten. Organisatorisch hatte der Veranstalter in weiser Voraussicht die Teilnehmerschar verpflichtet, sich in vorbereitete Listen ein- und auszutragen. Trotz der unseligen Datenschutzgrundverordnung überwiegte die naturgemäß vorhandene Neugier. Ein Blick auf die Listeneinträge veranschaulichte, dass bei der Hälfte der Strecke, die Sprintwanderer bereits vier Stunden im Voraus waren. Eine unglaubliche Leistung!
Sauig, regelrecht sauig die Wetterkonditionen in dieser Phase. Immer wieder durchziehende Regengüsse, unterlegt mit scharfen Windböen. Zähne zusammenbeißen und durch, der Kampf gegen den inneren Schweinehund. Jetzt war eine durchaus entscheidende Phase eingetreten, denn das persönliche Hauptziel, nach Möglichkeit die zweite Hauptstation bei Kilometer 101 in Usseln innerhalb von 24 Stunden zu erreichen, rückte in greifbare Nähe. Die Aussicht auf eine Dusche, Kleiderwechsel, Ruhemöglichkeit und Kaffee danach – herrliche Teilziele, die die Wetterwidrigkeiten verdrängten. Aber in der Phase trat einmal mehr das Endspurtsyndrom auf. Der Weg nach Usseln, er zog sich und zog sich und zog sich. Usseln mußte zudem komplett durchquert werden, um nach 101 Kilometern die Usselner Sporthalle zu erreichten. Nach 21,5 Stunden war das Hauptziel erreicht. Zeit und Muse für eine zweieinhalbstündige Regenerationspause. In der Sporthalle waren Liegen aufgebaut, jedoch an Schlaf ist hierbei nicht zu denken. Der Körper aufgeputscht, der Kopf voller Eindrucke, aber einzig der Umstand in der Horizontale liegend die Muskulatur zu entspannen war Balsam für den strapazierten Körper. Des Öfteren bekam ich von Mitwanderern zu hören “Wenn ich mich hinlege, dann ist es aus”, so hatte jeder der Teilnehmer seine persönliche Strategie dieses Wanderabenteuer anzugehen. Rational gesehen hätte man jetzt Schluß machen können. Eine schöne 24 Stunden Wanderung war erfolgreich absolviert. Ende der Veranstaltung!
Mörderanstieg, Mörderanstieg, Mörderanstieg. Der nach der Pause anstehende Abschnitt, der mit 24 Kilometern der längste Teiltrail der Tour war, sollte der Lackmustest werden, zumindest geisterte diese Meinung durch die Reihen der Teilnehmer. Mittlerweile gesellten sich die Warsteiner Powerwalker Winni und Thorsten zu mir, für mich ein Idealfall, da Beide die Region aus ihrer Westentasche kannten und durchgängig einen exzellenten Schritt pflegen. So hatte ich Gelegenheit einzutauchen in eine für mich noch nicht vertraute Wanderregion, das Areal rund um den Langenberg, mit 843 Metern die höchste Erhebung des Rothaargebirges. Zudem der höchste Berg des Sauerlandes und damit auch NRW überragt sogar um zwei Meter den Kahlen Asten in Winterberg, der übrigens auch Teilziel des legendären Bödefelder Hollenmarsch ist, den mir die beiden Warsteiner Wanderfreunde eindringlichst an das Herz gelegt haben.
Uplandsteig und Sauerländer Höhenflug – nomen es omen. Herrlichste Wanderwege, eines der schönsten Abschnitte der gesamten Tour. Unterwegs genießt man herrliche Aussichten mit weitreichenden Blicken. Der höchste Punkt, unspektakulär da ohne Aussicht da die Kuppel eingewachsen ist, aber ausgestattet mit einem Gipfelkreuz. Es folgte eine außergewöhnliche Heidelandschaft auf dem Hochplateau. Winni und Thorsten gaben mir zahlreiche Hinweise und Informationen um diese Wanderregion zu erschliessen. Zahllose Wanderwege kreuzen sich hier und lassen sich vortrefflich kombinieren. Später wird Klaus Hamel mir die Empfehlung aussprechen, den Diemelsteig und den Uplandsteig zu verbinden um drei bis vier spannende Exkursionen auf 125 Kilometer zu absolvieren. Wieder ein Eintrag in die nicht endend wollende To-Do-Liste. Ausgezeichnet ist die hier eingebrachte Infrastruktur. Die Warsteiner Wanderspezialisten raten jedoch ab an Wochenden das Areal aufzusuchen, denn mittlerweile ist hier an schönen Tagen “die Hölle los”.
Apropos – der Weg hier hinauf war gut gangbar. Von “Mörderanstieg” keine Rede – eher eine erholsame Passage mit sanften Steigen die sich auf die Länge streckten. So ging es weiter über einer herrlichen Wurzelsteigabschnitt um den Abstieg über die vielleicht nervigste Passage der gesamten Tour einzuleiten. Vorbei an einem historischen Richtplatz hatte man auf der Höhe eines Skilifts unterhalb des Hoppenkopfs Gelegenheit auf das untenliegende Willingen zu werfen. Jedoch der Blick war trügerisch. Mangels Seilbahnbetrieb mußte eine sechs Kilometer lange permamanet abwärts gehende Schleife absolviert werden, um das vorletzte Stationsziel, das Willinger Besucherzentrum nach 125 gewanderten Kilometern zu erreichen. Zu diesem Zeitpunkt liefen alle Systeme stabil, lediglich eine Mattigkeit überzog die Körperzellen und riefen den Programmmodus “Lange Pause” ab.
Nach Pause der Pause ist vor der Pause. Zähler auf Null und hinein in die zweite Nacht, so der Wanderauftrag. Kurz nach Aufbruch kam uns Klaus Hamel entgegen. “Seid ihr noch fit?” war seine Einstiegsfrage. Mit der gewohnten Leichtigkeit konnten wir nur “Ja” sagen. “Ich frage nur, da jetzt der härteste Teil der Tour kommt. Es kommen sehr anspruchsvolle Auf- und Abstiege, die alles, aber wirklich alles abverlangen. Wenn Ihr nicht fit seid, dann fahre ich euch gerne zum nächsten Stationspunkt“, so Klaus. Das Mörderanstiegsyndrom stieg mir durch den Kopf. Auch die Warsteiner Wanderfreunde zuckten nicht merklich zusammen. “Wir rocken das Ding, egal wie lange wir brauchen”, so die Botschaft von Thorsten – die Entscheidung war klar. Wohlweislich Klaus Hamel kennend, der immer für einen guten Spruch zu haben ist, verabschiedeten wir uns sorglos in die Nacht.
So kam es wie es kommen musste. Iberg, Hegeberg, Dommel. Der Einstieg Richtung Iberg, in schmalen Steigkehren, anspruchsvoll, steil aber bewältigbar. So weit so gut. Oben angekommen war jedoch das Ende der Komfortzone absehbar. Heftigste Windböen die die Qualität herblicher Sturmböen erreichten, nasse Passagen auf steilen Abhängen, gefühlte Brutalanstiege zum Hegeberg, Taldurchschreitungen um am Dommelhof wieder Fahrt zum Dommel aufzunehmen. Der Rubikon war längst überschritten. “Bei der Streckenplanung waren wir schon etwas sadistisch” die Worte von Andrew Kesper hallten nach. “Ich frage nur, da jetzt der härteste Teil der Tour kommt” Klaus Hamels Statement zwei Stunden zurück. Die Grausamkeit nahm kein Ende. Zwei Warsteiner ein Odenwälder. Status platt. Ende? Abbruch? Einleitung einer Dienstaufsichtsbeschwerde mit nachfolgender Abmahnung für die Streckenplaner, Verwendung des aufgezeichneten Höhenprofils als Beweismittel zur Einleitung eines Beweissicherungsverfahrens? Mehrere Optionen spielten wir durch. Klaus Hamels klare Ansage: “Wenn ihr losmaschiert, gibt es kein zurück. Da oben haben wir keine Chance ranzufahren!” Bergwacht? Rettungshubschrauber? Notlager? Die pragmatischste Lösung – eine Bank, die Rettung! Jedoch weit und breit keine Sitzmöglichkeit. Zuvor die allerbeste Infrastruktur mit ausreichenden Ruhezonen und Liegemöglichkeiten – und in höchster Not im Stich gelassen. “Bei der Streckenplanung waren wir schon etwas sadistisch” Mantraartig schlug dieser Satz ein und nagelte sich im Hinterkopf fest. Kurz vor dem Abstieg kam sie endlich – eine Sitzgelegenheit, als Rettungsanker für die letzten Kilometer. Später berichtete mir ein belgischer Superwalker freimütig “Diesen Abschnitt dort oben, hätte ich nicht im Dunkeln gehen wollen” Fünf Minuten Pause genügten um uns zu sortieren und die Erkenntnis reifen zu lassen “Wir rocken dieses Ding”, so der Beschluß des Heiligen Grals des Wanderrates, der flugs zu einer konstituierenden Sitzung einberufen wurde.
Nach drei Kilometern war die letzte Zwischenstation, das Dorfgemeinschaftshaus in Stormbruch erreicht. Der Service der hier eingesetzten Helfer war schlichtweg umwerfend. Scheinbar war man bereits erprobt von den hier eintreffenden Wanderen. “Hinsetzen und nicht bewegen”. Flugs standen Kaffee und belegte Brote am Tisch. Jeder Wunsch wurde von den Lippen abgelesen. Die lästigen Listeneinträge wurden übernommen, Füße hochlegen – kein Problem. Ankommen und relaxen – so die Devise. Die Helfer berichteten, dass die ersten Wanderer bereits vor Öffnung der Verpflegungsstation um 19.00 Uhr hier durchrauschten. Unglaublich. Mittlerweile acht Stunden Unterschied -und das bei dieser Streckenkonstellation.
Jedoch, vor der Pause ist nach der Pause. Eine Stunde relaxen genügte um die notwendige Energie zum Schlußspurt zu tanken. Gegen 4.20 Uhr starteten wir zum Schlußsport nach Heringhausen. Der Rest- die Kür. Elf zu absolvierende Kilometer, tendentiell abwärts gehend nach Heringhausen, immer den See entlang. Mittlerweile verabschiedete sich die Nacht und die die ersten Lichtfetzen des Tages stülpten sich über die Diemelsee- Landschaft. So aufgeladen war es ein Leichtes zum Schlußspurt anzusetzen. Ein Schlußspurt im wahrsten Sinne des Wortes. Exakt zwei Stunden. Um 6.20 Uhr war es geschafft. Zieleinlauf in Heringhausen. Geschafft!! Geschafft in mehrfachster Hinsicht. Geschafft und erleichtert! Aus-Ende – vorbei. In persönlich nicht für möglich gehaltenen 38 Stunden und zehn Minuten , 154 Kilometer, 3.505 Höhenmeter so die Bilanz des Wanderwahnsinns. Vergessen die Qualen des vorletzten Abschnittes, vergessen die unangenehmen Wetterpassagen. Einfach geschafft!
Nach und nach trudelten weitere Wanderhelden ein. Die Bilanz des Veranstalters war mehr als beeindruckend. Von 124 Startern erreichten 74 Wanderfreunde des Ziel. Die belgische Wandermaschine Rudy de Roovere erreichte gemeinsam mit seinem Landsmann Patrick Vandeweyer nach 27 Stunden!!!!!!!!!!!!!! den ursprünglichen Startort. Der pure Wahnsinn -eine sportliche Wanderleistung außerhalb jeglicher Norm. Rudy berichtete mir später beim Mittagessen von seiner Wandervita. 32 Mal den Dodentocht absolviert, 20 bis 25 100 Kilometermärsche im Jahr, 19 mal die 160 Kilometerstrecke von Nijmegen nach Rotterdam absolviert und 2001 die 535 Kilometer lange Strecke von Paris bis nach Colmar in unglaublichen 72 Stunden gemeistert. “Nächste Woche fahre ich nach Luxembourg und wandere einen 100er”. Elastisch als hätte er gerade eine Klassenwanderung absolviert, erhebt sich Rudy vom Essenstisch und zieht weiter. Europas-Wanderelite – ohne jeden Zweifel! In keinester Art und Weise zu verstecken brauchte sich die deutsche Delegation der High-Speed-Walker Oliver und Walter. Mit unglaublichen 29 Stunden toppten die beiden die Benchmark vom vergangenen Jahr um zwei Stunden.
Das persönliche Fazit: 48 Stunden Extrem-Extrem. Eine Wahnsinnsveranstaltung. Extrem schön die Streckenführung, Extrem gut die Organisation. “Wir machen das mit Herzblut”, so das Zitat von Klaus Hamel. “Wir wollen uns mit dieser Veranstaltung ein Alleinstellungsmerkmal erarbeiten um unsere schöne Region bekannter machen”, so das Credo von Claus Günther. Extrem-Extrem der engagierte Einsatz von insgesamt 160 Helfern. Extrem gut funktioniert auch die multilaterale Zusammenarbeit der Touristenverbände Diemelsee, Edersee, Willingen und Korbach, was in unseren Landen keine Selbstverständlichkeit ist. Hier hat man die Zeichen der Zeit erkannt und nutzt die gemeinsamen Stärken der Region mit gemeinsamen Aktionen. Die Siegerurkunde und das Siegerbier in der Hand haltend poppt als erste Reaktion ein klares Bekenntnis auf. Eine unvergessliche und außergwöhnliche Veranstaltung. Einmal- und nie wieder. Dieses Wandererlebnis eingepackt versehen mit einer großen Schleife, abgelegt im Schrank der Erinnerungen, verbucht als Krönung eines Wanderlebens. Nie wieder Mörderanstiege, nie wieder zwei Nächte Schluß- aus vorbei!!! Dieser Wahnsinn muß ein Ende haben! Unwiderruflich!
Extrem-Extrem – eine Etappe war jedoch noch zu absolvieren. Um 17.00 Uhr waren die Teilnehmer der Veranstaltung eingeladen zu einem gemütlichen Zusammensein, inklusive Fußballweltmeisterschaftsprogramm wo sich die Deutsche Nationalmannschaft gegen die schwedische Mannschaft quälte . 48 Stunden, unterlegt mit mehr als 15 Litern Flüssigkeit. Extrem-extrem, aber auch extrem wichtig. Der gemeinsame Abschlußabend, zu dem der Veranstalter die Getränke sponserte war das Sahnehäubchen der Veranstaltung. Tolle Gespräche in illusterer Runde, ein unvergesslicher Abschlußpunkt einer absolut verrückten Veranstaltung. Herzlichsten Dank dafür!. Und in 2019 geht die Veranstaltung in die dritte Runde. Demnächst werden unverbindliche Vorreservierungen angenommen. Gestartet wird am 27. Juni wiederum unter dem Signet Extrem-Extrem Wandern. Die Wandertaktik für das nächste Jahr steht auch schon: 100 Kilometer in 24 Stunden, der Rest entschleunigt mit einem 3er Schnitt – eingeplante Zieleinkunft: 47 Stunden und 10 Minuten. Es geht auch extrem entspannt! Um Zuteilung der Startnummer 5 wird gebeten, frei nach dem Motto: “No. 5 lebt……”
Lieber Martin,
danke für diesen tollen Bericht und die wunderschönen Bilder!
Viele Grüße!
Fräulein Klipp Klapp 😉
Hallo Martin,
Patrick Vandeweyer, einer der beiden ersten ‘Rennmaschinen’, fragt mich über Facebook Messenger, ob er Bilder für seine lokale Presse nehmen darf. Meine habe ich zugesagt, habe ihm aber auch empfohlen, wenn denn deinerseits genehm, die viel schönere Powerwalker-Bilder zu nutzen. Wie siehst Du es – darf er?
Wanderbare Grüße aus Soest
Wilhard
Hallo Wilhard,
selbstverständlich, das ist keine Frage.
Beste Grüße Martin
Hallo Martin
ein toller Bericht von unserem harten Event.Hat sehr viel Spaß gemacht und Thorsten,du und ich waren eine super 3er Wandertruppe.Nächste Woche geht es für mich dann auf dem Kölnpfad weiter,mal eben noch einen 100 zum Auslaufen(da sind ja keine Berge)
Beste Grüße aus Warstein Winni
Hi Winni,
Besten Dank, das war ganz großes Wanderkino. Viel Spaß beim Auslauf. Martin
Wow, was für ein toller Bericht!
Ich als Finisher habe ihn genossen und dabei an mancher Stelle herzhaft gelacht, als ich ich mich selbst in den verschiedensten Situationen wiedererkannt habe 🙂
Mein perönliches Fazit: Dein Spruch “Betreutes Wandern auf hohem Niveau” passt wie die Faust aufs Auge!
Danke an die Veranstalter, die Organisatoren, die vielen freiwilligen Helfer, die Fotografen und Blogger für die Erinnerungen …
Im nächsten Jahr bin ich wieder dabei!
Schöne Grüße aus Berlin,
Olaf
Besten Dank Olaf, schön zu hören, dass nicht nur uns alleine so ging.
Hallo Martin,
war schön Dich mal persönlich kennen zu lernen!Ein super Bericht mit tollen Bildern! Allerdings hättest du noch erwähnen können, wie sich die deutsche Antwort auf die belgischen Wandermaschinen geschlagen hat…..Rudy und Patrick haben die letzte Verpflegung auslassen müssen(war noch nicht besetzt),da haben wir nochmal ausgiebig gefuttert und uns ca.30 Minuten aufgehalten. Mit unseren 29 Std. sind wir sehr zufrieden. Es ist schon Wahnsinn, was im Laufe einer solchen Strecke alles passieren kann. Nichts ist planbar! Wir waren davon ausgegangen, dass der lange Zeit führende Andreas Erster im Ziel war und haben dann erfahren, dass er bei Km 137 aufgeben musste. Ich werde mich weiter dafür engagieren, dass dem Extremhiking, auch in der Presse, mehr Beachtung geschenkt wird. Denn was wir da leisten ist ExtremExtrem und steht diversen Laufveranstaltungen in nichts nach! Mach weiter so !!!!
Viele Grüße aus Borken Oliver
Danke für die Info Oliver, da ich leider noch keine Daten von Euch hatte. Ich werde das noch einbauen. Allemal Glückunsch für Eure fantastische Leistung. Bis im Herbst am Edersee. Beste Grüße Martin
Mich würde ja mal interessieren wie alt der/die jüngste Telnehmer/in war 😉
Ansonsten tolle Bilder die Lust machen 2019 auch dabei zu sein.
Vielen Dank für den tollen Bericht und die schönen Bilder! Da bekommt man fas t auch Lust…
Aber ich habe eine mal eine technische Frage: wie habt ihr es hinbekommen, dass das Oregon über 38 Stunden aufgezeichnet habt? Oder löäuft die Aufzeichnung nach dem Batteriewechsel weiter?
Vielen Dank nochmals an euch alle.
Das funktioniert bestens Harald. Im internen Speicher bleibt der Track erhalten. Man darf nach Batteriewechsel nur nicht vergessen wieder auf START zu drücken, um die Aufzeichnung fortzusetzen.
Lieber Martin,
schade,dass du 2019 nicht dabei warst!Mein Partner Daniel Traut und ich haben es erstmals geschafft diese Distanz mit über 6 Km/h (brutto,!( zu bewältigen…..25,5 Std.VG Oli Seipp
Chapeau Olli Seipp – der Walker von einem anderen Stern!