Michelstadt, den 15.12.2017 –
Passend zur Jahreszeit bietet sich eine weihnachtliche Langstreckenwanderung an. Ehrensache, dass hierbei der heimatliche Odenwald den Vorzug erhält. Gestartet wird in der größten Stadt des Odenwaldes, Michelstadt, dort wo eines der berühmtesten Fachwerkrathäuser unseres Landes steht und dort wo sich in der Adventszeit Besucher aus dem ganzen Bundesgebiet durch die Gassen der historischen Altstadt schieben um den bekannten Michelstädter Weihnachtsmarkt zu besuchen.
Fast schon bedrückend die Ruhe in der Altstadt 50 Minuten vor Sonnenaufgang. Der städtische Reinigungsdienst hat bereits am Abend zuvor die Schmauchspuren der Weihnachtsmarktbesucher beseitigt. Olfaktorische Spurenelemente von gebrannten Mandeln und nicht zwingend angenehme Duftfetzen von Glühweinsubstraten und fetten Reibekuchen wabern durch die Gassen der Fachwerksstadt. Die Buden verriegelt und verrammelt – Atempause für die Standbetreiber, die hier in der Adventszeit über drei Wochen Ihre Waren feilbieten.
Das 1484 errichtete Fachwerkrathaus beherrscht eindrucksvoll den Marktplatz. Das Erdgeschoss diente einst als Markthalle und wird heute als Angebotsfläche für Weihnachtsartikel gerne genutzt. Interessant auch der Aspekt, dass der rückwärtige Teil des Gebäudes einst ein Teil der Friedhofsmauer gewesen war, was sich heute niemand mehr vorstellen kann.
Die Stille der Stunde genießend geht es westwärts Richtung Michelstadt-Steinbuch, vorbei am Kleinflughafen Michelstadt, dort wo immerhin mehr als 100 Piloten dem Flugsport frönen. Temperaturbedingt ist ein Hauch von Schneetreiben erkennbar, wobei das weihnachtliche „White Christmas“ in diesem überschaubaren Mittelgebirgszug des Sandsteinodenwaldes eher eine Ausnahme darstellt.
Odenwaldtypisch sanfthügelig die Landschaft und der Name der ein oder anderen Erhebung lässt Rückschlüsse auf historische Begebenheiten zu. So ist der hinter Steinbuch gelegene Potaschenbuckel ein Hinweis darauf, dass hier im Mittelalter die Gewinnung von Pottasche zur Herstellung von Schmierseife und zur Verwendung für die Glasherstellung lange Zeit ein bedeutender Erwerbszweig des hier ansässigen Landvolkes war.
Den Weiler Reichenberg am Rande streifend geht es in einem munteren auf und ab zum Schlagbaum, dort wo Grenzterritoriale von zwei Grafschaften aufeinander trafen. Über einen weiteren Höhenzug geht es hinab in die Reichelsheimer Lande um nach 13 Kilometern Beerfurth zu erreichen.
Gerade in der Weihnachtszeit kommt Beerfurth einer besonderen Bedeutung zu. Besucher aus nah und fern frequentieren gerne die kleine Kommune um der ältesten Lebkuchenbäckerei des Odenwaldes einen Besuch abzustatten. Franzosen, die im 18. Jahrhundert im Odenwald einfielen, brachten die Lebkuchen aus dem Elsaß in die Region. So besteht seit 1785 die Beerfurther Lebkuchenbäckerei Baumann. Seit dieser Zeit werden die Rezepte von Generation zu Generation weiter gegeben. und Willi Baumann sen. backt seit 49 Jahren in der 11. Generationen in der Backstube.
Alleine schon der Besuch der Lebkuchenbäckerei ist ein Erlebnis für sich. Durch das große Hoftor geht man linker Hand eine schmale Stiege hoch. Hier ist die ganze Familie von Anfang September bis zu Weihnachten mit der Fertigung der Lebkuchen beschäftigt. Während der Seniorchef höchstpersönlich am Lebkuchenofen sitzt um den wichtigsten Arbeitsprozess zu überwachen ist im hintersten Raum seine Frau Hilde Baumann als Vertriebschefin für den Verkauf der Lebkuchen zuständig. Lebkuchen in Plattenform, in Herzgröße und allerlei Zusatzgebäck stehen auf der Verkaufsliste. Der Abverkauf erfolgt frisch vom Blech, während nebenan fleißige Hände den Lebkuchenteig bearbeiten und die gebackene Ware glasieren. Ehrensache, dass der Rucksack mit frischem Material aus der Backstube gefüllt wird.
Raus aus der warmen Backstube, zurück in den kalten Odenwald. So geht es südlich ein Stück der Gersprenz entlang nach Bockenrod um den Eselsweg unterhalb des Reichenberger Hangs zu folgen. Bald ist der Steinerne Tisch erreicht, dort wo eine Informationstafel des Geoparks über eine historische Begebenheit eines Wilderers informiert.
Auf guten Höhenwegen erreicht man bald das Mossautal, dort wo auch eines der größten Regionalbrauereien des Odenwaldes, die Schmucker Brauerei beheimatet ist, in der seit 350 Jahren Gerstensaft hergestellt wird. Angebracht wäre es im Nachgang betrachtet schon gewesen, einen vier Kilometer langen Bypass in Kauf zunehmen um die Weihnachtswanderung adäquat mit einem Weihnachtsbock zu krönen.
So geht es eben wassergestärkt aus der Rucksackverpflegung hinauf zur Mossauer Höhe und von dort durch den Brudergrund hinab zur Kreisstadt Erbach. Erbach im Odenwald, ebenso wie das benachbarte Michelstadt weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt. Sitz des Deutschen Museums und Schloßsitz der Grafen von Erbach dort wo alljährlich die Schloßweihnacht abgehalten wird.
Hier drückt sich auch die gewachsene Rivalität zwischen Michelstadt und Erbach aus. Hüben das historische Rathaus – drüben das Gräfliche Schloss, hüben 110 Weihnachtsstände, drüben 60 Stände, hüben die größte Kommune des Kreises, drüben Kreisstadt. Die Feindschaft wird traditionell von Generation zur Generation weitergereicht. Der Gipfel der Querelen: die in 2007 per Bürgerentscheid abgeschmetterte freiwillige Fusion der beiden Kommunen. Hier siegte Emotion über Ratio.
Nach einer Einkehr im am Marktplatz befindlichen Erbacher Brauhaus empfiehlt sich ein Rundgang über den Erbacher Weihnachtsmarkt. Im Gegensatz zum benachbarten Michelstadt geht es hier deutlich entspannter zu. Sowohl am Marktplatz als auch am Schlosshof sind die Weihnachtsbuden aufgestellt.
Vom Erbacher Zentrum geht es vorbei am Wiesenmarktgelände hinein nach Michelstadt, dort wo zur Nachmittagsstunde Hochfrequenzbetrieb herrscht. Kein Vergleich zur morgendlichen Stille. Es wird gedrückt und geschoben, Menschenmassen wälzen sich durch die Gassen der Altstadt. Familienväter die verzweifelt Kinderwägen durch die Besucherreihen manövrieren, Glühweinfraktionen die als Gruppenansammlung den allgemeinen Gehfluss hemmen, zwischendrin verzweifelte Festbesucher die erfolglos versuchen einen Blick auf das Angebot der Standbetreiber zu werfen, genervte Lieferanten welche bemüht sind den Warennachschub zu den Ständen zu organisieren, Männer mit einer aufgesetzten Leidensmiene die Ihren Frauen notgedrungen von Handarbeitsstand zum Schmuckstand folgen. Studiert man die Gesichter der Besucher so hat man nicht immer den Eindruck, dass Gelassenheit und weihnachtliche Beschaulichkeit überwiegen.
Gelassen kann jedoch sein, wer 35 Kilometer mit 892 Höhenmeter absolviert hat um einzutauchen in eine vorweihnachtliche Zeit mit all ihren regionalen Schattierungen. In diesem Sinne: „Frohe Weihnacht“.
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