Eppingen, den 21. Mai 2017 –
ACHTUNG ANSTECKUNGSGEFAHR. Das Lesen dieses Blogbeitrages könnte nachhaltig eine Infizierung mit dem Wandervirus auslösen. Der Verbreitungsherd dieses hochinfektiösen Virus ist im Kraichgau zu finden. Im Fokus steht dabei mit den Eppinger Linien ein kulturhistorischer Wanderweg, der vor 30 Jahren angelegt und im Januar 2017 mit dem Prädikat „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ geadelt wurde.
Spannend die Geschichte der Eppinger Linie, die Ende des 17. Jahrhundert auf Geheiß eines gewissen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, genannt der Türkenlouis, errichtet wurde. Der Militärstratege ließ damals zwischen Odenwald und Schwarzwald eine 86 Kilometer lange Verteidigungslinie errichten, um die Franzosen, die seinerseits die natürlichen Grenzen Galliens durch Eroberungen wiederherstellen wollten, am Durchmarsch zu hindern. Die Verteidigungsanlagen hatten durchaus einen Abschreckungseffekt, zu einem Großangriff kam es in diesem Bereich jedoch nicht. Heutzutage kann man den Durchmarsch oberhalb der Verteidigungswelle erproben, um Kunst, Kultur und Natur in der wunderbaren Umgebung des Kraichgaus hautnah zu erleben.
Gestartet wird sinnvoller am Eppinger Bahnhof. Von hier aus folgt man der durchgängigen Markierung, einem stilisierten Verteidigungsturm. Nach einem kurzen Anstieg in östlicher Richtung ist rasch das Waldgebiet oberhalb der Stadt erreicht. Zehn weitere Gehminuten später steht man vor der „Himmelsleiter“ eine Treppenanlage aus 202 Stufen, die als Steighilfe den Gang nach oben erleichtern sollen. Bereits hier sind die tiefen Gräben der historischen Verteidigungslinien deutlich zu erkennen. Die Wegführung des Wanderweges erfolgt bis in das 22 Kilometer entfernte Sternenfels fast ausnahmslos im Wald, oder am Waldesrand. Daher eignet sich die Tour durchaus auch für heißere Sommertage.
Trotz dem hohen Waldanteil bietet sich ab und an die Gelegenheit für weitreichende Ausblicke in das Kraichgauer Land, wie beispielsweise am „Kraichgaublick“ auf dem Pfad zum Ottilienberg. Der Name Kraichgau ist, so wird übrigens gemutmaßt, auf eine keltische Bezeichung, für Lehm, Schlamm zurückzuführen. Nach einigen Kilometern ist das Replikat eines Wachturmes, ein sogenannter „Chartaque“ erreicht. Der Begriff stammt nicht aus dem Französischen, sondern ist dem Ungarischen entlehnt. Die turmartigen Blockhäuser, die auf einer Fläche von 6 x 6 Meter angelegt wurden, hatte Ludwig Wilhelm auf seinen siegreichen Türkenkriegen kennen und schätzen gelernt. Ergänzende Informationstafeln am Wegesrand führen dabei den interessierten Wanderer in die Geschichte der ausgeklügelten Wehranlagen ein.
Einige Meter weiter ist eine von insgesamt acht Kunstinstallationen, entlang des Wanderweges zu besichtigen. Die Objekte beziehen sich allesamt auf die Historie der Verteidigungslinie und bereichern dadurch den Streckenverlauf.
Die nächsten Kilometer führen auf breiten Wirtschaftswegen an Ochsenburg vorbei, wo man bald auf die nächste Kunstinstallation namens „Bauernopfer“ stößt. Von hier aus hat man auch die Gelegenheit auf einen sieben Kilometer langen Eppinger-Linienrundwanderweg einzusteigen der weitestgehend integrativer Bestandteil des Hauptwanderweges ist.
Der Wegeführung folgend erreicht man mitten im Wald einen Bereich, dort wo man noch heute den original Grundriss einer ehemaligen Chartaque besichtigen kann. Einige Meter weiter stößt man auf die vielleicht beeindruckenste Installation am Wanderweg, dem Kunstobjekt „Weitblick“. Zwei große überdimensionale Spiegel, die sich je nach Blickachse verdrehen lassen, ermöglich faszinierende Ein- und Ausblicke in das untenliegende Kürnbacher Tal, bis hin Richtung Schwarzwald, Vogesen und dem angrenzenden Odenwald.
Von hier aus sind es noch rund sieben Kilometer bis nach Sternenfels, welches sich durch eine exponierte Lage auszeichnet, denn hier treffen vier Landkreise (Enzkreis, Karlsruhe, Ludwigsburg und Heilbronn) aufeinander. Hier sollte man unbedingt dem offiziellen Wegverlauf hinauf zum Schloßbergturm folgen und nicht aus Respekt vor einigen Höhenmetern geneigt sein, direkt in das Ortszentrum weiterzugehen. Belohnt wird man am Gipfeln des Schlossberges in zweifacher Hinsicht. Dort wo bis 1778 eine Burg stand und 1967 durch einen Wasserturm, der im Stile eines Bergfrieds errichtet wurde, ersetzt, genießt man weitreichende Blicke vom Odenwald bis zum Schwarzwald. Zudem besteht hier die Möglichkeit, an der großzügig ausgebauten Kioskanlage zu einer Brotzeit einkehren.
Abwärts nach Sternenfels gehend kann man die umliegenden Weinberge bewundern. Die Passage führt weiter durch freies Feld, vorbei an Diefenbach hinauf zum Scheuelberg. Von hier oben kann man weitreichende Blicke in den Badischen Südwesten genießen. Beeindruckend die Mixtur der sanfthügeligen Landschaft, durchsetzt von Agrar- und Weinanbauflächen.
Nach einer abwechslungsreichen Wegführung ist nach insgesamt 34 Kilometern ein weiteres Highlight auf der Strecke, das Kloster Maulbronn, erreicht. Alleine für die Besichtigung der ehemaligen Zisterzienserabtei könnte man locker einen halben Tag Zeit investieren. Maulbronn ist eine der besterhaltensten mittelalterlichen Klosteranlagen nördlich der Alpen und seit 1993 als UNESCO-Weltkulturerbe deklariert. Ob Marstall, Klosterschmiede, Fruchtspeicher oder Torturm, das Ensemble dokumentiert auf eindrucksvolle Art und Weise die ehemalige durchaus opulente wirtschaftliche Lebenswelt der hier ansässigen Mönche. Der gewaltige Innenhof wird heutzutage auch gerne für angemessene Markt- Fest- und Konzertveranstaltung genutzt und bereichert allemal die Region.
Weiter geht es dem Linienweg folgend durch das Maulbronner Schafhofareal – eine Ansammlung pittoresker Gebäude. Hier kann man, Zeit und Muse vorausgesetzt, einige Kunstgalerien besichtigen. So gesehen ist alleine schon Maulbronn eine Reise wert.
Behaftet mit diesen Eindrücken geht es weiter, die Stadt in nördlicher Richtung verlassend hinein in den Wannenwald. Bald ist ein rekonstruierter Abschnitt des Schanzengrabens erreicht. Wohldurchdacht war der Aufbau der Schanzenanlage. Ein 2,5 Meter tiefer Graben, der unten zwei und oben fünf Meter breit war und einer sich anschließenden sechs Meter hohen Böschung in deren Mitte angespitzte Palisaden im 45 Grad-Winkel gerammt wurden, fertig war die Landwehr. An der anderen Seite des Grabens wurde ein bis zu 30 Meter breiter Verhack aus Bäumen und Ästen eingebracht. Den Aufzeichnungen zufolge wurden insgesamt 1,6 Millionen Kubikmeter Erde bewegt, was von den Soldaten alleine nicht bewältigt werden konnte. So wurde die Bevölkerung aus dem nahen und fernen Umland zu Frondiensten herangezogen um die gewaltige Eppinger Linie zu errichten.
An der Stelle des rekonstruierten Schanzengrabens setzt mithin der schönste Wanderabschnitt der gesamten Passage ein. Auf dem Linienwall, dort wo die mächtigen Wurzeln uralter Solitärbäume einen bilderbuchmäßigen Wurzelpfad gestaltet haben, kann man nun auf den nächsten Kilometern die Dimension der Wehranlage und den Aufwand und die Mühen der Konstruktion erst richtig ermessen.
Premiumwandern auf einen historischen Abschnitt. Auf der Höhe des Saubergs lohnt es sich einem Wegweiser zu folgen, um den Umrissen einer dort befindlichen Sternschanze zu folgen. Auch die hier aufgebauten Sternschanzen waren eine militär- und bautechnische Meisterleistung. Wohldurchdacht in der Planung und effektiv in der Anwendung.
Ein würdiges Finale beendet eine großartige und beeindruckende Wandertour. Vorbei an einem rekonstruierten Wachturm nebst Palisadenwall, von wo aus man einen reizvollen über das Erlenbachtal einschließlich Mühlacker genießen kann , geht es abermals auf herrlich zu begehenden Wurzelpfaden auf dem Linienweg vorbei an acht gewaltigen Barockrahmen, die bildhaft nochmals die am Weg befindlichen Kunstinstallationen aufgenommen haben. Weiter entlang des Walls ist bald der Waldrand und nach einem guten Kilometer der Bahnhof von Mühlacker erreicht.
Nach 45 Kilometern und nicht aufdringlichen 900 Höhenmetern ist eine kurzweilige und hochspannende Wanderung zu Ende. Spektakuläre Eindrücke, angereichert mit vielen Informationen, die es wert sind aufgenommen zu werden um sie je nach Interessenlage weiter zu verfolgen. Auch wenn der Qualitätsweg offiziell in Mühlacker endet besteht durchaus die Option die restlichen 40 Kilometer des Linienweges nach Pforzheim zu erkunden. Herbst, soll auch eine schöne Jahreszeit und ein idealer Nährboden sein um den Wandervirus zu hegen und zu pflegen
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