22. August 2024 – Spessart – Odenwald – Kraichgau – so die räumliche Abfolge dieser Mittelgebirgspassage die längs durch Deutschland führt und Teilstück des Deutschen Mittelgebirgs-Trails (DMT) ist. Jedoch – so einfach ist es nicht wirklich, denn in der granularen Betrachtung gestaltet sich die regionale Zuordnung deutlich komplexer. Vom Hochspessart geht es in den Bayrischen Odenwald, von dort aus in die Naturparks Neckar-Odenwald und Bergstraße-Odenwald, wobei in der weiteren Detailbetrachtung zunächst der östliche Odenwald, der als Madonnenländchen bezeichnet wird, gequert wird, um im Anschluss in das sogenannte Bauland im südlichen Odenwald zu wechseln, bevor man das Land der 1.000 Hügel, den Kraichgau erreicht, der als niedrigschwellige Mittelgebirgsbrücke die Verbindung zwischen dem kleinen Odenwald und den nördlichen Ausläufern des Schwarzwaldes darstellt. Klingt komplex und ist es auch.
Partenstein – Dammbach/Heppe
Knackig in vielfältiger Hinsicht fällt diese Passage durch den Hochspessart aus. Mit insgesamt 58 Leistungskilometern, die kernige 1.200 Höhenmeter im Anstieg und 1.000 Höhenmeter im Abstieg beinhalten, geht es vom Bahnhof in Partenstein auf den ersten sieben Kilometern stetig aufwärts. Sichtlich wenig begangen ist der schmale Pfad, der hinauf zur Weickertshöhe führt – einzig frische Spuren größerer Wildschweinrotten, die hier im Spessart in der Nachtschicht unterwegs waren, dokumentieren eindrucksvoll dass man hier als Zweibeiner nur Gast ist.
Von der Weickertshaus führt der Wanderpfad abwärts zum Forsthaus Lohrer Straße, der zwischen den Weilern Rothenbuch und Rechtenbach zu verorten ist. Von hier aus geht es strukturell abwärts, hinab zu einem geschichtsträchtigen Ort, dem Gasthaus im Hochspessart. Hier bereicherte ein gewisser Kurt Tucholsky vor knapp einhundert Jahren den deutschen Wortschatz mit der Kreation: “Der Wein möpselt nach” -will sagen er korkt. So festgehalten für die Ewigkeit in seinem Reisebericht “Das Wirtshaus im Spessart”. Vom Gasthaus folgt man den Wanderwegszeichen zum Hafenlohrtal, eines der bekanntesten Spessarttäler. Der Weinkenner Tucholsky der hier einst durchwanderte vermerkte treffenderweise: “Dies ist eine alte Landschaft, die gibt es gar nicht mehr, hier ist die Zeit stehen geblieben. Wenn Landschaft Musik macht, dies ist ein deutsches Streichquartett” Auf einer Länge von vier Kilometern schlängelt sich die Hafenlohr und die Rothebuch durch die Talsenke und der Ausstieg aus dem Talabschnitt, zumindest wenn man dem Deutschen Mittelgebirgs-Trail unter die Wandersohle genommen hat, gestaltet sich etwas tricky. Im Zuge der A3 Erweiterung hat man auf Höhe des Rasthofes Spessarts den Spurwechsel über die Autobahn verschleiert, jedoch wo ein Wille ist, ist auch ein Pfad.
Hier im Areal des Altenbucher Forstes reihen sich die höchsten Erhebungen des Spessart wie Perlen an der Kette aneinander. Klosterkuppel, Hoher Knuck, Geiersberg, Hohe Warte und schlussendlich der höchste und aussichtsreichste Gipfel im Spessart die Geißhöhe. So gehört es zum Pflichtprogramm des Deutschen Mittelgebirgs-Trails im Rahmen eines Schlenkers die markante Anhöhe einzubauen. Unvergessen die legendären 24 Stunden von Bayern in 2015, wo der auf der Nachtstrecke illuminierte Ludwig-Keller-Turm eines der Highlights der Veranstaltung darstellte. Tagesendstation ist das Waldhotel Heppe unweit der Geißhöhe mit einem vorbildlichen Early-Bird-Service für Wanderer, die unbedingt für Sonnenaufgang in den nächsten Wandertag starten wollen, können oder müssen….
Dammbach/Heppe – Amorbach
Wanderer fressen im Regelfall keine Würmer – daher zieht die Metapher “Der frühe Vogel…..” nicht wirklich. Jedoch die Erkenntnis des russischen Schriftstellers Dostojewski : “Es ist doch erstaunlich, was ein einziger Sonnenstrahl mit der Seele des Menschen machen kann” beherzigend, lohnt es immer wieder bereits vor Sonnenaufgang auf dem Waldboden zu stehen – auch wenn an diesem Tage die Lage aussichtslos – jedoch nicht hoffnungslos sein wird. So kann man, abgeschottet von jeglicher Zivilisation durch die dunkelsten Ecken des Spessarts, zunächst zwanzig Kilometer bis zu den Sandsteinbrüchen am Main wandern. Aussicht Null, Frischluft garantiert, hermetisch abgeriegelt von der Außenwelt, klimatechnisch von erhöhtem Sonneneintrag auch im Hochsommer absorbiert, unterlegt mit einer Wegetextur die jegliche Fußzonenreflexmassage überflüssig macht – das alles rezept- und kurtaxenfrei. Auch die Orientierung ist simpel. Man folgt einfach der historischen Handelsstraße, dem Eselsweg, dort wo schon keltische Krieger, kaiserliche Kuriere und römische Legionäre durch die Wälder frästen und dort wo das einfache Landvolk mit schwer bepackten Eseln Salz aus den Salinen von Bad Orb bis zu den Schiffsanlegestellen am Main transportierten.
Nomen est omen gilt auch für die hiesigen Pfadnamen. Dem Einsiedelweg folgend führt die Passage über die höchste Anhöhe des Tages, den 512 Meter hohen Geiersberg, bevor man die Fährte des Oberen Rülesbergweges aufnimmt, um oberhalb der sogenannten Mainhölle, dort wo die bekannten Sandsteinbrüche liegen, durch das Felsenmeer unterhalb des 439 Meter hohen Ospis zu wandern. Steil neigen sich die felsdurchsetzten Hänge hinab zum Mainufer, dort wo das renommierte Weingut Juliusspital aus Würzburg in bester Lage bei guten Böden Weinstöcke angelegt hat. In einer ausladenden Schleife könnte man zunächst auf der Höhe bleiben, um im Kloster Engelberg das legendäre Kreuzbergbier, welches schon auf der Rhönschleife vorgestellt wurde, zu verköstigen. Die Alternative ist nicht minder attraktiv. So heißt die Losung: “Gehe direkt steil abwärts, quere den Main an der historischen Brücke von Miltenberg um direkt in die Riesengasse einzuschwenken, dort wo Deutschlands ältestes Gasthaus steht”.
Miltenberg wird auch gerne als Perle zwischen Spessart und Odenwald bezeichnet und fürwahr, das Mainstädtchen über das schon mehrfach auf diesem Blog berichtet wurde, ist sehenswert und ein idealer Ausgangspunkt für wunderbare Wanderexkursionen. Diesmal den Deutschen Mittelgebirgs-Trail im Kopfe habend, geht es vorbei an der Mildenburg, den Greinberg umrundend in die Herzkammer des bayrischen Odenwaldes, nach Amorbach – dem Tagesziel dieser Etappe. Tiefroter Buntsandstein prägt sowohl die Landschaft als auch eine Vielzahl von Flurdenkmälern und historischen Gebäuden.
Amorbach – Neckargerach
Mittelgebirge ist nicht gleich Mittelgebirge. Spätestens ab Amorbach wird der Unterschied mehr als deutlich. Dicht bewaldet, rauer und mit raren Aussichtsmöglichkeiten aber waldtechnisch vielleicht authentischer hat sich der Spessart gezeigt. Der Odenwald hingegen zeigt sich im Gesamten offener. Die Landschaft strukturell sanfthügliger, durchsetzt von aussichtsreichenden Hochplateaus und weitläufigen Talsenken. Amorbach südlich querend und dem Verlauf der Mud folgend führt der Trail hinter dem Weiler Buch aufwärts nach Preunschen. Hier trifft man auf einen spektakulären 130 Kilometer langen Qualitätswanderweg, den Nibelungensteig, ein hochattraktiver Weitwanderweg, der quer durch den Odenwald führt. Bei Preunschen ist ein Hochplateau erreicht, welches auf einer Strecke von 12 Kilometern bis nach Reisenbach führt, dort wo die Wanderwaden einem erneuten Stressstest ausgesetzt werden.
In Reisenbach findet das Höhenwegsfeeling sein Ende, denn es geht abrupt abwärts. Zweihundert Meter steil abwärts zum Reisenbacher Grund, dort wo der Reisenbach sich in einem engen und bewaldeten Tal durch den Buntsandstein-Odenwald kerbt. Stramm hinauf geht es auf der Gegenflanke zum zwei Kilometer entfernten Steinernen Tisch, ein Knotenpunkt an dem sechs Flurwege aufeinander treffen. Von hier aus ist der Rest, auch wenn noch mit zwölf Kilometern bestückt als Kür zu verbuchen. Ein gemütlicher Auslauf, der nur noch auf einem gut gangbaren Pfad permanent abwärts führt. Den Weiler Mülben querend, ein kleines Hochplateau durchwandernd und dann dem Hauptwanderweg 31, der oberhalb des abwärts sprudelnden Weisbachs verläuft und an zwei Mühlen vorbeiführt folgend, erreicht man entspannt das Ziel des Tages, Neckargerach.
Neckargerach – Sinsheim
Ade Odenwald – willkommen im Kraichgau. Der Neckar bildet die imaginäre Grenze beim Mittelgebirgswechsel. Wobei manch ein Geologe zweifelt ob es sich beim Kraichgau tatsächlich um ein Mittelgebirge handelt. Vielleicht könnte man von einem Midigebirge sprechen. Zweifelsohne ist der Kraichgau, die kleinste Hügelansammlung entlang des Deutschen Mittelgebirgstrails. Die höchste Erhebung ist der 333 Meter hohe Steinsberg. So stellt das sanftwellige Hügelland eine Mittelgebirgsbrücke zwischen dem Odenwald und dem Schwarzwald dar – und immerhin spricht man vom Land der 1.000 Hügel, von der Badischen Toskana oder gar von Klein-Italien. Von Neckargerach geht es, den Neckar querend hinein in den Kraichgau. Die Höhenzüge des Odenwaldes im Rücken habend breitet sich eine wohlgefällige sanfthügelige Landschaft aus. Das Gebiet zählt zu den ältesten Kulturräumen Europas was ein Fund des Homo Heidelbergensis beleget, ein weitläufig entfernter Verwandter des Homo Sapiens, der hier vor 600.000 Jahren durch die Ländereien streifte.
Zumindest wandergebietstechnisch gehört der Kraichgau zum Odenwald, denn heimische Ortsgruppen des Odenwaldklubs unterhalten hier zahlreiche Hauptwanderwege. So folgt man hier einfach den bestens markierten Hauptwanderweg 25, der von der Mümling bei Bad König bis nach Eppingen führt. Neckarkatzenbach, Aglasterhausen, Helmstadt, Neckarbischofsheim – so die kommunalen Landmarken die auf dieser Passage zum Kraichgauer Kompass führen.
Vom Kraichgauer Kompass geht es strukturell abwärts zum Tagesziel dieser Etappe nach Sinsheim. Schon historisch gesehen war die Stadt im Herzen des Kraichgaus ein strategisch wichtiger Knotenpunkt. Zahlreiche historische Bauten die im nicht homogenen Erscheinungsbild der Kommune entdeckt werden wollen, belegen die einstige Bedeutung des Standorts, der heute durch zwei überregionale Fixpunkte weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist.
Sinsheim – Eppingen
Man könnte alles abkürzen und direkt von Sinsheim nach Eppingen wandern, mehr oder minder steigungslos und nach 17 Kilometern wäre die Messe gelesen. Ungleich attraktiver ist es jedoch die höchsten Erhebungen der Landschaft einzubeziehen, hervorragende Aussichtspunkte zu genießen, einzutauchen in bestehende Weinlagen und somit die Strecke zu verdoppeln und auf insgesamt 840 Höhenmetern aufzubohren. So kommt auch im Kraichgau locker ein Mittelgebirgsfeeling auf. Von Sinsheimer Ortsteil Steinsfurt geht es hinauf zur höchsten Erhebung des Kraichgaus, dem 333 Meter hohen Steinsberg. Der Gang hinauf ist ein Highlight, denn die 360 Grad-Aussicht, die man hier genießen kann, ist bemerkenswert.
Die hügelige Textur des Kraichgaus nutzend geht es vom Steinsberg hinab gen Westen zum benachbarten Eichelberg der gerade einmal drei Meter niedriger ausfällt, als die benachbarte höchste Erhebung des Kraichgaus. Auch hier oben erntet man schöne Aussichten auf das wohlgefällige Landschaftsbild. War man im Spessart aussichtstechnisch entwöhnt, wird man hier regelrecht verwöhnt. Aber damit nicht genug, denn der härteste Anstieg steht noch bevor – und wie sollte es anders sein, es ist ein Kreuzweg der hinauf zum Kreuzberg führt. Und clever ist man in Baden-Württemberg allemal. So hat man eine der 5.000 Bänke, die bei der Heiligen Messe von Papst Benedikt XVI auf dem Flughafen in Freiburg standen, hier hochgekarrt. Ob jedoch damit, sofern man hier hochwandert und sich niederlässt, auch eine Absolution verbunden ist, ist nicht wirklich gesichert. Allemal sind die Ausblicke göttlich und ab hier taucht man auf dem Weg Richtung Elsenz in ein großflächiges Weinanbaugebiet ein. Der gute Boden sowie die exzellente Sonnenlage garantieren ausgewogene Weine.
Von den Weinlagen um Elsenz geht es im Anschluss abwärts weiterführend durch den kleinen Birkenwald um zur Eintrittspforte in den Naturpark Stromberg-Heuchelberg zu gelangen, nach Eppingen. Hier endet im Prinzip der Kraichgau und man wechselt aus geologischer Sicht in das Keuperbergland, eine Schichtstufenlandschaft im Vorzimmer des nördlichen Schwarzwaldes. Hier auf der nächsten Passage setzt eine außergewöhnliche Wandertour ein, die als eines der Highlights auf dem Deutschen Mittelgebirgs-Trail verbucht werden kann.
Eppingen – Mühlacker
“Das Lesen dieses Beitrages könnte nachhaltig eine Infizierung mit dem Wandervirus auslösen. Der Verbreitungsherd dieses hochinfektiösen Virus ist im Kraichgau zu finden. Im Fokus steht dabei mit den Eppinger Linien ein kulturhistorischer Wanderweg, der vor 30 Jahren angelegt und im Januar 2017 mit dem Prädikat „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ geadelt wurde” So lautete die Einleitung eines früheren Blogbeitrages als Beschreibung des Eppinger Linienweges, der von Eppingen nach Mühlacker führt, also just dort wo auch der Deutscher Mittelgebirgstrail zum Schwarzwald führt.
Dem Beitrag ist nichts aber auch rein gar nicht hinzuzufügen. So lohnt es als Abrundung dieser Passage vom Spessart über den Odenwald in den Kraichgau auf den ausführlichen Bericht Eppinger Linien zurückzugreifen.
Spessart – Odenwald – Kraichgau – ein gewaltiges Paket bestehend aus sechs Tagesetappen bestückt mit 221 Kilometern und kernigen 5.710 Höhenmetern im An- und 5.620 im Abstieg. Spannend der Erkenntnisgewinn wenn man in Gänze die Mittelgebirgslandschaften mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen betrachtet, überraschend die doch teilweise gravierenden Unterschiede der einzelnen Abschnitte und bemerkenswert auch die kulturhistorischen Nuancen die in den einzelnen Landstrichen zu beobachten sind. Nicht zu vergessen der unterschiedlich ausgeprägte Habitus der Landbevölkerung der sich nicht nur in Speise- und Getränkekarten widerspiegelt. Kurzum einmal mehr eine spannende und abwechslungsreiche Entdeckungsreise durch die deutschen Lande.
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