Alzey, den 3. September 2018 –
Verrückt ist es schon. Ein Bundesland im Namen tragend, jedoch einem Anderen zugehörend, immer wieder verglichen mit einer namhaften italienischen Region, Schutzhütten apulischer Wanderarbeiter aus dem 18. Jahrhundert als Wahrzeichen habend, zeitweise zu Frankreich gehörend und nebenbei Deutschlands größtes Weinanbaugebiet zu sein.
Die Rede ist von Rheinhessen, dem Bundesland Rheinland-Pfalz angehörend, behaftet mit dem Beinamen „Toskana Deutschlands“ 265 Quadratkilometer, respektive 20 Prozent der vorhandenen Fläche als Weinanbaugebiet ausgewiesen, bestehend aus 139 Kommunen, wobei in 136 insgesamt Weinanbaubetriebe angesiedelt sind. Hinzu kommt eine ausgezeichnete Wanderinfrastruktur, angereichert durch neun „Hiwweltouren“ alle ausgewiesen als zertifizierte Prädikatswanderwege. „Hiwwel“ heißt übrigens Hügel und steht als Bezeichnung für die sanfthügelige toskanisch anmutende Mittelgebirgslandschaft. Ergo – beste Voraussetzungen einzusteigen in eine spannende Wanderregion.
Gestartet wird in Heimersheim, einen Stadtteil von Alzey. Sehr viele Ortschaften enden hier im rheinhessischen auf –heim, ein historischer Beleg für die einstige fränkische Ansiedlung in dieser Region. Vom Osten kommend geht es zunächst durch die schier endlosen Weinbergstöcke hinauf in westlicher Richtung um auf die Weinberglagen oberhalb von Lonsheim zu kommen. Die aufgehende Sonne im Rücken habend erheben sich weitreichende Blicke in die Pfälzer Region. Augenfällig sind die zahlreichen Windkraftanlagen. Aktuell werden im Landkreis Worms-Alzey 153 Windräder betrieben – ein gewaltiger Zankapfel zwischen Umwelt-, Arten- und Klimaschützer.
Ausgezeichnet ist die Wegeführung durch die weitreichende Weinlandschaft. Bald ist der Kuckucksturm, ein kleiner Aussichtstum erreicht. Hier wird zwischen Mai und Oktober an Wochenenden Wein ausgeschenkt. Erkennungsmerkmal: “Wenn die Fahne hängt, wird ausgeschenkt”. Doch dazu später mehr.Noch ist die Fahne nicht gehisst, so geht es weiter einem sehr schönen Naturpfad folgend Richtung Sedanplatz. Hier in dieser Region wurde jahrhundertelang der Flonheimer Sandstein abgetragen, der unter anderem auch für den Kölner Dom verwendet wurde. Schon die Römer klopften hier Steine und wer an vertiefenden geologischen Aspekten interessiert ist, dem sei eine Exkursion entlang des hier vorbeiführenden rheinhessischen Küstenwegs (!) empfohlen –denn vor 30 Millionen Jahre rauschte hier ein tropisches Meer durch. Dies ist jedoch ein Thema für eine separate Exkursion.
So schlängelt sich der Hiwweltourenweg durch das ehemalige Steinbruchareal. Bald ist der Rheinhessenblick erreicht. An guten Tasgen mit klaren Sichtverhältnissen hat man von hier aus sogar die Chance das Niederwalddenkmal oberhalb von Rüdesheim zu erblicken. Allemal spannend sind die weitläufigen Sichtachsen die einmal mehr die räumlichen Zusammenhänge von Taunus und Hunsrück mit der eingebettenen Rheinebene und dem Binger Loch als markanten Fixpunkt verdeutlichen. Alleine diese Sichtmöglichkeitenen sind es Wert diese Tour unter die Schuhsohlen zu nehmen.
Weiter geht es, vorbei an einem kleinen jüdischen Friedhof, außerhalb von Flörsheim gelegen, stetig aber sehr moderat aufwärts gehend zu einem Wahrzeichen der Region, einem Trullo inmitten der Weinberge. Mitte des 18. Jahrhunderts haben hier italienische Wanderarbeiter mehr als 30 Trulli in der Region errichtet. Landestypisch apulisch in Kragenbauweise mit einem Zippus –einem viereckigen Stein mit einer krönenden Kugel versehen. Es gibt sogar einen Trulliwanderweg und einmal jährlich, am letzten Aprilwochenende, laden neun Weingüter zu einer Weinlagenwanderung „Trullo in Flammen“ ein. Ergo vortreffliche Argumente um diese Region weiterhin auf dem Radarschirm zu haben.
Die letzte Passage der insgesamt 14 Kilometer langen Rundstrecke, der Gang zum markanten Aussichtsstturm Lonsheimer Türmchen wird ausgelassen, da noch eine weitere Herausforderung ansteht. In südöstlicher Richtung wandernd wird die heimliche Hauptstadt Rheinhessens, Alzey angesteuert. Der seltsame Stadtname geht vermutlich auf eine keltische Siedlung zurück. Wechselhaft die Geschichte der bis 1946 zu Hessen gehörenden Stadt. Obschon durch zahlreiche Kriege in den vergangenen Jahrhunderten mehrfach zerstört, beeindruckt die 18.000 Einwohner zählende Kommune durch ein homogenes fachwerkgeprägtes Stadtbild, abgerundet durch das markante Alzeyer Schloß welches heute das Amtsgericht und ein Internat beherbergt.
An diesem Sonntagvormittag scheint jedoch die Innenstadt wie ausgestorben. Der Grund ist eindeutig und nachvollziehbar, denn just an diesem Tag wird bereits zum 30 Mal die „Wingertshaisje Wanderung“ angeboten. Jeweils am ersten Sonntag im September haben dabei knapp 20 Wingertshäuschen zwischen den Alzeyer Stadtteilen Weinheim und Heimerheim geöffnet, um den hier gezogenen edlen Rebensaft anzubieten. Das ganze eingebettet im Alzeyer Kunst- und Kulturwanderweg. Entlang der Wingerte entlangziehende Musikanten machen dabei diese Veranstaltung zu einem außergewöhnlichen Erlebnis.
Möchte man alle Weinberghäuschen besuchen, so absolviert man im Gesamten gute 20 Kilometer ab Alzey und zurück. Gute Gelegenheit also die aufgenommene Hiwweltour nebst Besichtigung der Stadt Alzey mit einem weiteren kulturellen Höhepunkt der Region zu verknüpfen. „Wo die Fahne hängt wird ausgeschenkt“, so lautet das ausgerufene Motto dieser Veranstaltung. So denkt man, sollte es einfach sein, die einzelnen Weinbergshäuschen zu finden. Jedoch haben offensichtlich eine Vielzahl von Besuchern ihre Orientierungsprobleme, was jedoch in den frühen Mittagsstunden noch nicht am Weinkonsum, liegt sondern eher an der mangelnden Ausschilderung der Strecke. Lediglich eine grobkörnige im Internet publizierte Karte dient als Marschvorlage für die Teilnehmer.
So sind einmal mehr Weinwanderer zu lokalisieren, die scheinbar planlos durch durch die Weinberge herumirren. Je weiter man sich vom Alzeyer Dunstkreis entfernt, desto spärlicher wird die Frequenz auf der Strecke. Jedoch die Veranstaltung in toto – ein beeindruckendes Event mit einer ausgezeichneten Resonanz, was man sichtlich an den weinseligen Gesichtern der Besucher ablesen kann. In der Gesamtbetrachtung eine faszinierende Langstreckentour über 38 Kilometer mit sehr entspannten 820Höhenmetern und vielschichtigen Eindrücken aus der rheinhessischen Toskana, die noch eine Vielzahl weiterer Entdeckungsmöglichkeiten bietet.
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