Schinderhannes gegen Schinderhannes

Kastellaun, den 22. Mai 2022. Just einige Tage nach der Erwanderung des Taunus-Schinderhannes-Steiges wird die Akte “Schinderhannes” aus gegebenen Anlass nochmals aufgeschlagen, denn im benachbarten Hunsrück, dort wo der gefürchtete Räuber ebenso sein Unwesen trieb, wird der Schinderhannespfad unterhalten. Die Analogie beider Wege ist bestechend. Beide Wege sind gleich lang, der Taunus-Schinderhannes-Steiges ist vom Deutschen Wanderverband als Qualitätsweg zertifiziert, der Hunsrück-Schinderhannespfad als Premiumwanderweg vom Deutschen Wanderinstitut geadelt, und beide sind dem bekanntesten Erzgauner der Region gewidmet. So liegt es auf der Hand in einem vergleichenden “Wanderwege-Battle” auch diesen Premiumwanderweg unter die Sohle zu nehmen.

Gestartet wird am Busbahnhof der Hunsrückstadt Kastellaun, dort wo Wanderer zum Einstieg eine Infotafel über den Steig vorfinden. Bereits der erste Kilometer überrascht, denn die vorhandene Infrastruktur ist absolut erstklassig. Ein aufwändig gestalteter Barfußpfad, der Sturmwurfpfad Kyrill, ein Wald-Klettergarten und der Beginn der Traumschleife Burgstadt vermittelt bereits zu Anbeginn: hier ist ein Wanderparadies. Und wahrlich – auf ausgesprochen schönen Pfaden wandert über Waldwege vorbei an Laubach, um in der gleichnamigen Gemarkung dem Flussverlauf des Oberkülzerbachs zu folgen.

Einstieg in Kastellaun
Während ein 38 Kilometer langer Schinderhannesradweg mit einem treffenden Wegesymbol gekennzeichnet ist….
..hat man die Wanderwegekennzeichung aus welchem Grund auch immer dezenter gehalten. Auf den ersten Kilometern wandert man zudem auf der Traumschleife Burgstadt-Pfad, eine der insgesamt 111 qualitativ hochwertigen Saar-Hunsrückschleifen
Ob Sturmpfad….
..Kletterwald
..oder Traumschleifenhighlights, wie die Schutzwälle, die, was einen Schinderhannes jedoch nicht beeindruckte, die Siedlungen schützen sollten…..

…- für Abwechslung ist von Beginn an gesorgt
Die Wegekennzeichnung ist ausgezeichnet und fast schon im Überfluss vorhanden
Wasserreich ist die Gegend, was auch die Vielzahl der einstigen Mühlen, die hier angesiedelt waren, belegt
Große Agrarflächen und kleine Hunsrückweiler kennzeichnen das aufgelockerte Landschaftsbild in der Region des Staatsforstes Kastellaun.
Obschon der offizielle Wanderweg auch viele Wiesenflächen streift ist die Strecke gut präpariert

​Im Laubacher Wald verabschiedet man sich von der Traumschleife Burgstadtpfad um auf Höhe der Gesellschaftsmühle einen neuen Wegepartner, die Traumschleife Klingelfloß aufzunehmen, die den Schinderhannespfad ein Stück begleitet. Tunlichst waren die Wegeplaner, wie beispielsweise in Neuerkirch oder in Kümbdchen darauf bedacht, die Ortschaften strategisch zu umrunden. Kein Wunder, jeder Asphaltmeter kostet wertvolle Zertifizierungspunkte, da das Deutsche Wanderinstitut im Gegensatz zum Deutschen Wanderverband mit einem offiziellen Punkteraster arbeitet. Jedoch ist es nicht verboten, ab und an durch eine Hunsrückgemeinde zu wandern, um ein Stück regionalen Lebensraum auf Augenhöhe einzufangen.

Einfach idyllisch. Einst befand sich hier am Klingelfloß ein Kloster – 1935 wurde diese Waldarbeiterhütte nebst Teich angelegt
Steigungen wie diese hier sind äußerst selten am Hunsrücker Schinderhannespfad
Ein typisches Fachwerkhaus in Neuerkirch
Die Süddeutsche Zeitung berichtete über das “Windradwunder im Hunsrück”. Alleine auf dieser Anhöhe zwischen Neuerkirch und Külz kann man mehr als hundert Windräder im Rundumblick ausmachen – 278 sind es im Gesamten.

Zur Streckenhalbzeit, bei Kilometer 20, ist Simmern erreicht – jedoch auch hier muss man von der offiziellen Streckenplanung abweichen, denn die Wegeführung des Schinderhannespfades legt sich großzügig um den Westen der Stadt. Simmern ist augenscheinlich die heimliche Hauptstadt des Schinderhannes. Am 14. August 1799 brach hier der Räuber aus dem “ausbruchsicheren” Gefängnisturm aus und konnte erst drei Jahre später wieder dingfest gemacht werden. Heute kann man am Schinderhannesplatz den gleichnamigen Turm nebst einem Denkmal besichtigen und die Ausstellung “Schinderhannes Realität und Mythos” besuchen.

Aus diesem Turm ist 1799 Schinderhannes ausgebüchst
1936 wurde ein preußische Husar der einst als Wetterfahne angebracht war durch diese Schinderhannesfigur auf der Dachspitze ersetzt..
..und 2011 ist ein Schinderhannesdenkmal vor dem Turm aufgestellt worden…
..zur Hälfte gesponsert von einem ortsansässigen Kreditinstitut, welches sich ebenso auf diesem Platz befindet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…..

Am Hotel Bergschlösschen dockt man wieder an den offiziellen Wegeverlauf der Strecke an. Ab hier folgt man am langen Ende dem Simmerbachtal bis zum Ziel. Kurze schöne Waldabschnitte bereichern die Streckenführung, durch die insgesamt wohlgefällige Landschaft. Hinter Ohlweiler steigt man ein in die dritte Traumschleife, die Traumschleife Domblick. Interessanterweise hat diese Schleife deutlich mehr Punkte vom Deutschen Wanderinstitut erhalten als der gesamte Schinderhannespfad. Wanderinnen und Wanderer kann jedoch die Hype um Bewertungspunkte am langen Ende egal sein, was zählt ist der persönliche Eindruck. Zweifelsohne ist die Panoramarunde rund um den Hunsrücker Dom ein Highlight der gesamten Passage. Erbaut auf einem vom Simmerbach umflossenen Schieferfelsen prägt die Kirche volksmundschaftlich Hunsrückdom genannt das Ortsbild von Ravengiersburg. Auch wenn man geneigt sein könnte nach Ravengiersburg abzusteigen, diesmal ist man besser beraten das Dompanorama von oben zu genießen.

Ein Baumstamm – eine Treppe. Bodenständigkeit wird im Hunsrück großgeschrieben
Einfach schön – die Passage durch das Simmerbachtal
Deutlich besser als im Taunus ist das Informationsangebot entlang der Strecke..
…auch wenn diese Beschilderung 40×60 cm etwas übertrieben ist……
Traumhaft schöne Passagen auf der Traumschleife…
..die hier Domblick heißt und eine von insgesamt drei Traumschleifen ist, die partiell den Schinderhannespfad begleiten
..das “steilste Stück” auf der gesamten Passage
Es ist nicht anzunehmen, dass Schinderhannes diese Kirche in Belgweiler, die schon zu seinen Lebzeiten hier stand, jemals von innen gesehen hat
Der Domblick

Hinter Ravengiersburg beginnt der ruhigste Abschnitt der gesamten Passage. Die letzten Weiler sind außer Sichtweite, keine Straßen kreuzen die Wege, Flugverkehr am Himmel -Fehlanzeige-, Windräder auf den Anhöhen nicht auszumachen – regelrecht entleert ist die Landschaft. Selbst Neuhof, eine Aussiedlerhofanhöhe wirkt wie ausgestorben. Man genießt die weiten Blicke in die Landschaft und wandert tendenziell abwärts gen Gemünden. Bei Panzweiler wird man nochmals überrascht. Fast wäre man geneigt der Kreisstraße K60 nach Simmern zu folgen, denn augenscheinlich führt eine unnütze Schleife über eine gegenüberliegende Anhöhe. Jedoch es geht nicht über die Anhöhe, sondern man folgt der Simmerbachschleife die sich um einen Schiefersteinhügel zieht und erreicht nach insgesamt 39 Kilometern das Ende des Schinderhannespfades, die “Perle des Hunsrücks” die Gemeinde Gemünden.

Just vor eine Woche führte hier der Saar-Wandermarathon vorbei
Hunsrück pur – nichts als Stille…….
Eine krönende Abschlussrunde entlang des Simmerbaches
Blick auf Schloß Gemünden, welches sich im Privatbesitz befindet und nur von außen bewundert werden kann
Ein idealer Rückzugsort für Schinderhannes?

Schinderhannespfad vs. Taunus-Schinderhannessteig. Und der Gewinner ist……….

Es wäre mehr unfair einen “Wanderwegegewinner” auszuloben, denn zu unterschiedlich sind die beiden Premiumwanderwege und zu unterschiedlich sind die Vorlieben der Wanderer. Der Taunus Schinderhannessteig ist von der Textur lebendiger und aussichtsreicher und zudem mit sportlichen 1.300 Höhenmetern gespickt. Eine kraftvolle Herausforderung für alle, die den typischen Taunus intensiv erleben möchten. Jedoch thematisch hat man das Thema “Schinderhannes” regelrecht ausgeblendet. Es gibt entlang der Strecke keinerlei Bezugspunkte zu dem Räuber, der im zarten Alter von 24 Jahren mit 19 weiteren Kumpanen im Jahre 1803 in Mainz geköpft wurde

Umgekehrt die Parameter im Hunsrück. Der Schinderhannespfad ist hier in Gänze harmonischer, angereichert mit drei Traumschleifen, die sich punktuell an der Wegeführung andocken. Die Steigungen sind mit insgesamt 490 Höhenmetern nicht wirklich erwähnenswert und liegen für ein Mittelgebirgsareal, wo man im Schnitt mit 300-400 Höhenmetern pro zehn Wanderkilometern rechnen kann, auf einem steigungstechnisch niedrigen Niveau. Jedoch, kulturhistorisch gesehen geht man im Hunsrück progressiver mit der Causa Schinderhannes um. Während man entlang der Taunusstrecke keinen Bezug zu der schillernden Figur findet, pflegt man insbesondere in Simmern ein Narrativ welches durch Legenden, Anekdoten, Romane und Fiktionen geschärft wurde. Schade ist nur, dass die Streckenplaner Simmern selbst, dort wo der Schinderhannesturm nebst Denkmal am Schinderhannesplatz steht, und dort, wo man sich im Hunsrück-Museum mit Realität und Mythos von Johannes Bückler anschaulich auseinandersetzen kann, im Rahmen der offiziellen Wegeplanung regelrecht ausgespart haben. So kann man nur, wie hier dargestellt, empfehlen, Simmern in die Streckenplanung einzubeziehen.

Der Schinderhannes – Schurke oder Held? Die Weltgeschichte ist voller “edler Schurken” Der Mythos Bandit wird als Touristenattraktion auch anderweitig gepflegt. So kann man sich beispielsweise im Spessart zu Fuß auf die Spuren einer weiteren zwielichtigen Gestalten begeben, wie der Blogbeitrag: Auf den Spuren eines Erzwilddiebes veranschaulicht. Wer übrigens noch einen räuberischen Nachschlag benötigt, der sollte den 30 Kilometer langen Naturerlebnisweg Schinderhannes, der von Gemünden nach Rheinböllen führt, auf den Radarschirm nehmen. Und eine Nummer größer ist der Störtebekerweg von Leer bis nach Wilhelmshaven. 186 Kilometer auf den Spuren des gefürchteten Seeräuberhauptmanns……

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*