Auf den Spuren eines Erzwilddiebes

Spessart, den 30. Juli 2021 – Gauner, Banditen, Lumpen, Betrüger, Strolche und Diebe gab es schon immer, gibt es immer noch und wird es auch immer geben. Wenn jedoch rund 250 Jahre nach dem Wirken einem dieser zwielichtigen Gattungssorten zugehörigen Exemplars ein Wanderweg gewidmet wird, dann muss es sich um einen durchaus bemerkenswerten Vertreter dieser juristisch bedenklichen Zunft handeln. Die Rede ist dabei von Johann Adam Hasenstab, 1716 als Sohn eines Jägers in Rothenbuch geboren, als Erzwilderer glorifiziert und im Laufe der Geschichte als Robin Hood des Spessarts geadelt. So kann man heute im ehemaligen Wirkungskreis des Wilderers auf 77 Kilometern und gesalzenen 1.800 Höhenmetern durch die dunklen Wälder des Hochspessarts ziehen.

Gestartet wird in Rothenbuch im Spessart, dort wo einst für den kurfürstlichen Hof in Aschaffenburg die Fleischversorgung mit Wildbret übernommen wurde, dort wo sich der Marktflecken als Zentralort des Innerspessarts entwickelte und die Forstverwaltung und der Glashüttenbetrieb organisiert wurde, und dort wo der legendäre Erzwilderer das Licht der Welt erblickte. Ende des 17. Jahrhunderts wurde zudem ein Wasserschloss errichtet, um einen Eckpunkt der Handelsstraße von Lohr über Aschaffenburg bis zur Frankfurter Messe zu setzen.

Vom kostenfreien Wanderparkplatz am Ortsrand von Rothenbuch folgt man der noch jungen Hafenlohr bis zur Quelle am Schloß
Solch opulente Torbeschläge sind signifikante Vorboten..
…von herrschaftlichen Anwesen, wie hier das Rothenbucher Schloß

Das Schloß in Rothenbuch, welches als Seminarhotel aufgebohrt wurde, ist mittlerweile geschlossen und nicht zugänglich und unterliegt offensichtlich einer schleichenden Verwahrlosung. Über den Ölberg steigt man aufwärts, hinauf zu einer schönen Kastanienallee um anschließend in den hier spessartypischen Mischwald einzusteigen. Eines vorneweg. Wenn man in den Spessart eintaucht, muss man ein Freund des Waldes sein. Die Region ist dünn besiedelt, die Ausblicke sind rar, man läuft mehr oder minder immer gegen den Kamm, was per se für Steigungen sorgt, und die Wahrscheinlichkeit mehr Vier- als Zweibeiner entlang der Strecke zu begegnen ist sehr hoch. Bereits in einer Studie Mitte des 19. Jahrhunderts wurde herausgearbeitet, dass die Region von Hungersnot und sittlicher Verwahrlosung geprägt ist – ergo ein idealer Nährboden für einen Hallodri namens Johann Adam Hasenstab.

Wer diesem Zeichen folgt, wandert auf den Spuren des Erzwilddiebes
Selbst aus Baumstümpfen entwickelt sich wieder ein zarter Trieb, was einmal mehr Waldguru Peter Wohlleben in seinem neuesten Buch untermauert
Im Gegensatz zu den letzten Jahren hat sich die Wanderwegskennzeichnung im Spessart deutlich verbessert
Am Eichsee, einem ehemaligen Triftweiher für Rothenbucher Waldarbeiter

Steil abwärts geht es in die Lichtenau, der Quasi-Eintrittspforte in das wunderschöne Hafenlohrtal. Einst war hier ein Eisenhammer eingerichtet, Gastronomie siedelte sich an und Kurt Tucholsky (Das Wirtshaus im Spessart) hinterließ hier seine Spuren. Traurig hingegen jedoch die aktuelle gastronomische Infrastruktur. Im weitläufigen Gasthaus Hochspessart sind Tagesgäste gemäß Anschlag nicht mehr wirklich willkommen, und wenn, dann nur an Wochenenden von 15 bis 22 Uhr und nur nach Voranmeldung. Derzeit geschlossen des im Tal gegenüberliegende Gasthaus Hoher Knuck, jedoch ausgezeichnet der Einsatz des Hausherrn, der einen vorbeiziehenden Wanderer mit Kaffee und einer Weinschorle und einem Kuchen als Dreingabe versorgt. Gelebte Barmherzigkeit im Spessart, auch 250 Jahre nach dem Wirken des Erzwilddiebes noch aktuell.

Die Eingangsporte zum Hafenlohrtal
Trotz eines gegenläufigen Weltbilds – auch Unterfranken gehört zu Bayern
Eine außerplanmäßige Morgenrast

Vom Gasthaus Hoher Knuck geht es aufwärts in das namensgebende Naturwaldreservat Hoher Knuck. Hier lässt man Wald Wald sein und oberflächlich betrachtet scheint hier der Mischwald noch intakt zu sein. Vorbei an der Sandkautenhütte erreicht man den Fürstlich Löwenstein,schen Wildpark, den man über eine Stiege betreten darf. Ein herrliches Waldfleckchen auf dem Weg zum bewirtschafteten Forsthaus Sylvan, dort wo man nach sechzehn Kilometern getrost eine Brotzeitrast einplanen kann, sofern man von Mittwoch bis Sonntag nach 11:00 Uhr aufschlägt. Den Weihersgrund querend geht es hinauf zum Josefssteig, vorbei am Torhaus Aurora, um über die Kreuzhöhe nach zwanzig Kilometern eine größere menschliche Besiedlung namens Bischbronn zu erreichen. Im dörflichen Biolädchen wird eine große Tasse frisch gekochter Kaffee für 1,50 kredenzt – einmal mehr zeigt sich der Spessart von seiner besten Seite. Anschließend geht es weiter durch die dichtbewaldete Region, unterhalb der mächtigen Haseltalbrücke der A3, die das gleichnamige Tal überspannt. Von hier aus sind es noch sieben Kilometer bis nach Schollbrunn, dort wo man idealerweise eine Übernachtung einplant.

Im Naturwaldreservat Hoher Knuck darf der Wald machen was er will
Aggressive Bakterien aber auch Pilze können wie hier zu “Baumkrebs” führen
Über die Stiege geht es in den fürstlichen Wildpark
..augenscheinlich ein schönes Fleckchen Erde
Theodor Storm verfasste einst diese Zeilen
Ein sehr zu empfehlendes Tagesgericht im Forsthaus Sylvan
..dazu nach bester Spessarttradition einen herrlichen Kochkäse nebst Kümmel und Zwiebel und ein kernig frisches Schwarzbrot
Knorrige Wurzeln bereichern den Josefsteig
Und auf einem Europäischen Kulturwanderweg kann man sich mit der reichen Spessartgeschichte intensiv auseinandersetzen, ob hier am Rainstor, einem ehemaligen Zugang zum Spessart Wildpark…..
oder am Königsrondell, dort wo dem tattrigen Prinzregent Luitpold im hohen Alter von 90 Jahren die Flinte beim Schuss gehalten wurden musste, während man zweihundert Jahre zuvor den legendären Wilddieb Hasenstab, der im besten Alter für eine nachhaltige Dezimierung des Schwarzwildbestandes sorgte, mit einer Silberkugel hinrichtete
Nomen est Omen – gilt augenscheinlich im Spessart
Während siebzig Meter oberhalb der Autobahnverkehr tobt, zieht man unten durch das Haseltal von Waldabschnitt zu Waldabschnitt
Hochgradig zu empfehlen ist die Unterkunft “Heidis Häuschen” in Schollbrunn. Heidi und Martin Roth erkennen bereits auf zwanzig Metern Entfernung den Unterhopfungspegel eintreffender Spessartwanderer

Im zweiten 41 Kilometer langen Wanderabschnitt hat man Gelegenheit sich intensiver mit dem berühmtesten Wilderer des Spessarts auseinander zu setzen, denn man hat die Gelegenheit an der Stelle, dort wo der Hasardeur gemeuchelt wurde, inne zu halten. Von Schollbrunn, welches am Äppeläquator liegt, (näheres unter dem Blogbericht Südlich des Äppeläquators) geht es einmal mehr hinauf durch den waldreichen Altenbucher Forst. Im lieblichen Kropfbachtal erreicht man nach vier Kilometern das Hasenstabkreuz, dort wo der Wilderer mit einer silbernen Kugel erschossen wurde, da er angeblich unverwundbar war. Abenteuerlich ist die Geschichte des Volkshelden. Zunächst arbeitete Johann redlich als Jäger im Kloster Bronnbach, erwarb dabei Kenntnisse als Heilkundiger, zog anschließend durch den Südspessart und optimierte sein Einkommen durch den Verkauf von Wildererbeute. Der Aufstieg war vorprogammiert. Er wurde Chef einer Wildererbande, von der Obrigkeit für vogelfrei erklärt, eingesperrt, ausgebüchst, wiederum eingelocht und nach Australien verbannt. 1772 tauchte er jedoch wieder auf – die Obrigkeit schäumte, das Volk jubelte. Jedoch ein Jahr später war es um ihn geschehen. So lebt heute die Legende, sicherlich durch die ein oder andere Schote angereichert, weiter. 1988 wurde sogar eine Gedenkmedaille mit der Inschrift “War er auch ein Wildverhundser, bet für ihn ein Vaterunser” geprägt”. Ehre wem Ehre gebührt.

Schollbrunn, am Äppeläquator gelegen.
Zum Steinkreuz von J.A.H.
Zehn Taler Belohnung erhielt der Revierjäger Johann Sator als Belohnung, da er hier den Wilddieb niederstreckte

Was folgt ist Wald, Wald und nochmals Wald. An diesem Tag wird mir auf der Wanderstrecke kein (!) Mensch begegnen. Wer Ruhe und Entspannung und/oder Stadtflucht sucht, ganz nach dem Vorbild des Wilddiebs ab- und eintauchen möchte, der ist hier richtig. Umso überraschender dass man nach neunzehn Kilometern auf eine mitten im Wald gelegene Einöde trifft. Es ist das Waldhotel Heppe. Ein groß dimensioniertes aber sehr ruhiges Spessarthotel, mitten im Spessartwald, für stressgeplagte Großstadtbewohner sicherlich ein idealer Rückzugsort und für durchlaufende Wanderer eine willkommene Raststation. Vom Waldhotel führt der Wanderweg auf schönen Pfaden tendenziell abwärts in das Dammbachtal, dort wo sich unterhalb des Dürrenbergs kleine Weiler des kommunalen Verbundes Dammbach in der Talsenke angesiedelt haben. Würde wie aktuell in der Eifel ein immenser Starkregen einsetzen, nicht auszumalen, welches Szenario sich hier entwickeln könnte…..

Am Kreuztor in 498 luftigen Spessarthöhenmetern
Hier laufen Räuberweg und der 111 Kilometer lange Eselsweg zusammen
Waldidyll am laufenden Kilometer
Eine kleine Lichtung am Hundsrückhof
“Und der Herr schickte ein Zeichen” – ein Waldkühlschrank unter anderem bestückt mit dem besten hopfenhaltigen Getränk aus der Aschaffenburger Region
…und zur Abwechslung noch mehr Wald……
Räuberland Spessart – Ob Erzwilddieb, ob Spessarträuber, ob Johannes Bückler alias Schinderhannes – der Spessart war schon immer ein idealer Rückzugsort für subversive Gestalten und Elemente und heute ist das Räuberland Spessart eine von vier bundesdeutschen Regionen, die das Siegel „Qualitätsregion Wanderbares Deutschland“ tragen dürfen
Blick in das Dammbachtal

Hinter Dammbach ist vor Dammbach, denn es geht wiederum in aller Stille kilometerlang nur durch den Spessartwald, diesmal auf einem schönen, dem Dammbach begleitenden Höhenweg, bis nach Echterspfahl. Einst konnte man am hiesigen Forsthaus einkehren, jedoch diese Zeiten sind vorbei. Was folgt ist eine knapp zwei Kilometer lange Zumutung. Sowohl der Eselsweg, der Hasenstabpfad als auch der Europäische Kulturpfad führen über eine hart geschotterte Piste, die in der Dimension einer ausgewachsenen Kreisstraße angelegt ist. Locker könnte man die Wanderwege in nordöstlicher Richtung über bestehende Waldpfade zum Hessenthaler Graben führen, um auf Höhe des Wertholzplatzes Salzwiese diese weiter fortzuführen. Über die hier neugestaltete A3-Trasse wandert man auf Weibersbrunn zu. Der Trassenführung des Hasenstabweges entlang des nördlichen Zipfels der unterfränkischen Gemeinde muss man nicht zwingend folgen, empfehlenswerter ist es auf einem bestehenden Wiesenpfad oberhalb von Weibersbrunn zur Hephataklinik einzuschwenken, um im Anschluss auf den nächsten sechs Kilometern wieder einmal mehr in den dichten und hier besonders dunklen Spessartwald gen Rothenbuch einzutauchen.

Blick gen Weiberbrunn und im Vordergrund die A3, die hier die Spessartlandschaft durchschneidet
Ein Zufallstreffer – der einzige Sommerferientag in 2021 , an dem alle Bundesländer Ferien haben und – die A3, zumindest in dieser fotografischen Sekunde, ist frei….
1773 wurde der Erzwilderer, der sich aktiv an der Dezimierung des Wildbestandes beteiligte erschossen, heute werden hier in Serie Jägerhochsitze produziert
Vorbei am Rothenbucher Breitsee
Nach zwei Wandertagen ist Rothenbuch wieder erreicht
..und daß die Spessartleute abgehärtet sind, zeigt dieser Rothenbucher Imker, der seine Bienen ohne weitere Schutzausrüstung versorgt

Auf den Spuren des Erzwilddiebes Johann Adam Hasenstab – der Wanderwegeverlauf spessartytpisch und zudem auch bestens geeignet für Wanderungen im Hochsommer, da dank dichter Bewaldung man überwiegend im natürlich klimatisierten Waldraum unterwegs ist. Ob Wanderer des 22. Jahrhunderts jemals die Chance erhalten werden auf den Spuren eines neuzeitlichen Nachfolgers zu wandern, der sich zwar außerhalb des legalen Korridors bewegt, jedoch hehre Ziele verfolgt, scheint mehr als fraglich zu sein. Verbrecher mit edler Gesinnung scheinen ausgestorben zu sein.

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