Idar-Oberstein, den 7. Januar 2018
Auch das neue Wanderjahr wird wiederum mit einem Pilgerweg eingeläutet. Offiziell eingeweiht im September 2017, gewidmet der außergewöhnlichsten Frau der deutschen Geschichte, eine 137 Kilometer lange Strecke, überwiegend auf Prädikatswegen vom Naheland bis zum Rheingau verlaufend. So geht es auf die Spuren der Hildegard von Bingen, von Idar Oberstein bis nach Bingen am Rhein. Hildegard von Bingen. Äbtissin, Visionärin und Theologin, Ratgeberin und Mahnerin, Dichterin und Philosophin, Natur- und Heilkundige, Komponisten und ihrer Zeit, dem 12. Jahrhundert, Lichtjahre voraus und 2012 durch Papst Benedikt heiliggesprochen.
So hat der Touristikverband Nahe die Zeichen der Zeit erkannt, um in Würdigung dieser großartigen Persönlichkeit einen Pilgerweg zu entwickeln, der das Wirken der heiligen Frau nachvollziehen soll. Ausgezeichnet die Informationsgrundlagen über den Weg auf den Webseiten des Touristikverbandes, allerbestens die Wegeführung, die überwiegend auf bestehende Premiumwanderwegen gelegt worden ist, hervorragend die Wegekennzeichnung und ärmlich dagegen die spirituelle Begleitung auf der Wegesstrecke. Mit Hilfe von 86.000 EUR EU-Mitteln, sollten an exponierten Stellen 57 Hildegard-Tafeln zur Information und Meditation einladen. Trotz Eröffnung im September des Vorjahres – Fehlanzeige auf der ersten Etappe. Kirchentüren die sonntags verschlossen sind belegen zudem die Halbherzigkeit mit der, wie auf vielen anderen Pilgerwegen auch, die Thematik in der Region angegangen wird.
Ungeachtet dessen lohnt es allemal die Fährte des Pilgerweges aufzunehmen – und das in mehrfacher Hinsicht. Gestartet wird in der Edelsteinstadt Idar-Oberstein , gelegen am südlichen Rand des Hunsrücks und weit über die Grenzen der Region bekannt. Das natürliche Vorkommen von Achat und Jaspis führte dazu, dass sich schon hier im Mittelalter Edelsteinschleifer und Goldschmiede niederließen, was die Edelsteintradition der Kommune begründete. Neben Antwerpen und Amsterdam ist Idar-Oberstein heute noch eine der Welthandelsplätze für Edelsteine.
Vom Bahnhof geht es einmal quer durch die Fußgängerzone. Am Ende des Fußgängerareals blickt man steil aufwärts zu der spektakulär im Fels eingelassenen Felsenkirche um deren Erbauung eine bemerkenswerte Sage rankt. Sühne für einen Brudermord, so der Beweggrund für die Errichtung des Sakralbaus. Allerdings – Pilgerer, die zwischen Oktober und März unterwegs sind, brauchen nicht daran zu denken, die Kirche zu besichtigen, da in dieser Zeit Winterruhe verordnet ist.
So genießt man eben die spektakuläre Wegeführung entlang des Saar-Hunsrück-Steigs und der Traumschleife Nahe-Felsen-Weg. Auch in der kargen Winterzeit lässt es sich hier ausgezeichnet wandern. Hervorragend aber auch anspruchsvoll die Streckenführung. Der Touristikverband beschreibt die erste offizielle Teilstrecke über 20 Kilometer als schwierigste Etappe, die phasenweise und optional auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden könnte. Sicherlich die Wegführung ist anspruchsvoll, unterlegt mit einer kernig hügeligen Struktur. Für Wanderer, die die Herausforderung suchen, ist jedoch dieser Trail , welcher zwei offizielle Pilgerwegsetappen bis nach Kirn umfasst, mit 37 Kilometern und 1198 Höhenmetern Wandergenuß pur und ein motivierender Einstieg für ein dynamisches Wanderjahr.
Oberhalb der Felsenkirche folgt man in Kehren dem Saar-Hunsrück-Steig, vorbei an der Schloßruine Bosselstein und geht auf schmalen steiggerechten Pfaden weiter bis man den Aussichtspunkt Götzplatz erreicht hat. Auch wenn witterungsbedingt die Aussicht am frühen Januartag nicht die Beste ist, ein Abstecher zu diesem Aussichtspunkt lohnt allemal.
Weiter geht es oberhalb und parallel der Nahe folgend auf schmalen Pfaden vorbei an eindrucksvollen Felsformationen. An schönen Tagen muss hier die Aussicht in das Nahetal ausgezeichnet sein. Eindrucksvoll ist allemal der hiesige Naturraum Hunsrück. Auf der Passage Richtung Hintertiefenbach quert man eine wasserreiche Region mit zahlreichen Bachrinnen die hier auf den Anhöhen entspringen und in der nahen Nahe entwässern. Bedingt durch die massiven Regenfälle ist der Wasserpegel der Rinnsale deutlich angestiegen und fordern Mensch und Material heraus. Durchweicht der Waldboden, schlammig rutschig manch eine Teilpassage – eben Outdoor pur.
Hinab zur Landestraße 160, den Fischbach und den gleichnamigen Weiler querend, zieht man an der Gegenflanke wiederum hoch um dann einen beeindruckenden Abschnitt, das Hosenbachtal zu erreichen. Während zur selben Zeit der Winzerstand in Geisenheim am Rhein geflutet und die Schifffahrt dort eingestellt ist, hat sich der Hosenbach zu einer reißenden Strömung entwickelt. Wildbachrauschen pur, welches ein alpenadäquates Feeling vermittelt – so kann man den Pilgerpfad auch ohne begleitende Informationstafeln des Touristikverbandes auf seine Weise genießen, was durchaus auch im Einklang der Naturverbundenheit der Ordensfrau Hildegard von Bingen sein sollte.
Nach 22 Kilometern ist das offiziell erste Etappenziel Herrstein erreicht. Die imposante Burg Herrstein nebst dazugehörigem Glockenturm und Kirche dominiert das städtebauliche Bild der Kommune, die an der deutschen Edelsteinstraße gelegen ist. Richtigerweise führt der Pilgerweg durch das Burgareal, jedoch ist die Schlosskirche zugesperrt. Scheinbar rechnet man nicht damit, dass zu Jahresbeginn ein Wanderer sich hier auf dem Pilgerweg verirrt.
So geht es unverrichteter Dinge weiter auf guten Wegen nach Niederhosenbach, dort wo nach neuesten Forschungen der Geburtsort von Hildegards vermutet wird. Großspurig verkündet die offizielle Wegebeschreibung, dass in der der evangelischen Kirche eine Faksimile-Ausgabe des legendären Liber Scivias, das mystisches Hauptwerk Hildegard, durch das sie weltberühmt geworden ist, bewundert werden kann. Aber auch sonntags darf man hier nicht erwarten geöffnete Türen vorzufinden.
So bleibt am langen Ende die Erkenntnis sich der Textur der Wanderstrecke zu erfreuen. Von Niederhosenbach aus folgt man zunächst einem längeren Talabschnitt entlang des Hosenbachs um dann östlich Richtung Bergen einzuschwenken. Angesichts der fehlenden Installationen, O-Text der Wegbeschreibung: (Im Waldgebiet bei Bergen findet sich eine Info-Tafel zu Hildegards Buch über Bäume und Sträucher (Tafel 7). In Bergen kann man über das Weltall nachdenken (Tafel 8) und im Pilgerzentrum von Pfr. Krachen, dem Standort der Tafel, einkehren und etwas verweilen.) kann man auf die Schleife über Bergen getrost verzichten, um über die Freiebene abwärts zum Regionalbahnhof der Stadt Kirn zu wandern. Just-in-time die Bahn erreichend gilt es die spannende Stadt an der Nahe zum Start der nächsten Passage näher zu gründen.
Der erste Trail des Pilgerwegs, eine ausgezeichnete und anspruchsvolle Passage – jedoch für Pilgerer die insbesondere begleitende Informationen und die Besichtigungsmöglichkeit sakraler Stätten erwarten werden zumindest noch derzeit enttäuscht sein. So gilt die Erkenntnis, dass Wandern im weiteren und Pilgern im engeren Sinne durchaus einen meditativen Charakter haben kann. Pilgern heißt am langen Ende: Auf Zeit loslassen, verzichten auf den gewohnten Luxus; üben von falschen Wünschen und Bedürfnissen Abschied zu nehmen; durchhalten lernen. Pilgern – heißt beten mit den Füßen.” Verinnerlicht man diese Erkenntnis, so bleibt die Einsicht dass dieser Pilgerpfad auch bestens ohne Informationsschilder des Touristenverbandes gangbar ist.
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