Aschaffenburg, den 19. Dezember 2020 – Szenenwechsel! Szenenwechsel in mehrfacher Hinsicht. Das Bundesland wird gewechselt, die Streckenverantwortung geht nun vom Odenwaldklub auf den Spessartbund über, die Mainlandschaft wird hügeliger und getränketechnisch wechseln die Prioritäten. Vom hessischen Ebbelwoi-Korridor geht es hinein in die fränkische Wein- und Bierkultur. Wieder einmal mehr bleibt es spannend, welchen Wandel man entlang eines Flußverlaufs erleben kann.
Gestartet wird auf der bayrischen Seite gegenüber von Seligenstadt, dort wo, wie auf der letzten Passage zu erleben war, der Fährbetrieb nur zu besten Rahmenbedingungen einsetzt. Offiziell führt der Mainwanderweg zunächst zurück, schleift um den ehemaligen Braunkohletageabbau der Zeche Gustav, um dann hinter Dettingen in die ersten Anhöhen des Spessarts einzuschwenken. Zweckmäßigerweise und der Dunkelheit geschuldet kürze ich ab und quere Groß-Welzheim, einschließlich Industriegebiet, um über Feld- und Wiesenwege nach Dettingen einzuschwenken. Bei Historikern klingeln bei diesem Ortsnamen die Ohren, denn hier tobte einst eine der furchtbarsten Schlachten Europas, über die in dem Beitrag “Zwischen Schlacht und Schlucht” vorgestellt wurde. Unterhalb der ersten fränkischen Weinhänge von Hörstein zieht der Mainwanderweg hinauf in die ersten Anhöhen des Mainwanderweges, wobei Anhöhen etwas übertreiben scheint, angesichts des Maulwurfshügelcharakters des hier einsetzenden Mittelgebirges. Bei tageslichttauglichen Zeiten ist hier durchaus ein Abstecher in die Rückersbacher Schlucht zu empfehlen. Ansonsten führt der Mainwanderweg unterhalb des Langenbergs und oberhalb von Kleinostheim weiter in südlicher Richtung, die A3 unterquerend hinauf zum Kapellenberg der Gemarkung Mainaschaff.
Offiziell verschwenkt der Mainwanderweg hinter dem Kapellenberg in südlicher Richtung, durch Mainaschaff hinab zum Main und weiterführend zum Aschaffenburger Schloß. Da diese Passage als Rückweg eingeplant ist heißt es alternativ “Augen zu und durch”. Nördlich der Rhein-Main-Bahn Linie geht es durch das weitreichende Industriegebiet Strietwald. Wandertechnisch gesehen ist dieser Abschnitt nicht wirklich zu empfehlen, eine Rückpassage über den gegenüberliegenden Aschaffenburger Hafen wäre allerdings ebenso bescheiden. Wenn man jenseits der Lockdownzeiten den Mainwanderweg als Streckenwanderung erschließt stellt sich diese Frage jedoch nicht. Den Aschaffenburger Stadtteil Damm streifend und die Gleise des Hauptbahnhofs unterquerend erreiche ich den Wendepunkt der heutigen Mainpassage, das Aschaffenburger Schloß. Schloß Johannisberg, einst Zweitresidenz der Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten, 1607 von einem Straßburger Baumeister errichtet, stadtbildprägendes Baumonument und heute im Besitz des Freistaates Bayern.
Lockdownbedingt ist das Areal wie ausgestorben. Ansonsten trifft man sich gerne an den Schloßterrassen, flaniert oberhalb des Pompejanumfelsens im gepflegten Schloßgarten, läßt die Blicke über den Mainbogen und die unterfränkischen Weinstöcke schweifen oder nimmt ein windgeschütztes Sonnenbad unterhalb der Saint-Germain-Terasse. Der Rückweg folgt flußführend dem Mainwanderweg zurück Richtung Mainaschaff und Klein-Ostheim. Bei schönem Wetter haben hier Fußgänger und Wanderer einen schweren Stand, denn die Verkehrsfrequenz auf dem kombinierten Rad- und Fußweg ist hoch. Die Strecke ist sehr beliebt bei Radlern die sowohl aus dem Frankfurter Großraum, als auch aus dem Kreis Miltenberg hin- und herpendeln. Auf der gegenüberliegenden Mainseite legt sich kilometerlang das weitreichende Hafengelände des Bayernhafens um die Mainschleife. 1898 wurde hier auch eine der damals größten Zellstofffabriken Europas errichtet. Die Lage war ideal. Der Main liefert Prozesswasser in ausreichender Menge und die buchenreichen Wälder im Spessart, Odenwald und Tanus das Verarbeitungsmaterial. Noch heute schloten die Schornsteine der Papierfabrik rund um die Uhr und sind, durch die Wanderbrille betrachtet, eine ausgezeichnete Landmarke zur Orientierung.
Flaniert man entlang des Mains kann man die mainnahen Villen die sich am Ufer von Mainaschaff und Kleinostheim bewundern, die sinnvollerweise hochwassergeschützt errichtet wurden. Grundbuchlich und per Verordnung ist in diesen Gebieten ein HQ100 Faktor niedergelegt, der beziffert, wie oft on 100 Jahren nach aller Wahrscheinlichkeit ein Schlauchboot herauszuholen ist. Leben am Fluß kann auch seine Schattenseiten haben.
Mainbrücke Stockstadt, Staustufe Kleinostheim, Mainbrücke Mainflingen, Natorampe Kleinostheim, Kilianusbrücke Dettingen – wie am Abreißkalender passiert man die mainüberschlagenden Bauten. Augenfällig ist dass Stadtwappen von Karlstein am Main, welches den Mainpassanten am Mainufer begrüßt. Im Rahmen einer Gebietsreform wurden 1975 die Gemeinden Großwelzheim und Dettingen zu Karlstein am Main verschmolzen. Das neue Wappen eine bundesweite Novität. Oberhalb ist das Dettinger Kreuz, einst ein Signum von Karl des Großen, eingebracht, unterhalb befindet sich ein Atomsymbol. 1958 wurde die erste bundesdeutsche atomare Dreckschleuder in Großwelzheim errichtet. 90 Störungen (davon sieben hochkritische) später, wurde das Versuchskraftwerk stillgelegt und später geschliffen. Dabei dauerte der Rückbau länger als die Inbetriebnahme und der Aufbau kostete zudem mehr als der Bau. So muß man die wappentechnische Adelung als krönende Würdigung der unterfränkischen Atomgeschichte verstehen.
Nach 41 Kilometern und immerhin 260 Höhenmetern ist die Karlsteiner Fähre erreicht. So bietet es sich an, zum krönenden Abschluß der Stadt Seligenstadt einen Besuch abzustatten. Außerhalb der Pandemiezeiten sollte man auf jeden Fall die Möglichkeit nutzen, die Grablege von Einhard, dem Biographen Kaiser Karls des Großen, zu besichtigen. Nicht umsonst liegt Seligenstadt an der Fachwerksstraße. Die historische Stadt mit den vielen Fachwerksbauten ist allemal ein Besuch wert. Bundesweit und seit dem Mittelalter bekannt ist zudem das “Seligenstädter Geleit” nebst dem ein Liter Wein fassenden Geleitslöffeltrunk” – ein Brauch der noch heute im Vier-Rhytmus gepflegt wird.
Schon der Dichter Hölderlin, der auch ein großerer Wanderer war, belegte in seiner Ode Main: “Doch nimmer vergiß ich Dich, so fern ich wandere, schöner Main und deine Gestade, die vielbeglückten” die kulturelle Vielschichtigkeit des Flusses. Eine Erkenntnis, die noch heute Bestand hat. Sicherlich wären diese Mainrunden außerhalb der Panddemiezeiten nicht zustande gekommen. 207 Wanderkilometer in fünf Etappen für 86 Mainkilometer von Mainz bis zum Aschaffenburger Schloß, so die derzeitige Zwischenbilanz. Als Streckenwanderung hätte man bei dieser Schlagzahl bereits Lohr am Main erreicht. Die nächste Tour im bewährten Rundwanderwegsformat liegt schon bereit in der Schublade. Startpunkt Aschaffenburg – natürlich stromaufwärts…..
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