Auf dem DMT durch Thüringen

Eisenach, den 28. Juli 2024 – “Quer durch den Thüringer Wald”, so der Wanderauftrag im Rahmen des Deutschen Mittelgebirgs-Trails (DMT), einen Weg den es offiziell noch nicht gibt. Unterwegs auf bestehenden Pfaden, die in dieser Art und Weise noch nicht verknüpft und erstmals gebündelt wurden, unter der Überschrift “Deutscher Mittelgebirgs-Trail”. Entwickelt wurde diese spannende Idee von Frank Gerbert, seines Zeichens Geologe, Germanist, Journalist und Buchautor, der auf den bestechenden Gedanken kam eine Wanderroute quer durch Deutschland zu konzipieren, um die Deutschen Mittelgebirge unter die Wandersohle zu nehmen. In 2022 veröffentlichte Gerbert ein Buch mit dem Titel “Auf stillen Wegen vom Schwarzwald bis zum Harz – 1100 Kilometer durch eine alte Kulturlandschaft” – per se eine ideale Steilvorlage für alle Wanderbegeisterten die sich fernab der steigungslosen Ebenen für eine lebendige Streckentextur begeistern können. Absolviert wurden im vergangenen Jahr zwölf Trails mit insgesamt 400 Kilometer und 10.000 Höhenmetern, wobei am nördlichsten Punkt der Deutschen Mittelgebirgsschwelle im östlichen Weserbergland gestartet wurde. So geht es nun weiter am Endpunkt der letztjährigen Passage, am Rennsteig, der bei Eisenach einsetzt.

Eisenach-Brottenrode

In Eisenach gibt es wandertechnisch nur eine Perspektive: aufwärts. Aufwärts zur guten Stube der Stadt, die Wartburg, und weiterführend hinauf zur vielleicht markantesten Erhebung von Thüringen, dem Großen Inselberg, der seinen vulkanischen Ursprung nicht verleugnen kann. Vom Bahnhof in Eisenach steht man bereits nach drei Kilometern vor den Pforten der Wartburg. Knapp 500.000 Gäste besuchen alljährlich die Wirkungsstätte des bekanntesten christlichen Kirchenreformators. Wenn man sich allerdings um 06.30 Uhr vom Bahnhof aus auf dem Weg macht, hat man den Vorteil in aller Stille ohne Störgeräusche das Umfeld an einer der weltweit bedeutendsten Burganlagen zu genießen. Jedoch nur das Umfeld, denn die Burg selbst ist noch geschlossen, was jedoch nicht weiter stört, denn im Rahmen des auf diesem Blog bereits vorgestellten Lutherweges von Worms bis nach Eisenach wurde die Burganlage hin- und ausreichend erkundet. So kann man sich im Rahmen der Deutschen Mittelgebirgs-Exkursion auf das Wesentliche konzentrieren, auf die Gebirgszüge, den Wegeverlauf und auf die alten Kulturlandschaften die diesen Landstrich prägen.

Besser kann die Einstimmung nicht sein, wie hier am Eisenacher Bahnhof angeschlagen: Ein entspannter Start in eine aus- und einsichtsreiche Exkursion als Grundvoraussetzung für ein gelungenes Wandererlebnis. Die Tage sind lang und können ausgiebig genutzt werden
Blick von der Wartburg in das Eisenacher Land
Langsam verziehen sich die Restausläufer der regnerischen Nacht und legen das mächtige Burgareal frei
Jedoch scheinbar ist selbst für die liberale Glaubensausrichtung die Zeit unchristlich, um die Pforten zu öffnen
So bleibt als Alternative unter der Burgbrücke die Fährte gen Budapest aufzunehmen…..

Südlich der Wartburg wird es abenteuerlich. Den Pummpälzweg folgend setzt oberhalb des Marientals ein wunderbarer felsdurchsetzter Wanderpfad ein, der über die Sängerwiese in die spektakuläre Drachenschlucht führt. Hier, in der Eisenacher Mulde, wurde als Fernwirkung der Alpenhebung vor 70 Millionen Jahren der Thüringer Wald hochgehoben. Rotliegend, so der Name des hier anzutreffenden Gesteins, der seine rote Färbung einem Eisenmineral verdankt.

Nochmals ein Blick hinauf zur Wartburg…
..bevor man in das felsbeladene Naturschutzgebiet abtaucht
Rotbuchen, Hainbuchen, Traubeneichen, Eschen und Erlen sorgen für eine abwechslungsreiche Waldlandschaft
Und wenn es zuvor geregnet hat und im Anschluss bei besten Lichtverhältnissen ein Hochdruckgebiet hereinschubt….
…dann zeigt sich einmal mehr, dass es sich lohnt zeitig auf die Piste zu gehen….
Wer glaubt Waldgänge seien langweilig…………….
…wird hier eines Besseren belehrt
Regionaltypisch ist die aufwändige Wegekennzeichnung an markanten Astgabelungen angebracht

Das Highlight das Tages ist die 2,6 Kilometer lange Drachenschlucht, die an der engsten Stelle gerade einmal 68 Zentimeter breit ist und dabei einen Höhenunterschied von zweihundert Metern überwindet. 1832 machte man die Schlucht erstmals begehbar und heute kann man komfortabel über Gitterstege die Felslandschaft erschließen. Empfehlenswert ist es dabei die Schlucht über die markanten Felsformationen Güldene Pforte und Elfengrotte zu erschließen.

Eine perfekte Symbiose – Holz auf Stein
Und wenn zudem noch die große Lampe angeht…..
An der Elfengrotte
Auch am Knöpfelsteich ist bei diesen Konditionen die Stimmung mystisch
Unter den Gitterrosten sprudelt der Marienbach
Und mit breiten Schultern und einem fetten Rucksack kann man bei der 68 Zentimeterenge durchaus Probleme bekommen
Und zwischendurch wird es nicht eng, sondern feucht…… Outdoor eben
Entweder der feuchte Frühsommer oder die Miniermotte begünstigt die frühe Blattbräune an den Kastanien

Am Ende der Schlucht steigt man hoch zum Jagdschloß Hohe Sonne, ein ehemals beliebtes Ausflugsziel, welches sich derzeit im Umbau befindet. Hier, direkt am Wandersteig entsteht u.a. ein Hotel mit achtzig Betten. Omnipräsent ist hier das “R” das Markenzeichen des ältesten Weitwanderweges Deutschlands – ein 170 Kilometer langer Wanderweg. Noch heute dokumentieren 1.300 Grenzsteine die Bedeutung des Weges, historisch als einstige Grenze zwischen Franken und Thüringen, linguistisch als Sprachgrenze zwischen Oberfränkisch und Thüringisch, wassertechnisch als Wasserscheide zwischen Werra/Weser, Main/Rhein und Saale/Elbe und kulinarisch als Kümmeläquator, denn nördlich des Rennsteigs gibt es die Thüringer Bratwurst mit Kümmel und südlich ohne.

Bestes Wasser aus der Granitlandschaft versorgt die Wartburg
Ein Kandidat für die Bucketliste: Deutschland quer – von Ost nach West
Erst war Kyrill, dann frisst der Borkenkäfer im Rekordtempo – auch im Thüringer Wald
Bei insgesamt sechs Einkehrstationen entlang der Tagesstrecke muss im Thüringer Wald niemand darben
Ein Meisterwerk der Schnitz- und Motorsägenkunst

Es ist wie schleichendes Gift. Unaufdringlich, nicht sofort spürbar, langfristig aber sehr effektiv. Stolze 1.300 Höhenmeter werden am Ende dieser ausgedehnten Tagestour auf der Agenda stehen. Die Steigungen sind in toto durchaus moderat, jedoch da es mehr oder minder permanent aufwärts von Eisenach hinauf zum Großen Inselberg geht, spürt man spätestens am Aussichtsplateau die Knochen des Laufwerks. Vom Aussichtsturm des Bergs hat man einen 360 Grad-Rundumblick, der sogar bei bester Wetterlage einen Ausblick auf den einhundert Kilometer weit entfernten Brocken ermöglicht. So lohnt es durchaus hier einzukehren und die Aussicht zu genießen. Zügig dagegen sollte man als Wanderer den Kleinen Inselberg queren (dort wo ein riesiger Funpark mit entsprechender Besuchsfrequenz eine rummelige Atmosphäre garantiert) um nach einem fünf Kilometer langen Abstieg das Tagesziel Brotterode zu erreichen.

Am Gipfel des Großen Inselbergs
Ein Wintersportzentrum: Blick auf die Inselbergschanze oberhalb von Brotterode
Und vom Großen Inselberg aus kann man die Schäden im Thüringer Wald ausmachen
Wer soll hier noch den Überblick behalten……….

BrotterodeDermbach

Brotterode ist für sportlich Aktive ein ausgezeichneter Standort. Im Winter ein beliebtes Wintersportareal und für den Rest des Jahres eine ausgezeichnete Wanderdestination mit zahlreichen attraktiven Wanderalternativen in alle Himmelsrichtungen. Der Stadtkern fasziniert durchaus. Eine Mischung aus aufwändig restaurierten historischen Objekten und den Schmauchspuren der jüngsten Vergangenheit, die das kommunale Gesamtbild mit einem morbiden Charmes unterlegen. Aus dem Dunstkreis des Großen Inselbergs kommend bewegt man sich zunächst auf den ersten fünfzehn Wanderkilometern gen Breitungen an der Werra strukturell abwärts – auch wenn in der Schlussrechnung am Tagesende wiederum knapp 1.100 Höhenmeter auf dem Wandertacho stehen werden. Oberhalb des Trusetals wandert man auf aussichtsreichen Strecken in südwestlicher Richtung, das Kochenfeld, eine ehemalige Bergbauhalde, querend. Dem Breitunger Rennsteig folgend bewegt man sich in einer Landschaftszone, dort wo der Thüringer Wald in die Thüringer Rhön übergeht. Wohlgefällig sanfthügelig formen sich dabei die Mittelgebirgszipfel der Vulkanlandschaft aus.

Brotterode – eine Kleinstadt mit Entdeckungspotential
Marketing ist alles. Es gibt sogar einen gleichnamigen Wanderführer: Südthüringens schönste Aussichten…
Damit es auch die Sommergäste nicht vergessen: Im Winter tanzt hier der Bär….
Jenseits von Trubel und Hektik: einfach eintauchen in die Landschaft
Nur selten wird man als Wanderer so freundlich begrüßt
Historisch muss man hier sortieren. Franken, Hessen, Herzoge aus Sachsen, Preußen prägten die Geschichte des Landstriches. Stand heute ist hier Thüringen verortet.
Vor 450 Jahren residierte Graf Poppo XII auf Schloss Herrenbreitungen
Noch ein Fall für die Bucketliste: von Hannoversch-Münden zu den Werraquellen
Quert man die Werra bei Breitungen, dann wandert man vom Thüringer Wald in die Thüringer Rhön

Nach fünfzehn Abwärts-Kilometern geht es endlich wieder aufwärts, hinauf zum Pleß, dort wo auf einer Höhe von 645 Meter Höhe der Pleßturm steht, der jedoch nur an Wochenenden geöffnet ist. Einzig seltsam mutet es an, wenn E-Biker an der Wanderhütte einen Stempel für was auch immer einholen. Vielleicht mag es eine Sonderprämierung für eine widerstandslose herzkreislaufschonende Bergerklimmung geben….. Abwärts vom Pleß wandernd erreicht man ein Kleinod, die Bernhäuser Kutte, ein kreisrunder Erdfallweiher, der zugleich der größte See der Thüringer Rhön ist.

Auf dem Pleß, einst militärisches Sperrgebiet mit Radarüberwachung..
..heute zweckmäßig mit einem Waldklo ausgestattet
Und am hier eingebrachten Jägerstein kann man ein sprachliches Juwel heben: “Hier ist das harte und unglückliche Sterbebett eines in einem Augenblick frischen und gesunden im anderen aber Tod und entleibten Jägers……ein unglücklicher Schuß, da die Flinte ihm ohnversehent loßgegangen, das Leben plötzlich geraubet und das kurze Ziel gesetztet auf 22 Jahre…..
Ein Kleinod: Die Bernshäuser Kutte
Und der veralgte Vorsee ist zumindest optisch nicht minder atemberaubend

Damit in der Tagesendabrechung die Höhenmeter wieder ein mittelgebirgstaugliches Niveau erreichen geht es zum Schlußspurt gen Dermbach nochmals steil aufwärts – hinauf zur Basaltkuppe Horn – einem Friedhof für alte Rotbuchen, denn hier entwickelt sich ein “Urwald für Morgen” in dem ausgewiesenen Biosphärenreservat. Bei Temperatureinträgen von 30 Grad fällt es schwer sich vom verschatteten Plateau des Berges loszueisen, denn bei flirrender Hitze in den offenen Agrarflächen zeigt sich einmal mehr, dass Wandern im Hochsommer auch seine Schattenseiten hat, insbesondere wenn der Schatten fehlt……

Auf dem Gipfel des Horns kann man es bei sommerlichen Temperaturen gut aushalten
Blick zurück auf den Horn nebst Kahlköpfchen

DermbachSchwarzbach

Schlichtweg vorbildlich der Service im Hotel “Zum Rhönpaulus” in Dermbach. Angesichts der Wetterlage ist der Chef des Hauses sofort dabei ein Earlybird-Frühstück zu arrangieren. Wasserkocher auf das Zimmer, Brote für den Rucksack – es ist simpel ein Wanderherz zu beglücken. So geht es elanvoll just sechs Minuten vor Sonnenaufgang in die letzte Passage des Abschnittes durch Thüringen entlang des Deutschen Mittelgebirgs-Trails. Am langen Ende ist es die schönste Zeit des Tages. Die Luft noch klar und frisch und das Dermbacher Tal löst sich vom diffusen Licht des bürgerlichen Sonnenaufgangs. Rasch ist der gegenüberliegende Höhenzug, dort wo die Fatimakapelle steht, erklommen und auf dem Weg zum 670 Meter hohen Gläserberg eröffnen sich neue Aussichtsmöglichkeiten hinüber zu den Höhenzügen der Bayrischen und der Hessischen Rhön. Kurzum ein toller Abschnitt im Dreiländereck.

Start am Rhönpaulus, der als Robin Hood der Rhön in die Geschichtsbücher einging
Es ist angerichtet………
Noch 1949 verweigerte die kommunistisch geprägte Kreisbehörde die Baugenehmigung mit der Begründung, der Bau einer christlichen Kapelle passt nicht in die neue Zeit. Jedoch der Druck in der Bevölkerung war groß und 1952 wurde die Baugenehmigung der Fatimakapelle oberhalb von Dermbach gestattet
Ein weiterer Prädikatsweg: Der Hochrhöner…..
Ein herrliches Relikte vergangener Tage
Im Lichte der aufgehenden Sonne entwickelt sich im Wald eine eigene Dynamik
Für Innenarchitekten eine triviale Erkenntnis: Licht gestaltet….
“Mir geht ein Licht auf” ist mehr als eine Redewendung….
..sondern erlebte Erkenntnis zur frühen Stunde
Die Wanderhütte des Rhönklubs am Gläserberg
…unterlegt mit allerfeinsten Aussichtsmöglichkeiten….
…die je nach Blickrichtung und Sonnenstand….
unterschiedliche Eindrücke gestatten

Ausblicke, Ausblicke, Ausblicke! Kilometerlang prägen herrliche Panoramen diesen aussichtsreichen Wanderabschnitt. Über den Dietgeshof geht es zunächst abwärts in das hessische Tann bevor der Anstieg zum 719 Meter hohen Habelberg ansteht. Die vorgeschlagene Wegeplanung des Wegeentwicklers führt dabei über den Habelstein, einem Basaltsäulenkonglomerat. Ich entscheide mich jedoch für eine Ebene tiefer auf einem wunderbaren Panoramaweg auf der zweiten Etage des Habelbergs der via Habelgraben nach Habel führt, um vor Boxberg wieder auf den ursprünglichen Pfad zu gelangen. Belohnt wird man mit exzellenten Aussichten hinüber zur Wasserkuppe und den weiteren Anhöhen der Bayrischen und Hessischen Rhön. Mithin ist dieser Abschnitt einer der Schönsten der gesamten Passage.

Nicht umsonst spricht man hier auch vom Sternenpark Rhön. Lichtverschmutzung ist hier glücklicherweise unbekannt
Mehr braucht es nicht….
Bemerkenswert ist es, dass hier Schuhentsorgung….
..im großen Stil betrieben wird….
Zwar nicht hoch aber dennoch vortrefflich anzuschauen ist die Kuppenrhön
Große Ereignisse werfen in Tann ihre Schatten voraus, denn auf Passage 17 wartet ein herrlicher Krug des legendären Kreuzberger Klosterbiers……..
Blick vom Habelsberg auf Tann
Nicht wirklich permanent genutzt wird der Zustieg zum Panoramaweg am Habelsberg
Blick hinüber zum höchsten Berg Hessens, der Wasserkuppe
Der nächste Wanderauftrag ist in Schwarzbach schon an der Fassade fixiert – es geht in die Hessische und in die Bayrische Rhön. Wasserkuppe, Milseburg, Kreuzberg und und und….

Just an der Landesgrenze von Thüringen/Hessen führt die Passage zum Endpunkt dieses Teilabschnittes dieser DMT-Exkursion. Dem Verlauf des Boxbergwassers folgend geht es permanent abwärts, die Siedlungen Boxberg und Obernüst querend nach Schwarzbach, dort wo man per Bus im Stundentakt die osthessische Kreisstadt Fulda erreicht. Quer durch den Thüringer Wald in drei Tagen, konfektioniert mit 105 Kilometern nebst 3.500 Höhenmetern im Anstieg und 3.000 Metern im Abstieg – eindrucksvoll in jeglicher Hinsicht. Wer Freude daran hat Landschaften zu lesen ist hier richtig unterwegs, frei nach dem Credo des Wegeentwicklers Frank Gerbert: “Unterwegs auf stillen Wegen”

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