Butzbach, den 7. Juli 2021 – Mit Luther war noch eine Rechnung offen. Just vier Jahre nachdem in 2017 der seinerseits offiziell in Betrieb genommene Lutherweg von Worms nach Eisenach in neun Etappen erkundet wurde, fehlte noch eine Passage – die Westroute. Da Luthers Reiseroute nicht immer eindeutig überliefert war, bietet die Pilgerstrecke in Mittelhessen eine Besonderheit. Zwischen Friedberg und dem Hessenbrückenhammer bei Laubach trennt sich die Strecke in eine Ost- und eine Westroute.
Gestartet wird am Bahnhof des Butzbacher Ortsteils Ostheim, gelegen am Rande des Taunus, in der mittelhessischen Kornkammer, der Wetterau. Im Hinterhof der höchsten Erhebung des Taunus, dem Feldberg, ist es flach wie eine Flunder. So kann man bei klarer Sicht Weitblicke auf die 80 Kilometer entfernten Anhöhen der östlich gelegen Rhön ernten. Gerade einmal zwei Kilometer hinter Ostheim gelangt man nach Nieder-Weisel, dem geistigen Zentrum des Johanniter-Ordens. Hier betreibt der Orden sogar ein Drei-Sterne-Hotel und der Verkehrskreisel in der Stadtmitte ist mit dem Johanniter-Kreuz-geschmückt. Nach einer A5-Querung gelangt man zum Nachbarort Rockenberg. Auch hier ist eine Besonderheit auszumachen. Dort wo im Marienkloster sich Zisterzienserinnen im 14. Jahrhundert freiwillig einschlossen, sitzen heute jugendliche Straftäter nicht wirklich freiwillig in den Zellen. Wenn man sich an der Pforte meldet, kann man sogar das Gefängnisareal betreten, um die Marienkapelle zu besichtigen. Jedoch kurz nach sieben Uhr morgens erklärte der diensthabende Justizvollzugsbeamte an der Pforte, dass zu dieser Zeit leider noch kein Kollege für einen begleitenden Klostergang abgestellt werden könne. Zu einer anderen wohlgefälligeren Zeit herzlich gerne.
Luther, der für seine heiteren Worte und derben Scherze bekannt war, hätte sicherlich seine Freude daran gehabt, denn direkt hinter dem Knast von Rockenberg gelangt man in die Hölle. So heißt das hier befindliche FFH-Gebiet nebst Sandsteinbruch, dort wo der markante Rockenberger Naturstein abgebaut wird. Durch die Weiten der Wetterauer Agrarfläche wandert man auf aussichtsreichen Pfaden zum “Wetterauer Tintenfass“. So bezeichnet man landläufig die markante Burgruine von Münzenberg. Die gemäß Pilgerpfadbeschreibung sehenswerte evangelische Pfarrkirche ist, wie sollte es anders sein, abgeschlossen. So kann man lediglich von außen sich über den markant gedrehten Turmhelm des Glockenturms wundern.
Zwischen Münzenberg und Lich streift man den römischen Limes. Zahlreiche Informationstafeln, die direkt an der Burgwüstung Arnsburg angebracht wurden, geben Auskunft über das einst hier angesiedelte Kastelldorf und Marschlager der römischen Streitkräfte. Entlang des einzigen kleinen Waldabschnittes dieser Tour begleitet man den Fluss Wetter zunächst bis zur ehemaligen Klosteranlage Arnsburg. Der Preis des Frühstarts: einmal mehr steht man vor verschlossenen Türen. Diesmal vor der Gaststube “Alte Klostermühle”, die zu Hessens fünfzig besten Landgasthöfen zählt. So bleibt einmal mehr ein Snack aus Hessens besten Wanderrucksack, um anschließend dem Verlauf der Wetter bis nach Lich zu folgen. Schöne Fachwerkhäuser und eine geöffnete Lutherkirche (!) lohnen einen längeren Aufenthalt in der mittelhessischen Stadt, die bekannt ist für ein Bier, welches aus dem “Herzen der Natur” stammt.
Hinter Lich setzt der gewohnte Gang wieder ein. Weite Ackerflächen, dünn besiedelt und steigungslos – so die Textur der nächsten achtzehn Kilometer bis nach Grünberg. Pilgerer interpretieren pilgern gerne als “Beten mit den Füßen”. By the way… Luther der selbst einmal nach Rom pilgerte war kein Freund des Pilgerns. Als “Geläuff und Narrenwerk” bezeichnete er den mit Pilgern verbundene Reliquienkult und eine damit verbundene Ablasserlangung. Einzig zwei Chancen auf Abwechslung unterbrechen den meditativen Gang zum Tagesziel Grünberg. Einerseits das markante Stadttor “Die Pforte” in Ober-Bessingen andererseits der im Niemandsland gelegene Landgasthof Hessenbrückenhammer. Jedoch sollte man tunlichst darauf achten die Lokation Hessenbrückenhammer vor 14 Uhr oder nach 17 Uhr zu betreten. Wer wie ich um 14.15 Uhr anrückt, um eine gepflegte Hopfenrast einzulegen, wird, obschon ein Schild “Wanderer herzlich willkommen” ein positives Grundrauschen ausstrahlt, freundlich aber bestimmt darauf hingewiesen, dass nun Siesta ist. Was hätte Luther wohl dazu gesagt, der mit seinem Spruch “Wer kein Bier hat, hat nichts zu trinken.” eindrucksvoll belegte, dass ein gepflegter Bierkonsum nicht zu verachten ist, was auch ein weiteres Zitat des Theologen “Ein Rausch ist zu ertragen, die Trunksucht aber nicht” eindrucksvoll untermauert.
Der Lutherweg 1521 – im Detail bereits vor vier Jahren ausführlich beschrieben, nun akademisch abgeschlossen. Ob aus religiösen Motiven oder aus kulturellem Interesse – allemal ist der Gesamtweg eine interessante Zeitreise durch die Mitte Deutschlands. Wer einen Schwerpunkt auf den Besuch der sakralen Bauten legt, sollte einbeziehen, dass, wie bereits vor vier Jahren erlebt, die meisten evangelischen Kirchen abgesperrt sind, was nicht wirklich im Einklang mit einer klassischen Pilgertour steht. Ob man im Rahmen der gesamten Streckenerschließung die Ostflanke oder die Westroute wählt, ist in der Gesamtbetrachtung dabei nicht maßgebend. Die hier vorgestellte Streckentour kann man mit 44 Kilometern und sehr moderaten 490 Höhenmetern getrost als tageslichttaugliche Tour verbucht werden. Ob man dabei pilgert, wandert, meditiert oder wandernd meditiert, bleibt dabei jedem selbst überlassen.
Lieber Powerwalker’s
Das sind ja tolle Bilder und wirklich fundierte Kenntnisse!
Hat mich sehr gefreut. Wohne in Trais-Münzenberg und bin den Weg in diesem Teil schon oft gelaufen.
Habe wirklich alles erkannt und mich sehr gefreut:-)
Viele Grüße
Eva
Besten Dank Eva, es ist immer wieder schön zu hören, dass man als “Gebietsfremder” seine Impressionen auch von Ortsansässigen bestätigt bekommt. Beste Größe aus dem Vorderen Odenwald -Martin-
Hallo Martin,
habe mich nun auch auf den Weg gemacht und bin nun bei Mücke. Immer wieder mal ein Wochenende gehe ich diese schöne Strecke!
Danke für die Inspieration:-)
Da hast Du Dir ja die schönste Jahreszeit für diesen Weg ausgesucht. Weiterhin viel Spaß auf Luthers Spuren.