Alzenau, den 26. August 2018
Die Rezeptur ist einfach. Man nehme drei bestehende Europäische Kulturwanderwegsschleifen im Spessart, verzahne diese und heraus kommt ein wunderbarer Trail, der sich nicht nur hinsichtlich der Kilometeranzahl sondern auch bezüglich der kulturellen Eindrücke als regelrechter Marathon entpuppt. Alzenau – die nordwestlichste Stadt Bayerns, unmittelbar an der hessischen Grenze gelegen, bergige Einstiegsflanke in den nördlichen Spessart, östlicher Endzipfel der Mainebene, dank der Mönche des Klosters Seligenstadt seit mehr als 1.000 Jahren mit einem respektablen Weinanbaugebiet gesegnet und seit der Gebietsreform 1972 auf-, manch eine böse Zunge behauptet auch untergegangen, im unterfränkischen Kreis Aschaffenburg.
Jedoch, verstecken braucht sich dieser Landschaftsstrich nicht – im Gegenteil. Reich die Geschichte dieser außergewöhnlich wirtschaftsstarke Region. Nicht umsonst sind drei Europäische Kulturwanderwegsschleifen durch die Alenauer Region gezogen, die es Wert sind näher zu betrachten. Gestartet wird am Marktplatz, unweit der markanten Burganlage, die seit 1400 das Städtebild prägt. Die Kernstadt selbst, sauber und aufgeräumt und adrett hergerichtet. Den Marktplatz querend, geht es vorbei an der St. Justinuskirche in östlicher Richtung die Kahl querend und weiter den Rückersbach folgend. Quasi ein Katzensprung, dann ist Wasserlos erreicht, ein Stadtteil von Alzenau, der auf dem Rückweg noch näher beleuchtet wird.
Der Kulturweg zieht zunächst eine westliche Schleife um Wasserlos herum und passiert den außerhalb der Ortsteile Wsserlos und Hörstein gelegen jüdischen Friedhof, der 1810 angelegt wurde. Weiter geht, Hörstein querend, vorbei an der Pfarrkirche, deren Turm bereits im 15. Jahrhundert zunächst als Wehrturm ausgebildet wurde. Weiter ostwärts wandernd geht es steil hinauf zum Hörsteiner Abtsberg, dort wo Seligenstädter Mönche den Weinbau etablierten. 50 Hektar Weinfläche stehen hier zur Verfügung, und der fränkische Riesling, der hier angebaut wird, ist von ausgezeichneter Güte, auch wenn vielfach Frankenwein nicht zwingend mit Riesling in Verbindung gebracht wird.
Allemal ist die Passage durch dieses Weingebiet ein Erlebnis. Von hier oben genießt man weitreichende Blicke in die Mainebene. Ob Frankfurter Skyline, das häßliche Staudinger Steinkohle-Kraftwerk, der gegenüberliegende Feldberg im Taunus, oder die dahinter liegenden Rheingebirge – weitreichende Panoramablicke sind hier garantiert.
Abwärts geht es, den Wasserloser Schloßberg rechts liegend lassen zum ehemaligen Schloß Wasserlos, welches heute ein Teil des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau ist. In den besten Jahren des 18. Jahrhunderts wurde das Schloß zu einem repräsentativen Adelsschloß mit angegliedertem englischen Landschaftsgarten ausgebaut. Der Gang durch die Altstadt von Wasserlos verdeutlicht, daß man hier ausgezeichnet einkehren kann. Zahlreiche Gasthäuser und Weinstuben sind hier angesiedelt. Vor manch einer Stube erblickt man Fahrzeuge mit Frankfurter und Offenbacher Kennzeichen. Ein klares Indiz: dort wo die Weltbürger der Großstädte absteigen, läßt es sich in der Regel vortrefflich munden.
Nahtlos geht es in östlicher Richtung in die zweite Schleife des ersten Kulturweges. Auf gut ausgebauten Waldwegen passiert man auf der Höhe des Krebsbaches eine ehemalige Wallanlage auf dem Schanzenkopf. Bereits seit Jahren sind hier Archäologen zugange um hier im Krebsbacher Flußtal die Spuren vergangener Befestigungen zu untersuchen.
Auf schönen Pfaden durch Wald, Wiesen und Flure ist nach 16 Kilometern wiederum Alzenau erreicht, um von hier direkt in die zweite Schleife einzusteigen. Zunächst passiert man die seit 1860 im Betrieb befindliche Ziegelhütte Zeller. Studiert man die Bauten dieser Region so erschließt sich sofort, daß insbesondere der heimische Stein immer noch gerne verbaut wird.Weiter geht es, die nächsten drei Kilometer stetig steil aufwärts gehend zur höchsten Erhebung des Vorspessarts, dem Hahnenkamm, der immerhin 437 Höhenmeter aufweist. Hier oben befindet sich ein Ausflugslokal und der 19 m hohe Ludwigsturm das Wahrzeichen des Hahnenkamms. 1880 erhielt er zu Ehren von König Ludwig I. den Namen Ludwigsturm , da dieser bereits 40 Jahre zuvor auf dem Hahnenkamm seinen 54. Geburtstag feierte. Durch den dünnen Baumbestand hatte man seinerseits eine perfekte Aussicht in die Untermainsenke. Schon damals warnte jedoch der Oberförster des königlichen Forstamtes vor dem rasch aufwachsenden Wald, der diesen Ausblick verhindern wird. Aber erst 2004 entschloß man sich durch eine Stahlkonstruktion den historischen Turm aufzustocken, um dem Landvolk wiederum die Aussicht zu ermöglichen.
Nach einer standesgemäßen Einkehr geht es zurück auf wunderbaren Pfaden, entlang eines für Spessartverhältnisse ungewöhnlich schmalen Grates, hinab nach Alzenau, um direkt in die dritte Europäische Kulturschleife einzusteigen, die mit dem Arbeitstitel “Am Sülzert” belegt ist. Der Höhenzug »Sülzert« zwischen Hahnenkamm und dem Birkenhainer Forst prägt die Kulturlandschaft in Alzenaus Norden. Während der bewaldete Bereich von dem Ringwall »Schwedenschanze« gekrönt wird, wurde das liebliche Klima an den West- und Südhängen für die Errichtung von Landsitzen in Michelbach und Albstadt genutzt.
Schöne Wege führen zunächst hinab nach Michelbach. Bereits von weitem kann man die Anhöhen der Michelberger Weinberge ausmachen. Michelbach ist die am weitesten von München entfernte bayerische Weinlage. 1902 gründete man eine Winzergenossenschaft und reaktivierte die Böden. Dank des quarzithaltigen Bodens wird mittlerweile der hervorragende Michaelbacher Riesling gezogen. Hochgradig zu empfehlen ist es, entlang des Pfades einen kurzen Umweg zu den unterliegenden Dörsthöfen einzuschlagen. Im 30-jährigen Krieg zählte man hier sechs
Herdstätten. Danach reduzierte sich die Zahl auf zwei Familien, die ihre Höfe weiter bewirtschafteten und die noch heute bestehen. Einer davon ist der bewirtschaftete Dorsthof und der andere die Weinstube Simon, in deren Händen sich das Hofgut seit 1707 ohne Unterbrechung befindet. Dringendst zu empfehlen ist ein Stop in der letztgenannten Weinstube einzulegen.
So gestärkt geht es in einer Schleife hinauf zur Schwedenschanze, einem ehemaligen Ringwall, der noch heute erforscht wird. Nach einem ausgedehnten Waldspaziergang führt die Passage vorbei am imposanten Hofgut Maisenhausen, welches bereits im 14. Jahrhundert erwähnt wurde. Hier ist der nördlichste Zipfel des Trails erreicht. Zurück geht es südlicher Richtung nach Michelbach, dort wo sich ein weiterer historischer Landsitz, das Schloß Michelbach, befindet. Im 18. Jahrhundert entdeckten “reiche Städter” diese Region und errichteten sich repräsentative Landsitze, die man noch heute bestaunen kann.
Nach einer Kaffeepause im Schloßhof geht es weiter in das benachbarte Kälberau, ein bedeutender Wallfahrtsort im Spessart. Von hier aus führt ein reich ausstaffierter Prozessionsweg zurück nach Alzenau. Imposant gestaltet sind die großen Sandsteinreliefe, die den Wallfahrtsweg schmücken. Nach exakt 39,88 Kilometer und 1.001 Höhenmetern ist der Ausgangsort Alzenau wieder erreicht. Eine rundherum beeindruckende und abwechslungsreiche Passage, mit einer Vielzahl an kulturellen Stationen und spessarttypisch einer hin- und ausreichenden Anzahl an ausgezeichneten Einkehrsmöglichgkeiten. Alzenau – eine spannende Wanderregion, die es Wert ist näher zu erkunden.
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