Für Langstreckenwanderer eine Königsdisziplin.
Einen Tag und eine Nacht, 24 Stunden wandern am Stück, Rastzeiten inbegriffen, Schlafzeiten ausgeschlossen. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von kommerziellen und privaten Anbietern die entsprechende Veranstaltungen durchführen.
Ein Juwel ist dabei die bereits etablierte Pfingstveranstaltung am Rheinsteig, die bereits zum dritten Mal stattfand, und dies hat gute Gründe.
Erstens: Das Wandergebiet
Auf dem 320 Kilometer langen Rheinsteig, der auf schmalen Wegen und anspruchsvollen Steigen bergauf und bergab zu Wäldern, Weinbergen und spektakulären Ausblicken führt, wurde ein Sahnestück für den 24-Stunden-Trail integriert. Die Königsetappe der gesamten Strecke, Etappe Nummer 17 des Steiges, die von Patersberg über die Loreley nach Kaub führt, ist die längste Etappe mit der höchsten Anzahl an Höhenmetern.
In toto 72 Kilometer, 2.100 Höhenmeter und insgesamt vier offizielle Rheinsteigetappen, so die Aufgabenstellung für 72 Teilnehmer, die sich vorgenommen haben 24 Stunden zu überstehen. Nicht unerwähnt bleiben darf die Tatsache, dass die Wanderung durch das Weltkulturerbegebiet Oberes Mittelrheintal von Bingen/Rüdesheim bis Koblenz entlang des Durchbruchtals des Rheins durch das Rheinische Schiefergebirge führt. Das Mittelrheintal gilt als alpinstes Tal Europas außerhalb der Alpen. Ergo beste Rahmenbedingungen für eine außergewöhnliche 24-Stunden-Tour.
Zweitens: Wolfgang Blum
Wolfgang (Django) Blum, Redakteur, zertifizierter Landschafts- und Naturführer, Rheinsteigwegepate und passionierter Bergsteiger mit Vorlieben für 4.000er hatte 2011 die 24-Stunden-Rheinsteig-pur-Trail aus der Taufe gehoben. Der “Vater” des Events ist Garant für eine außergewöhnliche und beeindruckende Organisation des Vorhabens. Der familiäre Charakter der Veranstaltung ist eindeutig. Sohn Christian Blum bereits seit drei Jahren als Lumpensammler und Schlusslicht aktiv beim 24-Stunden-Marsch engagiert (in 2012 mit gebrochenem Mittelfuß), Ehefrau Ute, die gute Seele und zuständig für logistische Unterstützung inclusive der überlebensnotwendig wichtigen Frühstücksorganisation und erstmals Sohn Dominik stehen für den Charakter der Events. Dazu zahlreiche Freunde und Bekannte die Django als unterstützende Partner für die Veranstaltungen gewinnen hat können, ob im gastronomischen Sektor oder im logistischen Bereich. Multifunktional begleitet Wolfgang die Veranstaltung, ob als Choreograf, Animateur, Gruppendynamiktherapeut, Fotograf, Mitternachtssuppentellerausträger, Abschlußsektausschenker, oder Seelentröster – Blums Handschrift ist unverkennbar und hebt sich wohltuend von manch einer kommerziellen Veranstaltung ab.
Drittens: Die Jahreszeit
Strategisch gut besetzt, der mittlerweile etablierte Termin, das Pfingstwochenende. Die Nächte werden kürzer, die Tage länger – Sonnenaufgang 5.34 Uhr – Sonnenuntergang 21.13 Uhr, so die Koordinaten für den diesjährigen Pfingstsamstag. Im Regelfall verbindet man Pfingsten mit schönem Wetter und blühenden Landschaften – so wie es in den letzten drei Jahren auch der Fall war. Darüber hinaus bietet der Pfingsmontag genügend Zeit zur Rekonvaleszenz, um sich am darauffolgenden Arbeitstag Freunden, Bekannten und Kollegen in stabiler Verfassung zu präsentieren, und um Zeugnis über die geleisteten Heldentaten abzulegen.
Viertens: Die Mission
Blum,s unverblümte Botschaft: “Es gibt nur ein Ziel – im Rahmen der geführten Streckenwanderung gemeinsam zu starten und gemeinsam anzukommen”. Ungeachtet individueller Kondition und Konstitution, Leistungspunkte für Sprinter gibt es genauso wenig, wie Bergwertungsprämien. 24 Stunden auf den Beinen sein – so die allgemeingültige Vorgabe. Manager die in teambildende Maßnahmen investieren, können hier eine lehrreiche Anwendung in Echtzeit erfahren, wie es gelingt eine bunt zusammengewürfelte Truppe auf ein Ziel einzuschwören.
Rheinsteig pur 2013
„Hallo ich bin der Django – schön dass Du da bist!“ 8.45 Uhr Pfingstsamstag am Weinprobierstand in Geisenheim. Die Schmauchspuren des Tiefdruckgebietes vom Vortag bestimmen das Wolkenbild. 10 Grad die Außentemperatur – blaue Streifen am Himmel signalisieren jedoch das was vor einigen Tagen keiner erhofft hatte – eine bilderbuchmäßige Wetterlage – strahlend blauer Himmel, fette Cumuluswolken, regenfreie Zone und klare Nacht. 19,2 Grad tagsüber – nachts 10,2 Grad (gefühlt 6 bis 25 Grad) so die vom Wetteramt veröffentlichten Daten für die nächsten 24 Stunden.
Sieben Teilnehmer, die bereits zum dritten Male die Tortur auf sich nahmen und mehr als 25 Wiederholungstäter aus dem Vorjahr begleiten die Frischlinge, die sich erstmals der Herausforderung stellen. Abzulesen war die Ungewissheit in den Augen der Erstbegeher: War der Typus des Extremsteigers „Ich-habe-den-Yeti-am Gasherbrum-schon- gesehen“ angesprochen, oder die Power-Walker die jährlich einen Stammplatz bei den 100 Kilometern von Biel gebucht haben gefragt, oder die sportlich ambitionierten Nordic-Walking –Powerläufer die eine permamente Materialverprobung von Ausrüstungsequipment als Erfüllung menschlichen Daseins sehen? Spannung gepaart mit Ungewissheit und Hoffnung, das ganze gewürzt mit Djangos Mantra “Es wird alles gut“.
Viele Teilnehmer begrüßen sich mit einem großen „Hallo“. Man kannt sich bereits aus dem Vorjahr oder aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Kein Wunder, denn für das Gros ist die Veranstaltung ein Heimspiel. Für viele Rheingauerinnen und Rheingauer ein willkommener Anlass die eigene Region unter anderen Voraussetzungen kennen zu lernen oder wieder zu entdecken..
Eingestimmt waren wir allemal. Bereits sechs Wochen vorher hatte Wolfgang angefangen im Wochenrhythmus alle Teilnehmer via Mail-Hirtenbrief zu präparieren. Machte er sich vielleicht Sorgen, dass manch ein Teilnehmer trotz bereits bezahlter Startgebühr es sich anders überlegte und kurzer Hand zu Hause blieb? Keineswegs – die wöchentlichen Lebenszeichen signalisierten: auch der Wanderführer fiebert dem Ereignis entgegen, und: “Macht Euch keine Sorgen es ist alles bestens organisiert.” Vier Wochen vor Beginn verdichten sich die Details – minutiöse Angaben bezüglich der Pausenzeiten und die Aussprache eines generellen Alkoholverbotes erinnern an Bundeswehrzeiten.
Pünktlich um 9.oo Uhr nimmt Django das Heft in die Hand. Einschlägigen Quellen zufolge leitet sich der Name “Django” von einem alten ungarischen Verb ab und bedeutet so viel wie „weggehen“, „wegziehen – passend für den Typ den Wolfgang verkörpert. Den Eindruck „ Mein Wohnzimmer ist der Wald“ – „Ich weiß wo es lang geht“ – „Männer und Frauen folgt mir“ -formt sich bei den Teilnehmern innerhalb der ersten Minuten. 72 Teilnehmer – ein Gedanke: „Der Typ kennt sich aus“
Beruhigend auch die Erkenntnis, dass das Deutsche Rote Kreuz mit einem Fahrzeug entlang der Strecke die Veranstaltung begleitet und dass DRK-Mitglieder, die sich mit einer tragbaren Defibrillator-Ausrüstung abwechseln, immerhin 10 Kilogramm schwer, permanent präsent sind. Frei nach dem Motto: ein Regenschirm der mitgeschleppt wird, kommt in der Regel nicht zum Einsatz.
Nach dem obligatorischen Gruppenfoto welches aus Beweissicherungsgründen in der Siegerurkunde niedergelegt wird und der kollektiven Vergatterung (ein Weg ein Team – ein Ziel), starten programmgemäß zwei Busse von Geisenheim nach Kestert.
Pünktlich um 10.30 gibt Wolfgang den offiziellen Startschuß am Fuße der wehenden Rheinsteigflagge in Kestert. Als erste teambildende Maßnahme wird eine Kreuzung blockiert um einen Großkreis zu bilden und den Countdown zum Start herunterzuzählen. Mit dabei in diesem Jahr ein Kamerateam vom Hessischen Rundfunk, welches uns in den nächsten 24 Stunden begleiten wird.
Rasch haben wir den gelb markierten Rheinsteigzubringerweg hinter uns gebracht und die erste Anhöhe, den Rheinburgenblick auf dem Weg nach Oberkestert erreicht. Die Stimmung im Teilnehmerkreis ist ausgesprochen gut. Verdrängung ist eine Methode, Abwechslung die andere. Eine klare Luft und herrliche Ausblicke auf ausgezeichnet präparierten Wegen kennzeichnen den weiteren Streckenverlauf. Mit einem moderaten Marschtempo von 4 Kilometern in der Stunde und sechs offiziellen Rastpausen beinhaltend Pasta-Buffet auf dem Sachsenhäuser Feld, Kuchenpause in St. Goarshausen, Abendbrot auf dem Leiselfeld, Mitternachtssuppe in Kaub, Hotel-Wintergartenaufenthalt in Lorch und einem Frühstück in Aulhausen ist für Abwechslung gesorgt. 18 Stunden gehen, sechs Stunden rasten – so die einfache Rechnung.
Zwischendurch nehmen uns immer wieder spektakuläre Aussichtspunkte auf das UNESCO Welterbeareal ein. Interessante Gespräche mit immer wieder wechselnden Wanderpartnern lassen die Gehzeit wie im Fluge verrinnen und manch anstrengenden Steigweg erträglich gestalten.
Horst mit 73 Lenzen der älteste Teilnehmer und Wiederholungstäter, berichtet dass er in jungen Jahren bei der Bundeswehr schon einen 80 Kilometermarsch zurückgelegt hatte. Der Oldie gehört zur Marke “kerniges Eisen” und tummelt sich mit einem ausgezeichneten Schritt ständig in der Spitzengruppe. Auch zum zweiten Mal dabei Matze der aus Spiekeroog kommt und just vor einigen Tagen im Bayrischen Wald am Goldsteig Kondition antrainiert hat, mangels Gelegenheit am Deich. Roberto, der immer gut gelaunte Buff-tragende Italiener, oder der Geisenheimer Volker – bereits zum dritten Male am Start, der nach einem größeren Gewichtsoptimierungsprogramm das Wandern entdeckt hat und im Stechschritt ein beachtliches Tempo vorlegt.
Der Empfehlung des Wanderführers Folge leistend habe ich zwei Liter Flüssigkeit eingepackt. Wolfgang hat scheinbar panische Angst einen seiner Schützlinge dehydriert zwischen den Rheingauer Weinreben liegen zu sehen. Nach jedem Anstieg wird eine Getränkepause eingelegt, immer unterlegt mit dem Hinweis, dass an den offiziellen Rastpausen genügend Wasser und Apfelsaftschorle zum Nachtanken zur Verfügung steht.
Pünktlich gegen 13.30 Uhr unsere erste Raststation, oberhalb von Wellmilch . Eine dreiviertel Stunde Ruhezeit ist angesagt. Pasta satt aus der Gulaschkanone des DRK. Pausenzeiten sind Entlüftungszeiten. Einer Empfehlung Folge leistend heißt es für mich bei jeder längeren Pause „Schuhe ausziehen“. Auf Animositäten bei Tisch können hierbei keine Rücksicht genommen werden. Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Mit der Methode gewinne ich bald eine Anhängerschar. Wärme und Feuchtigkeitsabbau so die Devise. Mit dem Gefühl neue Füße zu haben, fällt so nach den Pausenzeiten der Weitermarsch deutlich leichter.
Djangos Fürsorge bezüglich des Wohlbefindes der Teilnehmer ist bemerkenswert. Den männlichen Teilnehmern gibt er klare Verhaltensregeln auf den Weg. „Wenn wir an unseren Raststätten einkehren, so haben die Damen auf den Toiletten Vorfahrt“ Mann hat auf dem ganzen Weg Gelegenheit sich anderweitig zu entsorgen“. Klare Ansage!
In moderater Schlagzahl geht es nach der Mittagsrast weiter. Ich muss mir permanent verinnerlichen, dass es nicht Ziel ist 72 Kilometer so schnell wie möglich zu absolvieren, sondern 24 Stunden ohne Schlaf auf den Beinen zu sein. Die Mixtur Höhenmeter, Kilometer und Zeitfaktor bergen natürlich Sprengstoff, für jeden mit anderen Prämissen behaftet.
Die nächsten Kilometer sind sehr abwechslungsreich und nehmen mir jeglichen Anreiz sich mit den drohenden Malässen der nächsten Stunden gedanklich auseinander zu setzen. Auf Höhenwege geht es Richtung St. Goarshausen.
Die Wegführung des Steiges führt uns immer wieder zu exponierten Stellen mit herrlichen Ausblicken auf das Rheintal. Die Grundstimmung ist ungebrochen gut. Von Burg Maus zur Burg Katz. Vor St. Goarshausen bietet Django eine Variante an. Wer Lust hat begleitet ihn über den Rabenacksteig, als kurze aber spektakuläre Variante abseits des offiziellen Weges. Alternativ folgt man der ausgezeichneten Rheinsteigbeschilderung nach St. Goarshausen. Die meisten entscheiden sich für die Steigvariante und werden mit herrlichen Ausblicken in das Rheintal belohnt.
Das Quecksilber ist mittlerweile auf knapp 20 Grad angestiegen, der Schieferstein im Wingert gibt allerdings Wärme ab, die eher an 27 Grad erinnern. In St. Goarshausen ist bei Delicats eine üppige Kaffee- und Kuchentafel aufgebaut. Erste Spuren der Anstrengung machen sich unter den Mitstreitern bemerkbar. Begutachtungen neuralgischer Druckstellen an den Fußflächen, Einsatz von Blasenpflastern entweder aus prophylaktischer Sicht oder aus dem postoperativen Ansatz heraus. Schweißdurchtränkte Unter- und Oberwäsche erfordern einen ersten Wäschewechsel. In der angenehmen Nachmittagssonne, fast eine Spur zu warm, lassen wir es uns gut gehen. Daneben kompensiere ich mein Flüssigkeitsdefizit mit Apfelsaftschorle. Gefühlte zwei Liter habe ich neben einem Liter stillen Wasser davon schon zu mir genommen. Gedanken an Spätfolgen in der Darmregion verdränge ich.
Vor uns liegt mithin eines der schönsten Abschnitte des Rheinsteigs – die sogenannte Königsetappe. Offiziellen Angaben zufolge beträgt diese Strecke zwischen St. Goarshausen und Kaub 22 Kilometer, wobei 828 Höhenmeter zu bewältigen sind.
Das UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal beeindruckt nicht nur mit seiner weltweit einmaligen Burgendichte, sondern bietet auch immer wieder mit faszinierenden Panoramablicken auf steil abfallende Weinhänge und dramatischen Rheinschleifen. Im offiziellen Rheinsteigetappenplaner ist der Abschnitt als längste und schwerste Tagestour deklariert, für uns lediglich ein Teil einer spektakulären 24-Stunden-Wanderung.
Zügig machen wir uns auf Richtung Loreley, einer der kulturellen Exportschlager unseres Landes. Der Steig führt uns an der Rückseite der Freilichtbühne vorbei hinauf zur Aussichtsterrasse. Dort wo tagsüber japanische Reiseführer ihr Standartrepertoire rezitieren, lassen wir unsere Blicke auf die markante Rheinengstelle hinabschweifen.
Auf dem Weg zum Leiselfeld, dort wo wir zum Abendbrot einkehren, besteigen wir einen der spektakulärsten Aussichtspunkt unseres Weges, den Spitznack. Auf der Loreley mag man in der ersten Reihe sitzen, auf dem Spitznack begibt man sich in die Loge. Unterwegs haben wir Gelegenheit die Exponate des Kunst- und Literaturpfades zu bestaunen. Der Rheinsteig als Kunststeig alles im Preis inbegriffen. Beseelt mit dieser Erkenntnis kehren wir zur abendlichen Jause im Aussiedlerhof Leiselfeld ein. Mein erster Gedanke: „Schon wieder essen?“. Wohlweislich an Djangos Weisungen erinnernd „Wer Körner verbrennt braucht Körner“ lassen ich mir den Jauseteller schmecken und halte mich wacker an Wasser und Saft obschon die Begierlichkeiten nach einem Weizenbier steigen, Das Herz sagt, „ja“ der Verstand „Nein“ Diesmal siegt der der Verstand, zudem das von der Geschäftsleitung auch zu Recht auferlegte Alkoholverbot im Kopfe verankert ist.
Eine Stunde Rastzeit für alle. Die Stimmungslage ist aufgekratzt aber gut. Erste taktische Umrüstungen beginnen. Verlängerungsansätze der ZIP-Hosen werden montiert, Jacken ausgepackt – man rüstet sich für sie späteren Abendstunden. Ich entscheide mich die Hemdenvariante beizubehalten, da der Sonnenuntergang erst in einer Stunde ansteht und schweißtreibende Anstiege noch vor uns liegen.
Die nächsten drei Stunden führen uns über die Roßsteine auf ein Hochplateau via Dörscheid hinab nach Kaub. Mit einsetzender Dämmerung beschäftigen wir uns immer mehr mit den kommenden Stunden. Fragen wie „Welche Wegstrecke erwartet uns bei Dunkelheit?“, „Langen die Batterien der Stirmlampe?“, „Wie verhält man sich beim Erstkontakt mit einer Wildschweinrotte?“, „Was machen wir überhaupt hier?“ sind Gegenstand gemeinsamer Diskussionen. Mittlerweile sind die Stirnlampen im Einsatz. Wie eine Lichterprozession streift der Wandertrupp durch das Rheintal nach Kaub.
Dort steht die Mitternachtssuppe in Däuwel,s Küch – einer weithin bekannten Straußenwirtschaft in Kaub in der Republik Flaschenhals bereit, die wir gen 22.30 Uhr annektieren. Restspuren des Lokalfestes Blüchertage markieren unseren Weg durch Kaub. Zum 200. Male jährt sich die historische Rheinüberquerung, was ausgiebig in der Kommune gefeiert wird.
Wir verlassen Kaub mit gefüllten Getränkeflaschen. Ein Zubringerweg führt uns auf einen passablen Weg Richtung Niedertal. Angesichts der Wegbeschaffenheit hat Django diese Variante gewählt, da in Dunkelheit der Steigweg über das Stollenareal im Volkbachtal zu gefährlich ist. Ein markanter gelblicher Halbmond malt herrliche Bilder auf das rheinische Gewässer. Die Stunden der Wahrheit liegen vor uns. Drei Stunden geht es oberhalb des Rheines Richtung Lorch.
Der klare Sternenhimmel bietet ausgezeichnete Blicke auf die gelblich ausgeleuchteten Rheinstädtchen Erste Stimmen werden laut, die die Sinnhaftigkeit dieser Unternehmung in Frage stellen. Gedanken schießen durch meinen Kopf. Vor dreißig Jahren bin ich um diese Uhrzeit um die Häuser gezogen – nun marschiere ich in Dunkelheit durch das Rheintal. Seltsame Anwandlungen im fortgeschrittenen Alter.
Vorbei am Kauber und am Bacheracher Werth. Eine schlammige und rutschige Passage an einem Abhang erfordert die Achtsamkeit jedes Einzelnen. Gerade in der Nachtpassage ist Achtsamkeit und Umsichtigkeit besonders wichtig.Ein Abstieg führt uns in das Niedertal, dort wo der Grenzvogt von Niedertal zu Wolfseck die Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen behütet. Auf Kommando unseres Wanderführers schalten wir die Stirnlampen aus und werden zu einer Schweigeminute vergattert. Dunkelheit. Kein Vogelgezwitscher, keine Wildlaute, absolute Stille, erstes Wispern einiger Wandergenossen um die beklemmende Atmosphäre aufzulösen.
Mittlerweile ist es zugig geworden. Noch über eine Stunde bis nach Lorch – Mitwanderer fangen erstmals an in Zeitzyklen zu denken: noch zwei Stunden bis das Tageslicht Oberhand gewinnt; noch vier Stunden bis zum Frühstück. Die Schritte werden gefühlt kürzer, Gespräche verebben, hie und da ein Zwiegespräch, jeder ist mehr oder minder mit sich selbst beschäftigt. Restriktiver denn je hält Django seinen Trupp zusammen, einzig der Stoßtrupp der bereits in den Vorjahren dabei war und scheinbar Auslauf benötigt wird von der Leine gelassen. Man vereinbart Treffpunkte, die akkurat eingehalten werden, immer das Ziel vor Augen, dass man gemeinsam ankommen möchte. Ewiges Schlusslicht Sohn Christian, der penibel darauf achtet, dass unterwegs niemand auf der Strecke bleibt. Müdigkeit und Lethargie breitet sich aus. Wichtig ist es, so die Losung von Django, ständig in Bewegung zu bleiben. An exponierten Stellen wird Flüssigkeit getankt und kurz inne gehalten. Gegen 2.30 Uhr erreichen wir Lorch. Das neu eröffnetes Hotel in der “Alten Schule” hat sich bereit erklärt die Wanderschar zu dieser Unzeit gastfreundlich aufzunehmen. Gereicht werden Wasser, Kaffee, Energieriegel und Bananen.
Drei Stunden bis zum Frühstück in Aulhausen im dortigen Schulkomplex. Für viele die härteste Strecke. Sekunden wurden zu Minuten. Minuten zu Stunden. Die Zeit will nicht verrinnen. Mangels Sicht fehlt das Gefühl abzuschätzen wieviel Strecke man zurückgelegt hat. Mittlerweile verebben die letzten Gespräche. Schweigend bewegt sich der Tross auf den Pfaden des Rheinsteigs, jeder mehr oder minder mit sich selbst beschäftigt.
4.30 Uhr morgens. Langsam, sehr langsam sind die Vorboten des Sonnenaufganges zu erkennen. Vogelgezwitscher signalisiert den Tagesanbruch, Lichtfetzen gewinnen die Oberhand über die Dunkelheit der Nacht.
Mit fortschreitender Helligkeit gewinnt die Erkenntnis oberhand: das Tal der Tränen ist durchschritten. Die Anstrengungen der Nacht sind verflogen. Energieschubfaktor Licht, für manch einen Teilnehmer eine neue Erfahrung. Am Bacharacher Kopf gibt Django den “Rennpferden” eine Chance sich auszutoben. Ein Schlenker über den Felsweg um dann über die Rotweinlaube Richtung Schneperflur einzuschwenken. Für alle anderen gilt der kürzeste Weg, den Grubenweg Richtung Frühstückstisch zu gehen. Immerhin 20 Unentwegte entscheiden sich für die Zusatzroute.
Nach einer ausgiebigen Frühstückspause machen wir uns auf den restlichen Weg Richtung Niederwalddenkmal und der Abtei St. Hildegard von Bingen. Wolfgang insistiert und mässigt die Schnellläufer. Zur Vermeidung von Demotivation ist jetzt Gleichklang angesagt. Ein letzter Anstieg durch den Niederwald zum Niederwalddenkmal.
Pfingstsonntag nach 8 Uhr. Die Seilbahn aus Rüdesheim hat noch nicht ihren Betrieb aufgenommen. Eine Jugendgruppe aus Asien hat bereits den Platz vor der knapp 13 Meter hohen Germania annektiert. Unterhalb des monumentalen Gedenkbaus werden wir auf der Treppe für ein Gruppenfoto drappiert – für das HR-Team eine wunderbare Einstellung . Vor 22 Stunden sahen wir deutlich frischer aus.
Bis zur Benedektinerinnen-Abtei St. Hildegard erteilt Wolfgang eine Marschfreigabe. Mit in der Spitzengruppe unsere Senior, Horst der 73jährige Powerläufer. „Zäher Hund“ denke ich und hege die Hoffnung, sollte ich dieses Alterssegment jemals erreichen, noch diese Vitalität zu haben.
Wir genießen die Sonnenstrahlen und okkupieren die Bänke vor der Abtei. Mit Blick auf Rüdesheim und genießen wir die Ruhe des Pfingsonntags. Nach Eintreffen des Haupttrosses geht es entlang der Weinberge hinab nach Geisenheim, hinter zum Rhein. Letzter Sammelpunkt ist das Fliegerdenkmal hinter dem Campingplatz. Die allerletzten Reserven werden für die letzten 150 Meter mobilisiert um pünktlich um 10.30 Uhr mit stolzgeschwellter Brust den Applaus des Empfangskomitees entgegen zu nehmen.
Für jeden Teilnehmer gibt es ein Glas Finisher-Sekt nach dem Zieleinlauf. Wolfgang (Django) Blum, Initiator und Dompteur des 24-Stunden-Trails ist sichtlich erleichtert und freute sich wie jeder von uns über die gelungene und erfolgreiche Veranstaltung. Audauerwanderer Roberto, der bei einem heimischen Weinproduzenten arbeitet, lässt es sich nicht nehmen alle Teilnehmer mit einem Weinpikkolo aus heimischer Produktion zu beglücken – als Motivationsanerkennung, die er seinem Chef abgerungen hat. Salute et gracie tante Roberto! Nach der Urkundenübergabe beendet Meister Django dem es gelungen ist 71 von 72 begeisterte Wanderer durch das Weltkulturerbe an das Ziel in Geisenheim zu führen (bei ähnlichen Veranstaltungen sind Schwundquoten von 15% und mehr die Norm) offiziell die außergewöhnliche Exkursion. See You in 2014!
Superzusammenfassung, war live dabei und habe mich gefreut, so eine detailierte Schilderung unseres gemeinsamen Abenteuers nachzulesen. Konnte jeden Kilometer nochmal in den Knochen spüren…
Tolle Tour, danke an Django und alle Helfer
Martina
Hallo Martina,
danke – das war auch Sinn der Übung – man sollte den Schmerz nochmals nachempfinden 🙂 Beste Grüße Martin
Hallo Martin!
Weißt Du noch wer ich bin?
Du hattest mich überredet Nacht´s um 3 Uhr die Schuhe auszuziehen 😉
und ich habe sie tatsächlich wieder anbekommen !!!
Das hast Du Supertoll geschrieben!
Da erlebt man ja alles noch einmal !
Ich hoffen wir wandern mal wieder zusammen!
Hat Spaß gemacht mit Dir !
Lieber Gruß Gabi
Hallo Gabi,
danke für die Blumen. Es ist schon außergewöhnliches Erlebnis gewesen und ich denke allemal Wert festzuhalten. Im September droht übrigens die nächste 24-Stunden-Veranstaltung im Odenwald in unserer Nähe. Beste Grüße Martin
Moin aus Spiekeroog!
Danke für den megatollen Bericht über unsere 24 Stunden Wanderung!Hab grad gelesen und somit alles noch mal erlebt.
Danke!!!!!!!!!!!!!!!!!
mit frischen Nordseegrüßen
Flachlandtiroler und Muschelschubser Matze
Hallo Matze,
schon die Tatsache, dass Du hinter dem Deich vorkommst und die lange Strecke zum Rheintal auf Dich nimmst ist mehr als respektabel.
Freue mich Dich nächstes Jahr wiederzusehen. Beste Grüße nach Südschweden Martin
Danke für die Mühe Martin,
eine schöne Zusammenfassung, Du hast damit vielen eine Freude gemacht und sicher auch einige” Nichtdabeigewesene” neugierig. Besonders gefällt mir auch das 5 h-Bild am frühen Morgen mit den Wolken über dem Rheintal.
Merci und bis zum nächsten mal.
Hallo Edi,
vielen Dank, ich denke mit unserer Leistung waren wir als positive Botschafter für das Rheintal unterwegs. Bis nächstes Jahr. Viele Grüße Martin
Hallo Martin,
einfach nur Spitze, der Bericht über die Tour, danke.
Hat an dem Tag wieder alles gepasst,
Dank Euch allen, der Geburtstag wird mir in Erinnerung bleiben. 😉
Gruß
Markus
Herzlichst gerne Markus. Jetzt ist auch das letzte Geheimnis (Geburtstagskind) gelüftet. Beste Grüße Martin
Hallo
wer kann mir sagen, wo ich mich für die nächste 24 Stunden Wanderung anmelden kann , bzw. wo ich Infos erhalte, z.B. über den Streckenverlauf….
Würde mich sehr über eine Aufklärung 😉 freuen
VLG
Inge
Hallo Inge,
hauptamtlicher Organisator ist Wolfgang Blum aus Geisenheim, Wegepate einer Rheinsteigetappe und zertifizierter Landschafts- und Naturführer. Mailadresse und Informationen: blum-geisenheim(at)t-online.de.
Zu beachten: Der Organisator nimmt maximal 72 Teilnehmer auf, wobei es mittlerweile eine Warteliste für die begehrten Plätze gibt.
Beste Grüße Martin