Rüdesheim, den 6. Juli 2019 –
Ab und an muß man die Gunst der Stunde nutzen um ein interessantes Wanderthema zu besetzen – so wie am ersten Juliwochenende im Rheingau, dort wo einerseits in Rüdesheim die Veranstaltung „Rhein in Flammen“ stattfand, andererseits Temperaturen jenseits der 30 Grad für ein regelrechtes Backofenklima in den Weinhängen des Rheingaus sorgten. Sicherlich, an der Mosel ist das größte zusammenhängende Rieslinganbaugebiet der Welt zu finden, nach Meinung der Rheingauer wächst jedoch am Rhein der beste Riesling (auch wenn die Pfälzer hierzu eine andere Meinung haben) zudem hier bereits nachweislich seit Mitte des 15. Jahrhunderts Riesling angebaut wird und man mit der Weinuniversiät in Geisenheim die Weinweisheit für sich per se gepachtet hat.
Gestartet wird in Lorchhausen, im tiefsten Dorf Hessens, dort wo die letzte Rebanlage des Rheingaus vor dem Beginn des Mittelrheintals liegt, und dort wo der Wisperwind vom Taunuskamm Richtung Rhein herunterbläst und dafür sorgt, dass es hier selten regnet. Zwanzig Hektar Rebfläche sind hier an den Steilhängen in Lorchhausen überwiegend mit Riesling bestückt. Lagebedingt heizen hier bereits zu früher Morgenstunde die Rebstöcke kräftig auf. Wandertechnisch durchaus eine Herausforderung in der mit Schiefer ausgekleideten Brutkammer zu einer Exkursion zu starten.
Vom Bahnhof geht es aufwärts, einmal die mächtige Bonifatiuskirche umrundend, in deren Mauern stilgerecht die Grabplatten der hier einst tätigen Pfarrer angebracht wurden. Am östlichen Ende der Kirche führt ein schmaler Pfad durch das Weinanbaugebiet hinauf zur Clemenskapelle. Hier eröffnet sich eine schöne Blickachse auf dass schräg gegenüberliegende Bacharach und der gegenüberliegenden Burg Fürstenberg. Unterhalb des Nollig folgt man sinnigerweise dem Rheingauer Rieslingpfad zur vier Kilometer entfernten Nachbargemeinde Lorch.
Nach einer Frühstücksrast in Lorch treffe ich auf einen Winzer. Wir unterhalten uns über die Wetterlage im Generellen und die Auswirkung auf den Weinanbau im Rheingau im Speziellen. Die „Alten“, damit gemeint sind die Rebstöcke, können als Tiefwurzler die Hitze gut ab. Problematisch ist es bei den jungen Stöcken. Im vergangenen heißen Jahr mußte er 1.800 Rebstöcke fünfmal mit je sieben Liter notbewässern um den sich abzeichnenden Trockenstreß zu vermeiden.
Punktuell kann man beim Gang durch die Weinhänge durchaus bemerken, dass manche Blätter saft- und kraftlos an den Stöcken hängen und dass sich hie und da Blätter gelb verfärbt haben. Tendenziell kommt es darauf an, wann die Trockenheit einsetzt. Trockenheit zum Zeitpunkt der Blüte reduziert die Beerenanzahl, eine später einsetzende Trockenheit reduziert das Beerengewicht. Jedoch der Klimawandel ist auch beim Weinanbau erkennbar. So werden im benachbarten Schloss Johannisberg bereits seit 1750 die Lesetermine des Rieslings aufgezeichnet. Ablesbar ist eine zunehmende Verfrühung der Lesereife – ein Indiz für den Klimawandel. Aber damit nicht genug. Am hier befindlichen 50. Breitengrad benötigt ein Rebstock eine doppelt so große Blattfläche zur Erbringung der Fotosyntheseleistung wie beispielsweise in Niederösterreich, dort wo am 30. Breitengrad der Grüne Veltiner angebaut wird. Eines ist gewiss: Spitzenweine kann man nur aus exzellenten Trauben gewinnen, daher wird sich im Zeitverlauf die Sortenwahl verändern, man wird in höheren Lagen den Weinanbau kultivieren, Rotweine werden verstärkt in existente Lagen angebaut, der Pflanzenschutz und die Bodenbearbeitung wird sich anpassen müssen. Weinanbau kann schon spannend sein.
Erbarmungslos brennt die Sonne auf das Schiefergestein herab und sorgt für schattenlose 47 Grad in Bodennähe. Sechs Kilometer hinter Lorch ist der Freistaat Flaschenhals, eine geografische Besonderheit, erreicht. Nach dem Ersten Weltkrieg blieb hier ein geografischer Zwickel für einen Zeitraum von vier Jahren unbesetzt – quasi ein rechtsfreier Raum. Auf Schmugglerwegen wurde die Bevölkerung versorgt und man emittierte eigenes Notgeld um die Versorgung der einst hier ansässigen Einwohner zu gewährleisten. Heute wird der „Freistaat“ erfolgreich kommerziell vermarktet. Schwach jedoch die aktuelle Leistung des hier ansässigen Weingutes Flaschenhals, das mit Hinweis auf die abendliche Rhein-in-Flammen-Veranstaltung die Türen unplanmäßig zugesperrt hatte. Ein dezenter Hinweis auf der Internetseite wäre durchaus angebracht gewesen, aber am langen Ende muß man, wenn man auf zwei Füßen unterwegs ist, immer mit unliebsamen Überraschungen dieser Art rechnen.
So geht es weiter durch den Teufelskadrich bei Lorch, dort wo man bewaldete Steinhänge vorfindet. Lebendig und abwechslungsreich die Wegeführung. Nicht umsonst trifft hier der Rieslingsweg auch auf den Rheinsteig der durch dieses spannende Naturschutzgebiet verläuft. Bald ist der Höllenberg bei Assmannshausen erreicht, das Filetstück des Rheingauer Rotweinanbaus. “Höllisch steil, höllisch gut und höllisch teuer”, wie ich später von einem ausgewiesenen Experten erfahre, so die Beschreibung dieser exzellenten Weinlage. Assmannshausen selbst bietet genügend Einkehrmöglichkeit, jedoch an heißen Tagen wie diesen sollte man eher den gekühlten Riesling als den hervorragenden Rotwein bevorzugen – alles zu seiner Zeit.
Weiter geht es auf dem Rieslingpfad durch den Niederwald um die mit 70% ausgewiesene steilste Lage des Rheingaus, den Rüdesheimer Schloßberg, zu queren. Entlang des Sonnenbergweges führt die Passage unterhalb des Niederwalddenkmals vorbei. Die Rüdesheimer Seilbahn unterquerend wird es weiter nordöstlich gehend regelrecht klösterlich. Auf dem Klosterweg geht es über den Klosterberg zur Abtei St. Hildegard. In dem hier befindlichen Klosterladen kann man hervorragende Weine aus der klösterlichen Produktion erwerben. Scheinbar steht hier der Weinanbau am Klosterberg unter einem besonderen Schutz. Irgendwie scheinen hier die Weinstockblätter frischer und die noch jungen Trauben knackiger als an den anderen Hängen zu sein.
Ein Schlenker über den Kirchenpfad führt hinab zur altehrwürdigen Geisenheimer Universität, 1872 als Königliche Lehranstalt für Obst- und Weinbau gegründet, heute Forschungscampus und Studienstätte von Weltruf. Zu spät die Erkenntnis, daß man durchaus etwas ordentliches hätte studieren können in Anbetracht dieser Bildungsstätte.
Auch an dieser Forschungsanstalt beschäftig man sich natürlich mit dem Klimawandel und dessen Auswirkung auf den Weinanbau. Auf einem Freigelände führt man den Rebstöcken CO2 zu, um zu simulieren, wie sich eine erhöhte Kohlendioxidanreicherung auf die Weinrebstöcke auswirkt. Wenn man wissen will. wie in 30 Jahren der Wein schmeckt, in Geisenheim kann man es heute schon verproben. Auch wenn die Weinberge nicht buchstäblich in Flammen stehen, der Weinbau wird sich in den nächsten Jahrzehnten klimatisch bedingt deutlich verändern. Eines sollte man jedoch auch verinnerlichen: auch künftig wird Qualität ihren Preis haben müssen und für 1,99 Euro kann man seriös keinen Prädikatswein produzieren.
Über den Eibinger Weg geht es nach Rüdesheim, dort wo zunächst eine Rast eingeplant ist, bevor der zweite Teil der Rheingauer Exkursion startet. „Rhein in Flammen“ so das Motto der Veranstaltung, welche bereits seit 1977 am Rhein durchgeführt wird. Mit Einbruch der Dunkelheit starten 50 Personenschiffe bei Trechtingshausen, um begleitet von insgesamt sieben Feuerwerken entlang des Rheins nach Rüdesheim zu schippern, dort wo um Mitternacht die Lichtershow mit einem spektakulären Abschlußfeuerwerk, welches von der Bingener Hafenmole gezündet wird, gekrönt wird.
Szenenwechsel. Just um 19.45 Uhr versammeln sich mehr als 120 Wanderfreunde um den Ruf des Rheingauer Wanderpabstes Wolfgang Blum zu folgen, der seit einigen Jahren eine wanderbare „Rhein-in-Flammen-Weinbergstour in seinem Wanderprogramm aufgenommen hat. Nicht umsonst ist Wolfgang Blum als Rheingauer des Jahres und UNESCO-Weltkulturerbebotschafter geadelt worden. In seiner unvergleichlichen Art gelingt es ihm rasch die Wanderschar für die dreizehn Kilometer lange Exkursion mitzureißen und zu begeistern. Realsatirisch eingemantelt seine Unterweisungen: die taktischenVerhaltensmaßnahmen entlang des Weges, der Umgang mit ansässigen Bewohnern im dünnbesiedelten Hinterland und der DSGVO-konforme Umgang mit nicht einer Lebensgemeinschaft hinzuzurechnenden Wanderpartnern, die gegebenfalls während der Wanderung abgelichtet werden, so geht es wohlgerüstet in eine spannende Abendexkursion der besonderen Art.
Bereits Stunden zuvor herrscht im Rheingauer Weinland der Ausnahmezustand. Am frühen Nachmittag annektierten bereits die ersten Gäste die besten Plätze an den Weinhängen. Findige Gastronomen bieten an ausgewählten Plätzen gegen gutes Geld ein Feuerwerksprogramm mit Verköstigung und Rheingauer Weinen an, die Schwungräder der Rüdesheimer Seilbahn laufen auf Hochtouren, die Parkplätze im Großraum seit Stunden bereits in Beschlag genommen.
Gestartet wird am Rüdesheimer Parkplatz P2, den Bischofsberg erklimmend, hinauf zum unteren Parkplatz Am Niederwald. Aulhausen querend geht es vorbei am Weingut Robert König in die Assmannshäuser Umlaufbahn, die Weinlage Höllenberg von hinten umrundend zur markante Rotweinlaube, ein beliebter Hotspot für vielfältige Anläße. Von hier aus kann man bereits einen Teil der 50 Fahrgastschiffe, die sich bei Trechtingshausen zur Feuerwerksparade eingefunden haben, ausmachen. Gut das Geschäft für die Schiffseigentümer. So kann man beispielsweise auf einem Eventschiff für stolze 179 Euro ein exklusives All-inclusive-Buffet mit Wein und Sekt und Livemusik in der ersten Reihe auf dem Rhein schippern. Kostengünstiger ist die Blumsche Variante. Für 5 Euro wandelt unter sachkundiger Begleitung in der Logengalerie oberhalb des Rheins. Engmaschig durchgetaktet der Zeitplan den Wolfgang Blum seinen Wandergästen nochmals verinnerlicht. Just bevor sich die Ausläufer der Nacht über das Rheintal senken geht es abwärts Richtung Assmannshausen. Das schmale Zeitfenster nutzend führt Wolfgang die Mannschaft mit entsprechender Genehmigung, durch das bereits von der Feuerwehr abgeriegelte Areal, da hier auf einem Plateau bereits eine Abschußrampe für das Feuerwerk eingerichtet ist.
Hinab nach Assmannshausen, hinauf über eine Gegenflanke wartet die Wanderschar oberhalb der Weinstadt auf den Beginn der Feuerwerke, die in Trechtingshausen , der gegenüberliegenden Burg Rheinstein und dem Ecksteinkopf unterhalb des Assmannshäuser Höllenbergs zuerst gezündet werden.
Am langen Ende wird es ein Wettlauf, den natürlich die Schiffskolonne auf dem Weg nach Bingen gewinnen wird. Als begleitende Wanderer oberhalb des Rheins haben wir immerhin Gelegenheit sechs der sieben Feuerwerke “live” mitzuerleben, im Gegensatz zu den vielen Zaungästen die sich in den Weinbergen niedergelassen haben. Eine nächtliche Feuerwerkswanderung der besonderen Art – sicherlich ein Novum im bundesdeutschen Wanderangebot. Just in time zum Abschlußfeuerwerk in Bingen erreichen wir eine Anhöhe am Rüdesheimer Schloßberg um das Finale hautnah zu erleben. Berauscht von der Lichtgewalt der abgebrannten Feuerwerk geht es abwärts nach Rüdesheim. Eines sollte man jedoch nicht außer acht lassen. Hat man sich tagsüber mit den Auswirkungen des Klimawandels für den Weinanbau beschäftigt, ergötzt man sich in den lauen Abendstunden an der Feuerwerkspracht. Klimatreiber CO2 läßt grüßen – so ist es eben das menschliche Verhalten: konsequent inkosequent.
So war es dennoch ein spektakuläres Finale eines außergewöhnlichen Wandertags. Einmal mehr hat diese Tour verdeutlicht, welche Facetten es gibt den Rheingau neu zu entdecken. 46 spannende und erlebnisreiche Kilometer, moderate 1.320 Höhenmetern und eine Vielfalt an Eindrücken unterschiedlichster Art. Jedoch keine Bange: weitere Potentiale kann man hier noch zur Genüge entdecken. Auf ein Neues – alsbald im Rheingau.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar