Weilburg, den 02. September 2023 – Wer sich die Mühe macht den genetischen Code einer perfekten Wanderung zu entschlüsseln, der kommt am langen Ende auf eine Formel: (N+K+G) x E+H. Übersetzt in Textform: Natur + Kultur + Genuß. Das Ganze multipliziert mit einer Prise Entschleunigung und additiv mit Hingabe zelebriert. So das Erfolgsrezept eines neuen Formates des Naturparks Taunus, der erstmals zu einer Langstrecken-Themenwanderung eingeladen hatte.
“Zwölf Stunden auf den Spuren des Bergbaus”, so der Untertitel des Steigermarsches, der durch die historische Bergbauregion rund um die Lahnstadt Weilburg gen Braunfels führte. Gestartet wurde die geführte Exkursion am Bahnhof Weilburg unter Leitung des Naturparkführers Christian Radkovsky, der zudem als Vorsitzender des örtlichen Geschichtsvereins über profunde Kenntnisse über Land, Leute und Kultur verfügt. Bereits kurz hinter dem Bahnhof wird ein Stopp an den ersten Industriedenkmälern, einem Schiffs- und einem Eisenbahntunnel eingelegt.
Gerade einmal zwei Kilometer nach dem Start ist eine erste Jausestation angesagt. An der ehemaligen Verladestation der Eisensteinaufbereitungsanlage der ehemaligen ist ein zünftiges Bergmannsfrühstück angesagt. Nicht nur optisch sondern auch kulinarisch bezieht sich der Veranstalter auf das Leitthema dieser Wanderung. Hier, am Ortseingang von Ahausen, wurden einst Eisenschieber an der Verladeanlage installiert um die großen Steine zu zerkleinern und das Erz transportgerecht für die Weiterverarbeitung in den Hochöfen von Wetzlar und dem Ruhrgebiet aufzubereiten.
Nach der Stärkung geht es weiter auf historischen Pfaden, und immer wieder bremst Wanderführer Christian ein, um über die mittlerweile stillgelegten Stollenanlagen und den daran vorbeiführenden historischen Wegen zu informieren. Ob Pilgerweg oder Handelsstraßen, die Region zwischen Taunus und Westerwald war einst ein gut frequentierter Knotenpunkt. Auf dem Weg gen Hirschhausen geht es vorbei an der einstigen Wallfahrtskirche Pfannstiel, dort wo Mitte des 16. Jahrhunderts von einer Marienerscheinung berichtet wurde. Gruselig die Erkenntnis, dass auf dem Gelände einst ein Skelett ohne Hände entdeckt wurde – vermutlich aus der Zeit stammend, als hier die Pest wütete. Von der Wallfahrtsstätte, dort wo heute noch Gottesdienste unter freiem Himmel abgehalten werden, geht es gen Hirschhausen, dort wo veranstaltungsseitig und vorausschauend ein Frühschoppenaufenthalt eingeplant ist.
Auf aussichtsreichen Pfaden geht es weiter mit Zielrichtung Philippstein. Sanft hügelig ist die mittelhessische Landschaft südlich des Naturparks Lahn-Dill-Bergland ausgeprägt. Just an der Grenze des Lahn-Dill-Kreises und des Kreises Limburg-Weilburg eröffnet sich neue eine spannende Blickachse. Das markante Schloss Braunfels dominiert auf den nächsten Kilometern das Blickfeld. Im 13. Jahrhundert als Schutzburg errichtet, in Folge zerstört und verbrannt, und im Zeitverlauf der Jahrhunderte als Residenz und Schloß wieder aufgebohrt, prägen bis heute die verspielten Türmer und Erker das landschaftliche Gesamtbild. Jedoch nicht Braunfels sondern Burg Philippstein, die Gegenburg, ist die nächste Station dieser Wanderung. Die Burg, errichtet von den Grafen von Nassau lag strategisch günstig an der Handelsstraße zwischen Köln und Frankfurt, Grund genug daher Wegezoll zu erheben.
Waren auf Burg Phillippstein 360 Grad-Blicke in die mittelhessische Landschaft möglich, steht drei Kilometer weiter eine “Guck-ins-Loch”-Station an, wie Wanderführer Christian ankündigt. Und tatsächlich – offiziell hat die Firma Jost, die bei Altenkirchen einen Diabas-Steinbruch betreibt, eine attraktive Aussichtsplattform mit der Bezeichnung “Guck ins Loch” benamt und ausgeschildert. Abgebaut wird hier Diabas, ein Gestein welches vor 400 Millionen Jahren durch untermeerischen Vulkanismus entstanden ist. Eine Million Tonnen Gestein wird hier jährlich gebrochen, wobei das gewonnene Material überwiegend im Straßenbau eingesetzt wird. Strategisch ist es vorgesehen, die Abbaustätte in nördlicher Richtung zum alten Tagebau gen Phillippstein zu bewegen. Wer auf bundesdeutschen Straßen unterwegs ist kann durchaus davon ausgehen, schön öfters über Gestein aus dem mittelhessischen Erdreich gefahren zu sein.
An der Aussichtsplattform Guck-ins-Loch war zudem der höchste Punkt der Exkursion erreicht, die in Gänze steigungstechnisch mit 550 Höhenmetern moderat ausgelegt war. So geht es vom Aussichtspunkt des Steinbruchs abwärts zum Möttauer Weiher und hinüber in die offene Agrarlandschaft mit Zielrichtung an der Weil. Die umliegenden sanfthügeligen Mittelgebirgszüge falten sich ringsherum dezent auf und vermitteln dem Betrachter eine Wohlfälligkeit, die den ländlichen Charakter dieser Region in angenehmer Weise unterstreicht. Nach einer erneuten Verpflegungsrast steht eine entspannende acht Kilometer lange Etappe entlang des Weiltalweges an. Hier rumpelte einst die Weilbahn durch. Vordergründig errichtet um mit Hilfe von Dampflokomotiven das Eisenerz aus den Gruben herauszuschaffen wurde in den 50er Jahren auch Personenverkehr, der sogar die Städte Frankfurt und Köln verband zugelassen. 1987 wurde die Trasse niedergelegt und vierzehn Jahre später der Weiltalweg eröffnet.
Just vor der Weilburger Einflugsschneise, dort wo die Weil in die Lahn entwässert, hat der Naturpark Taunus nochmals eine Überraschung parat., Stilgerecht wird den Wanderern eine “Brockselsupp” kredenzt. Als Gebietsfremder sollte man sehr achtsam sein, wenn man zum Brockselsuppessen geladen wird, denn es handelt sich hierbei um eine Schnapsidee mit Lebkuchen. Man nehme Lebkuchenstückchen, ein wenig Wasser, etwas Zucker und viel Kornbrand. fertig ist der Höllenstoff. Naturparkführer Christian schlüpft zudem in die regionaltypische Bergmannskluft, einen sandfarbenen schweren und langen Baumwollmantel, der seinerseits von den Arbeitern getragen wurde. Bergbaufeeling für für alle Sinne.
Zweifelsohne ist dem Naturpark Taunus wieder einmal ein großer Wurf gelungen. Nach den bereits erfolgreich durchgeführten themenbezogenen 24-Stunden-Wanderveranstaltungen hat man zudem mit der Auftaktveranstaltung einer anspruchsvollen Langstrecken-Themenwanderung ins Schwarze getroffen. Nicht Kilometer und Höhenmeter abreißen ist das Ziel, im Vordergrund stehen Kultur, Natur und Genuss. Am langen Ende die Komponenten die den genetischen Code einer perfekten Wanderung ausmachen. Abgerundet wurde die Veranstaltung mit einer zünftigen Einkehr in der Weilburger Beachbar an der Lahn Einziger Kritikpunkt: Statt Teilnehmerurkunden sollte man den Wanderern besser eine steuerlich absetzbare Bescheinigung für Fortbildungskosten aushändigen……:) So darf man gespannt sein, welche Langstrecken-Veranstaltungen der Naturpark noch im Köcher hat. Potential hierzu findet man im Taunus zur Genüge und der Naturpark Taunus hat mit diesem Format durchaus auch ein Alleinstellungsmerkmal definiert.
Hallo Martin,
danke für diese schöne Zusammenfassung. Sie liest sich wirklich toll und fasst unsere Wanderung perfekt zusammen 🙂
Noch ein Punkt: Der Weilburg Schiffstunnel ist 195 Meter lang und nicht Kilometer.
Viel Spaß bei der 24 Stunden-Wanderung und bis demnächst mal wieder.
Liebe Grüße
Tobias
Herzlichen Dank Tobias – in der Tat 195 Kilometer wäre schon der Hammer, ist schon korrigiert. Bis vielleicht irgendwann wieder auf der Wanderpiste. Martin
Danke für dies ausgezeichnete Führung mit kulinarischer Betreuung. Eine gelungene Zusammenstellung der Wanderwege durch unsere durch Kulturgüter reiche Heimat. Excellente situationsbezogene Fotos. War von dem Tag begeistert. Viele Grüße Klaus