Budenheim, den 17. November 2018 –
Leere Schiffe – tote Fische. Besorgniserregend – so die Akutmeldungen all derjenigen, die vom Wassernotstand eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen des Erdballs betroffen sind. Ob Tankstellen, Zementwerke, oder Stahlproduzenten, ganze Branchen leiden unter dem erheblichen Wegfall von Transportkapazitäten per Schiff. Aktuell sind die großen Binnenschiffe, die auf dem Rhein unterwegs sind maximal mit einem Drittel der Ladekapazitäten nutzbar. Betrachtet man die aktuellen Pegelstände im Vergleich zu den gemittelten Langzeitwerten, dann verdeutlicht sich das ganze Ausmaß des Wassernotstandes. Aktuell liegt der Rheinpegel in Bingen bei 59 cm. Der Mittelwert liegt bei 208 cm, der höchste bekannte Wasserstand wurde 1988 mit 619 cm gemessen – und der niedrigste bekannte Wasserstand im Jahre 1985 bei 32 cm.
Jedoch, aus der Wanderbrille betrachtet bietet die derzeitige Wasserlage einen spannenden Ansatzpunkt für eine interessante Exkursion entlang der teilweise freigelegten Rheinauen. Gestartet wird um die Ecke von Mainz, in Budenheim, dort wo sich in westlicher Richtung rheinaufwärts das Naturschutzgebiet Hader Aue –Königsklinger Aue erstreckt.
Das Naturschutzgebiet besteht aus ausgedehnten Weichholzauewäldern, extensiv genutzten Wiesen und naturnahe Ufer- und Strandabschnitte und dehnt sich auf einer Fläche von 165 Hektar aus. Durch die angespannte Wasserlage eröffnen sich interessante Sichtachsen über die ansonsten unter Wasser stehenden Areale. Spannend der Wegeverlauf. Man passiert mächtige Stieleichen, Silberweiden und Pappeln, teilweise in bizarren Formen und Formationen. Fernab der Mainstreamwandewege Rheinburgenweg auf dieser Seite und Rheinsteig auf der gegenüberliegenden Seite erstreckt sich ein herrliches Wandergebiet zwischen Budenheim und Bingen. Das einzige Manko: die Steigungen fehlen.
Den Weiler Heidenfahrt passierend geht es vorbei an der langgestreckten Mariannenaue um in das “Tor zum Polder” Lebertsaue und Alte Sandlach einzusteigen. Der drei Kilometer lange Altrheinarm „Alte Sandlach“ ist außer bei Überflutung des Rheins ein stehendes Gewässer und ein wahres Vogelparadies. So wundert es nicht, dass viele Vogelkundler mit entsprechenden Ferngläsern ausgestattet unterwegs sind.
Entlang des Ingelheimer Ufers wandernd erblickt man auf der gegenüberliegenden Seite den Weinort Oestrich-Winkel und dahinter die mächtige Basilika des Schloß Johannisberg. Hier liegt das Epizentrum des Rheinhessischen Rieslings. Durch die Fulden-Aue-Ilmen-Aue, auf der gegenüberliegenden Seite die Weinorte Geisenheim und Rüdesheim sowie das mächtige Kloster St. Hildegard im Blick habend, ist bald die ganzjährig bewirtschaftete Gaststätte des Campingplatz Hindenburgbrücke erreicht. Mit Blick auf das gegenüber vorausliegende Niederwalddenkmal lässt sich zu später Vormittagsstunde ein Kaffee und ein Riesling auch noch an einem frischen Novembertag genießen.
Richtung Bingen wandernd baut sich sich markant die Rochuskapelle am gleichnamigen Hügel gegenüber dem Niederwalddenkmal auf. Vorbei am Alten Binger Rheinkran, der mehr als 550 Jahre auf dem Buckel hat, geht es entlang des Rheinufers über die Bingerbrück zum Highlight der Wanderung – zur Binger Mäuseturminsel.
Die Insel selbst, und das ist die eigentliche Atrraktion, ist derzeit dank Niedrigwasserstand zu Fuß zu erreichen. Daher hat seit einigen Wochen ein regelrechter Besuchstourismus eingesetzt. Seitens der Stadt Bingen wurde der Steinwall noch verstärkt, damit eine trockene Fußpassage zum Mäuseturm gewährleistet ist.Der 25 Meter hohe ehemalige Zoll- und Wachturm wurde Anfang des 14. Jahrhunderts errichtet, 1689 zerstört und 1845 dank preußischer Unterstützung im neugotischen Stil wieder aufgebaut. Bis 1974 fungierte der Turm als Signalturm um den Schiffahrtsverkehr duch die Enge des Binger Lochs zu führen. Der Name Mäuseturm leitet sich aus einer Sage ab. Der Mainzer Erzbischof Hatto II verwehrte in Zeiten einer grassierenden Hungersnot den Bedürftigen die Hilfe aus seinen gefüllten Kornkammern. Als die Armen weiterbettelten, sperrte er sie in eine Scheune die daraufhin von seinen Schergen angezündet wurde. Die Schreie der Sterbenden soll er höhnisch mit den Worten „Hört ihr, wie die Kornmäuslein pfeifen?“ kommentiert haben. In diesem Moment kamen der Sage nach tausende Mäuse aus allen Ritzen und fraßen den Bischof, der sich im Mäuseturm versteckte, bei lebendigem Leibe auf.
Nach einer ausgedehnten Inselbesichtigung geht es weiter, vorbei an der gegenüberliegenden Burgruine Ehrenfels und dem nachfolgenden Weinstädtchen Assmannshausen Richtung Trechtingshausen. Unterhalb der von Burg Rheinstein und Burg Reichenstein führt die Passage vorbei an Burg Sooneck nach Niederheimbach. Gegenüber strahlt die tiefstehende Nachmittagssonne mit letzter Kraft die noch im hessischen gelegene Weinstadt Lorch an, während man bald darauf das auf der Pfälzer Seite gelegene Bacharach erreicht.
Zahllose Sandbänke und freigelegte Rheininseln waren Beleg für die noch anhaltende Wasserarmut im Rheinbett. Nach 41 Kilometern und nicht nennenswerten 98 Höhenmetern geht eine Rheinpassage der besonderen Art zu Ende.
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