Main stromaufwärts -Lohr am Main

15. Januar 2021 – Es gibt Plätze, die als Kraftorte der Inspiration gelten. Künstler, Dichter und Denker haben schon von je her unter Beweis gestellt, daß es solche magische Orte gibt. Daß offensichtlich der Mainspessart dazugehört, ist eine neue Erkenntnis, die am Wendepunkt dieser Tour, in Lohr am Main, in Erfahrung gebracht werden kann.

Mainrundtourenüblich wird zu früher Morgenstunde am Mainufer gestartet, diesmal in Marktheidenfeld, um zu dunklen Morgenstunden entlang des Mainradweges gen Norden zu wandern, wohlweislich die gegenüberliegenden weißgepuderten Anhöhen des Spessarts im Auge zu haben, über denen der Mainwanderweg auf der Rückpassage führen wird.

Die Orientierung ist einfach. Am Ende der Marktheidenfelder Wegebeleuchtung folgt die gegenüberliegende Uferbeleuchtung von Hafenlohr, deren flußnahe Aufreihung schräg gegenüber in der nächsten Mainbiegung von Zimmern übernommen wird. Wer schon einmal Gelegenheit hatte des nachtens auf dem Rheinsteig zu wandern, weiß diese Art von orientierender Wegeführung durchaus zu schätzen. Das Main- Landschaftsbild hat sich deutlich verändert. Die spessarttypischen Hügelformationen verdichten sich. So gibt es beispielsweise rund um Marktheidenfeld einen Kulturweg, der den markanten Titel “Über sieben Hügel kannst du gehen”, trägt. Allemal beeindruckend ist der Blick vom Zimmerner Mainufer, einem Ortsteil von Marktheidenfeld, auf die andere Seite des Flusses, dort wo sich die kleinste Stadt Bayerns nebst mächtiger Burganlage befindet. Die Rede ist von Rothenfels, welches laut heutigem Tourenplan bei Kilometer 34 auf der Agenda steht.

Lebensader Main auch bei Dunkelheit in Betrieb
Nur ein kurzes Intermezzo an einem ansonst wolkenverhangenen Tag
Blick auf Rothenfels – der kleinsten bayrischen Siedlung mit Stadtrechten

Bis 1964 waren Zimmern und Rothenfels mit einer Fähre verbunden, eine historisch bedeutende Verkehrsader, von der beide Seiten profitierten. So bauten Rothenfelser Bürger gerne in Zimmern, um den schönen Blick auf die Burg von der anderen Seite genießen zu können. Der Umbau des Mains für die Großschiffahrt veränderte jedoch die Region gewaltig. Einst im Rahmen der Mainregulierung errichtete Stauseen und Leitwerke verschwanden, der Fluß wandelte sich zu einer durch Schleusen verbundene Ketten von anderen Stauseen. Nach Zimmern geht es in den Waldsassengau. So bezeichnet ist der östliche Teil des südöstlichen Spessarts, der sich zwischen Mainviereck und Maindreieck befindet und die Kommunen Erlach, Ansbach und Waldzell umfaßt. Drei Klöster hatten sich hier angesiedelt und Erlach baute sich einen Ruf als Schifferdorf auf.

Blick auf das gegenüberliegende Kloster Neustadt
Ein grimmiger Blick vom Erlacher Ufer auf das Maingewässser
Im Winter unbeflaggt – der Erlacher Mainschiffermast, ein Erinnerungsposten an die hier ansässige Flußschifffahrtstradition

Weiter geht es am spärlich bewachsenen Mainufer zur nächsten Kommune nach Pflochsbach. Die wenigen Bäume, die hier an der Uferböschung emporsprießen, werden sichtbar heftig von den hier ansässigen Bibern bearbeitet. Scheinbar hat sich bei der nagenden Zunft noch nicht herumgespruchen, daß am Main ein Dammbau zwecklos ist. Stark ausgeprägt ist hier in der Region, zwischen Mainkilometer 191 und 206, die Fischerei, für die die Fischerzunft Lohr verantwortlich zeichnet. Fischreich war der Main schon immer, jedoch die technischen Veränderungen gingen auch nicht spurlos am Fischbestand des Flusses vorbei. Insgesamt gesehen ist der Main jedoch ein träges Gewässer, dem zu allen Jahreszeiten staustufenbedingt annähernd der gleiche Wasserstand aufgezwungen wird. Nur bei langen Regengüssen oder wenn in Rhön und Fichtelgebirge die Schneeschmelze gleichzeitig eintritt, zeigt der Fluß noch heute, welche Kräfte in ihm stecken.

Frisch gehobelt, die Späne sind noch warm…….
Neben Mainschifffahrt gibt es auch zahlreiche Mainfische

Über die Alte Mainbrücke geht es hinüber nach Lohr am Main, ein bedeutendes und sehenswertes Mittelzentrum im Spessart. Wer entlang der A3 fährt, der kann ein braunes Tourismusschild mit dem Hinweis “Lohr Schneewittchenstadt” entdecken. Es waren drei Lohrer Stammtischbrüder, die 1985, nachdem man einmal mehr tief in die fränkischen Weingläser geschaut hatte, die scherzhafte These entwickelten, daß Schneewittchen eine Loherin gewesen sei. Erarbeitet wurde eine mit Thesen beladene Schrift unter dem Titel “Schneewittchen – Zur Fabulologie des Spessarts mit sogenannten „wissenschaftlichen Methoden der Fabulologie“ (veröffentlicht unter ISBN 9783934128408), die flugs von der Stadt aufgegriffen und als Tourismuskonzept verabeitet wurde. Der Spessart, wie eingangs dargelegt, ein magischer Ort der Inspiration. Selbstredend liegt es auf der Hand, daß Schneewittchen über die sieben Spessartberge zu den sieben Zwergen flüchtete. Eindeutig sicht- und begreifbarer ist jedoch die Schönheit des historischen Städtchens. Zweifelsohne – Lohr am Main ist fernab von Märchenstunden allemal ein Besuch wert, und zahlreiche alteingessene Lokale laden zu einer zünftigen Einkehr ein.

Über die Alte Mainbrücke führt der Weg hinüber nach Lohr
Harmonisch reiht sich in der Altstadt ein historisches Objekt an das andere
Situationsbedingt scheint die Zeit hier stillzustehen
Das Reisemagazin GEO schrieb einst: eine urige Kleinstadt zum Verlieben

Nach der flachen ufernahen Mainpassage erfolgt der Rückmarsch über die hügeligen Spessartberge, dort wo der tatsächliche Mainwanderweg verläuft. Einhundert Höhenmeter aufwärts setzt die Schneefallgrenze ein. Frostige Nächte haben dabei den weißen Sulz in partiell spiegelglatte Pisten verwandelt und so reduziert man im Anstieg zweckmäßigerweise die Marschgeschwindigkeit. Hinauf geht es zum Karl-Neuf-Platz, einst ein wunderbarer Aussichtsplatz, der Blicke bis in die Rhön hinüber ermöglichte. Die hiesige Anhöhe scheint jedoch ein Problemberg zu sein. 1990 zerschellte hier eine Transallmaschine der Bundeswehr und auch im Zweiten Weltkrieg stürzten hier mehrere Flugzeuge ab. Kurz hinter der Bergkuppe gelangt man zu einem ehemaligen Klosterwirtschaftshof dem Margarethenhof. Noch heute schwärmen ältere Generationen von dem legendären Margarethenhof-Kochkäse, der hier neben reichlich Wein und Bier in dem einst bewirtschafteten Areal aufgetischt wurde.

Von Lohr geht es Richtung Margarethenhof
Blick auf die alte Margarethenkapelle
Der Zahn der Zeit nagt am Gehöft der einstigen Klosterwirtschaft
Mainwanderweg – gefrostet
Dichterkunst im Spessart
Mainabwärts reduziert sich die Schneelast

Über den Querberg führt der Mainwanderweg zum Hornberg, dem markanten Aussichtspunkt oberhalb von Neustadt. Von hier aus führt spessarttypisch wieder einmal ein Kreuzweg steil abwärts zum unten liegenden Kloster. Auf der Gegenflanke steht der nächste Spessarthügel an. Wer den Steigungen überdrüssig ist, könnte mainnah zwei Etagen unterhalb, dem weiteren Flußverlauf folgen. Jedoch zu einer bodenständigen Tageswanderung gehört ab und an ein wadenstählender Anstieg. Entlang des Philosophenweges erreicht man nach fünf weiteren Kilometern durch den verschneiten Spessartwald Burg Rothenfels. Einmal mehr bewahrheitet sich die Erkenntnis, daß von der Ferne betrachtet Burgen imposanter wirken. Pandemiegetrieben ist zudem der ganze Bereich, dem unter anderem auch eine Jugendherberge und Erwachsenenbildungsstätte angehören, heruntergefahren. Über die Treppenanlage geht es abwärts zur kleinsten Stadt Bayerns, Rothenfels, die gerade einmal 1.013 Seelen beheimatet. Den Main flußabwärts begleitend, geht es durch das langestreckte Hafenlohr, um im weiteren Verlauf den Mainauen bis nach Marktheidenfeld zu folgen.

Via Kreuzweg geht es abwärts nach Neustadt
Im Spessart ist der Tisch noch reich gedeckt
Vorbei am Kloster Neustadt
Bei dünner Eis- und Schneedecke läuft es sich so dynamisch nicht wirklich
Hinauf zur Burg Rothenberg
Blick auf die Torhäuser und Zehntscheune der Burganlage
Kommunen machen es sich sehr einfach: Ein Schild genügt: “Bei Eis und Schnee wird nicht gestreut – Betreten verboten”
Blick von der Burg auf die kleinste bayrische Stadt
Regionaltypisches
Regionaltypisches II
Endstation Marktheidenfeld

Zweifelsohne, abseits des Mainstreams lassen sich auf diesen 42 Kilometern entlang des Mainspessarts Kleinode entdecken. Mit lockeren 630 Höhenmetern beansprucht diese Passage dabei nicht über Gebühr. Zeit für eine Zwischenbilanz nach der zehnten Mainwanderwegsrunde: Die Mainbrücke in Lohr firmiert unter der Kilometermarke 197,5 gerechnet ab Mainkilometer “0” bei Mainz. 423 Kilometer und 3.890 Höhenmeter in zehn Touren bis dato. Obschon sich durch die coronabedingten Rundtouren die Mainstrecke verdoppelt, ein Vorteil hat die situationsbedingte Tourenplanung: man taucht vielschichtiger und intensiver in die flußnahe Landschaft ein.

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