Frankfurt, den 05. Februar 2017 –
Sonntag 6.45 Uhr: Status ausgestorben. Dort wo werktags unweit der Hauptwache der Verkehr brodelt, dort wo sich in der angrenzenden Zeil stündlich 14.250 Passanten (Platz 3 im Bundesgebiet) durchschieben und dort wo 60.000 Banker in den Finanztürmen täglich Millionenbeträge jonglieren herrscht eine ungewohnte wohltuende Stille. Die Katharinenkirche an der Hauptwache noch verschlossen, der Platz an der Hauptwache selbst noch verwaist. So führt der Lutherweg durch die Frankfurter Zeil. Sicherlich auch ein Alleinstellungsmerkmal, dass ein Pilgerweg mitten durch eines der belebtesten Konsumtempelareale unseres Landes führt. Der Name Zeil stammte übrigens aus dem 14. Jahrhundert, als zwischen zwei romanischen Stadttoren eine einseitige Häuserzeile (Zeil) errichtet wurde. Die Häuser sind längst Vergangenheit, der Name besteht nach wie vor.
Der Markierung des Lutherweges folgend ist zwischen Nord-und Ostend via Friedberger Anlage rasch der Bethmannpark erreicht. Nach wenigen Minuten steht man vor der Martin-Luther-Kirche, ein markantes Sakralgebäude, welches aus einem neogotischen Turm eingerahmt von zwei Glaskörpern besteht. Der Martin-Luther-Straße folgend ist rasch die moderne Wartburgkirche erreicht. Der schlanke Kirchenturm ist gleichzeitig auch als Bienenturm deklariert, da im unteren Turmdrittel Bienenstöcke unterhalten werden.
In östlicher Richtung geht es hinein in den Frankfurter Stadtteil Bornheim, dort wo die Silhouette eines Zwiebelturmes den Standort der barocken Johanniskirche preisgibt. Von Bornheim führt der Pilgerpfad zur vierten Kirche, in den Stadtteil Seckbach, die, obschon Sonntag, ebenso wie die anderen drei verschlossen ist, zumindest im Regelfall bis 10 Uhr, wie im Pilgerführer nachzulesen ist.
Während ein spätstartender Pilgerer die Gelegenheit wahrnehmen kann zu vorgerückter Vormittagsstunde in eine Kirche einzukehren, nutzt ein frühstartender Wanderer alternativ die Gelegenheit einen herrlichen Sonnenaufgang auf dem höchsten Berg Frankfurts, dem Lohrberg, zu genießen. Der Lohrberg – Weinberg, Äbbelwoi-Hotspot und Panoramahügel. Sightseeing mit einem New Yorker Central Park-feeling. Allemal ist dieses Areal ein beliebtes Naherholungsgebiet im Frankfurter Umfeld mit herrlichen Aussichten, ob im Sommer, an Silvester oder an einem klaren Februartag.
Weiter geht es in nördlicher Richtung. So schnell man aus Frankfurt heraus kommt, so schnell ist man im angrenzenden Bad Vilbel. Vorbei an den Siedlungen Sudetenland und Heilsberg touchiert man westlich die an der Nidda gelegenen Bäderstadt, um den Niddaauen folgend sich wieder auf Luthers Originalpfad zu begeben. Dem Flußverlauf folgend wird Massenheim gequert, um nach drei weiteren Kilometern Frankfurts nördlichsten Ortsteil, Nieder-Erlenbach, zu erreichen. Von Großstadtflair keine Spur mehr. Hier überwiegt der Stallgeruch des Wetterauer Landadels. Die Kirche ist im dörflichen Umfeld zur angemessenen Gottesdienstzeit selbstverständlich geöffnet. Hier treffen übrigens auch drei Themenwege zusammen: der Waldenserpfad, der Bonifatiusweg (Mainz-Fulda) und der Lutherweg 1521.
Hinter Nieder-Erlenbach entfaltet sich die Kornkammer des Rheinmaingebietes, die Wetterau. Weitreichende Blicke über die flache Agrarlandschaft auf der einen Seite, bis hin zu den städtebaulichen Schmelztiegeln des Vorderen Taunus, von Bad-Homburg weiterführend nach Mainz-Wiesbaden auf der anderen Seite, bieten Wandergenuß pur. Einziges Manko: weit und breit sind keine Steigungen in Sicht. So geht es über Feld und Flur nach Petterweil, dort wo man in der Ortsmitte an der Martinskirche erstmals auf eine Lutherweg-Informationstafel stößt. Eine Besichtigung der sehenswerten Kirche ist leider nur nach Voranmeldung möglich. Allemal eine Empfehlung wert, ist die Einkehr im nebenan befindlichen Ristorante La Rosa. Dem hungrigen Pilgerer seien die Penne mit einer außergewöhnlichen Cognac-Sahne-Sauce sehr zu empfehlen. Luther hätte sicherlich auch seine Freude daran gehabt. Nach der Stärkung führt eine schöne Passage zunächst hinauf in einen Waldabschnitt am Altenberg.
Sicherlich kann man an einen historischen Pilgerweg nicht den Anspruch eines Qualitätswanderweges erheben, jedoch wäre eine wanderfreundlichere Variante Richtung Friedberg durchaus wünschenswert. Die Passage nach bzw. durch Nieder-Wöllstadt via Okarben lässt keinen Raum für Besinnlichkeit, die ein Pilgerpfad üblicherweise mit sich bringt. Fernab der morgendlichen Sonntagsstille im Frankfurter Zentrum tobt hier der Verkehr auf der unmittelbar am Pilgerpfad gelegenen Bundesstraße. Erst hinter Ober-Wöllstadt reduziert sich der Lärmeintrag, jedoch auch die Passage in das Friedberger Zentrum lässt keine rechte Freude aufkommen. Der ehemalige amerikanische Kasernenkomplex riegelt die Stadtmitte nach Süden hin ab. So geht es durch einen langen Bypass über das Friedberger Industriegebiet hinein in die mittelhessische Kreisstadt. Vor 500 Jahre war es sicherlich angenehmer die ehemalige freie Reichs- und Messestadt zu Fuß zu erreichen.
Die erste Pilgerstätte der postmodernen Generation die man in Friedberg erreicht, ist an einem Kreisel gelegen und erinnert an Elvis Presley der hier von 1958 bis 1960 als Soldat seinen Militärdienst ableistete. Nach insgesamt 43 Kilometern ist die mächtige Stadtkirche „Unserer lieben Frau“ erreicht. Der Innenraum der gotischen Kirche besticht durch seine mächtigen Pfeiler und erinnert durchaus auch an die insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern vorzufindende Backsteingotik.
Auch wenn man hinsichtlich der Wandertextur im letzten Abschnitt dieser Passage Abstriche machen muss, kulturhistorisch betrachtet ist der zu spannende Bogen von Frankfurt hinein in die Wetterau zweifelsohne spannend. Die Wegekennzeichnung ist durchgängig vorbildlich. Von Friedberg aus eröffnen sich zwei Optionen, eine Ost- und eine Westroute. Auf dem Weg in das 217 Kilometer entfernte Eisenach steht als nächste Passage die Ostroute in das 55 Kilometer entfernte und im Vogelsbergkreis gelegene Mücke an. Bei wohlgefälligen Strecken und kulturhistorisch interessanten Ortschaften wie Hungen und Grünberg ist mit einer interessanten Tour zu rechnen.
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