Limes extrem

Saalburg, den 05. Februar 2022 – Limes extrem – und das in mehrfacher Hinsicht. Dort wo der höchste Punkt des römischen Grenzwalls liegt, dort wo eine vom Borkenkäfer traktierte bizarre Landschaft entstanden ist, dort wo oberhalb von 700 Metern eine vereiste Schneedecke winterolympisches Feeling aufkommen lässt, dort wo ein eisiger Nordwestwind die gefühlte Temperatur deutlich unter den Nullgradkorridor drückt und dort wo eingeschlämmte Pfade Mensch und Material herausfordern. Dort ist man genau richtig, wenn man fernab der häuslichen Komfortzone ein ambitioniertes Wanderabenteuer erleben möchte.

Gestartet wird am Bahnhof Saalburg/Lochmühle. Ein geeigneter Startpunkt, denn zum Aufwärmen geht es steil aufwärts zur knapp drei Kilometer entfernten Saalburg, einem nachgebauten Tor zur römischen Antike, über die bereits im letzten Blogbeitrag berichtet wurde. Auf den ersten elf Kilometern gibt es nur eine Losung: tendenziell aufwärts mit Zielrichtung Großer Feldberg, immer dem Verlauf des Limes folgend. Hinter der 600 Meter hoch gelegenen Richtfunkstation Roßkopf offenbart sich ein Desaster. Der Taunus ist waldwund. Trockenheit und Borkenkäfer haben den Limes nach Jahrhunderten erneut waldfrei gelegt. Der hier verlaufende Taunuskamm ist in diesem Areal regelrecht freigelegt.

Wandervielfalt im Taunus
Frühstarter werden nicht belohnt – vor 09:00 sind die Tore der Saalburg noch verriegelt
Ungewohnte Anblicke am frühen Morgen: die Sonne lässt sich nach längerer Abstinenz mal wieder blicken
Trotz Kahlschlag, die Forstarbeiter gehen durchaus achtsam mit der Wegekennzeichnung um
….einzig auf der Makroebene scheint die Welt noch in Ordnung zu sein
Strukturell bahnen sich neue Wegeführungen
Richtfunkstation Roßkopf. Einst war hier der Limesturm WP 3/60 stationiert, wo sich die Römer noch mit Lichtzeichen verständigen mussten.
Ein Tropfen auf dem heißen Stein: der verzweifelte Versuch einer Wiederaufforstung
Endzeitstimmung am Taunuskamm
Blick hinüber zum Altkaiser, dort wo ebenso lichte Hänge dominieren
Scheinbar gibt es hier keine intakten Hänge mehr
Einzig die Streckenkennzeichnung ist noch halbwegs intakt
Die Hoffnung stirbt zuletzt: Kettensägenkunst in der Apokalypse
Wer Wind sät wird Sturm ernten. Wiederaufforstung? Windkraft? Oder sollte man die Fläche sich selbst überlassen? Fragen die brisanter sind denn je.

Rund um das Kleinkastell Heidenstock bietet sich ein Bild des Grauens. Der Wald ist zerstört. Gen Norden und gen Süden legen sich bislang nicht für möglich gehaltene Blickachsen frei. Wandert man durch diese Apokalypse fragt man sich zwangsläufig: “Wie hat die Gegend hier vor 2.000 Jahren ausgesehen und wie wird sie im Jahre 4022 aussehen? Nach zehn Kilometern ist der Knotenpunkt Sandplacken erreicht – eine Passhöhe zwischen Oberursel und Schmitten. Wer hier zur Mittagsstunde anrückt kann hier in einem der beiden ansässigen Lokale einkehren. Ansonsten geht es aufwärts, um am ehemaligen Wachtposten 3/49 den höchstgelegenen steinernen Wachturm des Obergermanisch-Rätischen Limes zu erreichen.

Das ehemalige römische Kleinkastell Heidenstock, welches üblicherweise mit 20 Soldaten besetzt war
Sichtachsen die es nicht geben dürfte: Unweit des Kleinkastells blickt man nunmehr (bei 14 Uhr) auf die Europäische Zentralbank)….
…..und nördlich ist der Blick in das Weiltal freigelegt
Eine nicht alltägliche Geste der Freundschaft
Oberhalb von 700 Metern absorbieren Wolken das Sonnenlicht
Einst stand hier der römische Steinturm Wp 3/50. Heute steht an dieser Stelle ein Ehrenmal des Taunusclubs
Entweder ist der Höhenmesser nicht kalibriert oder das GPS-Signal tanzt hangbedingt aus der Reihe. Offiziell liegt der höchste Limespunkt bei 798 Höhenmetern.
Man ist gut beraten einige Downhillstrecken die vom Feldberg abwärts führen nicht zu gehen..
….jedoch auch konventionelle Wege waren teilweise komplett vereist

Vom höchsten Limespunkt geht es zunächst moderat abwärts zum höchstgelegen Limes-Kastell, dem Kastell Kleiner Feldberg. Noch heute gehört die Kastellruine zu den besterhaltenen Bauten am Limes. Hinter dem ehemaligen Kastell erreicht man nach einigen hundert Metern den nächsten Kreuzungspunkt, das Rote Kreuz. Auch hier könnte man, wenn man Spätstarter ist, zu einer Tasse Kaffee einkehren. Ansonsten geht es von hier aus steil abwärts, dem Waldglasweg folgend hinab nach Glashütten um entlang der Kreisgrenze Hochtaunuskreis/Rheingau-Taunus-Kreis den Spuren des ehemaligen römischen Grenzverlaufs zu folgen.

Bekannt sind forstwirtschaftliche Codes wie grüne oder weiße Punkte für Zukunftsbäume und rote Markierungen für Bedränger, die gefällt werden müssen. Dieser Kodex am gefällten Stamm ist jedoch eine Wissenschaft für sich
Clever waren sie schon die Römer. Da es in den unwirtschaftlichen Höhen des Taunus keine Wasserversorgung gab errichtete man das Kastell Kleiner Feldberg direkt an der Weilquelle
688 Meter ü. NN. – Das Rote Kreuz – eine Passhöhe die bereits seit Urzeiten genutzt wurde
Vom Roten Kreuz folgt man zunächst dem Schinderhannessteig, eine sehr zu empfehlende 38 Kilometer lange Taunuspassage.
Auf einer Länge von 1,5 Kilometern kann man sich auf dem Waldglasweg über die spätmittelalterliche Glasproduktion bei Glashütten informieren

Wandert man abwärts nach Glashütten so kann man mit etwas Phantasie schon den Hunsrück lokalisieren, der sich am Horizont auf der anderen Rheinseite abzeichnet. Nach der eisbedingten Rutschpartie am Feldberg steht die nächste Herausforderung an. Die Niederschläge der letzten Wochen haben den Limesweg in eine regelrechten Morastweg verwandelt. So führt die folgende eislose Rutschpartie zur Hasenmühle Schloßborn, anschließend rund um das Heftricher Moor, um vorbei am ehemaligen Alteburger Markt in die Umlaufbahn von Idstein einzuschwenken.

Ein Pfützenkunstwerk
Blick hinüber gen Hunsrück
Und hinter dem Rücken schält sich der Große Feldberg hinter Glashütten aus dem Wolkennest heraus
Es ist immer wieder ein Erlebnis dem Limes zu folgen
Über Abwechslung auf der Strecke braucht man sich nicht zu beklagen
Fast schon Allgäufeeling….
..und nebenan ein Hauch von New England
Akkurat und dicht an dicht gesetzt – die ehemaligen römischen Wachtürme
Hier stand einst das Numeruskastell Alteburg
Auch heute noch lebt das römische Erbe vor den Toren Idsteins

Statt direkt den Weg zum Bahnhof einzuschlagen, sollte man der Innenstadt von Idstein einen Besuch abstatten – es lohnt sich. Neben dem Residenzschloss prägen die Burg nebst Hexenturm und eine Vielzahl schmucker Fachwerkhäuser das Erscheinungsbild der Stadt, deren heutiges Gebiet zu römischen Zeiten auf germanischem Gelände lag.

Der Hoerhof – eines der prächtigsten Anwesen von Idstein – einst als Anwesen des Schlossbaumeister errichtet, später als Forsthaus umgewidmet und heute als Hotel und Restaurant genutzt
Blick auf die gute Stube von Idstein
Während der linke ICE von Frankfurt nach Amsterdam in 4:01 Stunden düst und der rechte TGV in 3:45 Stunden nach Paris Est sprintet, rumpelt man mit zweimaligen Umsteigen in 1:45 Stunden von Idstein via Frankfurt und Bad Homburg zurück zum Bahnhof Saalburg

Man könnte es mit der Empfehlung von Sun Congbin, seines Zeichens Frankfurter Generalkonsul der Volksrepublik China halten , der 24 Stunden zuvor in einem Gastbeitrag der FAZ mit der Anmerkung “Öffnen wir eine Flasche Bier und machen es uns auf dem Sofa bequem und genießen wir ein Skirennen oder Eisstockschießen” für die Olympischen Spiele in Peking geworben hatte. Oder man verlässt die heimische Komfortzone und taucht ein in die streckentechnisch vielleicht anspruchsvollste Limespassage über eine Gesamtlänge von 39 Kilometern garniert mit 1.000 Höhenmetern im Anstieg und 1.100 Höhenmetern im Abstieg.

Bleibt noch eine Frage offen: Wer putzt diese Schlappen…..?

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