Riedstadt, den 09. Februar 2019 –
Alarmstufe Rot! Zwei Drittel der Auen sind in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert verlorengegangen. Am Oberrhein sogar 90 Prozent. Nur ein Prozent ist hier naturnah und dass ist weitgehend das Areal Kühkopf/Knoblochsaue, Einstiegspunkt der letzten Passage des Rheinauenweges, der je nach Vorliebe von Karlsruhe nach Mainz – oder umgekehrt- führt. Anzumerken sei jedoch daß es bei Flußwanderungen grundsätzlich von Vorteil ist, mit der Sonne im Rücken zu wandern, da in diesem Falle die Lichtverhältnisse am Besten sind und man nicht permanenten Lichtreflektionen ausgesetzt ist.
Gestartet wird am Bahnhof Riedstadt Goddelau. Gäbe es eine Auszeichnung für Deutschlands versifftesten Bahnhof, Goddelau hätte gute Chancen in die engere Auswahl zu kommen. So geht es zunächst hinüber in das benachbarte Erfelden um entlang des Altrheins zwischen Kühkopf und der Knoblochsaue einzutauchen in die wunderbare Welt der Rheinauen.
Der auentypische durch zeitweise Überflutung gekennzeichnete Lebensraum geizt nicht mit Superlativen. Mit 2.400 Hektar das größte Naturschutzgebiet Hessens, eines der größten Aueschutzgebiete Deutschlands, Europareservat und Heimat von 700 unterschiedlichen Pflanzenarten, 400 Großschmetterlings-, 47 Libellen- und mehr als 40 Fischarten. Dazwischen urwaldanmutende Gebiete durchsetzt von Ulmen, Eschen, knorrigen Kopfweiden und Eichen.
Jahreszeitenbedingt übt die skelettierte Landschaft ihren besonderen Reiz aus. Strukturell empfiehlt es sich eher am Verlauf des Flusses als am gekennzeichneten Hochwasserdammweg zu orientieren. Belohnt wird man mit gut gangbaren Pfaden im naturbelassenen Bereich. Dort wo in den Knoblochsauen der Altrheinbogen in den Rhein mündet ist eine markante Stelle, die Schwedensäule erreicht. Man schrieb den 7. Dezember 1631 als der Schwedenkönig Gustav II. Adolf an dieser Stelle den 200 Meter breiten Rhein mit Hilfe von Scheunentoren überquerte und die Spanier in die Flucht schlug. Militätstrategisch gesehen eines der herausragendsten Leistungen des dreißigjährigen Krieges.
Wanderstrategisch geht es weiter auf sehr angenehm zu gehenden Pfaden. Der Flusslauf des Rheins, der über weite Strecken kanalisiert wurde ist oftmals mit Blocksteinschüttungen gesichert. Die Folge: natürliche Uferstrukturen gingen verloren. Jedoch konnte zwischen Rheinkilometer 474 und 475 ein naturbelassener Strandabschnitt erhalten werden, angereichert mit Muscheln, Treibholz und rheinstrandtypische Kleinstlebewesen. Die hier vorzufindenden Körbchenmuscheln gelangten vermutlich über das Ballastwasser großer Tanker in den Rhein.
Am nahegelegenen Pumpwerk Kammerhof kann man Deichschutz aus Binnensicht studieren. Schützen Deiche einerseits vor den Hochwasserfluten des mächtigen Flusses, so kanalisieren die hier in der Gegend eingebrachten Pumpwerke die Wassermassen die von dem östlich gelegen Odenwald im Falle eines Grundwasseranstieges einströmen. In den 30er Jahren wurde in diesem Gebiet ein 360 Kilometer langes Grabensystem geschaffen um mit Pumpwerkunterstützung die Wassermassen beherrschbar zu machen. Dabei erforderte das Grabensystem eine hochpräzise Planung und Bauausführung, da das Gelände nur ein minimales Gefälle aufweist. Auf 14 Kilometer Entfernung beträgt das Gefälle lediglich 40 Zentimeter, was unglaubliche 0,003 Promille entspricht.
Weiter führt der Trail durch die Stromtalwiesen, dort wo eine Reihe von stationären Satellitenschüsseln das Eingangsportal flankieren. Hier betreibt die Bundesnetzagentur die Funkmessstelle mit dem Code DLZ 16, die für die Überwachung des Weltraumsfunks verantwortlich zeichnet, während nebenan altes Gehölz in den Rheinauen vor sich hin modert.
Vorbei am gegenüberliegenden Oppenheim ist bald Kornsand erreicht, von wo aus man auf das linksrheinische Ufer übersetzen könnte. In Kornsand kann man an einer Imbißstation an der Nähe der Fähre zu einem zweiten Frühstück einkehren. Wenige hundert Meter zuvor passiert man dabei den Zeppelinstein. Hinter den dürren Worten auf der dort angebrachten Gedenktafel verbirgt sich eine interessante Geschichte. Man schrieb den 4. August 1908 als Graf Zeppelin mit dem Zeppelin LZ 4 zu seiner ersten Dauerfahrt von Friedrichshafen nach Echterdingen über Mainz aufgebrach. Jedoch – kurz vor Mainz bekam das Luftschiff wegen eines Motorendefekts nicht mehr genügend Auftrieb. Um 17:24 Uhr musste der Graf daher auf dem Kornsand notlanden. Mit Hilfe der örtlichen Bauern, die ihre Arbeit auf den Feldern liegen ließen um die Mannschaft bei der Notlandung zu unterstützen, wurde das Fahrzeug um Material und Passagiere erleichtert. Mit 1.270 Kilogramm weniger wurde die Fahrt fünf später fortgesetzt. Nach der Umrundung von Mainz flog der Zeppelin weiter nach Echterdingen. Dort riss er in der Nacht während eines Gewittersturms aus seiner Verankerung, trieb ab und verfing sich schließlich in einem Obstbaum, wo er in Flammen aufging. Soweit die Heldengeschichte der ersten Zeppelinüberfahrt.
Die nächsten Kilometer folgt man den gut ausgebauten Dammwegen die perfekt zu wandern sind, dank gut verpressten Schotterböden. Zweiradfreunde haben zudem die Möglichkeit auf den parallel führenden gut ausgebauten Radwegen die Region auf ihre Weise zu erschließen. Bis auf die Höhe von Trebur gesellt sich der sehr zu empfehlende Lutherweg, der von Worms bis nach Eisennach führt, hinzu.
In der Umlaufbahn von Ginsheim-Gustavsburg passiert man einen historischen Bagger am Ginsheimer Altrheinufer und den Nachbau einer historischen Schiffsmühle, wie sie bereits seit dem Mittelalter am Rhein im Einsatz war. Nach einer kurzen Verschwenkung durch das Ginsheimer Industriegebiet geht es via Eisenbahnbrücke über den Rhein. Rechter Hand blickt man dabei auf die Mainspitze, dort wo der Main in den Rhein entwässert. Den gegenüberliegenden Mainzer Dom vor Augen geht es zielgerichtet zum römischen Amphitheater der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, um exakt einen Kilometer unterhalb der offiziellen Marathondistanz bleibend den heiligen Biertempel der Stadt, den Eisgrubbräu, zu erreichen.
Unter Verschluß
Dort kann man in den ehemaligen Eiskellern vortrefflich die gesamte Rheinauenpassage nochmals Revue passieren lassen. In toto 207 Rheinauenkilometer mit immerhin 504 Höhenmetern. Die Rheinauen – ein vielschichtiges Spektrum, von flussnahen Industrieansiedelungen, Kraftwerke, spektakuläre Altrheinareale und vielen kulturellen Erinnerungsposten aber auch weiteren Anknüpfungspunkten für vertiefende Exkursionen, sei es in Baden-Württemberg, in Hesssen oder Rheinland-Pfalz, an die man zur gegebenen Zeit andocken kann.
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