Bietigheim-Bissingen, den 16. August 2020 Wandern im 3B-Land – eine Exkursion behaftet mit zahlreichen Unbekannten. Das 3B-Land, auf einer physischen Karte nicht zu lokalisieren, ist seit einiger Zeit unter dem werblichen Schutzschirm des Kraichgaus als Wanderdestination auszumachen. Der Kraichgau selbst, eingemantelt zwischen Odenwald und Schwarzwald, ist eine bemerkenswerte Wanderregion und firmiert bei Eingeweihten unter dem Begriff “Badische Toskana“. Scheinbar über die Hintertüre hat man seit geraumer Zeit das “Land der 1.000 Hügel“, wie der Kraichgau zudem auch genannt wird, um die touristische Zweckgemeinschaft Bietigheim-Bissingen, Bönigheim und Besigheim erweitert. Grund genug, der Sache auf den Grund zu gehen.
Im Rahmen der Vorplanung wurden zwei Tourenangebote des 3b-Tourismusverbandes, die 25-Kilometer lange Besentour, sowie die 15 Kilometer lange Enztaltour zu einer gepflegten Tageswanderung verknüpft.
Gestartet wird in Löchgau, einem gepflegten Weiler im Landkreis Ludwigsburg. Regionaltypisch prägen Fachwerkbauten und die Weinkultur das Ortsbild der 5.000 Seelen zählenden Gemeinde. Zunächst geht es in nördlicher Richtung, die benachbarte Ortschaft Erligheim am Rande streifend, hinein in die weitläufige Agrarlandschaft. Zwischen Erligheim und Freudental breitet sich das 45 Hektar große Weinanbaugebiet, die Erligheimer Reblagen aus. Überwiegend wird hier Rotwein angebaut, angereichert mit großen Apfel-Spindelanlagen, wie man sie beispielsweise aus Südtirol kennt. Gesegnet ist die Region mit Sonnenschein, üppig tragen die Apfelbäume – zumindest apfelertragstechnisch scheint 2020 ein sehr gutes Jahr zu werden. Vor dem kleinen Waldabschnitt, der der Weinlage Richtung Freudental folgt, entfaltet sich ein neun Hektar großes Kirschgartenareal, eine weitere Säule der landwirtschaftlichen Kultivierung dieser Region.
Verheißungsvoll der Auftakt in der weitläufigen Agrarlandschaft. Auch wenn das Land der 1.000 Hügel nur von der Ferne aus sichtbar ist, so begeistern die Fernsichten in diesem Abschnitt der Wanderung. Hinab geht es nach Freudental, dort wo ein Schloß nebst Schloßpark angesiedelt ist. Jedoch das Areal ist hermetisch abgeriegelt, “Betreten-für-Unbefugte-verboten-Schilder die an der unattraktiven Hofseite angebracht sind, signalisieren, daß man hier nicht erwünscht ist. Kein Wunder – für 32 Millionen wird das Areal in eine Privatklinik umgebaut. So gibt es keinen Grund sich länger in Freudental aufzuhalten. Seltsam mutet es zudem an, daß ein Sylter Gastronom in unattraktiver Lage am Ortsrand eine Fischbude mit Austern und Krabben betreibt – Freudental ein rätselhafter Weiler. Den Kleinen Kuhweg folgend geht es durch einen Waldabschnitt hinab nach Metterzimmern. Der Anblick des städtebaulichen Ballungsraumes rund um Bietigheim-Bissingen und der Vorhof der Industriezonen bei Großsachsenheim erdrückt – die Wegeführung an dieser Stelle ist nicht wirklich attraktiv. Die Metter querend geht es weiter in südlicher Richtung auf den Panoramaweg oberhalb eines Schotterwerkes Richtung Egartenhof.
Egartenhof – einst residierten die Herren von Sachsenheim auf der gleichnamigen Burg – heute ist die Ruine Altsachsenheim als einfacher Felsquader eine Landmarke zur Orientierung. Der als Enztaltour deklarierte Wanderweg folgt dem bestehenden Radweg hinauf auf dem Sonnenberg, wobei der als markant definierte Aussichtspunkt “Enzblick” eine unspektakuläre Sichtachse in westlicher Richtung freigibt. Die Wegebeschreibung ist eindeutig zu dick aufgetragen. Aussagen wie “die Höhen beim Schellenhof bieten Aussichtserlebnisse vom Feinsten” mögen aus der Feder eines Schreibtischtäters stammen, aber nicht von einem ausgewiesenen Wanderexperten.
Am Schellenhof, einem beliebten Ausflugslokal, ist der Wendepunkt und Streckenhalbzeit erreicht. Von nun an prägt Asphalt den weiteren Streckenverlauf. Mit Blick auf die gegenüberliegende Ruine Altsachsenheim umrundet man die Kallmaten um nach Bissingen einzuschwenken. Bissingen ist ein unspektakulärer Stadtteil der Großkreisstadt Bietigheim-Bissingen, der nicht wirklich zum Verbleiben einlädt. Interessant ist der gewaltige Backsteinbau der ehemaligen Rommelmühle am gleichnamigen Wehr, einst die größte Getreidemühle Württembergs. Der Radwanderweg folgt dem Verlauf der Enz, dort wo an Sommertagen wie diesem ein erhöhtes Verkehrsaufkommen durch Stand-Up-Paddler, Ruder- und Kanuboote zu verzeichnen ist. Interessant wird es an der 20 Meter hohen Wobach-Felswand, die durch die Erosionskraft der Enz freigelegt wurde. Ein informativer Geologiepfad veranschaulicht die Schichtstufenlandschaft. Zweckmäßig eingebettet ist in die Felswandlandschaft ein Paulaner Biergarten unweit des markanten Viadukts, welches sich mit zwei Bogenreihen als Wahrzeichen der Großen Kreisstadt etabliert hat.
Zweifelsohne – Bietigheim ist der kulturelle Höhepunkt dieser Wanderung. Die sehenswerte Altstadt begeistert, aufwändig restaurierte Fachwerkhäuser prägen das Bild der Ortsmitte. Schön gestaltete Gartenanlagen wie beispielsweise der Japangarten an der Metter bereichern dabeu das innerstädtische Gesamtbild in besonderer Art und Weise. Kunst wird hier augenscheinlich groß geschrieben. Zahlreiche, wenn auch durchaus eigenwillig gestaltete Objekte, wie beispielsweise der Turm der grauen Pferde oder die Villa Visconti bieten einen interessanten Kontrast zu denn historischen Gebäuden, wie das Rathaus oder das Bietigheimer Schloß. Zweifelsohne – Bietigheim ist es Wert entdeckt zu werden. Ein weitreichendes kulinarisches Angebot ermöglicht es zudem schwäbische Kost mit den facettenreichen württembergischen Rebgewächsen zu entdecken.
Der Rückweg – nicht wirklich spannend. Offfensichtlich hat man in Baden-Württemberg sämtliche Wirtschaftswege breitflächig asphaltiert. Der rückwärtige “Panoramablick” auf das Siedlungskonglomerat der Region ist nicht wirklich erquicklich. So geht es via Waldhof und Weißenhof zurück um nach exakt 40 Kilometern und 560 Höhenmetern den Startort Löchgau wieder zu erreichen.
Wandern im 3B-Land hinterläßt viele Fragezeichen. Schwerverdaulich die sperrige Bezeichnung, die sich Marketingstrategen für dieses kulturreichen Landstrich haben einfallen lassen. Zumindest in diesem Abschnitt überzeugt die Qualität der Wanderwege nicht wirklich. Die Streckenführung ist teilweise unausgegoren, nicht immer ausreichend beschildert und eindeutig zu asphaltlastig. Zudem fehlen beispielsweise entlang der in dieser Wanderung integrierten 25 Kilometer langen Besen-Tour explizite Hinweise auf die entlang der Strecke liegenden Besenwirtschaften. Für Radfahrer noch akzeptabel und gestaltbar, für ortsfremde Wanderer nicht zweckmäßig. Während der benachbarte Kraichgau als 1a-Wanderregion qualitativ mehr zu bieten hat, bleibt hier nur eine 3B-Qualität. Nomen est omen. Jedoch sollte man der Region eine zweite Chance geben. So kann man durchaus versucht sein die nördlich Achse Löchgau-Bönnigheim-Besigheim unter Einbeziehung des Neckars zu erschließen – irgendwann zu gegebener Zeit und gebührendem Abstand.
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