Schlüchtern – Breitenbach, den 2. September 2017
Bergwinkel? Bergwinkel! Dort wo Spessart, Rhön und Vogelsberg aufeinandertreffen, bildet sich ein Schnittpunkt der in den dortigen osthessischen Gefilden als Bergwinkel bezeichnet wird. Hier am östlichen Ende des Kinzigtals, wo sich das Schlüchtener Becken befindet, kennzeichnet eine sanfthügelige Mittelgebirsglandschaft die Tallandschaft. So kam die in der Region lebende Tanja Ullrich, die bereits persönliche Erfahrungen bei anderen 24-Stunden-Wanderungen gesammelt hatte, auf den Gedanken: „Man könnte doch einmal……“. Der ansässige Bürgermeister konnte rasch von der Idee überzeugt werden, so dass unter dem Mantel der Stadt Schlüchtern, die als Veranstalter auftrat, und der Interessensgemeinschaft Wallroth als Ausrichter erstmals eine 24-Stunden-Wanderung angeboten werden.
Mitorganisator Sven Ullrich begrüßte pünktlich um 8.15 Uhr 86 Teilnehmer, überwiegend aus der Region kommend, die sich der Herausforderung stellten, die eigene Region in 24 Stunden zu Fuß zu entdecken. Sichtlich politisch geprägt war auch die Entscheidung die fünf Jubiläumsdörfer, Breitenbach, Gundhelm, Wallroth, Hohenzell und Kressenbach, die just in diesem Jahr 850 Jahre alt geworden sind in die Tour einzubetten –eine durchaus folgenreiche Entscheidung.
„Die Landschaft erobert man mit den Schuhsohlen, und nicht mit den Autoreifen“. Mit diesem vortrefflichen Zitat schickte der amtierende Bürgermeister Möller die Wanderfreaks auf die Piste. Die Voraussetzungen hierzu waren optimal. Die Sommerhitze der vergangenen Woche war just zum sogenannten meteologischen Herbststart (den es nicht wirklich gibt) beendet und angenehme Temperaturen bis zu 18 Grad in der Spitze, unterlegt mit einem lebendigen Sonne/Wolkenspiel begünstigten die Voraussetzungen für eine erfolgreiche 24-Stunden-Tour. Prädikat „Spitzenklasse“ auch die Organisation und Verpflegung der Veranstaltung. Bereits zwei Stunden vor dem Start hatten die Teilnehmer Gelegenheit sich mit einem opulenten Frühstück zu stärken.
Auch nach Eingangspräsentation von Sven Ullrich („Erst geht es nach Elm wo Obst und Riegel aufgenommen werden können, dann wartet eine leckere Gemüsesuppe mit Wurst in Gundhelm, anschließend steht Kaffee und Kuchen in Hohenzell bereit und zur Verdauung empfiehlt sich ein Schnaps an der Acis-Quelle, bevor Pasta in Breitenbach für die notwendigen Körner sorgt um die Nachtrunde zu überstehen, die natürlich auch noch mit drei Verpflegungsstationen bestückt ist“) kam man ins Grübeln ob es sich hier nicht um eine kulinarische Expedition mit angeschlossener Wanderung handelt. Die Gefahr mehr Körner aufzunehmen, als auf der Strecke zu lassen, war durchaus vorhanden.
Gut eingestimmt und vorbereitet ging es pünktlich um 08.30 Uhr zunächst ostwärts Richtung Elm. Zu Anbeginn konnte man die wohlgefällige Landschaft des Schlüchtener Beckens aufnehmen. Bewaldet die Gegend in den Ausläufern der Mittelgebirge, reich an Agrarfläche und zwischendrin die Kinzig, die sich durch das Tal schlängelt. Ein Manko jedoch zum Start – die Wege der ersten 20 Kilometer waren zu 90 Prozent geprägt aus dem Bindemittel Bitumen und Gesteinskörnung, besser bekannt unter dem Begriff “Asphalt”. Hier zahlte man den Preis für das Bestreben, alle Jubiläumsgemeinden in der Region einzubinden. Kulturhistorisch durchaus nachvollziehbar, jedoch am langen Ende nicht zweckdienlich für eine 24-Stunden-Wanderveranstaltung, da man auch erfahrungsgemäß einzukalkulieren hat, dass in der Nachtstrecke der Asphaltanteil durchaus hoch sein kann, was aus Sicherheitsgründen durchaus legitim ist.
Nach sechs Kilometern war die erste von insgesamt neun Kontroll- und Verpflegungsstationen erreicht. Kontrolle als Sicherheitsaspekt bei einer 24-Stunden Wanderung, ein bemerkenswerter und löblicher Ansatz wie er auch bei den jährlichen 24-Stunden-Wanderung in Bernkastel-Kues praktiziert wird. Die Wanderer melden sich bei der jeweiligen Kontrollstation. Dort wird die Ankunftsszeit registriert. Im Falle eines Ausstieges meldet man sich ab. Damit ist sichergestellt, dass der Veranstalter einen Überblick hat, wer wo auf der Piste unterwegs ist, was insbesondere für die Nachtstrecke, aber auch für die Disposition der weiteren Kontrollstationen durchaus eine Rolle spielt – letztendlich ideal für nicht geführte 24-Stunden-Wanderungen.
Von Elm führte der Weg Richtung Schloß Brandenstein und von dort aus weiter über Streuobstwiesen und kurzen Waldabschnitten zur Mittagsstation nach Gundhelm. Bemerkenswert die Qualität der Verpflegung bis hin zu hochwertigen Softgetränken an den einzelnen Stationen. Das Ganze unterlegt mit engagierten und sehr freundlichen Helfern, die eine reibungslose Durchführung der Veranstaltung gewährleisteten. Ingsgesamt waren 60 Helfer im Einsatz die die 24-Stunden-Veranstaltung aktiv begleiteten.
Vor der Mittagspause ist nach der Mittagspause. So setzte sich die unbequeme Asphaltpassage von Gundhelm nach Hinkelhof über eine Landstraße fort, obschon es hier durchaus gangbare Alternativen gegeben hätte, natürlich mit dem Preis verbunden, dass der ein oder andere Kilometer und Höhenmeter zusätzlich angefallen wäre.
Auch wenn die Füße und Gelenke mehr als üblich beansprucht wurden – begeistern konnten die weitläufigen Ausblicke in die sanfthügelige Landschaft. Die Steigungen in toto waren moderat und fielen am langen Ende nicht wirklich ins Gewicht. Bei Kilometer 20 verbesserte sich die Wegestruktur deutlich. Über die Spessartfährte ging es durch eine schöne Mischwaldregion weiter zum Spessartbogen, der bei Kilometer 30 einsetzte. Hier war endlich Wanderfeeling pur angesagt.
Bald war Schloß Ramholz erreicht, das kulturelle Highlight auf der Strecke. Das Alte Schloß wurde 1501 von der Familie von Hutten errichtet und Ende des 19. Jahrhundert durch einen opulenten Anbau mit den unterschiedlichsten Stilelelementen von Gotik bis hin zum Jugendstil erweitert. Seit 2014 besitzt ein Geschäftsmann aus Shanghai das Schloß. Zwei als Benediktinermönche ausgestattete Schlüchterner bereicherten die Wanderung mit einem kurzen historischen Abriss zum ehemaligen klösterlichen Leben in Schlüchtern und dem geschichtlichen Hintergrund des Schlosses.
Über Hohenzell kommend wurde bei Kilometer 35 die Spechtehütte, das Vereinslokal des gleichnamigen Vereins, erreicht – das Highlight unter allen Verpflegungsstationen. Kaffee, selbstgebackener Kuchen und hopfenhaltige Getränke (im Ausschank das Aschaffenburger Kultbier Schlappeseppel sowie Weißbier) führten zu einer deutlichen Hebung der allgemeinen Stimmungslage – obschon die Grundeinstimmung allgemein und grundsätzlich auf einem hohen Niveau war. So manch ein Mitwanderer ließ sich mehr als eine Flasche Bier schmecken, was angesichts des rustikalen Umfeldes durchaus nachvollziehbar war.
So ging es in der Schlußrunde zum Acis-Brunnen, dort wo der ankommenden Wanderschar ein Schnaps aus der Region kredenzt wurde. Auf der letzten Passage der Tagesschleife versaute ein kurzer Landregen die Schönwetterbilanz, was aber eher als Erfrischungsschauer aufgenommen wurde. Nach knapp 47 Kilometern war der ursprüngliche Startort in Breitenbach wieder erreicht.
Optimal der Anlaufpunkt zwischen Tages- und Nachtschleife. Dort wo frühmorgens das Frühstück bereit stand, war nun Pasta satt als Vorbereitung für die Nachttour verfügbar. Da man in unmittelbarer Nähe Zugriff auf sein parkendes Fahrzeug hatte, konnte man bequem das notwendige Equipment für die Nachtstrecke austauschen. Immerhin waren nach Wettervorhersage mit nächtlichen Tiefsttemperaturen von 7 Grad zu rechnen. Ein weiterer Pluspunkt, die aufgebauten Liegen im Dorfgemeinschaftshaus ermöglichten die Beine auszustrecken, oder je nach Gusto einen kurzen Powernap einzulegen.
Ganz Hurtige zogen es jedoch vor, nach einer kurzen Zwischenrast unmittelbar in die Nachtstrecke einzusteigen. Unter der Devise „Eine Nachtstrecke ist eine Nachtstrecke, weil man nachts startet“ entschied ich mich, auch angesichts der ausreichenden Zeit eine Ruhepause einzulegen, um zeitig nach Sonnenuntergang um 20.45 Uhr in die 30 Kilometer lange Nachtrunde einzusteigen. Immerhin 63 von ursprünglich 86 Teilnehmer nahmen die Herausforderung an, nachts auf die Piste zu gehen.Schneller als gedacht war über gut gangbare Wege die erste Station, das Schützenhaus bei Kressenbach erreicht. Der Schleier der Nacht mantelte die Bergwinkelregion ein, jedoch vier Tage vor Vollmond illuminierte das sonnenbeleuchtete Himmelsgestirn den Nachthimmel und dank der wegziehenden Wolken legte sich partiell ein Sternenhimmel frei.
Der weitere Abschnitt zur zweiten Verpflegungsstation der Nachtpassage war lebendig und abwechslungsreich. Kurze Waldabschnitte, der Gang entlang waldnaher Wiesenschneisen, partielle Höhenwege mit mutmaßlich weitreichenden Ausblicken am Tage ermöglichten eine abwechslungsreiche und lebendige Wanderung.
Ein persönlicher Tiefpunkt, den jedoch auch andere Mitwanderer an selber Stelle erfuhren war die Passage zwischen Arzwald und dem Schützenhaus Wallroth. Im Normalfall rüstet sich ein 24-Stunden-Wanderer nach bestimmten Kriterien mental ein. Dies können Zeitscheiben, Kilometer, Rastpunkte oder eine Kombination aus allem sein. Die Strecke auf der Nachttour, zweckdienlich auf gut ausgebauten Strecken, war ebenso abwechslungsreich geprägt, jedoch sie zog sich und zog sich und zog sich und zog sich. Schleifen durch Waldpassagen, die sich gefühlt hätten abkürzen lassen können, verlängerten gedanklich die Passage ins Unendliche. Zwei langgezogene Weiler wurden zunächst vermeintlich umrundet, dann durchquert, die Hoffnung zerbarst dass man am nächsten Lichtzipfel die dahinter vermuteten Verpflegungsstation erreicht hätte. Dies sind natürlich die bekannten Momente entsprechender Expeditionen, die den berühmten Schweinehund herausfordern – und die letztendlich auch den Reiz solcher Touren ausmachen.
So war die letzte Zwischenstation nochmals ein willkommener und heissbegehrter Punkt um ein längeres Päuschen einzulegen, bevor es auf den letzten Kilometern zurück nach Breitenbach ging. Mittlerweile waren die Temperaturen im Keller und der Dunstnebel trug zu einer durchaus mystischen Atmosphäre auf dem letzten Abschnitt bei. Der Rest – Kür. Zurück Richtung A66, dann auf einer Passage, die man in anderer Richtung schon am frühen Morgen begangen hatte, war um Punkt 4.00 Uhr das Ziel erreicht. Fürsorglich und herzlich das Empfangskommitee am Zieleinlauf. Urkunde nebst Einlauffoto, dazu ein Siegersekt oder wahlweise ein Siegerbier. Zum Schluss standen 78 Kilometer und 1.418 Höhenmeter auf dem GPS-Gerät. 29 Wanderer waren bis 06:00 Uhr am Ziel angelangt, 17 weitere zu diesem Zeitpunkt noch auf der Strecke.
Auch wenn noch zwei Stunden Zeit zum avisierten Frühstück war, vorbildlich die vorhandene Infrastruktur. Duschmöglichkeiten und Liegemöglichkeiten für all diejenigen, die vor Heimfahrt zunächst eine Mütze Schlaf mitnehmen wollten und mussten. Die 24-Stunden im Bergwinkel, alles in allem, eine sehr gelungene Premiere. Ausgezeichnet die Organisation und Durchführung der Veranstaltung. Angefangen vom professionellen Logo, über die Ausschreibungsinhalte, den Motivationsschildern die unterwegs für Anregung sorgten, bis hin zum Sponsoringpaket und der Verpflegung, der Rahmen war perfekt. Schön wäre es gewesen, wenn wie durch Hessen-Forst im Roadbook angekündigt: “In der Nacht ggf. auch am Tag ist mit Vorkommen von Wolf und Luchs zu rechnen.” eine entsprechender Sichtkontakt eingetreten wäre. Seitens des Ausrichter wird durchaus an eine Wiederholung in Erwägung gezogen. Hier eine einzige Bitte: nachdem der kulturhistorische und asphaltlastige Pflichtteil der 850-Jahre Kommunen in 2017 hin- und ausreichend abgedeckt wurde, sollte man sich künftig auf die bestehende Wanderwegsinfrastruktur konzentrieren. Das schont Füße und Gelenke und hebt von Anbeginn die Moral. Möglichkeiten hierzu gibt es in der Bergwinkelregion zur Genüge. Auf eine Fortsetzung darf man zurecht gespannt sein.
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