Hennweiler, den 18. Juni 2022 “Da muss man bekloppt sein! Da muss man total bekloppt sein! 75 Kilometer in 24 Stunden bei 35 Grad – das ist einfach bescheuert!” Auch der argumentative Ansatz, dass sich 443 weitere Wanderinnen und Wanderer sich dieser Herausforderung stellen und dass man mit entsprechender Ausrüstung durchaus diese Anforderung angehen kann, trägt nicht zur Besänftigung bei. Das Urteil der Ehefrau ist in Stein gemeißelt. “Nur Bekloppte tun sich so etwas an”.
Sicherlich die Wetterprognose trieb durchaus Sorgenfalten in die Stirn. Tagestemperaturen von 35 Grad in der Spitze und eine Nachtsenke von tropischen 22 Grad dürfen nicht vernachlässigt werden. So war es durchaus nachvollziehbar, dass letztendlich 298 Teilnehmer am Startort in Hennweiler begrüßt werden konnten – ein Aspekt der im Nachgang und überflüssigerweise am häuslichen Tisch mit dem Beitrag “Es gibt doch noch Einige, die einen klaren Verstand haben” kommentiert wurde.
Im bewährten Rahmen lud der Veranstalter nach einer zweijährigen Abstinenz zum achten Mal zu einer spektakulären Wanderveranstaltung ein. Ein zentraler Wandermarktplatz, drei Strecken – eine Tagestour, eine Dämmerungssschleife und eine Nachtstrecke – so die Rahmenbedingung des Gesamtkonzeptes. Die Eintrittsgebühr, eine Mindestspende von 72 Euro, die an zwei Kinderhilfsorganisationen fließen, nebst einer vor Ort zu entrichtenden Startgebühr in Höhe von 20 Euro. Prägnant und unmissverständlich haben es die Veranstalter auch im Roadbook niedergelegt: Denken Sie immer daran, wenn Sie völlig erschöpft und übermüdet ins Ziel stolpern: Ihre Kilometerspende hilft mit, Kinder in großer Not zu unterstützen.
Premiere in Hennweiler. Erstmals war für die Tagesschleife eine Streckenwanderung eingeplant. So starteten um 8 Uhr zehn Busse zu einem Hub hinauf zum Wildfreigehege Wildenburg. Entsprechend moderat gestaltete sich das Höhenprofil der 34 Kilometer langen Tagesstrecke, denn im Gesamtbild ging das Höhenprofil tendenziell abwärts, auch wenn typisch für den Hunsrück zwischendurch 665 Höhenmeter anstanden. Nach der offiziellen Begrüßung öffnete das Wildfreigehege speziell für die Langstreckenwanderer seine Pforten und bot Gelegenheit ein Stück Lebensraum im Naturpark Saar-Hunsrück zu entdecken. Unter dem Motto: Von der Wildsau zum Wilden-Westen führte die nachfolgende sechs Kilometer lange Passage abwärts zum Karl-May-Festspielplatz in Mörschied, dort wo die erste Verpflegungsstation eingerichtet war.
Gut eingetaktet sind die Verpflegungsstationen. Zwischen der Freilichtbühne Mörschied und der Mittagsstation in der Mittelalterstadt Herrstein liegen gerade einmal fünf Kilometer. Jedoch der Höhenweg hat es in sich. Ohne schattenspendende Bäume genießt man zwar die Aussicht auf die hügelige Hunsrücklandschaft, jedoch die Sonne brennt schonungslos auf die allesamt behuteten Wanderinnen und Wanderer herab. Bereits um 10:30 Uhr klettert das Thermometer über die 30 Grad-Marke. Wohlweislich haben die Tourenplaner die Wegeführung an die Traumschleife Mittelalterpfad gekoppelt. So hat man Gelegenheit den malerischen Ortskern der Hunsrückgemeinde als Streckenhighlight zu besichtigen. Nur kurz ist das folgende schattenspendende Intermezzo durch den Kirchwald, denn die Wanderstrecke führt hinauf zum Sonnenplateau welches traumhafte Aussichten ohne störende Schatteneinträge ermöglicht. Spätestens hier arbeiten die Schweißdrüsen unter Volllast. Nach neun heißen Kilometern ist die nächste Station in Sonnenschied erreicht. Für die Getränkeversorgung hatte der Veranstalter mit 4.500 Getränkeflaschen für ausreichend Nachschub gesorgt. Optionale Kaufangebote für alle, die irgendwann dem Wasser- und Apfelschorlegeschmack überdrüssig waren, rundeten dabei die umfangreiche Versorgungsleistung ab.
Mag die Höhenplateaulage von Hennweiler für die hier ansässigen Bewohner durchaus angenehm sein, jedoch durchlaufende Wanderer ballen hier regelmäßig die Hände in der Hosentasche, denn wer zurück zum Wandermarktplatz möchte, der muss im Regelfall immer aufsteigen. So sind die letzten beiden Kilometer der insgesamt 34 Kilometer langen Strecke nochmals als schweißtreibende Bergwertung zu verbuchen, bevor man nach der Tagesschleife sich eine Auszeit gönnen kann um eine Beinmassage zu genießen, den Ruheraum aufzusuchen, sich auf das Buffet zu stürzen, oder einfach nur abzuhängen, um sich für die nächste Herausforderung zu sammeln.
Die Stunde der Wahrheit – die Dämmerungsschleife
Nach der harten Tagesschleife standen viele Teilnehmer am Scheideweg. Manch ein Wanderer verabschiedete sich, andere legten eine große Pause ein um zum Anbruch der Dunkelheit frisch und ausgeruht in die Nachtschleife einzusteigen und eine überschaubare Anzahl von Unverbesserlichen machten sich auf zur 21 Kilometer langen Dämmerungsschleife, wohlweislich im Hinterkopf habend, dass der Siedepunkt des Tages just im Zeitkanal zwischen 17:00 und 19:00 Uhr zu erwarten war. So ging es vom Wandermarktplatz in Hennweiler auf die Blaue Strecke, zunächst durchaus wohlgefällig durch den Wehlenwald zum Wehlenstein bevor ein drei Kilometer langer Abstieg, vorbei am Weiler Schneppenbach man zum tiefsten Punkt der gesamten Passage, zum Forellenhof, führte. Teuflischer dieser Abschnitt. In der Talsenke entwickelte sich ein brutaler Hitzestau deutlich oberhalb von 35 Grad. Hinter der Talsohle entschädigten jedoch die kommenden Abschnitte. Auf Prädikatswegen wie den Soonewaldsteig und dem Saar-Hunsrück-Steig stieg man in die Traumschleife Hahnentalbachtour um Bundenbach am Ortsrand querend nach 11 Kilometern die Verpflegungsstation am Besucherbergwerk Herrenberg zu erreichen. Zweifelsohne ist die Passage toll, jedoch unter den Wetterkonditionen der vielleicht härteste Abschnitt der gesamten 24-Stunden-Wanderung gewesen.
Nach einer Rast am Besucherbergwerk wartete die nächste Herausforderung. Die Traumschleife folgt dem Hahnenbach. Gewässertypisch begleiteten moskitoähnliche Flugobjekte die weitere Passage, bevor der nächste Härtetest kam, der Aufstieg zum Teufelsfels, den höchstgelegensten Punkt dieser Passage. Im Tran der Hitze verpasste ich dusseliger Weise den Abzweig zur schönen Teufelshütte, dort wo eine aussichtsreiche Verpflegungsstation für die strapazierte Wanderschar eingerichtet war. Dort oben hätte man gerne ein längeres Päuschen in bester Umgebung verbringen können. Blöd gelaufen, im wahrsten Sinn des Wortes. So bleibt just vor Sonnenuntergang nach 22 Kilometern und 600 Höhenmetern der erneute Zieleinlauf zum Wandermarktplatz. Eine Tour auf tollen Wegen, die jedoch alles abforderte.
In der Hitze der Nacht
Es kommt nicht häufig vor, dass man die Nacht herbeisehnt. Jedoch an Tagen wie diesen, an denen das Thermometer nach Mitternacht die Marke von 25 Grad erstmals unterschreitet, ist gefühlt Entlastung angesagt. 22 Kilometer und 600 Höhenmeter sind für die Nachtstrecke eingeplant, gespickt mit zwei knackigen Anstiegen, was jedoch unerheblich sein sollte. Hauptsache dunkel und entlastet von der Strahlkraft der Sonne. Der Weg zur knapp entfernten ersten Verpflegungsstelle dieser Nachttour war äußerst angenehm und regelrecht entspannend, denn mehr oder minder auf einem gleichen Höhenniveau wanderten die Nachtschwärmer zur benachbarten Ortschaft Kallenfels, bevor man über einen sattsamen Berganstieg zur Bier- und Lederstadt Kirn wanderte. Scheinbar beflügelt die Dunkelheit, denn just eine halbe Stunde vor offizieller Öffnung war die Verpflegungsstation in der Dominikschule in Kirn erreichet, dort wo die Kaffeemaschine erst langsam vor sich hinblubberte, um die ankommende Wanderschar mit Koffein zu versorgen. So blieb Zeit für einen längeres Päuschen, um sich zu sammeln für die restlichen zehn Kilometer. Der im Roadbook suggerierte knackige Schlussanstieg entpuppt sich jedoch als moderater Aufwärtsgang in toto. Viel zu früh erreichte ich daher mit zwei weiteren Wandern die letzte Zwischenstation in Dhaun/Karlshof, die um drei Uhr morgens noch nicht in Betrieb war, was jedoch verschmerzbar war, denn die sechs Kilometer lange Schlusspassage führte mehr oder minder leicht abwärts führend zum Wandermarktplatz Hennweiler, dort wo die ankommenden Wanderinnen und Wanderer mit Applaus und einem Glas Sekt empfangen wurden.
Die 24 Stunden von Rheinland-Pfalz 2022 – eine Hammertour der besonderen Art, die man als Teilnehmer nicht vergessen wird. 78 Kilometer, 1.900 Höhenmeter und eine Bruthitze von bis zu 35 Grad in der Spitze. Nicht normal auch die persönliche Getränkebilanz: 16 x 0,5l Wasser und Apfelschorle, 7 Kaffee, 3 Gläser O-Saft, ein alkoholfreies Weißbier 0,33l, ein Prädikatsweißbier 0,33l und ein Gläschen Sekt. Zweifelsohne ist diese 24-Stunden-Veranstaltung eine der Besten im Bundesgebiet. Die Organisation, Durchführung und Logistik (inclusive kostenfreier Shuttle-Service und Rahmenprogramm) ausgereift und hochprofessionell. Die Erfolgsgaranten dieser Veranstaltung sind am langen Ende die vielen Helfer und ehrenamtlichen Unterstützer, die an allen Ecken und Enden mit Herzblut und Engagement dabei waren. Nebenbei konnten bei den acht Benefizveranstaltungen zudem mehr als 225.000 Euro an lokale Kinderhilfsprojekte überwiesen werden. Und, fast überflüssig zu erwähnen, der Hunsrück mit seinen Traumschleifen und Premiumwanderwegen zählt ohne Frage zu den Top-Wanderregionen unseres Landes. Bleibt einzig die Frage offen: ist man wirklich bekloppt wenn man solch eine Tour unter solchen Bedingungen angeht? Sicherlich – man bewegt sich in einem Grenzbereich und Respekt vor Allen, die Achtsamkeit unter Beweis gestellt haben und entweder auf eine Teilnahme verzichtet haben oder mit gezielter Auswahl der zu erwandernden Strecken sich auf ihr persönliches Leistungsvermögen eingestellt haben. Einzige anzumerkende Eintrübung: es fehlen notwendige Deckungsbeiträge für Bustransfer und eingeplanter Verpflegung der Teilnehmer, die nicht antraten und daher keine Gelegenheit hatten die Startgebühr in Höhe von 20 Euro vor Ort zu entrichten. So empfiehlt es sich künftig die Startgebühr überweisen zu lassen, da separat der Spendenbeitrag per Lastschrift eingezogen wird. Solch eine tolle Veranstaltung darf nicht durch ein defizitäres Ergebnis in Frage gestellt werden.
Ansonsten bleibt ein dicker Vormerkposten für das Wanderjahr 2023. Gemäß dem 100jährigen Kalender erwartet uns ein Marsjahr, welches im Zeitraum vom 11. bis 30. Juni eine warme und angenehme Zeit verspricht. Wie warm wird man sehen. Wer zudem noch einen Motivationsschub für die nächste Veranstaltung benötigt, hier eine Auswahl aus der Motivationskiste des Veranstalters:
1. leider konnten wir nicht teilnehmen, da das Wochenende schon verplant war.
2. tolle Bilder
3. der Schreiber des Berichtes ist Klasse
4. wir werden versuchen im kommenden Jahr wieder teilzunehmen, denn diese Veranstaltung ist wirklich die Beste unter den Wanderveranstaltungen, die wir bisher absolviert haben.
Herzlichen Dank Jutta, wir werden es dem Schreiber des Berichts ausrichten. Ansonsten kann man sich wirklich schon auf die neunte Auflage in 2023 freuen.