“Sakrisch guat woars” so das Abschlußstatement von Bap Koller dem Cheforganisator der 24 Stunden von Bayern. Aber zunächst von vorne. Was mit einer Schnapsidee des deutschen Schuhherstellers HANWAG begann erlangte spätestens seit 2010 in Bad Steben Kultstatus. Bayerns bedeutenstes Wanderevent hat mittlerweile einen legendären Ruf. Aus 2.000 Bewerbern wurden mittlerweile zum fünften Mal 444 Teilnehmer zum “Walking round the clock” ausgelost. Ausrichter war in diesem Jahr die Stadt Füssen. Unter der knapp einjährigen Koordination von Füssens Tourismuschef Stefan Fredlmaier und der Gesamtregie von Bap Koller, dem Ziehvater der 24-Stunde-Veranstaltung, wurde wiederum eine außergewöhnliche Veranstaltung angeboten.
Bereits am Vorabend konnten die Teilnehmer ihre Startpakete in Empfang nehmen. Gut gefüllt mit allerlei nützlichen Dreingaben bereitgestellt von namhaften Sponsoren, die die Veranstaltung regelmässig begleiten. Heiß begehrt sind insbesondere die Jahresshirts , die für Jedermann
sichtbar dokumentieren: “Ich war dabei” unabhängig wie die persönliche Marschleistung ausgefallen ist. Das Grundkonzept unterscheidet sich deutlich von der Durchführung anderer 24-Stunden-Veranstaltungen. Unter der Federführung des Bayrischen Tourismusverbandes wird jedes Jahr eine andere bayrische Region in den Fokus gestellt.
Angeboten werden in der Regel vier Touren, wobei jeder Teilnehmer für sich entscheidet welche Trails in welcher Reihenfolge absolviert werden. Es empfiehlt sich natürlich sich am umfangreichen Roadbook und der darin niedergelegten Abfolge zu orientieren. Die gesamte Wanderveranstaltung wird nämlich von flankierenden Programmbeiträgen regionaler Veranstaltern und der beteiligten Sponsoren begleitet. Als Grundrahmen wurden in 2013 eine Tages- und eine Nachtstrecke ausgearbeitet. Genusswanderer, die sich auf das breite Angebot vertiefend einlassen sind damit zeitmässig gut ausgelastet. Für die Hartgesottenen gibt es darüber hinaus noch Bonusstrecken, in diesem Jahr eine Vital- und eine Fittnessrunde, frei nach dem Motto: “Trabe bis zum Grabe oder turne bis zur Urne” (außerhalb der Veranstaltungsrichtlinie die Red.) Nach groben Schätzungen sind circa ein Drittel der Teilnehmer tatsächlich 24 Stunden auf Achsen. Manch ein Teilnehmer fokussiert sich ausschließlich auf eine Nachtstrecke, andere wiederum beanspruchen den zur Verfügung stehenden Bus-Shuttle-Service, um Passagen abzukürzen oder den Trail vorzeitig zu beenden. Alles frei nach dem Motto: “Alles geht – nichts muß”. Diese konzeptionelle Ausgestaltung mag sicherlich ein Schlüssel des bayrischen Erfolgsgeheimnisses sein, was zur Beliebtheit dieser Veranstaltung geführt hat.
Samstagmorgen kurz vor Acht versammelt sich die Wanderschar. Die bei labiler Wetterlage im Regelfall unzuverlässige Vorhersage des Offenbacher Wetteramtes erwies sich diesmal als zutreffend. Regen setzte ein und gab Anlass das gesamte Equipment zur Freude der Outdoorhersteller fach- und sachgerecht mit einem adäquaten Regenschutz einzuhausen. Das Begrüßung der Teilnehmer wurde kurzerhand im Zelt am zentralen Wandermarktplatz abgehalten. Pünktlich um 8 Uhr feuerten die Füssener Böllerschützen der Startschuß ab. Unter musikalischer Begleitung der Musikkapelle Weißensee wurde der Wandertross durch die historische Altstadt der Stadt Füssen mit zünftiger Marschmusik begleitet. Gedankenanflüge wie “es wäre durchaus interessant, wenn die Jungs zum Tegelberg hochmarschieren würden” waren nicht zu vermeiden.
Zünftiger Ausmarsch
Beim Schloß Hohenenschwangau verabschiedete sich der Regen und für die meisten Teilnehmer begann der härteste Abschnitt der gesamten Tour. Zuvor war jedoch am Bergportzentrum Tegelberg ein Bergsteigerfrühstück angeboten. Bei einer gefühlten Luftfeuchtigkeit von 120% und einer witterungsbedingten Nebelwand begann der Anstieg auf das Tegelbergplateau. 900 anstregende Höhenmeter führten hinauf auf 1.720 Meter Höhe. Bereits nach einer halben Stunde Steilanstieg gewann die Erkenntnis oberhand, dass die morgendlichen Dusche vor wenigen Stunden absolut überflüssig gewesen war. Jede dritte Biegung war willkommener Anlass kurz inne zu halten und statt der nicht vorhandenen Aussicht zu bewundern, die Atemfrequenz zu regulieren. Kurz unterhalb der Rohrkopfhütte hatten die Teilnehmer die Möglichkeit die Worthülse “Nachhaltigkeit” mit Leben zu erfüllen und am Steilhang des Schutzengelweges einen Baum zu pflanzen. Eine Superidee!! Als Entschädigung für den nicht vorhandenen Ausblick erhielt jeder Baumpflanzer eine Panoramakarte mit der Premiumaussicht die man bei klarer Sicht hier genießen kann. Kurz danach war die nächste Jausestation, die Rohrkopfhütte erreicht. Nach einer Stärkung und einem weiteren knackigen Anstieg war nach einer weiteren halben Stunde des Gipfelziel vor Augen. Für viele Teilnehmer ein willkommener Anlass nach dem Eintrag in das Gipfelbuch mit einem zünftigen Weißbier den kraftraubenden Anstieg gebührend zu würdigen.
Hart erarbeitet
Nach der wohlverdienten Mittagsrast ging es mit der Tegelbergbahn abwärts zur Talstation. Von dort aus führte der Weg zur spektakulären Pöllatschlucht mit dem markanten Endpunkt des 30 Meter tiefen Wasserfalls des Pöllats und der über uns schwebenden Marienbrücke. Fürwahr – König Luwig wusste genau welche exponierte Lage er für seine gute Stube wählte. Eisenstege und Steintreppen führten hoch zum “Japanese Highway”, dort wo die tagtägliche Touristenrennpiste zu einem der markantesten Kulturschätze des Landes führt. Keiner der vielen Besucher konnte im geringsten erahnen, was wir bereits zurückgelegt hatten und noch vor uns haben. So schwamm man mehr oder minder mit den Massen der Besucher mit, um sich einzureihen auf den Gang zur Marienbrücke, dort wo man mit dem markant-idyllischen-Postkartenkitsch-und-schon eine-Milliarde-mal-auf Zelluloid- und-Speicherchip-gebrannte-1000-Places-must-see-points-before-you-die-Blick konfrontiert wird und zur Erkenntnis gelangt, die Ansicht gibt es wirklich und ist nicht nur eine Erfindung eines Ravensburger Puzzleherstellers. Gott mir dir Du Land der Bayern!
Unterhalb am Schloß Hohenschwangaus schickte der Herr ein Zeichen. Der Himmel riß auf und die wahren Insignien der bajuwarischer Kultur offenbarten sich: der weißblaue Himmel – es gibt ihn wirklich. Am König Ludwigs Lieblingssee dem Alpsee wurde vom “Restaurant Alpensee” als Anti-Unterzuckerungskampagne eine traumhaft schmeckende Kuchen- und Tortenvariation gereicht. Fürwahr ein herrlicher Ort zum Verweilen.
Nach der Kaffeepause am Alpsee ging es weiter zum Walderlebniszentrum. Für die Abgebrühten einen Heuschnaps (dezent im Abgang und wohlbekömmlich für die inneren Organe) und für die Teilerschöpften eine Wadelmassage mit Heu-Fluid, alles unter den wachsamen Augen von Sandra der Ersten, ihres Zeichens Heukönigin aus Pfronten.
Im Anschluss der mehrdimensionalen Heu-Revitalisierungs-Anwendung erreichten wir nach einer weiteren Viertelstunde das nächste Highlight, der Baumkronenweg am Walderlebniszentrum Ziegelwies. Vor vierzehn Tagen frisch eröffnet führt der 450 Meter lange Weg mit einer maximalen Höhe von 21 Metern über die österreichische Grenze. Grenzgänger im Luftraum – eine neue Erfahrung auf einer 24 Stunden-Wanderung. Vorbei am Lechfall ein Willkommensgruß der Schnitzschule Elbigenalp – eine geschnitzte Baumscheibe mit einem stilisierten “L” als Erinnerung für den Lechtal-Besuch. Die Dichte der Stationen ein Beleg, mit welchem organisatorischen Herzblut die Veranstalter ihre Region sehr eindrucksvoll präsentieren.
Vom Baumkronenweg führte die Strecke weiter nach Bad Faulbach. An diesem Kreuzungspunkt konnte sich die Wanderschar entscheiden, entweder den zwei Kilometer entfernten Schrannenplatz in der Füssener Innenstadt aufzusuchen oder eine Extrastrecke einzulegen, für diejenigen die wandertechnisch noch nicht ausgelastet waren. Hier schreibt der Veranstalter das bewährte Konzept der vorhergehenden Veranstaltungen fort. Einerseits die Nutzung einer ausgezeichneten Wanderwegestruktur mit Erlebnisstationen inkludierend Regionalbezug und darüber hinaus additive Wegeführungen ohne Animationsprogramm für diejenigen, die Gelegenheit suchen in die Natur einzutauchen und das ein oder andere einmal sacken zu lassen.
Angesichts des bestehenden Zeitpuffers nutzen wir die Option die acht Kilometer lange Vitalstrecke die durch das Tal der Sinne Richtung Obersee führte zu entdecken. Obersee, Kobelweg, Hohes Schloß – eine entspannende Runde, die zum Abschluss des Tagesprogrammes zur Raststation auf dem Schrannenplatz führte. In der Ortsmitte von Füssen war eine zentrale Jausestation aufgebaut. Stärkung für alle Teilnehmer vor der Nachtrunde. Bezeichnend der Kommentar einer Teilnehmerin: “Es ist fast unmöglich hier mitzulaufen ohne zuzunehmen”.
Nach einer ausgedehnten Pause ging es zurück zum Wandermarktplatz. Einige Teilnehmer nutzten die Möglichkeit vorab deponiertes Equipment zur Einrüstung für den Nachtmarsch zu verwenden. Alternativ wurden Kneippgüsse und Blitzmassagen für Revitalisierungsbedürftige angeboten. Alles in allem ein fürstlicher Service zu bürgerlichen Konditionen.
Etwas Besonderes hatte sich der Veranstalter in diesem Jahr einfallen lassen. Erstmals hat man eine Schiffspassage eingebaut um vom Bootshafen in der Nähe des Festspielhauses den Wandertrupp in einer dreißigminütigen Schiffspassage zur Bootsanlagestelle Dietringen überzusetzen. Bei lauen Temperaturen entfaltete sich die Sonne am Abendhimmel und illuminierte eindrucksvoll das Alpenpanorama. Ein mehr als gelungener Tagesabschluss und Einstimmung in eine mehr als außergewöhnliche Nachtrunde.
Vor Einschiffung am Bootshafen Füssen wurden die Teilnehmer mit Musicalklängen von Sissi und Ludwig II begrüßt. Vom herannahenden Schiff begrüßten die Sangesprotagonisten eindrucksvoll die am Ufer wartende Wanderschar.
Die sinkende Abendsonne begleitete die Schiffspassage und sorgte für ein Stimmungsbild, was selbst den ehrwürdigen König Ludwig gerührt hätte. Eine perfekte Inszenierung. An der Schiffsanlegestelle in Dietringen spielte zur Begrüßung die Musikkapelle Rieden auf. 15 Gehminuten weiter gab eine Trommlergruppe den Marschtakt für die nächsten Stunden vor. Die Streckenlänge war mit knapp 32 Kilometern ausreichend bemessen, standen letztendlich zehn Stunden für die Gesamtstrecke zur Verfügung – ergo Zeit genug um sich mit Hingabe an den Darbietungen des Veranstalters zu erfreuen. Und hierzu gab es Gelegenheiten mehr als genug.
Die Nachtstrecke selbst – aus persönlicher Sicht das absolute Highlight der Veranstaltung. Eine atemberaubend schöne Streckenführung über die Alte Reiten, die Alpe Reichelstein, vorbei am Koppenkreuz, im Halbrund um den Hopfensee hinauf zum Galgenbichel um dann die letzte Passage zurück zum Wanderparkplatz zu gehen.
Fast surreal das stimmungsvolle Szenario welches Dank des Vollmondes entlang des Panoramaweges gezeichnet wurde.
Unvergesslich die Umrundung des Hopfensees und die Lichtbilder, die der Erdtrabant insszenierte; der Einsatz der Stirnlampen war in weiten Teilen überflüssig, teilweise sogar störend. Der Veranstalter entleerte ein wahres Füllhorn an Erlebnistationen und bereicherte die Nachtrunde mit eindrucksvollen Impressionen. Ob Sonnenwendfeuer, Mitternachtssuppe mit exzellenten Aussichtsmöglichkeiten an der Alpe Beichelstein, mystische Lichtinsszenierung am Pestfriedhof, therapeutische Massage am Hopfensee mit einer dazu kredenzten Gemüsebrühe die mit Wildkräutern angereichert wurde und jeder Haubenküche Konkurrenz machen würde, die Milch- und Käsetankstelle am Hopfensee und der Hexentrunk kurz vor Füssen – kurzum ein Feuerwerk der Impressionen sowohl aus natureller, aus kultureller und aus gestalterischer Sicht. Respekt vor dieser Veranstaltungsleistung.
Der bürgerliche Sonnenaufgang kündigte bereits gegen 4.30 Uhr einen herrlichen Tageseinstieg an. Nach 20 Stunden und 30 Minuten das Ziel erreicht – im Nachgang Puffer genug für die ein oder andere Ruhezeit.
Nicht unerwähnt bleiben darf die Begegnung mit vielen Wanderbegleitern auf der Wegstrecke. Ob die Wandertruppe “Not und Elend” aus der Heidelberger Kante; der Wetterauer, der mit dem Fahrrad anreiste um im Anschluss den 24-Stunden-Marsch zu absolvieren, ob Thorsten Hoyer der Extremwanderer und Zugpferd von Hanwag (“Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Hoyer wandert”) der unter anderem nonstop 209 Kilometer am Rheinsteig gelaufen ist, aber im Gespräch auch seine Gedanken mit Tiefgang veranchaulicht, ob Stefan der Füssener Touristenmanager der Dank seiner perfekter Organisation sich den Luxus leisten konnte mitzuwanderen, ob die Dame im fortgeschrittenen Alter, die einige Wochen zuvor 80 Kilometer in Pforzheim bei einer DAV-Wanderung absolvierte – und und und…alles mündend in die Erkenntnis: das wahre Leben findet draußen statt.
Abgerundet wurde die Veranstaltung durch ein passables Weißwurstfrühtsück – einziger Wermutstrupfen, das ausgeschenkte Weißbier hatte einen stark überzeichneten isotonischen Charakter (sprich alkoholfrei), was den bestehenden Zustand der Unterhopfung nicht wirklich verbesserte. Ein Umstand den man jedoch mit Nachsicht begegnen kann. Erholsam die anschließende Verwendung des beigelegten Gutscheines für den Besuch der Schwangauer Kristalltherme, Labsal für die ermatteten Gelenke.
Fazit: 68 gelaufene Kilometer exklusive Hilfsmittel wie Bergbahn und Schiff und 2.205 absolvierte Höhenmeter “Sakrisch guat woars!!!!!!!!” Bap Koller, Stefan Fredlmaier und Teams sei Dank. Beste Werbung für den Standort Füssen gepaart mit der Hoffnung im nächsten Jahr wieder die Gelegenheit zu haben, eine Ecke Bayerns in 24 Stunden erleben zu dürfen.
Schöner Bericht – und auf dem Bild vom Baumkronenweg habe ich mich doch tatsächlich entdeckt 🙂
Vielen Dank Stefanie – die Rahmenbedingungen waren ja auch allerbestens.
Sehr schöner Bericht und klasse Bilder!!!
Danke vielmals Sascha
Ein wahrlich unvergessliches Erlebnis, wobei die eigene Selbstüberschätzung auch zum Scheitern hätte führen können aber andererseits Kräfte frei werden, die ich bislang nicht kannte !
Super Organisation, Dank an alle Beteiligten,
Liebe Grüße
Das ist halt das alte Thema Thomas, der innere Schweinehunde….
Vielen Dank für den tollen Bericht. Ihr habt die Atmosphäre des Events sehr toll eingefangen.
BTW – Wir hatten ungefähr die gleiche Gehgeschwindigkeit 😉
Werde Euch nächstes Jahr mal ansprechen, wenn Ihr wieder mit am Start seid!
Viele Grüße aus Heidelberg!
Aber gerne – Heidelberg liegt ja gerade einmal um unsere Ecke. Übrigens am 21.9. gibt es in unserer Kante die 24 Stunden im Nibelungenland. Siehe unter http://www.pro-line-sports.de/erlebnisse/24hwanderung.html
Das ist auch eine gute Veranstaltung.
Viele Grüße
Martin