St. Goar, den 28. Mai 2021 – 550-557 – so die Codierung für Rheinexperten. Rheinkilometer 550 bis 557 zwischen Oberwesel und St. Goar. Hier befindet man sich im Kernzentrum des UNESCO Welterbe Oberes Mittelrheintal, welches in seiner Gesamtheit von Rüdesheim bis nach Koblenz als schönste Rheinstrecke zwischen den Alpen und der Nordsee bezeichnet wird. Und besonders schön ist es, dort wo bei Rheinkilometer 555 die Loreley Touristen aus aller Welt begrüßt, und dort wo zwei außergewöhnliche Wanderwege abwechslungsreiche und spannende Aus- und Einsichten ermöglichen.
Die Rede ist von der Extratour Loreley, ein zertifizierter Rundwanderweg, der für dieses Jahr auf der Nominierungsliste zur Wahl von Deutschlands schönster Wanderweg 2021 zu finden ist und auf der gegenüberliegenden Seite die brandneue Traumschleife Mittelrhein. Wenn man das Ganze noch mit einem Sahnehäubchen namens Rabenacksteig versieht, dann ist perfekter Wandergenuss garantiert.
Wir starten mit der neuen Traumschleife Mittelrhein. Noch jungfräulich und ohne Patina belegt sind die vor fünf Tagen neu angebrachten Wegeausschilderung der jüngsten Traumschleife. Grund genug die Fährte aufzunehmen. Kann die neue Hunsrücker Traumschleife Mittelrhein mit der gegenüberliegenden im Taunus-Extraschleife-Loreley mithalten? Fast könnte man geneigt sein, ein Wanderwegsbattle auszurufen. Traumschleife gegen Extratour. Abgerechnet wird zum Schluss.
Am Hafen von St. Goar kann man kostenfrei parken, ein idealer Startpunkt für diese außergewöhnliche Tour. An der Stiftskirche von St. Goar vorbei und die Bahntrasse unterquerend, führt der “Kurze Pfad”, ein Treppenweg, hinauf nach Biebernheim. Bereits nach weniger Metern passiert man den Lohbachwasserfall. Biebernheim querend öffnet sich die Landschaft auf dem rheinischen Hunsrückplateau. Rapsfelder garnieren das Landschaftsbild und weitreichende Aussichten gen Urbar lassen zunächst die Enge des untenliegenden Rheintals rund um die Loreley vergessen.
Auf guten naturbelassenen Pfaden geht es hinauf zum Spitzenstein, der bereits zu römischen Zeiten als felsigen Landmarke diente und in unserer Zeitrechnung vor einem Jahr mit einem Aussichtssturm bereichert wurde. Vom Felshügel wandert man entlang eines urigen Pfades durch die Niederburger Heidelandschaft, um am Klüppelberg den markanten Blick auf das untenliegende Oberwesel einzufangen. Rheinburgenwegwanderer ist dieser faszinierende Ausblick wohlbekannt, denn hier verläuft der auch sehr zu empfehlende Weitwanderweg, der auf einer Strecke von 200 Kilometern von Bingen bis nach Remagen führt.
Kunstbeladen geht es auf der Traumschleife weiter Richtung Loreleyblick. Ortsansässige Stahlkünstler haben einen ein Kilometer langen “Trollpfad” mit themenbezogenen Objekten angelegt, der einen bereits nachfolgenden und bestehenden Skulpturenweg ergänzt. Eine durchaus gelungene Bereicherung der Wegstrecke. Jedoch bei Lichte betrachtet toppt das gesamte Naturbild dieser Region jegliche künstlerische Schaffenskraft. So geht es mit immer wieder faszinierenden Rheinblicken zum Loreleyblick Maria Ruh, dort wo den Vätern des Loreleyliedes eine Gedenktafel gewidmet wurde. Und Heinrich Heine, der einst in das Gästebuch des Brockenhauses schrieb “Große Steine, müde Beine, saure Weine, Aussicht keine” war angesichts des fulminanten Landschaftsbildes und des außergewöhnlichen Weines in der Rheinregion nicht zu bremsen, als er seine Zeilen “Ich weiß nicht, was soll es bedeuten” verfasste. Hier zeigt sich einmal mehr die inspirierende Schöpfungskraft eines Landschaftsbildes.
Mittlerweile ist es ein offenes Geheimnis, dass nicht der Blick vom Loreleyfelsen, sondern der Loreleyblick von der Hunsrücker Seite, ungefähr 500 Meter vor Maria Ruh eindeutig der Schönere ist. Zweifelsohne, auch Millionen von asiatischen Rheintouristen können sich irren. Von Maria Ruh führt ein wunderschöner naturbelassener Pfad zum nächsten Etikettenschwindel der Region, zum offiziell kartografierten Loreleyblick am Bankeck. Mag sein, dass die vorausgegangenen Ausblickmöglichkeiten auch bei uns zu einer Wahrnehmungseintrübung geführt haben, jedoch nicht immer wo Loreleyblick draufsteht ist damit eine Faszinationsgarantie verbunden.
Zwischen Traumschleife Mittelrhein und der Extratour Loreley liegen gerade einmal 1,90 Euro. Soviel kostet pro Nase die Fährüberfahrt nach St. Goarshausen. Aktuell kursiert in politischen Kreisen ein 142-seitiger Erläuterungsbericht zur Realisierung einer Mittelrheinbrücke zwischen St. Goar und St. Goarshausen. Drei Varianten liegen auf den Tisch, darunter ein Vorschlag statt einer Brücke einen Gratisfährbetrieb ohne Brückenbau einzurichten. Nach einer Stellungnahme der Koblenzer Behörden wird ein Gratisfährbetrieb abgelehnt, mit der spektakulären Begründung, dass dieser mehr Verkehr anziehen würde. So wird derzeit der Bau einer “welterbeverträglichen (!) Brücke” zwischen Fellen und Wellmich für 40 Millionen Euro bevorzugt……..
Inkonsequenterweise ist der potentielle Deutschlands-Schönster-Wanderweg-2021-Kandidat nicht wie proklamiert als “Extratour Loreley” ausgeschildert, sondern profan als “Rheinsteig Rundtour”. Von der Fährstation in St. Goarshausen folgt man zunächst dem Leinpfad in südlicher Richtung um vis a vis der von einer russischen Künstlerin geschaffenen Loreley-Statue, die sich auf der Hafendammmole befindet, in den alten Weinbergspfad, der aufwärts zum Loreleyfels führt, zu folgen. Die offizielle Wegeführung der Extratour führt am Kultur- und Landschaftspark Loreley, wie offiziell das Plateau tituliert ist, vorbei und verläuft parallel zur Kreisstraße 39, was nicht unbedingt für die Qualität der Streckenführung spricht. Wir wählen als wohlgefälligere Alternative einen Pfad entlang der Gemarkungsgrenze St.Goarshausen/Bornich um direkt auf das neugestaltete Loreley-Areal zuzusteuern. Die 2019 fertiggestaltete Anlage wurde mit Millionen aufgepäppelt, das Berghotel abgerissen und ein großzügig dimensionierter Strahlenweg soll nach Vorstellung der Architekten dem Ganzen mehr Strahlkraft verleihen. Nebenan sollte zudem für 85 Millionen ein 700 Betten-Bunker namens “Hotel Slow Down Loreley” errichtet werden. Pläne, die aktuell geplatzt sind.
Mehr “Schein als Sein” so das Fazit vom sagenumwobenen Lorelayplateaublick. Mag sein, dass der Mythos der Sage als Anziehungspunkt ausreicht, wer auf der Jagd nach Aussichten ist, für den gibt es bessere Alternativen, wie beispielsweise vom benachbarten Spitznack am Leiselfeld aus. Doch zunächst führt der Weg über einen Weinlehrpfad. Bereits 276 nach Christus ließ hier der römische Kaiser Probus Wein anbauen. Vorbei an uralten Trockenmauern geht es zur Felsformation auf dem Spitznack. Von hier aus genießt man auf dieser Rheinseite den schönsten Blick auf die Loreley. Direkt unter der steil abwärts stürzenden Felswand kann man zudem hautnah den Schifffahrtsverkehr durch die Rheinenge beobachten und just nebenan hat man die Möglichkeit am Aussiedlerhof “Rast am Rheinstieg” zu regulären Zeiten zu einer Rast einkehren. Vom Leiselfeld entfernt sich der Wanderweg in südöstlicher Richtung vom Loreleyblock um vor Bornich in das idyllisch gelegene Bornmühltal einzuschwenken.
Offiziell verschwenkt der zertifizierte Premiumwanderweg rund um Patersberg, um unterhalb des Dreiburgenblicks zurück nach St. Goarshausen zu verschwenken. Wir wählen jedoch noch ein attraktives Zusatzpaket, das Sahnehäubchen des Tages. Am östlichen Ortsrand von Patersberg folgen wir einem gut gangbaren Wiesenpfad entlang der oberen Felskante, die oberhalb des Forstbachs verläuft. Über die “Alte Hauptstraße”, so der Name des historischen Pfades, wandern wir abwärts, um am Friedhof von St. Goarshausen in den gegenüberliegenden Rabenacksteig einzusteigen. Kurz aber sehr knackig gestaltet sich der Anstieg hinauf zum Rabenackfels. An der oberen Anhöhe hat man die Möglichkeit den Rabenacksteigrundweg unter die Wanderschuhsohle zu nehmen. Trittsicher sollte man sein und eine Acht-Meter-Senkrechtleiter sollte man auch nicht fürchten. Einzig an zwei Stellen sind die Steighilfen suboptimal angebracht, jedoch der Steig ein Gänze ist ein krönender Abschluss dieser Tour. Oberhalb der Rabenackaussichtsplattform trifft man wieder auf den Rheinsteig. Nach weiteren eineinhalb Kilometern ist die Fährstation St. Goarshausen erreicht und die Rückfahrt zum morgendlichen Startpunkt St. Goar schließt diese beeindruckende Mittelrheintour ab.
Wanderparadies Oberes Mittelrheintal. Fürwahr ein außergewöhnliches Ziel für begeisterte Wanderinnen und Wanderer. Mit der neuen Traumschleife Mittelrhein und der gegenüberliegenden Extratour Loreley kann man die Rheinkilometer 550-557 von beiden Seiten vortrefflich erkunden. Wer sich zudem noch den Rabenacksteig antut, hat den beiden Wegen ein zusätzliches Krönchen aufgesetzt. Traumschleife oder Extratour – ausgezeichnet sind alle beide. Nach unserer subjektiven Einschätzung geht ein Sieg nach Punkten an die neue Traumschleife Mittelrhein. Die Textur des Weges und die Aussichten auf die andere Rheinseite sind einfach schöner. Punktuell ist die Extratour Loreley mit einigen Schwächen ausgestattet, was jedoch “Jammern auf einem extrem hohen Niveau” ist. Wer einen Rhein-Loreley-Rundumschlag mit 39 spannenden Taunus-Hunsrück-Rhein-Kilometern und mit immerhin 1.300 Höhenmetern versehen angehen möchte, der sei hierzu ausdrücklich ermuntert.
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