Von Welterbe zu Welterbe

Südhessen, 10. Juli 2021 – Von Welterbe zu Welterbe, ein UNESCO Global Geoparkgebiet querend, und einer Stippvisite bei einem potentiellen UNESCO-Weltkulturerbe-Kandidaten. Klingt ungewöhnlich, findet man auf keinem Wanderplan, liegt vor der eigenen Haustüre und bietet sich förmlich an erwandert zu werden.

Als Gralshüter der Welterbestätten hat die UNESCO als Sonderorganisation der Vereinten Nationen  insgesamt 1.121 Weltkulturerbe- beziehungsweise -naturerbestätten gelistet. Ich starte an der Weltkulturerbestätte Grube Messel, über die schon an anderer Stelle auf diesem Blog (Exkursion zur Grube Messel) berichtet wurde. Daher ist es an diesem Tage auch zu verschmerzen, dass die Aussichtsplattform der Grube erst mit Eröffnung des Besucherzentrums ab 10:00 Uhr, (aus Wandersicht am frühen Mittag) erfolgt.  Einzig die Schlote des benachbarten Ytongwerkes dampfen schon am frühen Morgen. 1949 erwarb das frühere Ölschieferförderwerk des IG-Farben-Konzerns in Messel die ersten Ytong-Lizenzen aus Schweden, zwei Jahre später entstand hier das erste deutsche Ytong-Werk, das zum Ausgangspunkt für die europäische Expansion des Porenbetonstein wurde. Und seit 1995 ist die ehemalige Ölschiefergrube, die ursprünglich sogar als Müllgrube verfüllt werden sollte, als erste Weltnaturerbestätte Deutschlands in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen worden, dank der einzigartigen Fossilien, die man hier gefunden hatte.

Über den vom Odenwaldklub angelegten Ölschieferpfad geht es vorbei an der Grube Prinz von Hessen, heute ein beliebter Badesee, über die Scheftheimer Wiesen durch das Oberfeld zur größten Stadt Südhessens, Darmstadt, die auch als nationales Zentrum des Jugendstils gilt.

Hart Kante an der Grube Messel schloten ununterbrochen die Schornsteine des Ytongwerkes
Vier Qualitätswanderwege hat hier der Odenwaldklub eingerichtet. Mehr dazu im Bericht “Zwischen Ölschiefer und Urpferdchen
Ein 5.000 Schritte langer Zeitstrahlweg informiert über 4,5 Milliarden Jahre Erdgeschichte
Ab 10:00 Uhr kann man in die Welt der Fossilien eintauchen
Erst seit 250 Jahren steht hier die Scheftheimer Eiche
Noch liegt eine morgendliche Dunstglocke über das Darmstädter Oberfeld
Vorbei am Spanischen Turm, dort wo ein Skulpturenpark angelegt wurde…
..erreicht man die Rosenhöhe, die der Darmstädter Großherzog Ernst Ludwig hier Anfang des 20. Jahrhunderts hatte errichten lassen
Das Löwentor – die Ein- und Austrittspforte zur Rosenhöhe

Darmstadt – seit 1997 vom hessischen Innenministerium als Wissenschaftsstadt geadelt, zählt national und international zu den bedeutendsten Stätten der Jugendstilbewegung, die sich Ende der 1880er Jahre in Europa entwickelten. Und hier liegt auch das treibende Motiv der Stadt Darmstadt, die seit 2014 auf der sogenannten Tentativliste der UNESCO steht, und somit einen großen Schritt zur Aufnahme als Weltkulturerbestätte vollzogen hat. Weltkulturerbe Künstlerkolonie Mathildenhöhe, so lautet der offizielle Aufnahmetitel über den am 24. Juli 2021 durch das Welterbekomitee entschieden wird. Derzeit lässt die Stadt Darmstadt, ungeachtet des noch nicht erteilten Status, die gesamte Mathildenhöhe mit einem Aufwand von 40 Millionen Euro ertüchtigen.

Das Wahrzeichen der Stadt Darmstadt, der Fünffingerturm auf der Mathildenhöhe
An allen Ecken entfaltet sich hier der Jugendstil mit seinen außergewöhnlichen und stilprägenden Elementen – die einerseits im Detail beeindrucken….
..und andererseits im Gesamtbild eine besondere Wirkung entfalten
Herausragend markant, die Eingangstüre….
..des Behrenshauses
Integrativer Bestandteil des potentiellen Weltkulturerbekandidats: die Russische Kapelle
Aber nicht nur Bauten, Möbel und Einrichtungsgegenstände wurden vom Jugendstil geprägt – auch typografisch fand die Stilepoche ihren Niederschlag

Wer sich für diese Stilepoche interessiert, sollte durchaus die inoffizielle Hauptstadt des Odenwaldes, spätestens nach Fertigstellung des Besucherzentrums auf der Mathildenhöhe, auf den Radarschirm nehmen. Vom potentiellen Weltkulturerbeträger Darmstadt geht es weiter zum Weltkulturerbetagesziel des heutigen Tages, in die Stadt Lorsch, die in der südhessischen Bergstraße liegt. Nebenbei, um das ganze weltkulturerbehistorisch abzurunden, durchquert man dabei den UNESCO Global Geopark Bergstraße-Odenwald. Diese Auszeichnung wurde von der UNESCO 2015 geschaffen und mittlerweile tragen 140 Geoparks in 38 Staaten diese Bezeichnung. Natürlich könnte und sollte man, wenn man den UNESCO Global Geopark Bergstraße-Odenwald von Nord nach Süd quert, die besten Pfade unter die Schuhsohle nehmen, wie da zu nennen wäre, der Burgenweg oder der Blütenweg. Jedoch bei der heutigen themenorientierten Wanderung war nicht der Weg das Ziel sondern das Ziel das Ziel – was sich natürlich auch auf die Qualität der Streckenführung niederschlug. Quer durch Darmstadt geht es, unterhalb der Ludwigshöhe entlang der Villenkolonie, einem Straßenzug in der Heidelberger Landstraße, wo zwischen 1898 und 1939 auch vom Jugendstil geprägte großzügige Anwesen entstanden, nach Eberstadt. Vor dem südlichen Ende des Darmstädter Stadtteils führt ein kleiner Abstecher zur Sanddüne am Ulvenberg bevor es in den Bickenbacher Kalksandkieferwald geht.

Darmstadt eine Stadt der Kontraste. Vis a vis des Residenzschlosses
….wurde das 2005 das Darmstadtium errichtet
..und unterwegs wird man immer wieder mit stilprägenden Elementen konfrontiert
…zur Abwechslung eine Passage durch die Darmstädter Orangerie
Und wenn wie hier in einem Waldstück zwischen Darmstadt und Eberstadt solche Trassierbänder auftauchen, schrillen die Alarmglocken – oder jemand hat sich bei Amazon eingedeckt (500 Meter 19,99 EUR)
Multimomentaufnahme in der Villenkolonie in Eberstadt
Kurz nach der letzten Vereisung vor rund 10.000 Jahren wurde Flugsand, wie hier in der Eberstädter Düne, in die Bergstraße befördert

Die weitere Strecke gen Lorsch führt vorbei an Jugenheim, Alsbach, Zwingenberg und Auerbach gen Bensheim und von hier aus an der A5 Zufahrt vorbei gen Lorsch. Die letzten sechs Kilometer entlang der westlichen Tangente zwischen Auerbach und Lorsch verdienen nicht wirklich einen Schönheitspreis – jedoch diesmal wurde aus pragmatischen Gründen die direkte Strecke gewählt. Krönender Abschluss dieser Welterbetour ist das Welterbeareal des Kloster Altenmünster, des Kloster Lorsch und des angeschlossenen Freilichtlabor Lauresham. Sehr zu empfehlen sind die angebotenen informativen Führungen durch das gesamte Areal – hierzu sollte man genügend Zeit einplanen. Wer jedoch wie auf dieser Tour 46 Kilometer absolviert hat erfreut sich zunächst eher an einem erfrischenden Abschlussbier in der Lorscher Gastronomie, die sich unmittelbar hinter dem historischen Kloster anschließt.

Blick hinauf zum Melibokus, dem Vorzeigehügel des UNESCO-Geoparks Bergstraße-Odenwald
Erhöhte Gefahrenzone für Wanderer…..
Willkommen in Welterbeareal Lorsch
Im Freilichtlabor Lauresham werden zu archäologischen Studienzwecken historische Gebäude entwickelt und nachgebaut, zudem wird hier in einem europäischen Projekt der Versuch unternommen den schon ausgestorbenen Auerurochsen nachzuzüchten
Die Klosteranlage von Lorsch – der Rasen sieht gepflegter aus als der aktuelle Wimbledonrasen
Das ehemalige Kloster Lorsch…
..einst ein Machtzentrum der besonderen Art, was auch der Lorscher Codex eindrucksvoll belegt

Viermal Welterbe (einschließlich des Welterbekandidaten Darmstadt und dem UNESCO-Global Geopark Bergstraße-Odenwald) auf einen Streich. Sollte Darmstadt den Zuschlag erhalten, dann könnte man durchaus über einen südhessischen Welterbe-Kulturwanderweg nachdenken. Die Streckenführung partiell über den Burgen- beziehungsweise Blütenweg gezogen, auf rund 60 Kilometer zweckmäßig erweitert, wahlweise mit ein oder zwei Übernachtungen inklusive ausreichender Zeitfenster für Besichtigungen an den jeweiligen Einrichtungen konzeptionell ausgekleidet, mit einer gestempelten Welterbewanderwegsurkunde eindrucksvoll dokumentiert -fertig wäre ein formidabler Welterbekulturwanderweg.

Nachtrag: Am 24. Juli 2021 hat das Welterbekomitee der UNESCO die Mathildenhöhe in Darmstadt in die Welterbenliste aufgenommen.

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