Spreng, den 6. Februar2015
Spreng – ein ungewöhnlicher Name und ein ungewöhnlicher Startort für eine Streckenwanderung im Odenwald. Als Namenspatron fungierte hier eine 1838 errichtete Fuhrmannshalte, das Gasthaus „Zur Spreng“, die anlässlich des Baus der damaligen „Staatsstraße“, und der heutigen Bundesstraße 47, die,das Gersprenztal – mit dem Michelstädter Mümlingtal verband, errichtet wurde. Von Spreng nach Hirschhorn zum Neckar – so der Wanderauftrag und von dort per Bahn zurück nach Michelstadt. Entlang des Hauptwanderweges “19” des Odenwaldklubs, der auf 140 Kilometern von Offenbach nach Eppingen führt, könnte man getrost auf Karte und GPS verzichten, da die Wegekennzeichung (Blaues Quadrat auf weißem Spiegel) ausgezeichnet ist.
Besonders erwähnenswert ist, dass man auf dem 40 Kilometer langen Trail nach Hirschhorn immerhin drei zertifizierte Qualitätswanderwege, nämlich den Alemannenweg, den Nibelungensteig und den Neckarsteig kreuzt. So geht es zunächst von der Bushaltestelle am Tierheim auf der Spreng entlang des Alemannenweges auf der Hohen Straße hinauf zum 516 Meter hohen Morsberg zum „Alten Schlagbaum“ An dieser Wegspinne mit sieben Pfaden verlief einst die bewachte Grenze zwischen den Grafschaften Erbach und Breuberg. Heute geht es ohne Wegezoll entlang des Reichenberger Hangs zum knapp 1,5 Kilometer entfernten „Steinernen Tisch“.
Steinerne Tische befinden sich meist an exponierten Wegekreuzungen. Einst dienten sie den landesherrschaftlichen Jagdgesellschaften als Lagerplatz. Lange Zeit war das Jagdwesen auch mit dramatischen Konflikten zwischen Wilddieben und Wildhütern verbunden. Sogenannte “Schwarze Schützen” hatten es in Zeiten bäuerlicher Armut auf das Wild in den herrschaftlichen Wäldern abgesehen. Verbrieft ist folgende Geschichte, die sich hier in unmittelbarer Nähe zutrug: “Im Jahr 1835 wurde ein Wilddieb vom Gräflichen Wildmeister Ernst Nees auf der Flucht erschossen. Nach einer langen Gerichtsverhandlung besagte das richterliche Urteil, der Wildmeister habe in berechtigter Notwehr gehandelt. Die Freunde des Getöteten aber, allen voran der Lange Gilles, wollte sich damit nicht abfinden. So trafen sie sich auf dem “Hohen Zorn” und schworen dem Wildhüter Rache. In einer lauen Frühlingsnacht des Jahres 1836 vernahm Ernst Nees vom Steinernen Tisch her Schüsse und machte sich mit seiner Büchse auf, um nach dem Rechten zu sehen. Dort angekommen, hörte er plötzlich einen Ast knacken und wollte in Deckung gehen, als er wenige Meter vor sich schon einen baumlangen Kerl – es war niemand anderes als der Gilles – das Gewehr auf sich richten sah. Beide Männer schossen im gleichen Augenblick. Den Langen Gilles erwischte es am Arm. Mit Hilfe seiner Kumpanen konnte er fliehen, trug aber eine Verletzung davon, die ihm zeitlebens den Umgang mit der Büchse erschwerte. Wildhüter Nees traf eine Kugel an der Schläfe. Schwer verletzt überlebte er, doch sein linkes Auge war nicht mehr zu retten. An dieses Attentat auf den Wildmeister erinnert uns heute der Neesstein, der 300 Meter östlich vom Steinernen Tisch zu finden ist.”
So geht es weiter durch den sagenhaften Odenwald auf einer dichtbewaldeten Strecke entlang des Hoschbachshöhweg zum Mossauer Bild, einem der ältesten Bildstöcke im Odenwald. Die Form des Bildstockhäuschens verweist auf die spätgotische Zeit um 1500. Auf dem Schaft befindet sich ein Wappenschild mit dem Zunftzeichen der Mossauer Hammerschmiede. Vermutlich waren sie es, die diesen Bildstock aus Sandstein errichtet hatten, um auf ihrem Weg zur Arbeit in den Erzgruben bei Rohrbach und im Ostertal hier eine Rast einzulegen. Dieser Ort im alten Reichenbacher Herrschaftswald hat aber auch eine unheimliche Vergangenheit. Hier trafen sich Anfang des 19. Jahrhunderts Wildererbanden, um auf die Jagd zu gehen. Berichten zufolge wurde 1817 ein junger Forstmann von der Erbacher Forstbehörde zum Mossauer Bild geschickt, um das Treiben der Wilderer zu beobachten. Als er von seinem Dienstgang nicht mehr zurückkehrte, stellte man Nachforschungen an, fand jedoch lediglich eine Blutlache unter einer Eiche und ein eingeritztes Kreuz in der knorrigen Rinde des Baumes. Jedenfalls kehrte der Bursche nicht mehr von seinem Dienstgang zurück und blieb verschollen.
Einen halben Kilometer weiter stößt man auf den markanten Punkt Lärmfeuer. Seit dem 30-jährigen Krieg sind die Odenwälder Lärmfeuer urkundlich dokumentiert, wobei der Begriff “Lärmen” für “Alarm schlagen” stand. Auf einigen der höchsten Bergrücken des Odenwaldes legte man Reisighaufen und Holzstöße an, die bei Gefahr von stationierten Wachleuten entzündet wurden. Flammen und Rauch waren über große Entfernungen zu sehen, und das Alarmsignal wurde mittels weiterer Lärmfeuer von einem Berg zum nächsten weitergeleitet. Dieses großräumige Signalnetz begann am Rhein und zog sich über die Lorscher Sanddüne bis zur Heppenheimer Starkenburg. Von dort verlief eine nördliche Signallinie über die Neunkirchner Höhe den Otzberg und Breuberg bis zur fränkischen Mainebene. Für die Odenwälder Bauernfamilien war es wohl ein markerschütterndes Erlebnis, wenn wieder einmal die Lärmfeuer entzündet wurden und Rauchschwaden über den Bergrücken standen. Im wahrsten Sinne des Wortes lag Gefahr in der Luft. Mittlerweile wird alljährlich im Frühjahr das Odenwälder Lärmfeuer zelebriert. Dieses Jahr ist es am 2. April soweit.
Hier oben am Lärmfeuer ist auch die stattliche Ihrig-Hüttte ein gern aufgesuchter Unterstand. In unmittelbarer Nähe befindet sich das „Haalebeerareal“. „Haalebeerleit sein lustige Leit, sieht mer se net, so heert mer se weit!“ Haaleberrleit sind Heidelbeerleute. Wenn um 1900 im Juli die Heidelbeeren reif waren, bekamen die Kinder Heidelbeerferien um sich einige Pfennige für das größte südhessische Volksfest, dem Erbacher Wiesenmarkt, zu verdienen. Ein Korb in der Hand, eine Blechbüchse am Gürtel, das war das „Robbgescherr“. Die Benutzung eines sogenannten Heidelbeerkamms war dagegen verpönt, da man ansonsten die Pflanzen beschädigte. Abends wurde die Tagesernte Zwischenhändler übergeben, der sie bis nach Mannheim verkaufte.
So geht es weiter durch das geschichtsträchtige Areal oberhalb von Hiltersklingen hinab nach Hüttenthal, dort wo die bekannteste Odenwälder Molkerei beheimatet ist. Vorbei am westlichen Zipfel der Kommune geht es zum Gegenanstieg hinauf in der Beerfelder Land auf guten gangbaren Wegen nach Airlenbach, dort wo sich die Häuser an der doppelseitigen Tallage verteilen. Hier befindet man sich schon im Granitodenwald. Nach einem Gegenanstieg geht es auf schönen Pfaden durch den dichten Mischwald nach Finkenbach. 450 Einwohner, zwei Gasthäuser, und das erste Haus am Platz, “Die Traube” bietet sogar samstags um 13.30 Uhr noch warme Küche an. Auch wenn strukturell unvernünftig, jedoch ein echtes Odenwälder Kochkässchnitzel sollte man sich hier nicht entgehen lassen, auch wenn Selbiges beim kommenden kräftigen Anstieg Richtung Rothenberg doppelt so schwer in der Magengrube liegt.
Vorbei geht es am Finkenbacher Armbruststein, der die akustische Grenze des Kirchspiels Rothenberg markierte. Nach weiteren fünf Kilometern erreicht man die Höhensiedlung Rothenberg, die südlichste Gemeinde des Odenwaldkreises. Noch heute ist das Ortsbild landwirtschaftlich geprägt. Trotz des andauernden Wassermangels in den höher gelegenen Gebieten um Rothenberg ist die Bodenfläche im Areal so gut, dass die Rothenberger die mühsame Wasserversorgung in Kauf nahmen. Der fruchtbare Boden ist ein Ergebnis der Verwitterung des tonreichen Sandsteins und der Einmischung von angewehtem Löß. Vom Lehmabbau auf der Hochfläche zeugen Tümpel, in denen sich das Regenwasser staut. Sie werden im Volksmund „Himmelsaugen“ genannt, da sich in der glatten Oberfläche der Himmel wie in einem Auge wiederspiegelt.
Auf knorrigen Wegen, teilweise auf den Pfaden des Neckarsteiges geht es strukturell abwärts in das Neckartal Richtung Hirschhorn. Nach 40 Kilometern und 1.100 Höhenmetern steht man vor den Zinnen der Burg Hirschhorn, eine gut erhaltene Hangburg aus dem 13.Jahrhundert. Das Schloßhotel ist in der Sommerzeit ein beliebter Treffpunkt. Hier kann man gut vortrefflich einkehren. Von November bis Februar ist die Restauration allerdings geschlossen. Durch die historische Altstadt von Hirschhorn geht es zum Bahnhof um per Bahn via Eberbach zurück nach Michelstadt zu fahren. Auch dieser Trail mit 1.019 Höhenmeter Anstieg und 1.211 Höhenmetern Abstieg belegt einmal mehr, wie wunderbar wanderbar der (sagen)hafte Oderwald ist.
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