Weilrod, den 17. Mai 2022 – Scheinbar ist dieser Fall bis heute der Cancel-Culture-Bewegung, die das Zigeunerschnitzel aus den Speisekarten verbannt hat und Mohrenapotheken nötigt die Reklameschilder auszutauschen, durch die Lappen gegangen. Die Rede ist von Johannes Bückler, alias Schinderhannes, der keineswegs als Gutmensch im Robin Hood-Stil die Reichen plünderte um die Mittellosen zu beschenken. Es war ein Bandit, ein Lump, ein Gauner, ein Betrüger und vermutlich auch ein Mörder, der Arme und Reiche bestahl und kurz vor dem Galgentod sogar seine Bandenmitglieder anprangerte. Am langen Ende war es der Schriftsteller Carl Zuckmayer der die Mär eines legendären Hunsrückräubers verbreitete. Heute können sich Wanderer auf die Spuren eines vom Deutschen Wanderverbandes zertifizierten Premiumwanderweges begeben, der diesem Halunken gewidmet wurde. Entgegen der offiziellen Empfehlung wird aus drei guten Gründen empfohlen, den Start nicht in Kelkheim sondern an der Landsteiner Mühle in Weilrod einzuplanen.
Grund 1: Ein perfektes warm-up! Man startet in den Wandertag mit dem heftigsten Anstieg der gesamten Tour; Grund 2: Bei Kilometer 31 kann man eine schöne Mittagsrast im wunderbaren Eppstein einlegen; Grund 3: vor den Toren von Kelkheim lockt ein wunderbarer Biergarten zu einem erfrischenden Abschlussbier.
Gestartet wird an der Ruine der Liebfrauen-Wallfahrtskirche, dort wo sich auch eine Bushaltestelle befindet. Von hier aus geht es direkt steil aufwärts, zunächst hinauf zum Weiler Treisberg und weiterführend zur vierthöchsten Erhebung im Hintertaunus, dem 663 Meter hohen Pferdskopf. Auch wer vom Aufstieg ermattet ist, sollte unbedingt den 34 Meter hohen Aussichtsturm erklimmen, die Ausblicke sind es wert.
Auf einem Höhenweg wandert man vom Pferdskopf auf einem leicht abwärts führenden gut präparierten Wanderweg südwärts gen Seelenberg. Die Anblicke linker und rechter Hand erschrecken und faszinieren gleichzeitig. Kaputt der Taunuswald, der notwendige Kahlschlag legt neue Sichtachsen zum Großen Feldberg und zu den Dörfern der Umgebung frei, Anblicke, die vor geraumer Zeit noch nicht für möglich gehalten wurden. Dabei erhebt sich durchaus eine berechtigte Frage: Wie gehen Zertifizierungsinstitute, wie das Deutsche Wanderinstitut, welches den Schinderhannessteig als Premiumwanderweg zertifiziert hat, mit diesem Aspekt um. Hat sich der massive Einsatz des Borkenkäfers dahingehend gelohnt, dass bedingt durch neue, durchaus spektakuläre Sichtfelder die Punktzahl des Qualitätswanderweges nach oben marschiert – oder bewirkt die Abholzung das glatte Gegenteil? Ein Fall für eine Doktorarbeit..
Hinter Seelenberg geht es, vorbei an einigen Felsformationen, moderat seit- und aufwärts hinauf zum höchsten Punkt der Etappe, zum 701 Meter hohen Weilsberg, bevor man den markanten Kreuzungspunkt, das Rote Kreuz erreicht, die Drehscheibe, die Motorradfahrer, Biker und natürlich Wanderer kennen, die den Großen Feldberg erklimmen möchten. Schinderhannessteigwanderer hingegen müssen jedoch ihre Wadenmuskeln ab hier regelrecht quälen, denn es geht steil abwärts Richtung Glashütten zum Waldglasweg, der als Themenweg an die einst hier ansässigen Glasproduktionsstätten erinnert. Nach einer Kaffeerast im Höhendorf Glashütten ist wiederum Waldeinsatz angesagt. Auf schönen Pfaden geht es abwärts gen Schloßborn – quasi ein Anlauf zur nächsten steilen Etappe, die zum 507 Meter hohen Atzelberg führt.
Die vielleicht schönste Passage des gesamten Trails setzt am Atzelberg auf der Wanderung gen Eppstein ein. Wer schmale Wege, Auf- und Abstiege nicht scheut, wird, wenn man der offiziellen Wegeführung folgt, mit einer tollen Wanderinfrastruktur auf dem Gang hinauf zum Rossert mehr als belohnt. Alternativ könnte man auch Eppenhain der Länge nach queren, was jedoch -zumindest aus Wandersicht- nicht wirklich reizvoll wäre. Auch hinter Eppenhain setzt sich die tolle Wegführung nach Eppstein fort, dort wo man sich die Zeit nehmen sollte, um unterhalb der markanten Burgruinenanlage am Wernerplatz zu einer Mittagsrast einzukehren.
Nach der Pause ist vor der Pause. Man könnte schon erschrecken wenn man vom Eppsteiner Zentrum aufwärts zum hoch oben thronenden Kaisertempel blickt. Die offizielle Wegeführung zieht in ausladenden Schleifen hinauf zum markanten Aussichtspunkt der Stadt Eppstein. Wer jedoch im Wanderflow ist, kann in die Gimbacher Straße einschwenken, um dort auf einem steil aufwärts führenden Pfad rasch den Kaisertempel zu erreichen. Wer schlecht zu Fuß ist kann auch hier hochfahren um im benachbarten italienischen Restaurant mit Panoramaterrasse einzukehren.
Vom Kaisertempel aus gilt die Devise: “Von nun an geht es bergab” Moderat abwärts führen die nächsten sechs Kilometer des Schinderhannessteiges gen Kelkheim. Offiziell führt der Premiumwanderweg zum Waldgasthof Gundelhard, der jedoch den Zapfhahn an drei Werktagen erst um 17:00 Uhr aufsperrt. Wer zudem auf den Fernblick nach Mainhatten verzichten kann, dem wird empfohlen am Wegekreuz Sonnenweg/Staufenhangweg in nördlicher Richtung einzuschwenken, um in den wunderschönen Biergarten des Gimbacher Hofs einzukehren, wo bereits täglich ab 11:00 Uhr die Gläser klappern. Von hier aus erreicht man nach zwei weiteren Kilometern den Kelkheimer Bahnhof.
Sicherlich, mit 57 Leistungskilometern (40 KM Wegstrecke, 1.300 HM auf- und 1.400 HM abwärts) ist der Schinderhannessteig durchaus sportlich, aber allemal abwechslungsreich und auch mit guten Einkehrmöglichkeiten ausgestattet. Wer einen dynamischen und sehenswerten Einstieg in den Taunus sucht, hat mit diesem Wanderweg eine vorzügliche Wahl getroffen, auch wenn thematisch die Strecke einem üblen Zeitgenossen gewidmet wurde.
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