Bad Nenndorf, den 15. Juni 2023 – Selten hat man Gelegenheit eine spannende Scout-und Explorertour über längere Distanzen anzugehen. Keine Frage, das Wanderthema ist verlockend, und die Koordinaten beeindrucken. 1.116 Kilometer unterlegt mit insgesamt 26.500 Höhenmetern – mehr oder minder zusammenhängend über wesentliche Anhöhen der deutschen Mittelgebirgslandschaft. Ein Weg, den es noch nicht gibt, jedoch irgendwann geben könnte. Unterwegs auf bestehenden Pfaden, die in dieser Art und Weise noch nicht verknüpft und erstmals gebündelt wurden, unter der Überschrift “Deutscher Mittelgebirgs-Trail”.
Entwickelt wurde diese spannende Idee von Frank Gerbert, seines Zeichens Geologe, Germanist, Journalist und Buchautor, der auf den bestechenden Gedanken kam eine Wanderroute quer durch Deutschland zu konzipieren, um die Deutschen Mittelgebirge unter die Wandersohle zu nehmen. In 2022 veröffentlichte Gerbert ein Buch mit dem Titel “Auf stillen Wegen vom Schwarzwald bis zum Harz – 1100 Kilometer durch eine alte Kulturlandschaft” – per se eine ideale Steilvorlage für alle Wanderbegeisterten die sich fernab der steigungslosen Ebenen für eine lebendige Streckentextur begeistern können. Grund genug den Faden aufzunehmen um im Rahmen eines neuen Wanderprojektes die konzipierte Route durch deutsche Mittelgebirgslandschaften unter die Wandersohle zu nehmen.
Zwei Dinge zur Einstimmung:
1. In Deutschland gibt es insgesamt vierzig Mittelgebirge (wobei die Frage “Was ist eigentlich ein Mittelgebirge?”) noch zu beantworten ist. Frank Gerbert hatte für sich bestimmte Auflagen entwickelt. Es sollte der maximal südlichste Mittelgebirgspunkt mit dem maximal nördlichsten Mittelgebirgspunkt verbunden werden, wobei der Geologe grundsätzlich die deutschen Mittelgebirge als ein großes Gebirge betrachtet. So entwickelte der “Landkartentüftler” eine Route von Waldshut an der Schweizer Grenze bis nach Bad Nenndorf, die er selbst von Süd nach Nord unter die Schuhsohle nahm.
2. Die Parameter des Autors werden nicht in Frage gestellt, jedoch zur Abwechslung wird dieser Trail vom nördlichsten Punkt der Deutschen Mittelgebirgsschwelle, dem Nordabhang des Deisters bei Hannover, der als Bestandteil des östlichen Weserberglands quasi die Vorhut zum Harz bildet, gestartet.
Trail 1: Bad Nenndorf – Springe
Das erste Schild was mir just gegenüber dem Bahnhof von Bad Nenndorf auffällt ist ein Wanderzeichen des Hannoverscher Wander- und Gebirgsverein. Zweifelsohne, die Fährte die Gerbert gelegt hat scheint schlüssig zu sein, denn wo es im platten Hannover einen Gebirgsverein gibt, sollte es auch Gebirge geben, auch wenn sie “nur” Mittelgebirgsniveau aufweisen. Die Kurstadt, die ihren Status den heimischen Schwefelquellen verdankt wirkt sehr aufgeräumt, fast schon steril. Durch die Kuranlagen geht es weiterführend durch eine außergewöhnlichen Süntelbuchenallee, die bereits vor mehr als einhundert Jahren angelegt wurde, bevor im Anschluss der erste Mittelgebirgszug namens Deister von der nordwestlichen Seite in Angriff genommen wird.
Die Wirtschaftswege durch den Deister sind formidabel angelegt und die Steigungen selbst sind moderat, so dass der nördlichste deutsche Mittelgebirgsberg, der 405 Meter hohe Bröhn, dort wo zahlreiche Masten der Flugsicherung sowie ein Aussichtsturm die Anhöhe markieren, auch für norddeutsche Flachlandaspiranten ohne größere Anstrengungen erklommen werden kann. Ob von der Rodenberger Höhe, dem Nordmannsturm am Reinekensiekskopf oder dem Annaturm auf der höchsten Anhöhe des Deisters – die Weitblicke in das Weserbergland und dem weiteren Umfeld beeindrucken.
Ursprünglich hat Frank Gerbert die Streckenführung von Springe aus direkt aufwärts zum Deister eingeplant, jedoch es bietet sich aus dem Fokus eines Nord-Südbegehers eine interessante Erweiterung an. Vom 393 Meter hohen Hirschköpfe wandert man ostwärts zum sechs Kilometer entfernten , einem markanten Punkt. Hier hatte ein gewisser Carl Friedrich Gauß just vor 201 Jahren erstmals Gradmessungen durchgeführt. Heute erinnert ein historischer Vemessungspfeiler an die historische Pionierarbeit, ohne die es heute kein GPS geben würde. Außerdem hat man von dieser Anhöhe einen schönen Blick auf den Großraum Hannover, bevor es abwärts in die erste Übernachtungsstation nach Springe geht.
Trail 2: Springe –Lauenstein
Wenn man einen Weg in umgekehrter Richtung wie vorgeschlagen wandert so eröffnen sich durchaus alternative Sichtweisen und Entdeckungsmöglichkeiten. So auch auf dieser Etappe. Vom Marktplatz in Springe aus verlasse ich die Ortschaft in südöstlicher Richtung durch die historische Kaiserallee zum Jagdschloss Springe zu wandern. Einst jagten hier Kaiser und Könige, denn bereits 1837 richtete hier ein gewisser König Ernst August von Hannover eine Staatsjagd ein, und fortan wurden im zweijährigen Rhythmus im angrenzenden Saupark Treibjagend abgehalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ballerten bis 2013 niedersächsische Präsidenten mit Staatsgästen und Honoratioren auf das hier eingepferchte Wild. Der Saupark selbst befindet sich dabei auf dem Mittelgebirgszug dieser DMT-Tour durchquert wird.
Nach zehn Kilometern ist der Kleine Deister, der zweite Mittelgebirgszug der DMT-Tour gequert, und man hat Salzburg erreicht, eine kleine Ansiedlung am Rande des Osterwaldes, die 1733 von evangelischen Auswanderern, die aus dem Berchtesgadener Raum stammten, gegründet wurde. Vom Kleinen Deister wandert man hinüber zum Ith, der mit einer Länge von zweiundzwanzig Kilometern der längste Klippenzug Norddeutschlands ist. Einmal mehr zeigt sich wie akribisch der Wegeentwickler Frank Gerbert den Verlauf des Deutschen Mittelgebirgs-Trails geplant hat. Zunächst wird vor dem Ith-Anstieg der Flecken Coppenbrügge gequert, dessen historischer Name Coppe auf Kuppe, Gipfel oder Spitze hindeutet. Angesichts der Lage am Rande des Ith eine durchaus nachvollziehbare Deutung.
Moderat geht es von der Ortschaft Coppenbrügge aufwärts, hinauf in eine wunderbare Felsenlandschaft. Am Saubrink/Obernberg setzt die felsige Einstimmung in der Teufelsküche ein und schreibt sich im Verlaufe der Ith-Kammwegswanderung am Mönchstein, der Spinnenwand, dem Krötenkopf und den Bisperoder Klippen fort. Das Highlight dieser Tour ist natürlich der Ithturm am Lauensteiner Kopf. Alles in allem – hier ist wandern auf hohem Niveau angesagt.
Vom Ithturm geht es abwärts gen Lauenstein. Ursprünglich sieht der Wegeverlauf eine Schleife über die mehr oder minder eingewachsenen Steinreste der ehemaligen Burg Lauenstein vor. Ich verzichte auf die Gesteinssbrockenansammlung und wähle stattdessen eine gut gangbare erweiterte Abwärtsschleife nach Lauenstein, der zweiten Übernachtungsstation.
Trail 3: Lauenstein – Grünenplan
Waren die ersten beiden Touren schon beeindruckend, so toppte dieser Tag die vorhergehenden. Sechzehn Kilometer auf dem Ithkammweg, der in seiner Textur pures Wandervergnügen verspricht. Teilweise schmalste Pfade, sporadisch eingewachsen, fels- und wurzeldurchsetzt, bereichert mit natürlichen Hindernissen wie umgestürzte Bäume und verstreutes Totholz – kurzum ein Wanderabenteuer vom Allerfeinsten. Als Dreingabe gibt es noch eingestreute Felsformationen und als Highlight die Lüerdissener Klippen, das wohl am stärksten besuchte Kletterareal Niedersachsens. Spannend auch die Erkenntnis dass mir an einem Samstag! auf diesem fantastischen Kammweg kein einziger Wanderer begegnete, jedoch im Klettergebiet Hochbetrieb herrschte. Sicherlich mögen auch die Temperaturen hart an der 30-Grad-Marke hierbei eine Rolle gespielt haben.
Irgendwie ist man schon enttäuscht, dass bei Holzen-Ith der sechzehn Kilometer lange Kammweg zu Ende ist. Im Nachgang betrachtet wäre auch eine durchgehende Runde entlang der Himmelsleiterwand und weiterführend am Siebenbach entlang hinauf über den südlichen Kamm zur 480 Meter hoch gelegenen Bloßen Zelle eine spannende Alternative gewesen. So folge ich jedoch der Streckenempfehlung und bin andererseits dankbar über eine Einkehr in einer Bikerstation in Holzen-Ith. Entlang der Ithwiesen führt die Passage bis zum Rand eines Segelflugplatzes. Von hier aus führt eim moderater Anstieg aufwärts zur Bloßen Zelle und weiterführend über den Hils-Kammweg hinauf zu einem entwaldeten Aussichtspunkt an der Feuerschneisenhütte. Hier lohnt ein Rastaufenthalt – die Aussichten sind einmal mehr beeindruckend. Der Rest – die Kür des Tages. Vom Hils geht es abwärts über den Tanzbergweg (was auch immer Anlaß dieser Namensgebung war) zur Glasmacherstadt Grünenplan – dem Zielpunkt dieser fantastischen Tagestour.
Trail 3: Grünenplan – Bad Gandersheim
Selbst der Buchautor war mit seinem eingeplanten Streckenabschnitt, der via Freden führt nicht wirklich glücklich. Jedoch aus der Nord-Südroute betrachtet gibt es eine gut gangbare Alternative, die den Abschnitt gen Freden ausblendet, und konsequenterweise durch den gesamten Höhenzug des Selter führt um hinter dem Oberbecken des Pumpspeicherwerks Erzhausen zum Höhenzug Helleberg einzuschwenken. Über den Clusberg, dem Hausberg von Bad Gandersheim wandert man final abwärts zum Soleheilbad, welches nach 37 Kilometern und gut verteilten 1.000 Höhenmetern erreicht ist. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Streckenabschnitten sind hier keine nennenswerten Highlights entlang der Strecke auszumachen. Selbst der Ithweg, der hinauf zum 364 Meter hohen Ithberg führt, ist im Gegensatz zum nördlichen Pendant unspektakulär. So beschäftigt man sich eben mit Trivialitäten des Lebens, wie beispielsweise mit der Fragestellung, wieso eine Schneise am Ittberg Arbeitslosenweg heißt…
Was ein Auftakt! 132 Kilometer, mittelgebirgsadäquat mit 3.420 Höhenmetern unterlegt, ein perfekter Einstieg in den Deutschen Mittelgebirgs-Trail. Zweifelsohne, die Idee von Frank Gerbert besticht und man hat eine reelle Chance auch Mittelgebirgsregionen zu entdecken, die man ansonsten nicht wirklich auf dem Radarschirm hat, oder die als Singletrail irgendwo auf der Bucketliste stehen. Zudem verspricht die weitere Streckenführung weitere markante Punkte und spannende Highlights. Nach dem Prolog durch das Leinebergerland steht auf der nächsten Tour ein gewaltiger Brocken an………… Demnächst hier auf powerwalker,s blog…….
Harz, 06. Juli 2023 – Angeblich soll der Schriftsteller Heinrich Heine, der just vor 199 Jahren im Brockenhaus übernachtete, einst diese Worte in das Brockenbuch geschrieben haben. Hatte er aber nicht. Von wem auch immer diese Bemerkung stammte, man kann diese Aussage jedoch durchaus dem höchsten Berg Norddeutschlands anheften. So stellte der Deutsche Wanderdienst einmal fest, dass lediglich an 50 bis 60 Tagen im Jahr auf dem Brocken freie Sicht herrscht. Der zweite Abschnitt der Nord-Süd-Pionierwanderung auf dem von Frank Gerbert entwickelten “Deutscher Mittelgebirgs-Trail” führt quer durch den Harz. Gestartet wird in Seesen, der nächsten Bahnstation des letzten Endpunktes Bad Gandersheim der vorhergehenden Tour durch das Leinebergerland. Wie bereits der Streckenentwickler feststellte, kann man sich die agrarisch geprägte Passage zwischen den beiden Orten schenken um Zeit und Kilometer eher in eine Streckenalternative zu investieren. Seesen – Goslar Seesen, ein Ort, der in mehrfacher Hinsicht über seine Grenzen hinaus bekannt ist. Hier wurde 1886 der umtriebige Harzklub gegründet, der sich schon damals der Erschließung von Wanderwegen, dem Schutz der Natur und der Förderung des Fremdenverkehrs widmete. Weiterhin trug ein Harzer Tischlermeister, ein gewisser Heinrich Steinweg, der sich in Seesen 1825 ansiedelte, sich auf den Bau von Klavieren spezialisierte und 25 Jahre später nach New York auswanderte, die Harzer Instrumentenbauertradition unter dem Namen “Steinway” in die Welt hinaus. Heute legt man für den teuersten Flügel der Edelfirma 190.000 Euro hin. So folge ich zunächst dem Steinway-Trail der dem berühmtesten Sohn der Stadt gewidmet ist, und von seinem Geburtsort Wolfshagen nach Seesen führt. [read more…]
Eisenach, den 28. Juli 2024 – “Quer durch den Thüringer Wald”, so der Wanderauftrag im Rahmen des Deutschen Mittelgebirgs-Trails (DMT), einen Weg den es offiziell noch nicht gibt. Unterwegs auf bestehenden Pfaden, die in dieser Art und Weise noch nicht verknüpft und erstmals gebündelt wurden, unter der Überschrift “Deutscher Mittelgebirgs-Trail”. Entwickelt wurde diese spannende Idee von Frank Gerbert, seines Zeichens Geologe, Germanist, Journalist und Buchautor, der auf den bestechenden Gedanken kam eine Wanderroute quer durch Deutschland zu konzipieren, um die Deutschen Mittelgebirge unter die Wandersohle zu nehmen. In 2022 veröffentlichte Gerbert ein Buch mit dem Titel “Auf stillen Wegen vom Schwarzwald bis zum Harz – 1100 Kilometer durch eine alte Kulturlandschaft” – per se eine ideale Steilvorlage für alle Wanderbegeisterten die sich fernab der steigungslosen Ebenen für eine lebendige Streckentextur begeistern können. Absolviert wurden im vergangenen Jahr zwölf Trails mit insgesamt 400 Kilometer und 10.000 Höhenmetern, wobei am nördlichsten Punkt der Deutschen Mittelgebirgsschwelle im östlichen Weserbergland gestartet wurde. So geht es nun weiter am Endpunkt der letztjährigen Passage, am Rennsteig, der bei Eisenach einsetzt. Eisenach-Brottenrode In Eisenach gibt es wandertechnisch nur eine Perspektive: aufwärts. Aufwärts zur guten Stube der Stadt, die Wartburg, und weiterführend hinauf zur vielleicht markantesten Erhebung von Thüringen, dem Großen Inselberg, der seinen vulkanischen Ursprung nicht verleugnen kann. Vom Bahnhof in Eisenach steht man bereits nach drei Kilometern vor den Pforten der Wartburg. Knapp 500.000 Gäste besuchen alljährlich die Wirkungsstätte des bekanntesten christlichen Kirchenreformators. Wenn man sich allerdings um 06.30 Uhr vom Bahnhof aus auf dem Weg macht, [read more…][read more…]
22. August 2024 – Spessart – Odenwald – Kraichgau – so die räumliche Abfolge dieser Mittelgebirgspassage die längs durch Deutschland führt und Teilstück des Deutschen Mittelgebirgs-Trails (DMT) ist. Jedoch – so einfach ist es nicht wirklich, denn in der granularen Betrachtung gestaltet sich die regionale Zuordnung deutlich komplexer. Vom Hochspessart geht es in den Bayrischen Odenwald, von dort aus in die Naturparks Neckar-Odenwald und Bergstraße-Odenwald, wobei in der weiteren Detailbetrachtung zunächst der östliche Odenwald, der als Madonnenländchen bezeichnet wird, gequert wird, um im Anschluss in das sogenannte Bauland im südlichen Odenwald zu wechseln, bevor man das Land der 1.000 Hügel, den Kraichgau erreicht, der als niedrigschwellige Mittelgebirgsbrücke die Verbindung zwischen dem kleinen Odenwald und den nördlichen Ausläufern des Schwarzwaldes darstellt. Klingt komplex und ist es auch. Partenstein – Dammbach/Heppe Knackig in vielfältiger Hinsicht fällt diese Passage durch den Hochspessart aus. Mit insgesamt 58 Leistungskilometern, die kernige 1.200 Höhenmeter im Anstieg und 1.000 Höhenmeter im Abstieg beinhalten, geht es vom Bahnhof in Partenstein auf den ersten sieben Kilometern stetig aufwärts. Sichtlich wenig begangen ist der schmale Pfad, der hinauf zur Weickertshöhe führt – einzig frische Spuren größerer Wildschweinrotten, die hier im Spessart in der Nachtschicht unterwegs waren, dokumentieren eindrucksvoll dass man hier als Zweibeiner nur Gast ist. Von der Weickertshaus führt der Wanderpfad abwärts zum Forsthaus Lohrer Straße, der zwischen den Weilern Rothenbuch und Rechtenbach zu verorten ist. Von hier aus geht es strukturell abwärts, hinab zu einem geschichtsträchtigen Ort, dem Gasthaus im Hochspessart. Hier bereicherte ein gewisser Kurt Tucholsky vor [read more…]
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