Freudenberg, den 24. März 2020 – Aus der Not eine Tugend machend. In Zeiten von notwendigen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen ist mehr denn je Kreativität gefragt, wenn es darum geht im möglichen Rahmen den Wandersport zu frönen. Die Konventionen sind klar. Sportliche Aktivitäten Einzelner sind nach wie vor gestattet, Einkehrmöglichkeiten sind gestrichen, öffentliche Verkehrsmittel sind zu meiden.
So bietet es sich im wahrsten Sinne des Wortes an, neue Wege zu erschließen. Man nehme einen zertifizierten Premiumwanderweg, wie den Nibelungensteig, insgesamt 125 Kilometer lang, garniert mit knackigen 4.000 Höhenmetern. Im Regelfall läßt sich dieser, im Jahre 2018 als drittschönster deutscher Wanderweg geadelt, in drei Etappen mit zwei Übernachtungen entdecken. Im Coronazeitalter eröffnen sich jedoch neue Perspektiven. Man teile die Strecke in 20-Kilometer-Abschnitte auf, baue einen interessanten Rückweg ein und schnüre die Wanderstiefel um altbekannte Wege neu zu entdecken.
Üblicherweise beginnt man mit dem Nibelungensteig im Westen an der hessischen Bergstraße, um am Main im bayrischen Freudenberg irgendwann die Wanderstiefel aufzuschüren. Ich steige in diese “Nibelungenringpassage” bewußt in Freudenberg ein, um die Chance zu wahren, dank Richtungswechsel neue Impressionen aufzunehmen.
Gestartet wird am Mainufer von Freudenberg, dort wo genügend Parkplätze vorzufinden sind. Eng ist es zwischen Main und den Anhöhen des Spessarts, die geologisch gesehen zum bayrischen Odenwald zählen. Die Häuser dicht an dicht eingepresst. Wer am Berg wohnt hat einen Keller für Wein und Vorrat, tief in den Berg eingeschlagen, kühl unter fast jedem Haus. Kaltstart am frühen Morgen – denn es sind 300 Stufen zu bewältigen, bis man nach einem Kilometer die hoch gelegene Burgruine Freudenberg erreicht hat.
Man merkt von Anbeginn, daß der Nibelungensteig ein Premiumwanderweg ist. Außergewöhnlich und anspruchsvoll der Streckenverlauf, gespickt mit historischen Stättten und Kulturdenkmälern, hervorragend gekennzeichnet und, einem Steig entsprechend, keine Anhöhe auslassend. Während hier im östlichen Teil des Steiges sichtbar der Sandstein als geologische Restspur der Oberrheingrabensenkung beheimatet ist, findet man am anderen Ende des Steiges den Granitodenwald vor, dessen Höhepunkt das Reichenbacher Felsenmeer sein wird. Pragmatisch gesehen müßte man jedes Geologieerstsemester über den Nibelungensteig zu Weiterbildungszwecken führen.
Just einen Kilometer hinter der Burg kann man die Reste einer frühmittelalterlichen Verteidungsanlage entdecken. Das Räuberschlösschen am Wannenberg. Noch heute sind Forscher mit der Deutung des ehemaligen Bauwerkes beschäftigt. Einer Sage zufolge soll sogar ein unterirdischer Verbindungsgang das Bauwerk mit der Burg verbunden haben. Stetig und immer weiter aufwärts führt der Nibelungensteig, vorbei an ehemaligen Sandsteinbrüchen am Wannenberg hinauf zum 481 Meter hoch gelegenen Gipfelkreuz, dem höchsten Punkt der Gemarkung Bürgstadt.
Unterhalb des Wannenbergs wird man mit einem weiteren Meilenstein dieser Region konfrontiert, dem keltischen Ringwall. Mehr als drei Kilometer lang ist die hier am Bürgstädter Berg befindliche Ringwallanlage, die bereits vor mehr als 3.000 Jahren errichtet wurde. Eine nachgebaute Pallisadenanlage erinnert an die keltischen Zeiten. Kurz hinter dem Ringwall folgt man dem Wegweiser “Historischer Wanderweg”, der vorbei an Heuneseulen und Heunefässser führt. Gemeint sind hier verstreute, schon zu römischen Zeiten teilbearbeitete Sandsteinsäulen, die auch für sakrale Bauten verwendet wurden. Der “Historische Wanderweg” mit seiner lebendigen Textur endet an der Centgrafenkapelle, ein unvollendeter Kirchenbau der während des dreißigjährigen Krieges errichtet werden sollte.
Steil abwärts geht es hinab nach Bürgstadt. Bürgstadt hatte sich schon im frühen Mittelalter einen Namen gemacht, als Weinstadt und als Ort der Sandsteinbearbeitung. Große Sandsteinbrüche bei Bürgstadt, auf dem gegenüberliegenden Mainufer in der “Mainhölle” gelegen, wurden bereits im Mittelalter erschlossen. Der Frankfurter Dom, Mainzer Bauten, Objekte in Hamburg, Berlin und St. Petersburg wurden mit dem fränkischen Stein bestückt. Sehenswert ist das Zentrum des unterfränkischen Weinstädtchens. Sehr zu empfehlen ist, wenn die Kirchen wieder offen sind, der Besuch der Martinskapelle mit seiner außergewöhnlichen “Bilderbibel”.
Nach zwei weiteren Kilometern entlang des Mains ist das historische Miltenberg erreicht. Schon die Römer erkannten die strategische Lage der untefränkischen Mainstadt. Nähert man sich von der nördlichen Seite beeindruckt das Stadtpanorama. Bereits im Mittelalter war Miltenberg eine blühende Handelsstadt, ausgestattet mit zahlreichen Privilegien wie Zollstelle, Prägerecht und Messerecht. Noch heute beeindruckt der historische Stadtkern. Vom Schnatterloch, dem historischen Marktplatz der sehenswerten Stadt führt der Nibelungensteig steil hinauf zur Kleinen Schanze.
Hinauf geht es zum Greinberg, dort wo wiederum Restspuren einer Keltenschanze vorzufinden sind. Abwärts führt die Passage nach Monbrunn, einer gestreuten Bauernsiedlung die einen besonderen ländlichen Flair ausstrahlt. Auf ausgezeichneten Pfaden folgt der Nibelungensteig dem Moorbachgraben. Kurz vor Reuenthal verlasse ich den Nibelungensteig um den nicht minder anspruchsvollen Rückweg entlang der östlichen Flanke anzutreten.
Unzählig die Varianten nach Verlassen des Nibelungensteiges. Eines haben alle Streckenführungen gemeinsam – es wird hügelig. Ich entscheide mich für die Passage über Reichertshausen, um dann weiterführend in den R3 nach Wenschdorf einzuschwenken. Hinter Wenschdorf folgt man dem Limesweg , der mit zahlreichen Restanten der römischen Glanzzeit bestückt ist.
Von Wenschdorf aus geht es über verzweigte Pfade entlang des Vorderen Steinernen Berges hinab nach Eichenmühl, um auf der gegenüberliegenden Flanke die letzte größere Steigung des Tages zum Kohlgrund in Angriff zu nehmen. In einer weitgezogenen Schleife wird die 466 Meter hohe Wannenhöhe umrundet um die restlichen vier Kilometer zurück auf dem Nibelungensteig via Schloßruine Freudenberg zum Ausgangspunkt dieser Tour zurückzukehren.
Der Miltenberger Nibelungenring – als Rundkurs eine spannende wanderbare Alternative, satte 43 Kilometer mit sehr knackigen 1.500 Höhenmetern, gespickt mit kulturhistorischen Meilensteinen. Eine neue Herausforderung ist schon Planung – der Amorbacher Nibelungenring – eine analoge Fortsetzung auf Basis des Nibelungensteiges
Hinterlasse jetzt einen Kommentar