Kelsterbach, den 30. November 2020 – Mainkilometer 15,551 – so die offizielle Flußmarkierung der Staustufe Eddersheim, der Startpunkt dieser Tour. Vor sechzehn Jahren erwarb Fraport hier eine Gesamtfläche von einer Million qm², sanierte die benachbarte Mönchhofkapelle und entwickelte zu Füßen der Landebahn Nord-West des Frankfurter Flughafens ein Gewerbegebiet. Entsprechend wertig ist der Rad- und Mainwanderweg, der zum drei Kilometer entfernten Kelsterbach führt, ausgestattet. Vorbei geht es an einer Fährverbindung, die bereits 1573 Kelsterbach mit Okriftel verband. Heute schippert die Fähre nur noch an Wochenenden im Sommer über den Main. Der Mainwanderweg selbst folgt der Ufertrasse hinein nach Kelsterbach. Augenfällig ist dabei die mächtige Kelsterbacher Terrasse, die erosionsbedingt während der Eiszeit entstand. Entsprechend steil laufen die Gärten der Anwesen, die an der Rüsselsheimer Straße gelegen sind, Richtung Mainufer aus.
Entlang der Kelsterbacher Terrasse quert man auf der Süd-Nordachse entlang der namensgebenden Kelster die Stadt und wandert durch die Unterführung des Schwanheimer Knotens um in den Schwanheimer Wald einzuschwenken. Nicht zufällig heißt die Waldschneise, die hier verläuft, Römerweg. In den letzten Jahrzehnten hat man hier unter anderem Reste einer Römische Villa, einen Römerbrunnen und Grabbeilagen entdeckt. Nicht nachzuvollziehen ist jedoch an dieser Stelle der Wegeverlauf des Mainwanderweges. Anstatt der offiziellen Beschilderung nach Schwanheim zu folgen, empfiehlt es sich hochgradig auf der Höhe des Naturschutzgebietes Schwanheimer Düne den Fernwanderweg zu verlassen. Vor rund zehntausend Jahren bliesen kräftige Winde nach der Eiszeit zum Schlußakkord und hoben feine Sande aus dem ehemaligen Flußbett des Mains. Da auf den kargen Böden die Pflanzen sich nur schleppend entwickelten, wanderte zunächst die Düne um in Westen von Schwanheim sesshaft zu werden. Heute führt ein Bohlenweg durch einen der seltenen europäischen Binnendünen. Non wäre es angebracht, wenn die Wegeplaner, die bereits 1971 den Mainwanderweg entwickelten, das seit 1984 ausgewiesene Naturschutzgebiet schlußendlich in die Wegeführung einbeziehen. In der pandemiefreien Zeit könnte man darüber hinaus den Streckenverlauf erweitern, per Fähre nach Frankfurt- Höchst übersetzen, um am sehenswerten historischen Schloßplatz, dort wo mit Lokalkolorit behaftete Wirtshäuser ansässig sind, zu einem “Kaffee oder Ebbelwoi” einzukehren. Und wer möchte kann sich hier gerne vor Ort mit einem der ältesten eorupäischen Porzellanherstellungsorte beschäftigen. Daß der Mainwanderweg an dieser Stelle, westlich von Höchst, nicht dem Mainverlauf folgt hat einen einfachen Grund – hier befindet sich Sanofi-Aventis, einst Farbwerke Hoechst. Heute sind 22.000 Mitarbeiter an diesem Standort beschäftigt. Hier verdeutlicht sich einmal mehr die Vielschichtigkeit der Mainschleife. Das mächtige Chemiewerk mit integrierter Werksbrücke absorbiert an der westlichen Flanke den Main, Frankfurt-Hoechst dockt nördlich an, nordöstlich bildet das Gewerbegebiet Griesheim einen eigenständigen Block und südlich schuben sich die Schwanheimer Dünen zwischen den rauchenden Schloten des Hoechst-Werkes und der Kommune Schwanheim. Ein verwirrendes Straßengeflecht des Schwanheimer Knotens sichert dabei die notwendigen Transportketten, und wenn am gegenüberliegenden Frankfurter Flughafen der Flugbetrieb wieder vollständig aufgenommen ist, spätestens dann wird das letzte Vogelgezwitscher nicht mehr wahrnehmbar sein. Sag bloß einer – am Main sei nichts los!
Ein breiter Grünstreifen trennt den Main vo,m Frankfurter Stadtteil Schwanheim auf einer Länge von vier Kilometern, der nahtlos in den nächsten Stadtteil Niederrad übergeht. Im Frankfurter Weltbild ist Niederrad DIE Bürostadt, wobei allerdings immer mehr Bürofläche in Wohnraum umgewandelt wird. Allemal ist Niederrad stark mit dem Wasser verbunden. Zahlreiche Rudersportvereine haben sich hier angesiedelt und das als LILU bekannte Licht- und Luftbad ist bereits seit 1900 als Flußschwimmbad etabliert. Unter der mächtigen Eisenbahnbrücke hindurch wandert man am weitläufigen Areal der Frankfurter Universitätsklinik vorbei. Gegenüber beeindruckt die Silhouette des Frankfurter Westhafens mit der vorgelagerten Westhafenspitz. Im Hintergrund türmen sich die Wolkenkratzer der Bankenmetropole auf. Diese Blickachse legt durchaus die dynamische Entwicklung Frankurts frei, die keineswegs abgeschlossen ist. An der Friedensbrücke ist bei Kilometer 20 der Wendepunkt der heutigen Mainexkursion erreicht.
Mächtig aufgebohrt wurde der Westhafen. Stilgerecht wurde dabei die Mole mit einem Bootssteg ausgestattet, so daß gestreßte Banker der Finanzmetropole abends auf einen Prosecco zur Gerbermühle tuckern können. Die nächsten Kilometer sind reine Fleißarbeit und lagebedingt nicht sonderlich attraktiv. Es geht durch die Industriezone des Gutleutviertels. Nachtwanderungen sollte man hier eher nicht unternehmen. Auf der anderen Seite der Neuen Niederräder Brücke passiert man die Orange Beach, ein Kult-Kiosk mit Beach-Charakter eingebettet in einer Industrieromantik, da direkt an der Eisenbahnbrücke eingebracht. Gute Getränke zu fairen Preisen und ein illustres Publikum kennzeichnet diesen Frankfurter Hot-Spot. Weiter mainabwärts wandert man entlang der Mainseite von Alt-Griesheim. Vergessen die Frankfurter Skyline, vergessen der Westhafen-Flair dort wo sozialer Wohnungsbau neu definiert wird, vergessen die Betriebsamkeit einer Großstadt. An der Uferstraße von Alt-Griesheim scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Eine ländliche Bräsigkeit stülpt sich über dieses Viertel und verdeutlicht einmal mehr die Vielschichtigkeit, die sich auf wenigen Mainkilometern offenbart. An der Staustufe Griesheim wird der Main erneut gequert. Diesmal geht es durch Schwanheim, hinüber in den gleichnamigen Stadtwald. Spätestens im Unterwald macht sich der südlich gelegene Frankfurter Flughafen, trotz reduzierten Flugbetrieb bemerkbar. Unaufhörlich dröhnt es von der größten Luftfahrtdrehscheibe Deutschlands. Ohne Schnörkel führen die Schneisen kilometerlang geradeaus durch den Schwanheimer Wald und verstärken den Hall des Flughafenbetriebes. Am südöstlichen Zipfel von Kelsterbach schwenke ich westwärts ein, um am Ende der vier Kilometer langen Landebahn Nord-West die Wanderung am Wasserkraftwerk Eddersheim nach exakt 40 Kilometern abzuschließen.
Vielschichtig und abwechslungsreich, so auch die zweite Mainrunde. Wohl kaum gibt es eine bessere Jahreszeit um einzutauchen in die flußnahe Landschaft im Herzen Deutschlands. Auch die nächste Passage, die von Frankfurt in die Offenbacher Lande führt, wird gespickt sein von vielfältigen und interessanten Eindrücken.
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