Grebenau, 11. März 2017 –
Spannend! Spannende 83 Kilometern, quer durch die osthessischen Gefilde, so das Resümee der vorletzten Lutherwegspassage Mit einem weitreichenden landschaftlichen und kulturellen Spektrum bietet der Lutherweg 1521 zwischen Grebenau und Dankmarshausen, so ziemlich alles, was man unter einer bemerkenswerten Wandertour subsummieren kann. Gestartet wird zu gewohnt früher Stunde in der Ortsmitte der Gemeinde Grebenau, dem Endpunkt des letzten Pilgertrails. Die Rahmenbedingungen sind exzellent. Das Thermometer kratzt an der Nullgradmarke, am Horizont kündigt sich ein formidabler Sonnenaufgang an, die Wetterprognose bietet die Perspektive auf einen sonnigen Tag und zum warm up steht ein schöner Anstieg zur Burg Herzberg an.
Zusätzliche Leistungspunkte kann man sich beim Anstieg noch verdienen, dort wo saisonbedingt die schweren Harvester tiefe Furchen in die Waldwege eingefräst haben. Bald ist die auf 506 Höhenmeter gelegene Burg Herzberg, die die größte Höhenburg Hessens ist, erreicht. Die Entstehungszeit der Burganlage wird auf 1280 taxiert. Sie wurde strategisch günstig auf der Achse der Altstraße „kurze Hessen“ einer alten Verbindungsstraße der Messestädte Frankfurt und Leipzig, errichtet. Das Burggelände ist mittlerweile eine nachfragte Adresse für Veranstaltungen und Events aller Art. Tageswanderer, die nach 11 Uhr oben ankommen, haben darüber hinaus die Gelegenheit die Burganlage zu besichtigen und in der Burgschänke einzukehren. Beeindruckend auch die Sichtachsen in das sanfthügelige Bergland der osthessischen Region.
Wer etwas Abwechslung liebt, der nutzt einen nicht ausgeschilderten Wurzelpfad gegenüber des Burgeingangs, um nach wenigen hundert Metern wieder auf die Originalstrecke des Lutherweges zu stoßen. Nach knapp fünf Kilometern ist das 250 Meter tiefer gelegene Breitenbach, eine 1800 Seelen zählende Kommune, die am südwestlichen Zipfel des Landkreises Hersfeld-Rotenburg liegt erreicht. Ein Kaffee beim örtlichen Bäcker, ein Leberkäsebrötchen beim ansässigen Metzger, wanderinfrastrukturell ist Breitenbach sehr zu empfehlen. Schade nur, dass die örtliche Kirche verschlossen ist. Hier hätte man Gelegenheit ein Sonnenkreuz zu besichtigen.
Auf guten Wegen wandert man durch das Jossatal in den drei Kilometer entfernten Nachbarort Oberjossa. Eine ältere Dame berichtet hier, dass hier vor circa 60 Jahren eine baufällige Kirche abgerissen wurde und das darin befindliche Sonnenkreuz nach Breitenbach verbracht wurde.
Entlang der stillgelegten Trasse führt der Pilgerpfad hinein nach Niederjossa. Augenfällig springt der stattliche Kirchturm hervor. Ursprünglich als Wehrturm errichtet und im Zeitverlauf als Kirche vollendet so die bemerkenswerte Entwicklung dieser sakralen Stätte.
Steigungslos geht es weiter durch das Jossatal Richtung Niederaula. Konnte Luthers Tross noch die Weite und Stille des Tals genießen, schneidet heute eine ICE-Hochgeschwindigkeitstrasse und die A7 das Talbecken. In der Ortsmitte lohnt ein Besuch der örtlichen Kirche. Einem Hinweis im Pilgerführer folgend empfiehlt sich ein Gang auf die Empore, dort wo ein origineller Grabstein aus dem 17. Jahrhundert im Mauerwerk eingelassen ist.
Würde man auf Luthers Originalpfad bleiben, so könnte man steigungslos den Radweg Richtung Asbach begehen. Jedoch, den Vätern des Lutherwegs 1521 sei Dank. Für Freunde des gepflegten Anstiegs empfiehlt es sich die Steigungspassage über den Aulaberg zu wählen. Mit Blick auf das vor einem liegende Fuldatal gelangt man durch eine schöne Waldpassage nach Beiershausen und von dort aus in das zwei Kilometer entfernte Asbach.
Vier Kilometer vor der Kreisstadt Bad Hersfeld stößt der Lutherweg auf das Schloss Eichhof, dort wo seinerseits Martin Luther vom Abt empfangen wurde. Das Schloss selbst wurde von den Äbten Anfang des 14. Jahrhunderts als Wasserschloss errichtet und im Zeitverlauf als Wehranlage ausgebaut, da es des Öfteren zu Streitereien mit den städtischen Vertretern des benachbarten Bad Hersfeld kam. Heute wird in dem weitläufigen Areal ein staatliches Versuchsgut betrieben. Auf den benachbarten Agrarflächen können Anbaureihen zu nachwachsenden Energieträgern besichtigt werden.
Auf den Weg nach Bad Hersfeld begleitet man einen stattlichen Fluss, der die größte hessische Fließlänge aufweist, die Fulda. Bevor man in die Stadt eintaucht empfiehlt es sich eine Rast auf der Sonnenterasse eines Strandrestaurants einzulegen. Eine Anlegestelle für Kanuten legt Zeugnis ab, dass dieser Bereich ein beliebtes Naherholungsziel ist.
Rasch ist von hier aus das Jugendstil-Kurhaus der Bäderstadt erreicht. Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres locken viele Besucher in den kleinen Kurpark. Freunde der gepflegten Heilwässer können sich an den Wasserquellen Lullus und Vitalis laben. Nebenan lädt die Kurbad-Therme zu einem Wellnessaufenthalt ein.
Den Stadtring querend ist der Stiftsbezirk, das Areal der ehemaligen Reichsabtei Hersfeld erreicht. Im Zentrum des Stifts steht die imposante Kirchenruine der aus dem 12. Jahrhundert stammenden Abteikirche, ein kolossaler Prachtbau, einst 105 Meter lang und 55 Meter breit. Es ist immer wieder erstaunlich, welch besondere Faszination Kirchenruinen ausüben. Dies gilt einmal mehr für die gewaltigen Ruinenreste der Stiftskirche. Allemal zu empfehlen ist auch ein Besuch des angegliederten Heimatmuseums. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass in der benachbarten Campanile, die seinerseits als Provisorium errichtet wurde, Deutschlands älteste Glocke, die Lullusglocke aus dem Jahr 1038 hängt.
Quirlig das Treiben in der Fußgängerzone der knapp 30.000 Einwohner zählenden Kur- und Kreisstadt. Eine Vielzahl aufwändig sanierter und reich verzierter historische Bauten belegen die reiche Geschichte von Bad Hersfeld. Am Markt, kurz hinter dem markanten Doppelkreuz am Linggplatz, welches die historische Grenze zwischen Stift und Stadt markierte, werde ich von einem Mann angesprochen und als Lutherwegspilgerer dank dem Lutherwegsanhänger am Rucksack angesprochen.
Vor mir steht Harmut Ziehn, der gemeinsam mit Bernd Rausch aus Romrod (der mir vierzehn Tage zuvor den Anhänger stiftete) den Lutherwegsverein gründete und maßgeblich an der Entwicklung des Pilgerpfades beteiligt war. Welch ein Zufall! Hartmut Ziehn lässt es sich nicht nehmen mir im Rahmen einer kurzen Stadtführung die Highlights von Bad Hersfeld vorzustellen. So besichtigen wir das älteste Haus von Bad Hersfeld, es geht vorbei an der Stadtkirche, die markante Rennaisancefassade des Rathauses ist zu bewundern und ich erfahre, daß Lullus, Benediktinermönch und Schüler von Bonifatius mit der Errichtung eines Benediktinerklosters den Grundstein für Hersfeld legte. Eingedenk des Todestages des Heiligen Lullus wird jährlich am 16.Oktober das älteste Volksfest Deutschlands, das Lullusfest abgehalten. Man könnte fast geneigt sein, angesichts dieser Informationsfülle, diese Wandertour als Bildungsreise geltend zu machen. Sichtlich nicht ohne Stolz berichtet Hartmut Ziehn beim Abschied, dass sein früher Chef, ein großer Sohn der Stadt, der Computerpionier Konrad Zuse gewesen war. Dass beim Pilgern sinnbildlich nicht die Einkehr in sakralen Stätten, sondern die Begegnung mit Menschen und am langen Ende auch mit sich selbst im Vordergrund steht, hat einmal mehr diese Zusammenkunft unter Beweis gestellt.
Nach 41 Kilometern und angenehmen 621 Höhenmetern heißt es Einkehren zur Nachtruhe in Bad Hersfeld. Sehr zu empfehlen ist das neu errichtete Hotel am Neumarkt namens B&F. Zentral die Lage, moderat die Preise und unter Wanderaspekten besonders wichtig – auch sonntags gibt es ab 07.00 Uhr ein early-bird-Frühstück um zeitig die Beine wieder auf die Wanderpiste zu stellen.
Menschenleer die Innenstadt am frühen Sonntagmorgen. Ostwärts geht es hinauf zur Siedlung „Hohe Luft“, dort wo, wie dem Pilgerführer zu entnehmen ist, Vertriebene aus Schlesien und anderen Ostgebieten ihre neue Heimat fanden. Sympathisch an diesem Tag die Streckentextur. Man hat das Gefühl ständig bergauf zu laufen. Von der „Hohen Luft“ geht es in das Tal Solz, dem historischen Pad des ehemaligen „kurzen Hessens“, nach Kathus folgend. Der Weiler wirkt wie ausgestorben, Auf den nächsten 18 Kilometern bis nach Friedewald werden drei Hasen und zwei Rehe die einzigen sichtbaren Lebewesen sein – meditatives Wandern – streßabbauend und regenerativ.
Von Kathus aus geht es aufwärts zum Seeloch, ein mit Wasser gefüllter Erdfall, ausgelaugt von Salzlagerstätten, der seit mehr als 120.000 Jahren besteht. Im wahrsten Sinne „magisch“ wie treffenderweise auch im Pilgerführer beschrieben, wirken die auf schwimmenden Torfmoosen wachsenden Birken. Fotografisch gesehen wäre das Seeloch an einem sonnigen Oktobermorgen, angereichert mit einer sich verziehender Nebelbank, das Optimum für jede Linse.
Im weiteren Streckenverlauf ist „Wald“ angesagt. Bemerkenswert die überbreiten Wirtschaftswege im Waldkorridor, die teilweise den Anmut einer Kreisstraße in gemeindlichen Regionen haben. So geht es vorbei am Auerhahnkreuz, einer Wegescheide im Wald, weiter zwischen Sandberg und Toter Mann, die A4 querend, hinab nach Friedewald. Es wäre sicherlich auch interessant den Ursprung des Ortsnamens Friedewald zu ergründen, zudem kurz vorher die Bergseite des „Toten Manns“ gequert wurde. Durchaus Anlass für die ein- oder andere Mutmaßung.
Im Ortskern von Friedewald stößt man auf ein dreiflügeliges Schloss, welches heute ein Hotel beherbergt. Nebenan kann die Ruine eines ehemaligen Wasserschlosses aus dem 15. Jahrhundert besichtigt werden. Einst errichteten die Hersfelder Äbte an dieser Stelle eine Burg. Heinrich der III, seines Zeichens geldgierig, annektierte die Anlage und ersetzte die Abtsburg durch ein Wasserschloss um auf der Handelsstrecke des „alten Hessens“ Zoll zu kassieren und Geleitschutz zu verkaufen.
Nur am Rande sei bemerken, dass die gegenüberliegende Kirche auch sonntags verriegelt ist. So heißt es wieder: eintauchen in den Wald und zwar für die nächsten elf Kilometer. Nach vier Kilometern ist die Wüstung Hammundseiche erreicht. Im Wald kann man die freigelegten Fundamente der ehemaligen Kirche begutachten, die bereits zu Luthers Zeiten nicht mehr in Betrieb war. Nebenan das beeindruckende Naturdenkmal, die gewaltige Hammundseiche, mit einem Umfang von sagenhaften neun Metern. Jeddoch, der umliegende Seulingswald wird klar beherrscht von der heimischen Buche. Diese Kante sollte man sich für eine Herbstwanderung vormerken, dann wenn die gelb-grün-braune Blätterverfärbung einsetzt – es sollte schlichtweg prachtvoll sein, hier durch den Blätterwald zu flanieren.
Nach weiteren vier Kilometern ist der „Zollstock“ erreicht eine markante Wegemarke mit angeschlossenem Parkplatz. Der hier angebrachte Stein erinnert an die hessische Zoll- und Geleitstelle Friedewald und an die „kurzen Hessen“. Vier Kilometer weiter passiert man auf der Höhe des Aussichtsturm Bodesruh, die ehemalige innerdeutsche Grenze. Hier bietet sich auch eine Einkehr im nebenanliegenden Gasthaus an.
Vis a vis des Gasthauses erhebt sich die mächtige drei Kilometer entfernte Kaliabraumhalde von Heringen, umgangssprachlich Kalimandscharo genannt. Geschätzte 200 Millionen Tonnen wurden seit 1973 hier angehäuft. Das Gipfeltableau ist 200 Meter hoch und politisch steht der Betreiber aktuell unter Beschuss. Das Grundwasser ist versalzen, und die Werra bietet keinen Lebensraum mehr für Süßwasserlebewesen.
Entlang des Haldenzaunes führt der Weg entlang des ehemaligen Todesstreifens. Noch heute kann man die Restspuren des Grenzpatroillenweges erkennen. Heute ist die Passage als „Grünes Band“ deklariert. Unter dem Motto „Vom Todesstreifen zur Lebenslinie“ entwickelte sich das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt mit der Zielsetzung 1.400 Kilometer zu renaturisieren und erlebbar zu machen. Auch ein spannendes Thema für eine mehr als ausgedehnte Wanderexkursion.
Hinter dem Wald, unterhalb der Halde, öffnet sich das Werratal und legt einen schönen Ausblick über die sanfthügelige thüringsche-hessische Landschaft frei. Da die Bahnachse Dankmarshausen – Berka seit 1952 für den Personenverkehr geschlossen ist, bleibt nur noch der Gang in das benachbarte hessische Wildeck-Bosserode, wo am Wochenende im Zwei-Stunden-Takt die Verbindung Eisenach-Bebra aufrecht erhalten wird. Zweimal Bahn, einmal Bus; nach 1 Stunde und 40 Minuten ist der Ausgangsort dieser beeindruckenden Exkursion, Grebenau, wieder erreicht. Was bleibt sind 83 Kilometer und 1.383 Höhenmeter in den Knochen, sattsame Eindrücke einer herrlichen Region im Gedächtnis, und die Aussicht auf ein angenehmes Finale zur Wartburg in Eisenach.
Einfach klasse Bilder, So was schönes. Herzlichen Dank.
Danke auch für die Begegnung in Bad Hersfeld
Hartmut Ziehn Bad Hersfeld
Ein ganz wunderbarer Blogbeitrag, großes Kompliment, magische Bilder! Das macht wirklich Lust, gleich loszugehen. Werden Sie den Weg fortsetzen – bis zur Wartburg? Das würde uns Thüringer Lutherweg-Aktive wirklich freuen!
Danke sagt Heidi Brandt, Aktionsnetzwerk Luther-Region e. V. Eisenach – Bad Salzungen
Herzlichen Dank Heidi Brandt. Selbstverständlich wird der Weg komplettiert. Das große Finale nach Eisenach steht noch an – derzeit ist jedoch eine urlaubsbedingte Wanderpause angesagt. Viele Grüße nach Bad Salzungen – Martin
Da sieht man mal was Osthessen alles so zu bieten hat!
Ich bin als Rhöner schon viele Jahre in den Festspielen und ich bin jedes Jahr begeistert, was dort auf die Beine gestellt wird
Ein Tipp von einem Lutherwegswanderer auf der anderen Seite des eisernen Vorhanges:
In Eisenach kann man eine gute Pilgerherberge im Diakonissenmutterhaus finden. Karlsplatz 27/31.
Nicht erschrecken, wenn Ihr auf die Wartburg kommt: Menschenmassen…
Wir sehen uns am 31.10.2017 in Wittenberg? Ich hebe mir die letzte Etappe extra auf. 45 Tage Sachsen und Thüringen habe ich hinter, noch ca. 25 Tage Rest-Thüringen und Sachsen-Anhalt vor mir. Worms ist auch noch zu erlaufen.