Die Wander-Matrix

11. Dezember 2023 – Stadtwanderungen – ein Thema das immer mehr an Dynamik gewinnt. So hat das Deutsche Wanderinstitut mittlerweile fünf zertifizierte Premium-Stadtwanderwege im Portfolio, der Deutsche Wanderverband listet aktuell zehn Stadt-Qualititätswanderwege, und eine 200.000 Einwohner große Stadt wartet sogar mit 95 Stadtwanderkilometer auf.

Insbesondere zur drögen Jahreszeit sind Stadtwanderungen eine willkommene Alternative. So kann man auch rund um die Wintersonnwende längere Touren einplanen, denn die städtische Nachtbeleuchtungen und die allgemeine Lichtverschmutzung in den Straßenkorridoren belebter Zonen eröffnen durchaus reizvolle Perspektiven.

Offen bleibt eine Frage: “Wie plant man eine Stadtwanderung?” Man könnte sich zunächst mit einschlägigem Material: wie “Pusemuckel zu Fuß” oder “111 Orte in Castrop Rauxel die man gesehen haben muss” eindecken, um dann die darin beschriebenen Highlights gangbar zu verknüpfen und strukturiert abzuarbeiten. Man könnte auch, wie vom Promenadologen (Spaziergangsforscher) Bertram Weisshaar empfohlen, die Haustüre abschließen und ziellos und ohne Logik umhergehen – also streunen. Oder wie hier, erstmals am Beispiel der Stadt Offenbach praktiziert, eine Matrix über den Stadtplan legen um auf Basis der bestehenden Wege- und Straßenstruktur fernab normierter Stadtwege, Thementouren und touristischer Hot-Spots auf eine Entdeckungsreise zu gehen, startend von Südost, um sich horizontal durch die Stadt gen Norden hochzuarbeiten. Am langen Ende waren es vierzig ein-, aussichts-, und erkenntnisreiche Kilometer, gespickt mit vielschichtigen Eindrücken – im Folgenden visualisiert mit dem Untertitel: Fundstücke…..in Offenbach.

Die Wander-Matrix für die Stadt Offenbach. Nördlich begrenzt der Main den Stadtkern, westlich trennt die A 661 die Städte Frankfurt und Offenbach, östlich streckt sich die Kernstadt bis zum Ostbahnhof und südlich mantelt der Spessartring das Zentrum ein. Am Bildrand auf fünf Uhr ist die Sportarena der Offenbacher Kickers auszumachen, die am Stadtrand bei Offenbach Bieber beheimatet ist.
Zum Start Naturfeeling. Über den Landgrafenring, dem Hessenring und dem Starkenburgring absolviert man immerhin drei Kilometer durch die “grüne Lunge” der Stadt
Stadtbäume unter Stress? Reihenweise sind Maserknollen an den Alleebäumen zu beobachten
Bei “Papi” kann man neapolitische Pizza bestellen – und das Oberhaupt der nebenan liegenden St. Josefskirche wird liebevoll auch als “il papa” bezeichnet
Unterwegs im Pipi-Kacka-Land….., wobei dudengesichert Kacka mit ck geschrieben werden sollte….
Get Connected. 134.000 Einwohner leben in Offenbach. Gefühlt sind 200.000 Sat-Schüsseln installiert…
Zwar sieht die Rückseite des Areals nicht wirklich einladend aus, jedoch genießt die Sana-Klinik in Offenbach deutschlandweit einen exzellenten Ruf.
Gut verschanzt ist diese Taxizentrale im Gleiswölbe der Kinzigtalbahn
Offenbacher werden gequält. Im Minutentakt ziehen die Maschinen über die Stadt. Nach Angaben sind jährlich 200.000 Flugbewegungen vom benachbarten Frankfurter Flughafen zu verzeichnen, die einen engmaschigen Lärmteppich über die Stadt stülpen
Mehr als einmal fragt man sich welche Geschichte hinter dem ein oder anderen Bauwerk steht…
Vom Offenbacher Ostbahnhof eröffnet sich eine interessante Blickachse hinauf zum 179 Meter hohen Schneckenberg, der höchsten Erhebung der Stadt. Auf der Südseite des ehemaligen Kalksandsteinbruchs, der als Schuttdeponie zweckentfremdet wurde, sind seit mehr als zehn Jahren knapp 13.000 Solarmodule angebracht.
“Offenbacher gehen lieber zu Fuß”, wie die lokale Postille, die Offenbach-Post, vor einigen Monaten feststellte. Denn Busse und S-Bahnen sind katastrophal eingetaktet….
..und der Offenbacher Hauptbahnhof ist schlichtweg ein Dreckloch – verranzt und versifft. Als Randnotiz bemerkenswert ist der Umstand, dass das im Art-Deco-Stil errichtete Empfangsgebäude unter Denkmalschutz steht…..
Ein Schelm wer Böses dabei denkt: Am Anfang waren Himmel und Erde…..
….den ganzen Rest haben wir gemacht…………
..wobei es auch durchaus ansprechende Street-Art-Werke gibt…
..punktuell unterlegt mit sachdienlichen Hinweisen…
Die Innenstadt von Offenbach – kein homogenes Erscheinungsbild sondern facettenreich. Ein Standort – drei Perspektiven. Blick nach rechts….
Blick geradeaus….
Blick nach links….
Und hinter jedem Baum….
…eröffnen sich neue Eindrücke…
Reservierter Stellplatz für Firmenangehörige der Deutschen Bahn…..
Die 1909 errichtete Leibnizschule galt einst als schönstes Schulgebäude seiner Zeit. Kein Wunder, denn bei Errichtung orientierte man sich an die Schlossarchitektur des 18. Jahrhunderts.
Und erschöpfte Lehrkörper, die sich über mangelnde Lese- und Rechenkenntnisse ihrer Schüler beklagen, können im gegenüberliegenden Dreieichpark neue Kraft tanken…
Mit einem Grünflächenanteil von immerhin 65% belegt die Stadt Offenbach im deutschlandweiten Großstadtvergleich einen hinteren Mittelfeldplatz.
Minotauros am Dreieichpark
Dreißig Jahre ist es her dass die Offenbacher Kickers in der Bundesliga kickten. Erfolgreicher sind hingegen die Boxer. Mit “Rocky” Cinqueoncie hat man sogar einen Junioren-Boxweltmeister in den eigenen Reihen
Offenbach ist Spitze in der Migration. 66 Prozent der Bevölkerung hat Migrationshintergrund und offiziell leben knapp 40 Prozent Ausländer in der Stadt. Entsprechend vielschichtig ist auch das kulinarische Angebot in der Stadt, dort wo 159 Nationalitäten zusammen wohnen.
Ohne Frage – der Nachbar Frankfurt ist die heimliche Hauptstadt der “Wasserhäuschen”. Die Büdchenkultur in Offenbach selbst ist hingegen nicht wirklich ausgeprägt
Auch in Offenbach kennt der Schilderwahn keine Grenzen. Angeblich gibt es 12.000 Vekehrszeichen in der Stadt…..
Die gute Stube von Offenbach, das Markthaus am Wilhelmsplatz – ein uriges Wirtshaus mit traditioneller hessischer Küche. An Markttagen DER Hotspot mit Lokalkolorit, der auch von Frankfurtern gerne aufgesucht wird
..und just nebenan ist dem populärsten Offenbacher ein Denkmal gewidmet
Punktuelle Stadtentwicklung: dort wo einst die Kappus Feinseifen- und Parfümeriefabrik stand ist ein attraktives Wohnareal entstanden – die Kappus-Höfe. Für 6.600 Euro kann man einen Quadratmeter Wohnfläche erwerben
Kaffepause gefällig? Das Cafe Lieblingsplatz vis a vis des Deutschen Ledermuseums….
Das Wetter kommt aus Offenbach. Alleine in der Zentrale des Deutschen Wetterdienstes sind 900 Mitarbeiter beschäftigt
Ob Fußball, Straßenvverkehr oder Karneval – Offenbach und Frankfurter liegen im historischen Dauerstreit. Sogar mit einer Skulpturengruppe wurde die Dauerfehde verewigt. Einst besuchte ein Frankfurter Bürger im Winter die Stadt Offenbach und wurde von freilaufenden Hunden attackiert. Als er sich nach einem Stein bückte um ihn auf die Hunde zu werfen, war das Wurfgeschoß festgefroren. Daraufhin brüllte der Frankfurter:  „Krieh die Kränk, Offebach! Die Staa binne se aa, die Hunde lasse se laafe.“ [„Verdammtes Offenbach! Die Steine binden sie an, die Hunde lassen sie laufen.“]. Seitdem demütigen die Frankfurter die Offenbacher mit dem Schlachtruf: “Krieh die Kränk, Offebach. Und wer in Offenbach etwas auf sich hält steigt spätestens an der Haltestelle Offenbach Stadtgrenze aus, um bloß nicht Feindesland zu betreten…..
Vielschichtig die Bausubstanz im Kern der Innenstadt
Verlottert der Hauptbahnhof – akkurat hingegen die Entfernungsangaben
Offenbach ist facettenreich wie ein Kaleidoskop. Ob Bestandsbauten die zweckmäßig erhalten werden…
….Bausünden aus den 70er Jahren – wie hier das Gothaer-Haus
Statische Gebäudereanimierungen…
Architektonischer Brutalismus…
Kosmopolitisches Ambiente….
…Historisches im Schatten moderner Architektur…
Auch wenn Brutalismus (beton brut) ein offizieller Baustil ist – hier ist dieser Stil ausgeufert…..
Hollywood-Glamour: Die Offenbach-Hills
Nicht jeder Spielplatz ist als Ort der Entfaltung und der Begegnung geeignet
Das Büsingpalais – ein architektonisches Juwel der Stadt. Die Schokoladenseite des Hauses ist derzeit verhüllt, da umfangreiche Sanierungsmaßnahmen stattfinden
Versifft der Hauptbahnhof, verkommen die Gleise. Jedoch so schlimm wie es scheint ist es nicht. Das Doppelhelix erinnert an Offenbachs Industriegeschichte. Die in den Himmel auslaufenden Schienen sind ein letzter Rest des alten Industriegleises, das einst den Main entlang verlief.
“Offenbach am Meer” – eine kreative Plattform zur Kulturförderung in der Stadt. Im Hintergrund das Isenburger Schloß, welches als eines der schönsten Zeugnisse der Renaissance nördlich der Alpen gilt – jedoch das Objekt verkommt zusehends. Vollgemüllt und verschmiert mit Graffiti. Der Nutzer, die gegenüberliegende Hochschule für Gestaltung!!!!! und das Land Hessen als Eigentümer lassen die Liegenschaft seit Jahren verkommen – die Offenbacher sind als Zaungäste die Leidtragenden..
Die einstige Synagoge ist heute ein sehr beliebtes Kultur- und Veranstaltungszentrum mit einem einzigartigen Innenraum, der Capital-Lounge
Goethe war mit seiner Gedichtsreihe “West-östlicher Divan” seiner Zeit voraus………….
Seit zwanzig Jahren!!!! stehen die KWU-Türme am Kaiserlei leer… Keine attraktive Visitenkarte der Stadt für die 120.000 Fahrzeugführer, die hier an der Verkehrsachse der A 661 vorbeirauschen
Zwei dicke Stahlröhren mit einem Durchmesser von zwei Metern tragen die 220 Meter lange Kaiserlei-Brücke, die sich hier an der Gemarkungsgrenze Frankfurt/Offenbach über den Main spannt
Farbenfroh geht es im neuen Industriequartier zu….
..und nebenan ist man scheinbar von der farblichen Belebung auch inspiriert…
Heißbegehrt als Standort ist das neugestaltete Industrieareal am Kaiserlei für Hochrechenzentren, unweit des weltweit größten Internetknotens an der Hanauer Landstraße in Frankfurt
Seit einigen Jahren das neue Offenbacher Wahrzeichen, der blaue Kran im Hafenviertel
Das Universum steht in Offenbach – eine Installation als Reminiszenz an das ehemalige Universum-Kino in der Offenbacher Kaiserstraße
Die Wärmeversorgung ist gesichert: Wohnen am Heizkraftwerk
Plastifizierte Kunstgestaltung am getunnelten Mainkai
..und wenige Meter weiter ist noch bodenständige Sprayer-Kunst angesagt
..und zwischendrin entdeckt man sogar noch ein stilvolles Schrebergartenambiente…
und just in Nachbarschaft teurer Stadtappartements vermittelt dieser außergewöhnliche Bücherschrank am Mainufer ein typisches Offenbacher Lebensgefühl: außergewöhnlich, unbeschreiblich und immer für eine Überraschung gut
Das Bembelboot im Winterquartier. Spätestens im Frühjahr startet wieder die Ebbelwoi-Saison am Main
“Sommer, Sonne, Urlaubsfeeling: Die Beine im Sand ausstrecken, den grandiosen Blick auf die Frankfurter Skyline genießen oder sich im nahen Ausflugslokal verwöhnen lassen: Erholung und Entspannung soll der Park in den Dünen auf der Spitze der Hafeninsel bieten”. so der Wortlaut einer sieben Jahre alten Presseerklärung der Stadt Offenbach. So zumindest der Plan…….

Die Wander-Matrix – erstmalig angewendet am Beispiel der Stadt Offenbach, Kein Offenbach-Bashing sondern eine Multimomentaufnahme jenseits üblicher “Trampelpfade”. Mit offenen Augen auf Entdeckungsreise gehend, das Umfeld bewusst aufnehmend, die eigene Wahrnehmung schärfend, um spannende Zusammenhänge und Widersprüche zu entdecken. Erkenntnisreich die Anregen des Promenadologen Bertram Weisshaar der in seinem Buch “Einfach losgehen” feststellte: “Lange Zeit diente das Wandern insbesondere dazu Land und Leute möglichst umfassend und authentisch kennenzulernen. Es scheint dringend an der Zeit das Wandern wieder hierauf zu besinnen. Es dauert sonst nicht mehr lange und wir ergehen uns nur noch in Potemkinschen Landschaften” (bspw. Premiumwanderwege die Red.) Recht hat er – der Spaziergangsforscher….

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*