Zwischen Ölschiefer und Urpferdchen

Messel, 25. Oktober 2010 – Was der Grand Canyon in den USA oder die Galapogasinseln vor Südamerika ist die Grube Messel im Südhessischen. Allsamt handelt es sich dabei um UNESCO-Weltnaturstätten, wobei Messel speziell für Erforscher der Erdgeschichte eine einzigartige Stätte von Weltruf ist. Mehr als 10.000 Tier- und Pflanzenfossilien, darunter außergewöhnlich gut erhaltene Vollkörperskelette, wurden aus dem vor 48 Millionen Jahre entstandenen Maarvulkan-See geborgen. Und dass auch die Ölförderung in Messel eine nicht unwesentliche Rolle dabei spielte , (1924 wurden hier 25% der deutschen Rohölförderung erzeugt) ist eine besondere Geschichte.

Wandertechnisch hat der Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald das Areal rund um die Weltnaturstätte mit vier Qualitätsrundwanderwege erschlossen. So bietet es sich an, diese Rundwanderwege, die sich teilweise überschneiden, zu einer auch kulturell angereicherten knapp vierzig Kilometer langen Tagestour aufzubohren.

Basis dieses Trails sind der Ölschieferweg, der Urpferdchenweg und der Kranichsteiner Weg. Die unspektakuläre südöstliche Schleife der Mörsbacher-Grund-Runde fällt durch den Rost

Es bietet sich an, auf dem höchsten Punkt der Dieburger Gemarkung, der Moret, einzusteigen. Hier, am Naturfreundehaus, führt der Ölschieferweg vorbei, und hier kann man zum Abschluß der Wanderung ein schönes Wanderbier zu zivilen Preisen genießen. Zunächst kann man, dem Ölschieferweg gen Westen folgend, eine kleine Runde durch den bunten Dieburger Herbstwald drehen. Über den Herrnweg geht es via Jakobsbornschneise und Kleeplattenschneise zurück zur Moret um im Anschluß oberhalb des Steinbruchs Mainzer Berg die Fährte Richtung Darmstadt einzuschlagen. Wer auf die Runde verzichtet hat 2,5 Kilometer eingespart und kann die Zeit im Besucherzentrum der Grube Messel investieren, um dort beispielsweise an einer Grubenführung mit Naturpark-Rangern teilzunehmen.

Und wieder ein Vogelhäuschen weniger im Dieburger Stadtwald
Fast wie gemalt…..
Ein schmucker Rastplatz am Jakobsborn
2020 ist schon wieder ein Mastjahr. Die extreme Trockenheit führt zur Angstblüte der Laubbäume. Wildschweine freuen sich über die ausgeprägte Eichelnschwemme

Vom Mainzer Berg, dem nördlichsten Zipfel des Odenwaldes, geht es zunächst vorbei am Areal der ehemaligen Rifle Range, welches im letzten Jahr entsiegelt wurde. Einst ballerten hier US-Soldaten auf 50 Bahnen, nun, nach Entfernung der bleihaltigen Munitionsreste und Schußanlagen sollen sich hier in einem Biotiop Orchideenarten breit machen. Irgendwann holt sich die Natur alles zurück… Nach zwei weiteren Kilometern ist die Darmstädter Badewanne, die Prinz-Heinrich-Grube erreicht. Einst wurde hier Ölschiefer und Braunkohle abgebaut, heutzutage ölen sich hier FKK-Jünger ein, die in den Sommermonaten die Freizeitanlage bevölkern. Vom See aus geht es über einen schmalen Pfad zurück auf den Wanderweg um nach zwei weiteren Kilometern auf ein neubarockes Schlösschen stoßen, dort wo das im höheren Segment angesiedelte Restaurant Einsiedel vorzufinden ist. Von hier aus könnte man direkt zur Grube Messel wandern, jedoch der Tag ist noch frisch, das Besucherzentrum noch geschlossen, und die als Großrundwanderung konzipierte Streckenkombination verleitet dazu, zunächst eine sechzehn Kilometer lange Erweiterungsrunde einzulegen.

Ein Hauch von goldenen Oktober auf der Moret
Hermetisch abgeriegelt ist der Steinbruch am Mainzer Berg
Und die Rifle Range wurde für eine Million Euro platt gemacht
Es raschelt immer mehr am Boden
An der Prinz-Heinrich-Grube
Zu dieser Jahreszeit sitzt man länger an der am See angebrachten Mitfahrbank
Auf den Spuren des Ölschiefers
Abseits der üblichen Trampelpfade
Großherzog Ernst-Ludwig ließ im Jahre 1910 dieses neubarocke Schlösschen errichten – heute ist hier eine Eventlocation eingebracht

Vom Einsiedel geht der Ölschieferweg in den Kranichsteiner Weg über. Der rustikale Waldpfad quert den Bachlauf der Silz und führt hinein in den ehemaligen Wildpark der Darmstädter Landgrafen. Durchlaucht und Co ließen bereits im 17. Jahrhundert hier das Wild zusammentreiben um es komfortabel und mit geringem Aufwand erlegen zu können, um sich im Anschluß als Helden der Jagd feiern zu lassen. Wer auf stillen Wegen ohne große Steigungen durch die Wälder streifen möchte – hier ist man richtig. Westlicher Wendepunkt dieser Exkursion ist das Alte Forsthaus Kalkofen, ein schön gelegener und sehr beliebter Biergarten vor den Toren von Darmstadt-Kranichstein, unweit eines der weltgrößten Teilchenbeschleunigeranlagen der Gesellschaft für Schwerionenforschung, die 2025 in Betrieb genommen wird, um mit 99 Prozent Lichtgeschwindigkeit Teilchen durch einen Ringleiter zu jagen. Deutlich langsamer wandert man zur benachbarten Dianaburg, einst ein opulentes Rokokoschlösschen, 1765 als Fresstempel vom Landgrafen für seinen Sohn als Geburtstagsgeschenk errichtet. 60 Jahre später wurde das Gebäude durch einen profanen Bidermeierpavillon ersetzt, welcher heute als Standesamtlocation angemietet werden kann.

Von M2 geht es auf den M3
Schöne Waldpfade führen durch die Messeler Gemarkung
Man sieht den Wald vor lauter bunten Blättern nicht mehr
und M3 verläuft auf einigen Kilometern gemeinsam mit M4, der Mörsbacher Grund-Runde
Ein rotes Quadrat auf weißem Spiegel markiert eines der schönsten Weitwanderwege durch den Odenwald – den Main-Stromberg-Weg der den Odenwald von Nord nach Süd komplett quert
Und wenn die Sonne herauskommt leuchtet der Wald…
und die Pilze, die wahren Herrscher des Waldes, recken ihre Hüte hoch
und bilden mit Holz, ob tot oder lebend, eine fruchtbare Symbiose
Forsthaus Kalkofen: der Leidenspreis des Frühstarts: noch ist der Biergarten geschlossen
Der heutige Jagdpavillon Dianaburg, der Vorgänger ein opulenter Rokokobau verfiel, da drei Jahre nach Errichtung der Besitzer, ein Sohn des Landgrafen, nach Pirmasens zog

Lange Schneisen führen vom Kalkofen zum Jagdschloß Kranichstein, dot wo der Darmstädter Landadel residierte. Der barocke Jägerhof wurde bereits 1578 erbaut und mehr als 350 Jahre für Jagdgesellschaften des europäischen Hochadels genutzt. Heute ist ein Hotel und ein Jagdmuseum im Anwesen untergebracht und zusammen mit dem angegliederten Backhausteich ist das ganze Areal ein beliebtes Naherholungsgebiet in der Region. Entlang der weiterführenden kilometerlangen schnurgeraden Kernschneise legen einige Restspuren des adeligen Jagdbetriebes Zeugnis ab, wo die feine Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes das Geld verpulvert hatte.

Auf dem Weg zum Jagdschloß Kranichstein
..dort wo die Uhrzeit nur noch zweimal am Tag richtig angezeigt wird
Schreitet man durch den Ausgang des Jagdschlosses
..so erfreut man sich am herbstlich eingerahmten Backhausteich
In Stein gebaute Dekadenz für die Jagdgesellschaft. Durch sogenannte Jagdschirme, aufwendig erbaute Schießscharten, konnten die Jäger auf Wildschweine schießen ohne dabei selbst angegriffen zu werden. Blöd nur, wenn die Sau von hinten kam….
Durch herrliche Bäumbestände wandert man durch das ehemals durchlauchte Jagdgebiet
Noch heute legen Erinnerungstafeln Zeugnis davon ab, wo welcher Landesfürst seine Büchse anlegte

Vom Kranichersteiner Weg geht es auf den Urpferdchen-Weg in dessen Mittelpunkt das UNESCO Weltkulturerbe, die Grube Messel steht. Spannend ist die Geschichte der weltweit einmaligen fossilen Fundstätte. Ein Frankfurter Bankier finanzierte bereits 1850 auf der Suche nach Eisenerz die Ausbeutung des Gebietes. Bereits 1876 wurden als erstes Fossilien Krokodilknochen entdeckt, wobei sich die Konservierung wegen der schnellen Austrocknung des Ölschiefers als schwierig gestaltete. Ab 1885 entwickelt man Schwelöfen um aus Ölschiefer Benzin, Diesel, Teer und Parafin zu gewinnen. Nach dem Krieg reaktivierte man wieder die Schwelöfen, die jedoch 1962 stillgelegt wurden, nachdem man nicht mehr mit der weltweit zunehmenden Ölförderung konkurieren konnte. Kurzsichtige Landespolitiker planten 1971 die Grube als zentrale südhessische Mülldeponie zu verfüllen. Einer Bürgerinitiative, die bis vor den Kadi zog, war es jedoch zu verdanken, daß die Grube Grube blieb. Somit hatte das Frankfurter Senkenberg Museum freie Bahn zum Abbau von ölschieferwissenschaftlichen Zwecken. 1995 erfolgte die Aufnahme in die Liste der UNESCO-Weltnaturstätten und seit 2010 ist ein Besucherzentrum in Betrieb.

Der Urpferdchen Weg führt an der Grube und zugleich am Messeler Heimatmuseum vorbei, dort wo fossile Exponate ausgestellt sind
Welterbe Grube Messel
Blick in die Grube Messel. Ein Besuch des Infozentrums und eine Teilnahme an einer Führung erhellen den zunächst unschaubaren Anblick in den Maarvulkansee
Fossilabdruck auf Ölschiefer (Aufnahme aus einer früheren Führung)
Und nebenan baut die Firma Gelsenrot Material für Sportplatzbeläge ab

Von der Grube Messel aus führt der Urpferdchen-Weg zum Messeler Heimatmuseum, dort wo neben dem Senkenbergmuseum in Frankfurt Fossilien aus der Grube ausgestellt sind. Hier klärt sich auch, wieso der Urpferdchenweg Urpferdchenweg heißt, denn in Messel fand man ein vollständig ölschieferkonserviertes erhaltenes Skelett eines bereits lange ausgestorbenen Pferdevorfahrens. Heute ist das Urpferdchen das markante Erkennungszeichen der Weltkulturstätte.

Bestens markiert ist der Weg von der Grube Messel zum Heimatmuseum im benachbarten Ort Messel
Mächtige Schwelöfen sicherten bis in die sechziger Jahre die Messeler Ölproduktion, wie dieses Modell im Museum veranschaulicht
Das Prunkstück der mehr als 10.000 gefundenen fossilen Exponate, das Messeler Urpferd

Sicherlich, bei einer Wanderung mit dieser Schlagzahl kann der Museumsbesuch nur als Stipvisite verbucht werden. Ansonsten können nebst Grubenführung, Besuch des Erlebniszentrums und des Heimatmuseums locker drei zusätzliche Stunden einkalkuliert werden. Vom Messel aus führt der Wanderweg in einer östlichen Schleife zurück Richtung Grube und von dort aus hinauf zum ursprünglichen Ausgangsort, der Moret auf dem Mainzer Berg bei Dieburg.

Bevor das nächste Tiefdruckgebiet hereinzieht, legt die Nachmittagssonne nochmals auf..
und entfaltet eine opulente herbstliche Strahlkraft..
…mit urwaldähnlichem Feeling
Vom Mainzer Berg, dem höchsten Zipfel Dieburgs, kann man hinüber zur Rheinebene und dem gegenüberliegenden Taunus blicken.

Das Messeler Hügelland – wandertechnisch eine zunächst einfache und unscheinbare Wanderung, jedoch gespickt mit einer Vielzahl von naturellen und kulturellen Sehenswürdigkeiten. Unter dem Motto “Auf den Spuren der Erdgeschichte” kann und sollte man bei Interesse durchaus intensiver in die Materie eintauchen.

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