Strecke 46

Rupboden , 22. April 2022 – Eine Wanderstrecke die es so nicht gibt und so nicht geben darf, zumindest nach Meinung der Jäger im Spessartwald. Eine Strecke, die es geben sollte aber vergessen wurde. Gebaute Fragmente, die als Zeugen einer gescheiterten Verkehrsplanung in den Wäldern der Nahtstelle Spessart/Rhön mittlerweile den verklärten Status von Lost Places innehaben. Eine Strecke die, wenn sie so realisiert worden wäre, die Art des Wanderns neu definiert hätte. Die Rede ist vom längsten Denkmal Bayerns, und von Deutschlands längster Autobahnruine, der Strecke 46 – die vergessene Autobahn, die mittlerweile, europaweit einmalig, als technisches Denkmal unter Denkmalschutz steht

Man schrieb das Jahr 1937. Die Nationalsozialisten hatten sich zum Ziel gesetzt, dem Kraftfahrzeugführer ein Erleben und Genießen der “Schönheit der deutschen Landschaft” zu ermöglichen. Unter dem Planungsstitel “Strecke 46” wurde ein siebzig Kilometer langer Streckenabschnitt zwischen Bad Hersfeld und Würzburg eingeplant, die es auf einer, für Automobile abenteuerliche Strecke, ermöglichen sollte, die Aussichten auf die Höhenzüge von Spessart, die Schwarzen Berge der Rhön nebst Burgruine Homburg entspannt zu genießen und auf komfortablen Rastanlagen in ansprechender Umgebung länger zu verweilen. Der Begriff des “Autowanderns” war geboren. Die Autobahn sollte sich in die Landschaft einfügen. So war beispielsweise bei Gräfendorf eine 90-Grad-Spitzkehre eingeplant, so dass der Kraftfahrer auf 30 km/h hätte abbremsen müssen. Die Fraktion der Tempolimitbefürworter wurde natürlich heute in Jubelschreie dank solcher Möglichkeiten ausbrechen.

Geplanter Streckenverlauf der Strecke 46 – die A7 wurde später als Alternative nach dem Krieg realisiert. Quelle: WELT 15.11.2019

Man braucht schon ein Entdecker-Gen um den Spuren der Geisterautobahn zu folgen, wobei es letztendlich dem rührigen Dieter Stockmann, ein Sachgebietsleiter für Naturschutz und Jagdrecht am Landratsamt Karlstadt zu verdanken ist, dass ab 2019 eine partiell gang- beziehungsweise fahrbare Erschließung der Strecke realisiert wurde.

Gestartet wird diese Explorertour mit einem zehn Kilometer langen Anlauf am Bahnhof Jossa in Sinntal. Trivial der Grund, da man nur über die Bahnverbindung Jossa-Gemünden-Gräfendorf eine tagesfüllende Streckenwanderung realisieren kann. Über einen Schleichpfad steigt man vom Waldbahnhof Jossa abwärts, quert die Brücke, dort wo die Flüsse Jossa und Sinn verschmelzen, um durch das Sinntal gen Osten nach Rupboden zu wandern, dort wo der Einstieg zur vergessenen Autobahn beginnt. Auf der ehemaligen Trasse der Sinntalbahn hat man zudem einen aufwändig gestalteten Themenradweg errichtet, den Rhönexpress Bahn-Radweg über 26,3 Kilometer Länge, den E-Bike-Fahrer locker in einer Stunde erfahren können.

Start im Ortteil Jossa von Sinntal
Beste Rahmenbedingungen für eine morgendliche Wanderung durch das Sinntal
Im Land der Spessarträuber sind klare Ansagen an der Tagesordnung…..
Die beste Klimaschutzmaßnahme: da die Strecke 46 nicht realisiert wurde, kann die Schüssel auch vor sich hinrosten…….
Einzig die Schnellfahrbahnsstrecke Hannover-Würzburg zieht sich an dieser Stelle durch die Landschaft
Insgesamt fünf Spurensuchpfade hat man an auf ausgewählten Streckenabschnitten angelegt. Am Bahnhof in Rupboden setzt hier der 3,6 Kilometer lange Rundweg “Mit einem Damm übers Sinntal” ein
Der Bahnhof Rupboden war mit Baubeginn der Strecke ein zentraler Anlieferungpunkt für Material und Drehkreuz für auswärtige Arbeiter. Gleisanlagen wurden erweitert, ein Deckenbauhof zur Zementmischung für die Fahrbahndecke war im Entstehen, jedoch pure Luftschlösser, denn im Herbst 1939 wurden die Bautätigkeiten kriegsbedingt eingestellt
47 Bauwerke sind heute noch als sichtbare Zeitzeugen erhalten, wie hier das BW 17……..
……..welches heute einzig einen Wirtschaftsweg zwischen zwei Waldabschnitten überquert
So sollte er aussehen – der Sinntaldamm bei der Anschlußstelle Eckarts

Unter dem Brückenrelikt BW 17 hindurch schwenkt man in nördlicher Richtung ein, und folgt den heute noch sichtbaren Erdwällen des ehemaligen Autobahndammes, der mittlerweile von Spessartbäumen annektiert ist. Am nördlichen Ende von Rupboden kann man die nächsten Bauruinen, die Bauwerke 22 und 26 besichtigen. Konzeptionell hat man an ausgewählten Punkten wie hier aufschlussreiche und aufwändig gestaltete Informationstafeln, optisch und treffenderweise der Thematik entsprechend als Bauschild konzipiert. Zeitweise waren 4.500 Menschen mit dem Bau von Dämmen und Brücken beschäftigt. Weit verbreitet war dabei die “Schipperkrankheit” – ein Ermüdungsbruch der Dornfortsätze der Hals- und Brustwirbel. Nichts kaufen konnten sich die hart arbeiteten Menschen für Auszeichnungen wie “Soldat der Arbeit”. So ist es keineswegs angemessen die heute noch im Umlauf befindliche verklärte Version von Hitlers Arbeitsbeschaffungsmaßnahme “Autobahnbau” aufrecht zu erhalten.

Am Bauwerk 26
Der Tunnel ist noch allerbestens erhalten. Kein Wunder, denn niemals wurden die Fundamente durch Autos und Schwerlastverkehr belastet
Dem damaligen Zeitgeist entsprechend ein Blendwerk: aus optischen Gründen wurden die Bauwerke mit heimischen Buntsandsteinplatten verblendet
Auch wenn das Autowandern hier nie realisiert wurde – zu Fuß ist diese Region herrlich erwanderbar

Am Bauwerk 26 schwenkt man wieder ein und kann zum Bahnhof Rupboden zurückkehren, wenn man dem Spurensucherpfad folgen würde. Hier beginnt jedoch, wenn man sich auf Entdeckertour begibt wander- und planungstechnisch die Kärrnerarbeit. Hinter Rupboden folgt man zunächst der Kreisstraße in nördlicher Richtung, um nach drei Kilometern in einen Off-Grid-Abschnitt (also quer durch die Pampa) einzutauchen. Unschwer kann man die hohen Erdwälle, die damals im Rahmen der Trassenführung angelegt wurden. erkennen. Spannend wird es, wenn man dort abtaucht, wo keine Pfade verlaufen und man auf dem einst vorbereiteten und heute verwilderten Boden der geplanten Strecke 46 das Terrain erkundet.

Auf den Spuren verlassener Orte – Phase I: Man orientiert sich am Verlauf des Walles
Auf den Spuren verlassener Orte – Phase II: hangelt sich abwärts
Auf den Spuren verlassener Orte – Phase III: und wandert auf dem ursprünglich geplanten Verlauf der angedachten Reichsautobahn weiter. Dort wo einst Autowanderer durch den Spessart zuckeln sollten, flitzen heute, wie die Spuren belegen, Wildschweinhorden durch das Gelände
Man sollte schon mindestens ein 7mm Kaliber verwenden um erfolgreich auf Wildschweinjagd auf der Autobahntrasse zu gehen
Die Natur hat sich alles zurückgeholt
Noch gut erhalten sind manche Bauwerke, wie dieser Entwässerungskanal. Jedoch die meisten gut zugänglichen Bauwerke wurden nach dem Krieg regelrecht geplündert. In der Not nahm die Bevölkerung alles Verwertbare mit. Baubuden wurden abgebrochen, Sandsteinverblendungen abgestemmt, Entwässserungsleitungen ausgegraben und die amerikanische Armee beschlagnahmte Holz, Sand, Kies und Schotter und verfüllte Baugruben
Rossbachs Anwohner genießen den Umstand dass keine Autobahn dieses Landschaftsidyll zerschneidet
Am Ortsrand von Rossbach ist wiederum Streckensuche gefragt, denn an dieser Stelle muss man von der geplanten Trassenführung abweichen, da Weidezäune das Areal weiträumig abriegeln

Hinter Rossbach ist für die nächsten zwanzig Kilometer Waldarbeit pur angesagt. Man quert die Naturparkgrenze Spessart/Rhön und folgt der Hochstraße zunächst zum nächsten Brückenrelikt, der am Salusbrunnen liegt. Hier könnte man wiederum auf die kilometerlange Schneise der Hochstraße zurücklaufen um den Gang Richtung Bettelsruh fortzusetzen. Wer Abwechslung liebt und keine bodennahe Hindernisse scheut, der kann sich auf der Originalstrecke bewegen, dort wo heute noch die vorbereitete Trasse gut erkennbar ist.

Saustall pur – mitten im Wald sind Berge von Drahtgeflechte ehemaliger Umzäunungen aufgehäuft.
Unverkennbar Spuren ehemaliger Trassenbefestigungen
Das wäre doch eine vortreffliche Tank- und Rastanlage – fehlt nur noch ein süffiges Spessartbier der Marke Keiler….
Am Salusbrunnen trifft man auf den nächsten Spurensuchpfad namens “Autofahren damals” Im Bild das markante Erkennungsmerkmal der ausgeschilderten Spurensucherpfade, die Silhouette der Identifikationsfigur „Bauarbeiter mit Schaufel und Sandhaufen“
Nur wenige Autos rollten damals über die Straßen. Autofahren war Luxus und Freizeitvergnügen, ständig musste Öl und Wasser nachgefüllt , Achsen und Gelenke geschmiert werden. Hier um Salusbrunnen wurde eine Einfassung vorbereitet, damit Autofahrer Wasser zur Motorkühlung hätten schöpfen können
1935 kam auf 100 Einwohner ein Automobil. Mit der Errichtung von Reichsautobahnen verknüpfte man auch die Vorstellung einer “Volksmotorisierung” Hunderttausende schlossen Sparverträge zum Erwerb eines KdF-Wagens ab. Kein Sparer erhielt je ein Fahrzeug – der KdF wurde von Wolfsburg als Militärfahrzeug ausgeliefert. Bild: Repro Infoschild
Es steht eine Brücke im Wald am Salusbrunnen. Das Bauwerk 69 – ein reines Betonbauwerk, errichtet ohne Eisenbewehrung. Stabilität nur durch Masse. Per Hand wurde das Erdreich zwischen den Flügeln verdichtet und die Fahrbahndecke sollte mit Pflastersteinen!! hergestellt werden um bei Setzungen des Untergrundes schnell reparieren zu können. Ein sensationelles Engineering.
Nichts für Weicheier. Off-Grid geht es über die Autobahntrasse
Kanalisationspuren

Spannend wird es am nachfolgenden Spurensucherpfad “Burgsinn”. Mitten im Wald stößt man auf eine Zisterne, meint man zumindest, wenn man auf das Mauerwerk zuläuft. Jedoch handelte es sich um ein Streckenbaubüro. Hier richtete der Streckenbauingenieur ein Bierkeller ein und zockte die Arbeiter ab, um mit Gewinnerzielungsabsicht Bier zu verkaufen. Einzigartig auch die Reaktion der Roßbacher Gemeinde, die als einzige Kommune im Spessart eine Gemeindebiersteuer erfand und in Abhängigkeit des Stammwürzegehaltes eine Biersteuer von bis zu 6 Reichsmark pro Hektaliter einforderte.

Blick auf die Bierzisterne
Und diese Skulptur im Inneren des ehemaligen Streckenbaubüros erinnert an den Nebenerwerbsbetrieb der Baufirma
Sanifair läßt grüßen…………

Am Rastplatz Bettlersruh sollten Reisende die Autobahn verlassen können um sich in der Natur von der Spazierfahrt zu erholen. Zeltplätze, Sitzbänke und Liegewiesen waren eingeplant. Der Rastplatz war nur einseitig vorgesehen, Reisende, die aus Richtung Würzburg kamen sollten auf einer “Wagenaufstellspur” (heute würde man Standstreifen sagen) das Fahrzeug parken, um über die Fahrbahn zu laufen um den Rastplatz zu erreichen. Tolle Visionen die seinerseits entwickelt wurden. An der Unterführung der Kreisstraße Burgsinn – Gräfendorf stößt man auf das Fragment einer gewaltigen Plattenunterführung mit bossierter Sandsteinverkleidung. Die Fahrbahnen auf dem 24 Meter langen Bauwerk sollten auf einem unterschiedlichen Niveau liegen, um Autofahrern aus beiden Richtungen schöne Landschaftsblicke zu ermöglichen.

Solide Bauarbeit sieht anders aus. Der Sandstein – ein Blendwerk, der Korpus der Brücke gefertigt aus reinem Stampfbeton ohne Eisenbewehrung
Route 66, die partiell ebenso unter Denkmalschutz steht, lässt grüßen….
Hier wäre eine kopfsteinbepflasterte Fahrbahndecke aufgesetzt worden….

Gemäß Konzeption zur Erschließung der Strecke 46 plante man sogar einen 25 Meter hohen Aussichtsturm in Anlehnung an das Erscheinungsbild eines ehemaligen Vermessungsturmes, was jedoch nicht realisiert wurde. Vom Parkplatz Rhönblick (die man jedoch vor lauter Bäume nicht mehr sieht) geht es weiter -zunächst der Kreisstraße folgend – weiter zum Bauwerk No. 105 ein ebenso imposanter Brückenpfeiler, der mittlerweile aus dem Spessartwaldes herauskragt. Hier könnte man, wenn man wollte, nach zwei weiteren Kilometern zum Bahnhof Burgsinn hinunterwandern, um im Stundentakt direkt nach Jossa zurück zu fahren.

Bauwerk No 105 – Teil der vergessenen Autobahn
Gewaltig aber sinnlos ragt das Teil aus dem Wald heraus

Vom Bauwerk 105 sind es noch zehn Kilometer bis nach Gräfendorf, dort wo ein gebauter Brückenpfeilermonolith, der mittlerweile offiziell als Kletterstein vom DAV genutzt wird, zwischen Gräfendorf und Schonderfeld als Restposten an eine geplante Stahlverbundbrücke erinnert, die das Saaletal auf einer Länge von 260 Metern, bestehend aus sechs Pfeilern überspannen sollte. Pervers die damaligen Ausführungspläne. In einer 45 Zentimeter hohen Steinschicht wurden Sprengkammern angelegt und mit Sandsteinplatten verschlossen, um im Kriegsfall das rasche Vordringen des Feindes zu erschweren. Grundsätzlich sollte man, wie ursprünglich eingeplant, die bestehenden Waldpfade nutzen um sich im Zick-Zack nach Gräfendorf herunterzuarbeiten. Aus Bequemlichkeitsgründen wähle ich jedoch die nicht zu empfehlende Variante, die an diesem Tag sehr schwach frequentierte abwärtsführende Kreisstraße MSP 17. Vom Brückenpfeiler des DAV hat man nach weiteren eineinhalb Kilometern den Bahnhof von Gräfendorf erreicht.

Ein Lichtblick der anderen Art kurz vor Gräfendorf
Eine gewaltige Brücke sollte das Tal der Fränkischen Saale überspannen. Lediglich ein fertiggestellter Pfeiler, der mit einem Gipfelkreuz bereichert wurde, erinnert noch heute an dieses Vorhaben. Man hatte nach dem Krieg darauf verzichtet diesen Restposten zu sprengen, aus Furcht dass es die Ziegel auf den umliegenden Dächern fortgeblasen hätte.
International geht es in Gräfendorf zu. Der Freistaat Thüringen transportiert im Frankenland die Passagiere nach Gemünden. Von dort aus steigt man um Richtung Jossa.

Es gäbe noch eine Vielzahl weiterer Geschichten rund um die Strecke 46. So sind einige sichtbare Baureste unter der Plattform “Buchbare Filmlocations Bayerns” gelistet und der Hauch des Schreckens liegt über einen Entwässerungskanal bei Gräfendorf , dort wo vor einigen Jahren ein Skelett gefunden wurde.

Strecke 46 – mit knapp 42 Wanderkilometern, eine außergewöhnliche Wanderung auf kulturhistorischen Pfaden. Der Titel der Gruppe Kraftwerk “Autobahn” verhallt hier heute ungehört in den ewigen Wäldern des Spessarts und der Rhön, nachdem kriegsbedingt die Arbeiten nicht weiter fortgeführt wurden und nach 1945 die unsinnige Streckenführung nicht weiter verfolgt wurde. Sicherlich, wanderästhetisch ist diese Wanderung nicht wirklich bundesligatauglich. Kilometerlange Schneisen, temporäre Pfade jenseits gepflegter Wanderwege, keine Einkehrmöglichkeiten, und Dank dichter Wälder mehr oder minder aussichtslos, darauf muss man sich einstellen. Jedoch…… wer sich für landschaftsübergreifende Planungsgeschichte interessiert, kommt voll auf seine Kosten. Man kann sich jedoch auch gemächlicher mit profunder Begleitung durch Dieter Stockmann, der zur Strecke 46 auch ein Buch unter dem Arbeitstitel “Mit dem Wanderstock über die Autobahn” veröffentlichte, auf Führungen, die sich zwischen drei und sieben Kilometern belaufen, aus erster Hand informieren. Bleibt der Erkenntnisgewinn dieser spannenden Exkursion, dass Autowandern sich nicht durchsetzen konnte und dass die Worte eines anerkannten Dichters “Nur wo du zu Fuß warst, bist Du auch wirklich gewesen” aktueller sind denn je.

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