Warburg/Bad Karlshafen im September 2021 – “152 Kilometer artenreicher Naturgenuss”. Mit diesem Untertitel vermarktet eine Nordrhein-Westfälisch/Hessische Kommunalallianz den Diemeltaler Schemtterlingssteig, der just vor einem Jahr offiziell aus der Taufe gehoben wurde. Der Schmetterlingssteig, der sich auf insgesamt 152 Kilometer über die Naturparks Reinhardswald, Solling-Vogler und Teutoburger Wald erstreckt, verläuft dabei über ein Kalkmagerrasenparadies, bestehend aus mehr als zwanzig diesbezüglicher Areale und ist zudem mit dem Prädikatssiegel “Prime Butterfly Area in Europa” bedacht worden. Mehr als hundert Tagfalterarten wurden hier bereits nachgewiesen. Gründe genug, um diesen relativ neuen Wanderweg unter die Wanderschuhsohle zu nehmen.
Die Gesamtstrecke wurde dabei in vier überschneidungsfreie und tagesetappentaugliche Rundtouren portioniert. Die Vorteile: man kann an einem Standort übernachten, ist nicht in Abhängigkeit des aktuellen Bahnstreiks und hat spätestens nach der zweiten Tour eine vertrauensvolle Beziehung zum Gastronomen seiner Wahl aufgebaut.
Tour 1: Warburg – Haueda- Warburg
Gestartet wird in der Hansestadt Warburg, eine in mehrerer Hinsicht außergewöhnliche Stadt. Die ostwestfälische Kommune besteht aus einer historischen Altstadt, und was ungewöhnlich ist, aus einer historischen Neustadt. Nicht umsonst bezeichnet man die Stadt daher auch als Rothenburg Westfalens. Mächtige Fachwerkbauten, die aufwändig erhalten und restauriert wurden, legen heute noch ein sichtbares Zeugnis der schon im Mittelalter wohlhabenden Hansestadt ab. Vom Marktplatz der Neustadt geht es zunächst abwärts zur Diemel, die im Rothaargebirge entspringt um nach 110 Kilometern in Bad Karlshafen in die Weser zu münden. Von Anbeginn ist der Schmetterlingsteig hervorragend ausgeschildert – einzig trübt ein spätsommerlicher Morgennebel die ansonsten herrlichen Aussichtsmöglichkeiten ein. Vier Kilometer außerhalb von Warburg passiert man die Brauerei Kohlschein, die bekannt ist für ihre qualitativ sehr hochwertigen Gerstensaftprodukte. Leider ist zu früher Stunde auch das Wahrzeichen der Warburger Börde, die sagenhafte Burgruine Desenberg noch komplett in der nebeligen Dunstglocke eingemantelt.
Bei Haueda, dem ersten Wendepunkt dieses Trails, führt der Diemeltaler Schmetterlings-Steig hinauf zur Anhöhe Lied. Von hier aus geht es über einen Bypass auf die südliche Tangente des Steiges und im weiteren Verlauf zum Kalkberg, dort wo ein großes Kalkmagerrasen vorzufinden ist, gequert wird. Ohne Nebel kann man hier allerbeste Aussichten über die eindrucksvolle Naturlandschaft genießen. So bleibt zunächst an diesem Morgen einzig der markante Duft der Wachholderheiden als bleibender Erinnerungsfaktor hängen.
Grimmelsheim, Herlinghausen, Dalheim – allesamt kleine Weiler, die sich im östlichen Vorhof von Warburg um den Kalkberg gruppiert haben. Nach einer morgendlichen Nebelrunde ist nach zwanzig Kilometern das Warburger Neubaugebiet am Runden Berg erreicht. Wer hier wohnt, kann sich durchaus privilegiert fühlen. In exponierter Lage kann man herrliche Blicke über die Warburger Börde einerseits und die markante Silhouette der gegenüberliegenden Alt- und Neustadt Warburgs andererseits genießen. So gilt einmal mehr die Erkenntnis: Augen auf bei der Standortwahl.
Langsam verdampfen in der Sonne die Wassertröpfchen und legen auf dem Weg zur Quasthöhe weitreichende Blicke über die sanfthügelige Landschaft zwischen Kassel und Paderborn frei. Über Wormeln, Germete und dem hessischen Wethen schraubt sich der Schmetterlingssteig hinauf zum Quast, dem westlichsten Zipfel des gesamten Weges. Einzig der hohe Asphaltanteil zwischen Wormeln und Wethen hat man mangels anderer Alternative in Kauf zu nehmen. Dennoch ist die Streckenführung hinauf zum Quast und weiterführend zum Gaulskopf geschickt gewählt, denn hier eröffnen sich weitreichende Ausblickmöglichkeiten in die Lande. Einst waren hier oben auf der Quastholle, die sich bereits im Landkreis Waldeck-Frankenberg befindet, Flugabwehrraketen installiert. Heute ist hier oben nur noch ein landwirtschaftlicher Betrieb angesiedelt.
Vom Buchenwald des Gaulskopf wandert man zunächst hinab Zielrichtung Ossendorf, um vor der Ortschaft auf einem herrlichen aufwärtsführenden Pfad den Heinturm am Heinberg zu erreichen. Der Rest – ein behutsamer Auslauf auf einer schönen waldreichen Strecke zurück nach Warburg, mit integriertem Rundgang durch die sehenswerte Neu- und Altstadt.
Tour 2: Haueda – Eberschütz – Haueda
Wer erkennt es nicht. Je kleiner die Gemeinde – je größer das Problem. Das Problem mit dem Parkplatz. Dies gilt auch für Haueda, dem Startpunkt der zweiten Exkursion. In der adretten vierhundert Seelen zählenden Gemeinde wird mindestens dreimal in der Woche die Gasse gekehrt, Autos unter der Laterne zu parken ist offensichtlich verpönt und der einzige Parkplatz an der Kirche (Plan A) ist offenkundig dauerbelegt. So bleibt nur die Option vor einem leerstehenden Haus zu parken.
Wie bereits am Vortag hat sich eine massive Nebelwand über das Diemeltal gestülpt, jedoch kann man, da man auf den gegenüberliegenden Hanglagen des Tals zurückwandert, einkalkulieren die morgendlich entgangenen Panoramablicke spätestens am Nachmittag zu ernten.
Auf dem Pfad Richtung Eberschütz reiht sich Kalkmagerrasengebiet an Kalkmagerrasengebiet. So haben sich hier an den hiesigen Kalksteinhängen der Diemel wichtige Biotope als Lebensraum gefährdeter Tier- und Pflanzenarten ausgebildet, was natürlich die Region ungemein bereichert. Stattliche Windmühlenparks (die gefühlt überwiegend in Westfalen stehen) unterlegen dabei die ökologischen Bestrebungen in der Region. Trotz mangelnder Aussicht am frühen Morgen kann man sich an Hand der Landschaftstextur diese Aussichtsmöglichkeiten gut vorstellen, ansonsten überzeugt der naturbelassene Wegeverlauf auf dem Weg nach Liebenau.
Grundsätzlich sollte man nicht darauf bauen in den kleinen Diemeldörfern eine Einkehr- oder Einkaufsmöglichkeit vorzufinden. Daher ist ein gut gefüllter Rucksack für eine Tour durch den Landstrich sehr zu empfehlen. In Eberschütz ist der östliche Talwendepunkt des Tages erreicht. Der Trendelburger Ortsteil ist dabei durch die Eberschützer Klippen überregional bekannt, die jedoch erst am nächsten Tag auf der Wanderliste stehen. Stilprägend sind hier auch die großen Eingangs- und Gehöftstore der mächtigen Fachwerksanwesen, die mit ausladenden Schnitzschmuck und Inschriften verziert sind.
Wie bestellt, lässt die Sonne die letzten Nebeltropfen verdampfen um zumindest auf dem Rückweg planmäßig die Sichtachsen auf das Diemeltal freizulegen. Über die Ostheimer Hute geht es auf schönen aussichtsreichen Pfaden über Ostheim und dem Weiler Zwergen zurück nach Haueda. Bei Ankunft werde ich von einer älteren Anwohnerin begrüßt, die sichtlich erleichtert nun den Fahrer des parkenden Fahrzeuges mit auswärtigem Kennzeichen zuordnen kann. Aktion wachsamer Nachbar funktioniert hier bestens auch ohne Beschilderung und Videotechnik.
Tour 3: Eberschütz -Deisel- Eberschütz
Planänderung. Normalweise berücksichtigt man bei der Streckenplanung den Sonnenstandsverlauf, es sei denn es nebelt am frühen Morgen, so wie auch an diesem Tag. So bietet es sich an, entgegen der ursprünglichen Planung, zunächst über die Eberschützer Klippen in den mystisch nebelverhangenen Reinhardswald einzusteigen um zur besten sonnigen Mittagszeit die Sichten auf die dann gegenüberliegenden Habichtswald-, Reinhardswald- und Sollingpanoramen mitzunehmen. Am Startort Eberschütz findet man zudem einen Standortvorteil vor. Direkt an der Dorfkirche befindet sich ein Wanderparkplatz. Kein Wunder, denn das Gebiet rund um die Eberschützer Klippen ist ein beliebtes Ausflugsziel.
So geht es hinauf zum Dingel und hinein in den Reinhardswald. Auch hier kann man sich lebhaft vorstellen, welche schönen Aussichten man hier bei Weitsichtmöglichkeit genießen kann. Man könnte wenn man wollte (aber nicht sollte) die Schleife durch den Reinhardswald deutlich abkürzen. Jedoch die Originalwegeführung ist ein Genuss und der nebelverhangene Wald strahlt eine besondere Atmosphäre aus.
Oben am Dingel geht es an einem Natursegelflugplatz vorbei und weiterführend abwärts nach Hümme um in der Folge über die Hümmer Hute auf die nächste Talflanke zu wandern. In Hümme ist ein großes Freizeitareal im Hofgut Stammen untergebracht. Bereits zu früher Stunde rüsten sich hier Jugendgruppen für Kanutouren auf der Diemel ein. Nach zwei weiteren Kilometern ist Trendelburg erreicht. Trendelburg ist bekannt für das gleichnamige Märchenschloss. Ein gewaltiger Zopf, der vom Burgturm herabhängt belegt noch heute, dass hier einst Rapunzel im Turm eingeschlossen war. Und wer es nicht glaubt – das Königreich in dem Rapunzel lebte, hieß Corona. Im Schloss selbst ist eine hochpreisige Hotelanlage eingebracht, und wer möchte kann zu einem Märchenpreis von 4,50 Euro den Rapunzelturm erklimmen.
Am Ortsausgang von Trendelburg führt der Diemelsteig hinauf zu einem Panoramaweg – jedoch dank Nebelvorhang wähle ich eine Passage entlang der Diemel, die vorbei am Diemelaltwasser Deesenfeld zum Wendepunkt des heutigen Tages, nach Deisel, führt. Wie bereits an den beiden vorhergehenden Tagen verflüchtigt sich zeitig zur frühen Mittagsstunde der Nebel und man kann den schönsten und aussichtsreichsten Abschnitt des Tages in vollen Zügen genießen. Zunächst geht es rund um den Deisenberg, um im Anschluss in das ausgedehnte Kalkmagerrasengebiet oberhalb des Weilers Sielen einzutauchen. Eine regelrechte Bilderbuchstrecke, die zunächst in Richtung Muddenhagen führt, verdeutlicht den Flair der mageren Flächen, die von Wacholderbüschen durchsetzt ist. Ausblicke, die morgens auf der Strecke blieben, kann man hier vortrefflich nachholen. Bei Zielankunft ist der kleine Wanderparkplatz in der Ortsmitte von Eberschütz voll belegt – mit Fahrzeugen eines namhaften Kurierdienstes….
Tour 4: Deisel – Bad Karlshaven – Deisel
Finale. Der vierte Tag – die vierte Schmetterlingssteigrunde. Auch an diesem Tag sind die Rahmenbedingen unverändert. Ein herrlicher spätsommerlicher Tag, der zunächst einen nebeligen Start im Vorprogramm hat. Von Deisel aus geht es zunächst hinauf zum Stahlberg und zum Hölleberg, vorbei am gleichnamigen Flugplatz. Nach dem selben Strickmuster der vergangenen Tage trifft man auf die bewährte Kombination von Kalkmagerrasengebiete und kleinen Waldabschnitten. Einmal mehr sind die großen Windparkanlagen bemerkenswert, die jedoch nicht als zwingend störend empfunden werden (was sicherlich aus Sicht der Anwohner anders empfunden wird). Auf westfälischem Korridor wandert man durch einen größeren Waldabschnitt nach Herstelle dort wo eine mächtige Burg und die Abtei vom Heiligen Kreuz ein beeindruckendes Ensemble oberhalb der noch jungen Weser bilden, die man hier per Seilfähre überqueren kann.
Von Würgassen, welches auf der anderen Seite der Weser und gleichzeitig in der Achse des Dreiländerecks NRW, Niedersachsen und Hessen liegt geht es aufwärts, vorbei an einem Steinbruch zum “spektakulären” Weser-Skywalk oberhalb der Hannoverschen Klippen. Sicherlich, Marketingexperten werden dafür bezahlt kräftig auf den Putz klopfen. Die Erwartungshaltung die jedoch mit der blumigen Skywalkbeschreibung “schweben über Fels und Wasser” relativiert sich jedoch spätestens dann, wenn man auf der profanen Stahlträgerplattform steht und 80 Meter weiter unten die noch jungfräuliche Weser bräsig durch das hügelige Weserbergland zieht. Wer die Klettersteigareale am Rhein bei St. Goar kennt, wird hier eher zurückhaltend reagieren. Aber ungeachtet dessen ist es lohnens- und empfehlenswert die aussichtsreiche Passage über den Holzweg hinauf zum “Skywalk” zu nehmen. Beachtlich ist der Abstieg über den historischen Klippensteig, der über schmale Steintreppen und riesigen Holzboliden abwärts nach Bad Karlshafen führt.
Bad Karlshafen – der östlichste Punkt des Diemeltaler Schmetterlingssteigs und gleichzeitig die nördlichste Stadt Hessens ist eine durchaus außergewöhnliche Stadt. Fachwerk ist hier kaum anzutreffen, die Architektur ist geprägt von einem klassisch französischen Stil. Kein Wunder, denn 1699 wurde die Stadt für Hugenotten die sich hier niederließen, am Reißbrett entworfen. So prägen einerseits die weißen Barockfassaden und andererseits das innerstädtische Hafenbecken das Ortsbild der Kurstadt. Vor zwei Jahren hat man mit Millionenaufwand das algenversiffte historische Hafenbecken, restauriert und reaktiviert. Jedoch ein Bild bleibt bei einem Stadtrundgang haften. Während direkt an der Weser, auch dank der hier ansässigen Gastronomie direkt am Radweg lebhaftes Treiben herrscht, wirkt die Innenstadt also das Areal rund um den sanierten Hafenbecken, regelrecht verödet. Sterile zugepflasterte Großflächen zwischen Rathaus und Hafenbecken, einige Plätze der überschaubaren Außengastronomie, die sich in den Weiten des sanierten Areals verlieren, am langen Ende kein Platz für ein gemütliches Verweilen. Es ist der Stadt zu wünschen, Wege zu finden, mit geeigneten Maßnahmen mittelfristig mehr Atmosphäre in die durchaus interessante Stadt einzubringen.
So fällt es leicht Abschied zu nehmen von Bad Karlshafen, um über Helmarshausen die Wanderung zurück nach Deisel einzuleiten. Am Rande des Urwaldes Wichmanessen taucht man in den vielleicht schönsten Waldabschnitt des gesamten Steiges ein. Auf dicht bewachsenen naturbelassenen Pfaden wandert man kilometerlang abwärts zum Holzapetal. Man muss kein vollausgebildeter Ranger sein, um zu erkennen, dass dieser Weg (glücklicherweise) nicht täglich frequentiert wird. Hier kann man Ruhe und Natur pur in vollen Zügen genießen. Entlang der Holzape führt ein schöner Weg nach Wülmersen. Hier ist auf jeden Fall der Besuch des ehemaligen Wasserschlosses Wülmersen angezeigt. Nach einer ausgedehnten Rast im Biergarten der Schloßanlage bleibt der geordnete Rückmarsch nach Deisel. Auch von der Ostseite scheitert man am derzeit geschlossenen Deiseltunnel und so wandert man durch die Flussauenlandschaft der Diemel zurück nach Deisel.
Der Diemeltaler Schmetterlings-Steig im Wandercheck. 162 ein- und aussichtsreiche Kilometer bei 3.530 Höhenmetern in vier Tagen – mehr als ausreichend für eine Gesamtbewertung: “Alle Daumen hoch” für die ausgezeichnete Idee, die herrliche Naturlandschaft, die das Diemeltal beheimatet, mit einem Naturgenussweg zu verbinden. Wer sich zur Premiumblütezeit aufmacht, wird mit spektakulären und eindrucksvollen Eindrücken mehr als belohnt. Wer zudem Ruhe und Stille sucht, sich an Flora und Fauna erfreuen kann, und weitreichende Panoramablicke zu schätzen weiß, sowie zu passender Jahreszeit eine der größten Schmetterlingspopulationen Mitteleuropas in Augenschein nehmen möchte, sollte diese Wanderregion auf dem Radarschirm haben. Ob wie hier vorgestellt in vier Tagen, oder wie von der Tourismusgemeinschaft vorgeschlagen und gerne gesehen, in bis zu zehn Tagen, die Verweildauer bleibt jeder Wanderin und jedem Wanderer selbst überlassen, je nachdem in welcher Tiefe man sich mit dem vielfältigen Artenreichtum auseinander setzen möchte. Ausgestaltungsmöglichkeiten hierzu gibt es in Hülle und Fülle.
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