Mainz, 20. Juni 2015
Projekt 50 /50. 50 Kilometer auf dem 50. Breitengrad unter dem Arbeitstitel „Breitengradwanderung. Ein spannendes Wanderthema, einerseits dem Anspruch gerecht werdend eine gangbare Variante dicht am Breitengrad zu finden, andererseits den Gedanken aufnehmen nicht katalogisierte und klassifizierte Breitengradmemorials entlang der Strecke zu entecken. Schon die Vorbereitung war mindestens genauso spannend wie die eigentliche Wanderexkursion.
Quer durch Europa und somit auch mit rund 450 Kilometern durch Deutschland, verläuft der 50. Breitengrad. Weinexperten bezeichnen ihn auch als Weinäquator, da der Breitengrad die nördlichste Grenze markiert, an der Weinbau möglich ist – und darunter nicht die schlechtesten Sorten, wie beispielsweise die edelste Weißweinsorte, der Riesling, unter Beweis stellt. Die Länge des 50. Breitengrades beträgt rund 25.700 km, ein Grad (60 Bogenminuten mit je 60 Bogensekunden) entspricht 71,44 km, eine Bogenminute 1.190 m und eine Bogensekunde 19,8 m.
Gestartet wird in Mainzer Bahnhof, der hart Kante des 50. Breitengrads liegt. Rasch ist der Gutenbergplatz erreicht, dort wo im Planum des Platzes der Breitengradverlauf durch zwei parallele Eisenschienen mit der Bezeichnung 50. GRAD NÖRDLICHER BREITE markiert ist, auch wenn dieser einige Bodensekunden vom tatsächlichen Verlauf entfernt ist – doch dazu später mehr.
Ungeachtet dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse, heißt es zunächst den Rhein queren, vorbei an den Mainzer Stränden, um dem Verlauf des 50. Breitengrades folgend auf die hessische Seite zu wechseln. Vorbei an der Reduit-Kaserne des Brückenkopfes Kastel, dort wo sich gegenüber der gleichnamige Strand befindet, geht es den Floßhafen entlang durch die Maaraue, um bei Kostheim diesmal den Main Richtung Gustavsburg zu queren.
Auch hier haben die Stadtväter auf dem Maindamm eine Bodenmarkierung angebracht, damit der Spaziergänger gewahr wird, dass er an dieser Stelle einen Breitengrad überschreitet. Weiter geht es, dicht am Breitengrad den Main entlang, vorbei an der verkehrsreichsten Schleuse des deutschen Wassernetzes, der Staustufe Kostheim, die witzigerweise den Namen des Wiesbadener Stadtteils trägt, jedoch auf dem Gebiet von Gustavsburg liegt.
Unter der mächtigen Brücke der A 671 durch ist rasch die Geodesia-Stele am 50. Breitengrad in Bischofsheim erreicht. Der ausgewählte Standort der drei Meter hohen Stehle basiert auf den Berechnungen des von 1935 bis 2010 eingesetzten Koordinatensystem nach Gauß-Krüger. Aktuell wird das Satellitennavigationssystem GPS eingesetzt. Basierend auf dem präziseren Berechnungsverfahren, wurde der 50. Breitengrad in Bischofsheim bereits durch eine Eichenallee in den Mainwiesen sichtbar gemacht. Die ermittelten Daten der beiden Berechnungsmodelle weichen allerdings deutlich voneinander ab, das ist hier in Bischofsheim sicht- und studierbar. Die Stele steht für die analoge Landvermessung und die rund 500 Meter entfernte Eichenallee repräsentiert das heute verwendete System UTM ETRS 89. So ist es nicht verwunderlich, dass eine Vielzahl von Breitengradmarkierungen nach heutiger Erkenntnis falsch sind.
Durch einen herrlichen Wiesenstreifen geht es auf dem Bischofsheimer Maindämmchen zum größten Arbeitgeber der Region, zu den Opelwerken nach Rüsselsheim. Freundlicherweise hat die Autoschmiede einen 600 Meter langen Streifen am Mainufer als Werksgelände annektiert, so dass ein Umweg von 2,1 Kilometern und einer mit 890 Metern (45 Bogensekunden) größten Abweichung vom 50. Breitengrad auf der Gesamtstrecke, in Kauf zu nehmen ist. Vorbei an den mächtigen Backsteinbauten des Autoproduzenten ist rasch der Maindamm wieder erreicht. Vorbei an den legendären Opelvillen geht es zur ehemaligen Festung und Wehranlage Rüsselsheim. Just am unteren Festungstor weist eine Bodenmarkierung auf den 50. Breitengrad hin.
Immerhin drei weitere Kilometer sind zu absolvieren, bis man hinter Horlache den Waldabschnitt erreicht, der Rüsselsheim vom elf Kilometer entfernten Mörfelden-Walldorf trennt. Zunächst den Eichenrainweg entlang und die A 67 querend geht es oberhalb des Lindensees auf einer empfehlenswerten und sehr naturbelassenen Waldschneise zum Zipfel der Startbahn West. Im Minutentakt heben auf der offiziell Runway 80 genannten 4000 Meter langen Piste die Maschinen vom Frankfurter Flughafen ab. Dementsprechend mächtig der Lärmeintrag der weit über den Einzugsbereich des Mönchbruchs hinausgeht.
Ein Schlenker in die Walldörfer Piemontstraße Richtung Bahnhof führt vorbei an einem Metallband, welches den Verlauf des Breitengrades dokumentiert. Kurz vor der B 44 ist nach Kilometer 34 die erste Pause angesagt. Allemal eine dicke Empfehlung für Wanderer ist eine Rast im polnischen Bistro Blitz, Am Oberwald 2. Unübertroffen Bigos – ein sensationeller polnischer Eintopf mit Sauerkraut, Weißkohl, Fleisch, Wurst, Speck, Pilze und Zwetschgen. Genau der richtige Stoff um Leib und Seele für die kommenden Kilometer zu dynamisieren.
Unterhalb des Langener Waldsees geht es entlang der Siebenten Steinschneise weiter in östlicher Richtung nach Langen. Kurz vor dem Dreieich-Krankenhaus stößt man vor der Röntgenstraße auf einen unscheinbaren Stein, der auf den 50. Breitengrad hinweist.
Nach bildhafter Sicherung dieser Trophäe führt ein herrlicher Schneisenweg in die Fachwerksstadt Dreieichenhain. Kurz vor dem Bahnübergang stößt man in eine Straße namens „Am Breitengrad“. Eine bekennende Hommage der Stadtväter auf den geographischen Standort der Kommune. In Ergänzung weist am Straßenende ein Sandstein, auf die geografische Besonderheit hin. Aber auch hier bezog man sich auf das alte Georaster. Der eigentliche Breitengrad liegt exakt in der Fahrstraße und verläuft zwischen Hausnummer 14 und 21. Vorbei an der markanten Burg Dreieichenhain, dort wo just drei Hochzeitspaare „keep smiling“ für das obligatorische Hochzeitsfoto machen, führt der geplante Streckenverlauf nach Götzenhain.
In dieser Kommune hat man, genauso wie im kommenden Dietzenbach um jeglichen Buhai um die Breitengradlage verzichtet. So geht es zielgerichtet durch den Höllgarten, über den Dietzenbacher Hexenberg zum Schlussspurt nach Waldacker, einem Ortsteil von Rödermark-Ober-Roden. Sage und schreibe 100.000 Euro hat man für diesen Regionalparkpunkt investiert, der aufwändig über den Verlauf des 50. Breitengrades informiert. Mehr als unverständlich, dass bereits seit drei Jahren ein dort abgerissenes Schild über einen internationalen Georeferenzpunkt am Breitengrad nicht ersetzt wurde.
Mainz – Waldacker – Luftlinie 40 Kilometer – tatsächlich gewandert, inklusive Opelwerkbypass 55 Kilometer, wobei der maximale Abstand im Streckenverlauf 45 Bogensekunden, respektive 890 Meter (Opel und Theodor-Heuss-Brücke sei Dank) betrug. 100 Prozent die Entdeckungsquote der auf der Strecke liegenden Breitengradmemorials, die zunächst in detektivischer Kleinarbeit ermittelt wurden. Über Fortsetzungsprojekte wird nachgedacht – in östlicher Richtung von Waldacker Richtung Lohr (Luftlinie 54 Kilometer) und in westlicher Richtung mit zweimaliger Rheinquerung von Mainz nach Rheinböllen (Luftlinie 42 Kilometer). Nicht von ungefähr, der Titel einer jüngst auf ARTE ausgestrahlten Fernsehsendung „Expedition 50 Grad – Auf dem Breitengrad der Extreme“
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