Offenbach, den 11. Januar 2020 –
OF – schon das Autokennzeichen ist für viele Südhessen ein Dorn im Auge. „Ohne Verstand“, „Ortsteil Frankfurt“, „Ohne Führerschein“, so einige liebevolle Bezeichnung der umliegenden Bevölkerung. „Bronx des Rhein-Main-Gebietes“, „Ghetto“, „Kiez“ so die klischeehaften Überschriften, die selbst in Wirtschaftsmagazinen ihren Niederschlag gefunden haben.
So bleibt es nur der Empfehlung von Goethe, der selbst von Offenbach geschwärmt hatte, zu folgen, frei nach seinem Motto: „Nur wo du Fuß warst…. auf Entdeckungsreise zu gehen. Gestartet wird zu früher Stunde im Offenbacher Stadtteil Rumpenheim – direkt an der Mainfähre, die unterhalb des Schlosses Rumpenheim liegt. Im 17. Jahrhundert errichteten hier Hanauer Grafen den Vorläufers des heutigen Schlosses. Einst ging hier der europäische Adel ein und aus. 1965 erwarb die Stadt Offenbach, die vom Weltkrieg zerstörte Schloßruine, um diese abzureißen – ein Beleg für die damalig vorherrschende Kurzsichtigkeit. Eine Bürgerinitiative verhinderte jedoch diese Bausünde. Heute sind im sanierten Schloßgebäude Eigentumswohnungen eingebracht, der angegliederte Park wurde aufgehübscht und die Stadt Offenbach brüstet sich heute mit diesem Schmuckstück – so ändern sich die Zeiten.
Rumpenheim südöstlich umkreisend geht es parallel zum Kuhlmühlgraben rechter Hand an Bürgel vorbei über die Laskabrücke, um unterhalb der ehemaligen Müllhalde Schneckenberg, der mittlerweile mit Sonnenkollektoren bepflanzt ist, den höchsten Berg Deutschlands zu erreichen. Die Rede ist vom Bieberer Berg, denn hier dauert der Ab- und Aufstieg jeweils ein Jahr, wie böse Zungen behaupten.
Hinein geht es in den Offenbacher Stadtteil Bieber. Nur noch ansatzweise erkennt man im alten Ortskern die Schmauchspuren der Vergangenheit die an den dörflichen Charakter der ehemals fränkischen Siedlung erinnern. Durch die Hintertüre geht es in die Offenbacher Stube hinein. Zunächst geht es durch den Wetterpark, der auch daran erinnert, dass der Deutsche Wetterdienst seinen Hauptsitz in Offenbach am Main hat. Im Rahmen des Regionalparks Rhein-Main wurde hier ein Besucherzentrum eingerichtet, welches allerdings von Ende Oktober bis Anfang März geschlossen hat.
Ein architektonischen Lichtblick kann man an der Buschhügelallee entdecken, dort wo auf dem Areal des Alten Schlachthofes zwischen 1904 und 1990 kräftig geschlachtet wurde. Mittlerweile wurde der Komplex stilgerecht saniert und als Mischgebiet vorbildlich entwickelt.
Den langen Straßenzug der Wilhelmstraße folgend erreicht man nach einem Kilometer die heutige gute Stube von Offenbach, den Offenbacher Wochenmarkt. Dort wo bis 1832 noch ein Friedhof angesiedelt war bieten an drei Tagen in der Woche bis zu 70 Anbieter regionale Produkte und Spezeierein an. Im Nukleus des Ganzen steht das Marktwärterhäuschen dort wo bodenständige hessische Küche angeboten wird und dort wo die Proseccogesellschaft gerne mit einem Stößchen auf die Gesundheit, gute Geschäfte und sonstige Anlässe anstößt. Rings um den Platz hat sich mittlerweile eine sehr lebendige und teilweise ausgezeichnete Gastronomie angesiedelt. Hier spiegelt sich auch der multikulturelle Ansatz der Stadt wieder. 160 Nationen sind hier vertreten, ebenso schillernd ist das gastronomische Angebiet in der Innenstadt.
Vom Wilhelmsplatz geht es in westlicher Richtung mit einigen Schlenkern durch die breiten Straßenzüge, die ab und an mit einigen Jugendstilbauten bestückt sind, zum Offenbacher Hauptbahnhof, der beim Wettbewerb „Hässlichster Bahnhof Deutschlands“ sicherlich einen vorderen Platz belegen würde. Das städtebauliche Antlitz von Offenbach kann man nicht schönschreiben oder -reden. Vierzig Prozent der Innenstadt waren nach dem Weltkrieg zerstört. Mit einer Architektur des Brutalismus ging Zweckmäßigkeit vor städtebaulicher Ästhetik. Noch heute leidet das Erscheinungsbild von Offenbach darunter, zudem die hochverschuldete Stadt auch nicht in der Lage ist eine grundlegende langfristig orientierte städtebauliche Modifizierung, wie es die Nachbarstadt Frankfurt umgesetzt hat, zu vollziehen.
Im Dreieichpark, der an der Offenbacher Stadtgrenze liegt, kann man deutsche Betongeschichte studieren. Hier findet man zwei Exponate, die 1879 errichtet, die ältesten Deutschen Betonbauten ohne Stahlbewehrung sind. Die Offenbacher Portland-Zementfabrik installierte die Objekte als Muster für eine Landesgartenschau um den neuen Werkstoff zu präsentieren.
Zurück vom Stadtrand geht es Richtung Innenstadt in die Ludwigstraße. Hier kann man noch einige Jugendstilbauten, die nach der Darmstädter Schule errichtet worden sind, bewundern. Vorbei geht es am Hauptgebäude des Deutschen Wetterdienstes und dem -weltweit einmaligen- Ledermuseum. Offenbach war lange Jahre eine Lederstadt von Weltruf. In Spitzenzeiten waren 11.000 Menschen mit der Lederwarenproduktion beschäftigt. „Babbscher und Bordefeller“ so die hessische Bezeichnung für den ehrenwerten Beruf des Portefeuillers, der feinste Lederwaren herstellte. Am Ende der Ludwigstraße dominiert das Areal der ehemaligen Heynefabrik, die mit opulenter Fassadengestaltung bereichert wurde. Glücklicherweise wurde auch dieses Areal behutsam saniert unter Wahrung der stilprägenden Industriekultur. Heute sind viele Kreativfirmen auf dem Gelände der ehemaligen Metallschraubenfabrik tätig.
Hinüber geht es zur Mainseite, dort wo das Offenbacher Hafengebiet liegt. Die Kaiserleibrücke, eine Quasi-Demarkationslinie, die Frankfurt von Offenbach und umgekehrt abschirmt begrenzt das Offenbacher Hafengebiet. Die Urbanisierung des Hafens ist voll im Gange. Hochpreisige Wohnsilos wurden errichtet, geplant ist die Hochschule für Gestaltung hier anzusiedeln und mittelfristig ist die Einbringung einer Hafeninsel mit Sanddünen vorgesehen.
Zurück geht es in die Innenstadt, vorbei am prägnanten Capitol, einst eine Synagoge, heute ein Kulturzentrum. Markant das Gebäude, das einst dem Tempel von Jerusalem 1913 nachempfunden und in der Reichskristallnacht geschändet und zerstört wurde. Hinüber geht es zum Mainufer dort wo samstags der Offenbacher Flohmarkt abgehalten wird. Die Mainstraße querend ist rasch die „Altstadt“ von Offenbach erreicht. Hier verdichtet sich Offenbacher Stadtgeschichte auf engstem Raum
Am Büsingpark, der mittlerweile von den Verkehrshauptachsen Kaiserstraße und Berliner Straße ummantelt ist, bündeln sich die prägnantesten Gebäude der Stadt. Auf der einen Seite befindet sich das Büsingpalais, von zwei Offenbacher Fabrikanten im 18. Jahrhundert errichtet und heute der repräsentativste Bau Offenbachs, auf der anderen Seite, das Klingenspormuseum ein renommiertes Haus, welches sich der Buch- und Schriftkunst widmet sowie der Lilitempel, dort wo Goethe einst mit Elisabeth flanierte.
Nebenan verliert sich die Französisch-Reformierte Kirche, die vor den Stahl/Glasboliden,die im Hintergrund hochgezogen wurden. Symbolisch für den Ruf der Offenbach anhaftet mag das Isenburger Schloß stehen, welches sich am Mainufer befindet. Architektonisch gilt das Isenburger Schloß als eines der schönsten Renaissancebauwerke nördliche der Alpen. Bedeutende geschichtliche Kongresse wurden hier im Laufe der Jahrhundert abgehalten. Seit 1999 ist das Schloß im Eigentum der unmittelbar angrenzenden Hochschule für Gestaltung. Jedoch ist es nicht nachvollziehbar wie verantwortungslos der Eigentümer mit einem der bedeutendsten Objekte Offenbachs umgeht. Die Fassade verunstaltet mit Graffiti, heruntergekommen und ungepflegt. Ein Schandfleck für die Stadt und für die Hochschule ein Armutszeugnis der besonderen Art.
Zurück geht es in die Innenstadt von Offenbach, vorbei an den Offenbach Hills, die seit 2016 ein Hauch von Hollywood-Atmosphäre verbreiten sollen. Nicht hollywoodlike ist dagegen das Umfeld am Marktplatz. Eine in Beton gegossene Ödnis überzogen mit einer großstadtbelasteten Patina die in Symbiose eine triste Endzeitstimmung ausstrahlt. Hier gilt es einzig behenden Schrittes dieses Areal zu durchqueren um in östlicher Richtung einen beschaulicheren Ort, den Alten Friedhof von Offenbach, aufzusuchen. Insbesondere der jüdische Friedhof der seit 1861 im hinteren Teil eingebracht ist lohnt für eine Stippvisite.
Vom Alten Friedhof geht es nördlich hinunter zum Main um von dort aus der Trassenführung des Radweges die Fährte gen Rumpenheim aufzunehmen. Vorbei an Bürgel, dort wo dass älteste Gebäude Offenbach,s die 1492 Sankt Pankratius-Kirche daß Ortsbild prägt, erreicht man nach fünf weiteren Kilometern den morgendlichen Startort, die Fährstation Rumpenheim.
Vierzig Kilometer sollten genügen um sich ein umfassendes Bild über eine Stadt machen zu können. Vierzig Kilometer Offenbach – geballte Eindrücke einer Stadt, die einerseits geprägt ist durch eine reiche Industriekultur, andererseits durch eine destruktive städtebauliche Entwicklungspolitik, die sich bis heute fortschreibt. Mit Ausnahme des Markttreibens am Wilhelmsplatz und einigen wenigen Straßenzügen ist Offenbach eine Stadt die weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick einladend ist und eine Wohlfühlatmosphäre ausstrahlt. Das neue Hafenareal -eine postmoderne Retortensiedlung- behaftet mit einer klinisch sterilen Aura. Kaum auszumalen ist, was aus Offenbach geworden wäre, wenn es sich 1888 dank der hier damals aufgebohrten aber wieder stillgelegten Kaiser-Friedrich-Quelle zum „Bad Offenbach“ entwickelt hätte. So bleibt Offenbach wie es ist, vielschichtig und zwiespältig, unsortiert und ein permanentes Entwicklungsgebiet.
Schöne Fotos !
Offenbach hat einige schöne Ecken. 🙂