Zeilhard, 20. September 2014
“Die Strecken führen über herrliche Feld- und Waldwege und sind bei jeder Witterung gut begehbar”. Fast schon untertrieben die Ausschreibung des TV 1913 Zeilhard, der bereits zum 9. Mal zu einem IVV-Marathon einlud. Mächtig ins Zeug legten sich die Veranstalter bei Auswahl der Strecke. Startort war der Reinheimer Ortsteil Zeilhard, über dessen Namensgebung noch heute Unklarheit besteht. Tauchte 1323 in einem Lehnsbrief erstmals der Name Zylhardt spekuliert man darüber, dass die zwei Jahre später nachgewiesene Schreibweise Zygelhard sich aus Ziegel und Hard (=Berg) ableitete und darauf referenzierte dass es im gelben Lössgebiet eine Ziegelei gab.
Jenseits der ethnologischen Stadtforschung geht es zunächst den Hirschbach querend in östlicher Richtung entlang des Dilsbachs in die benachbarte Gemeinde Spachbrücken der heute noch im Volksmund die Walachei genannt wird. Da aus statischen Gründen der Bau einer Brücke für den kleinen Bach nicht im Verhältnis stand, wurden ehemals Birkenstämme (= Spachen) in den Bachlauf gelegt, unten größere um den Durchfluss des Wassers zu gewährleisten, nach oben hin immer kleinere, damit Fuhrwerke ungehindert darüber fahren konnten. Vorbei an der Abwasseranlage Vorderer Odenwald die an diesem Morgen eine besondere olfaktorische Melange für die mehr als 82 angetretenen Marathonwanderer verbreitet geht es zunächst rund um die Reinheimer Teiche – ein außergewöhnliches Naturschutzareal. Bereits 1626 wurde unter dem Darmstädter Landgraf Georg II. im 75 Hektor großen Areal ein Fischteich angelegt. Mehr als 200 Fisch- Vogel- und Insektenart konnten bislang in dem Gebiet nachgewiesen werden. Eine echte Sensation ist das Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte, denn die Reinheimer Population ist die bisher einzig Bekannte in den alten Bundesländern. Bereits frühmorgens sind schwerbewaffnete Naturschutzbeobachter unterwegs, die mit Feldstecher und Profikameras Flora und Fauna fokussieren.
Vorbei am naheliegenden Segelfluggelände geht es Reinheim umrundend hinauf zur Windlücke – amtlich Ernst-Ludwigshöhe bezeichnet, Richtung Groß-Bieberau. Der Name “Auf der Windlück”e [uff de windglick] ist historisch seit dem 19. Jahrhundert belegt -Ursprung unsicher. Was mittlerweile vergessen ist – 500 Jahre lang wurde bis in die 60 Jahre auf dem Reinheimer Sonnenberg erfolgreich Wein angebaut.1956 gab es noch 20 Weinanbauern mit insgesamt 1,035 ha Rebfläche. Bereits von hier hat man eine herrliche Aussicht über das Dieburger Becken, dem Otzberger Höhenzug bis hin zum Spessart. Manch ein Unterfranke der hier schon gelaufen ist, hat von hier vermeintlich die markante Aschaffenburger Schankwirtschaft Schlappeseppel zu erblicken geglaubt. Herrlich, wenn man noch Visionen hat.
Groß-Bieberau links liegend lassend geht es die Wembach querend entlang schöner Waldwege in das Rohrbacher Land. Hier am Rande des Modautals wurde 1700 von 240 Waldensern aus der italienischen Gemeinde Pragela eine Waldenserkolonie gegründet. Grundlage für die Ansiedlung stellte ein zwischen den waldensischen Kolonisten und dem Landgrafen Ernst-Ludwig von Hessen-Darmstadt geschlossener Pachtvertrag dar. Die Kolonisten verteilten sich auf die drei Orte Rohrbach, Wembach und Hahn. Auch der 1.800 Kilometer lange Hugenotten- und Waldenserpfad, der hier entlang führt, erinnert an diese europäische Migrationsgeschichte.
Die nun folgenden Kilometer bieten herrlichste Ausblicke in das Modautal, den Odenwald bis hin zum 605 Meter hohen Bergsträßer Melibokus. Natur satt und pur. Sorgsam ausgewählt die Streckenführung – weitreichende Blicke für Wanderers Augen. Richtung Ober-Ramstadt bietet die Wanderschleife zwischen dem Ober-Ramstädter Rückhaltebecken und dem nördlichen Industriegebiet neue Ein- und Ausblicke in das Groß-Umstädter Land. Auf aussichtsreichen Wegen geht es hinab zum Weiler Dilshofen der aus drei Bauernhöfen und vier Wohnhäusern besteht. Markant die dortige territoriale Zersplitterung. Der westliche Hof gehört zu Ober-Ramstadt, der Rest zum Reinheimer Ortsteil Zeilhard. Mittelalterliche Zustände im 20. Jahrhundert: bis 1977 verlief die ehemalige Landkreisgrenze von Darmstadt und Dieburg mitten durch das ehemalige Haxthausensche Hofhaus hindurch. Raststation an einem Gehöft, wo scheinbar in früheren Zeiten eine Brennerei unterhalten wurde zumindest nach dem dort vorhandenen Equipment in einem Kellerareal zu urteilen.
Die letzten 10 Kilometer führen auf aussichtsreichen Pfaden Richtung Roßdorf zum dortigen Hausberg, den Vulkan- und Basaltkegel Roßberg. Während am Nordhang im Steinbruch Basalt abgebaut wird, gedeiht am sonnigen Südhang Wein. Für den Weinbau optimale Vorausstzungen: der Untergrund aus Basalt speichert die Wärme der Sonne und die Löß- Lehmauflage bildet einen optimalen Nährboden für die Rebe. Den Roßberg umrundend führt der markierte Trail zurück nach Zeilhard. 40,5 Kilometer bei angenehmen 608 Höhenmetern. Kompliment an die Veranstalter für die Logistik und die ausgezeichnete Streckenführung. Diese Passage – eine Einladung an alle Wanderfreunde, die den Randbezirk Vorderen Odenwald ergründen möchten mit Ein- und Ausblicke in das Dieburger Land.
martin du bist einfach der größte!
danke für die tolle tourbeschreibung und die einmaligen bilder, die die stimmung exakt wiedergeben.
bis zur nächsten gemeinsamen tour …
anton
Hallo Martin,
Dein “powerwalker´s blog” ist Dir sehr gut gelungen! Ich habe Deine Seite schon oft aufgerufen und mir die tollen Fotos Deiner Wanderungen angesehen. Vom “Marathon im Reinheimer Land” sind ebenfalls sehr schöne Motive mit der Kamera festgehalten. Gelungen sind auch Deine Kommentare zur Tour-Beschreibung. Super!
Gruß Horst