Rhöner Extratouren

Rasdorf, den 06. März 2021Sie sind die Sahnehäubchen für Wanderinnen und Wanderer. Ob beispielsweise Traumschleifen, Traumrunden, Hiwweltouren oder wie in der Rhön die Extratouren. Viele Regionen haben unter ihrer eigenen Dachmarke Premiumwanderwege entwickelt, die in der Regel alle Dimensionen einer gepflegten Wanderung abdecken. Natur, Kultur und Geschichte. Das alles garniert mit gepflegten Einkehrmöglichkeiten. Einziges Manko für Freude ausgedehnter Tagestouren: Zumeist handelt es sich um familien- und tagesbesuchertaugliche Kurzstrecken im Spektrum von bis zu fünfzehn Kilometern. Jedoch eröffnen sich ab und an Möglichkeiten, die vorhandene Infrastruktur aufzubohren, um wie hier in der Rhön, drei Premiumwege zu verknüpfen, um damit ein außergewöhnlich beeindruckendes Wandererlebnis zu kreieren.

Rasdorf in der hessischen Rhön ist der Ausgangspunkt dieser Exkursion, dort wo sich die Nahtstelle von drei Extratouren befindet, die da wären: Der Rasdörfer, der Point-Alpha-Weg und die Extratour Kegelspiel. Die ausgearbeitete Routenplanung, angepasst an den Sonnenlauf, ist geradezu ideal, wenn man frühzeitig vor Sonnenaufgang den ersten markanten Hügel den Gehilfsberg erklommen hat. Der Lohn des Frühstarts, ein perfekter Sonnenaufgang über den Hügeln der thüringischen Vorderrhön. Traumhaft darüber hinaus die Anhöhe des Gehilfersberges. Oben markiert die bedeutendste Wallfahrtskirche des Fuldaer Landes die Spitze des 456 Meter hohen Hügels und ringsherum ist seit 2009 eine der schönsten Waldfriedhöfe unsere Republik angelegt. Fast wäre man geneigt darüber nachzudenken, dass diese Stätte für naturverbundene Wanderfreunde die beste letzte Ruhebank wäre.

Start am Dorfanger von Rasdorf -zunächst Richtung Gehilfersberg
Auch Strohballen lassen sich bunt verpacken
Ein traumhafter Tagestart
..und hier liegt man in der ersten Reihe
Zehn Stunden Sonne pur – bei besten Panoramaaussichten
1625 wurde die Wallfahrtskapelle errichtet, 1996 durch Brandstiftung abgefackelt und 1997 orginalgetreu rekonstruiert
Der Vorteil der noch blattlosen Jahreszeit – man behält den Durchblick wie hier auf den Kleinberg
Am Fuße des Gehilfersberg schneidet sich die Rasdörfer Extratour mit der Extratour Kegelspiel.

Was die Region auszeichnet sind neun markanten Bergkuppen, die zum Hessischen Kegelspiel zählen. So stehen sie als beeindruckende Landmarke und sind aufgereiht wie Kegel von Südosten gen Nordwesten. Ehrensache, dass die Extratour Kegelspiel auch den Gang über drei Kegelgipfel beinhaltet. Lohnenswert ist zudem ein Abstecher hinauf zur Basaltkuppe des Stallbergs dort wo Reste einer einstigen Ringwallanlage und Blockschutthalden besichtigt werden können. Naturnah auch die Entwicklung dieses Biosphärenreservats. Seit 1997 wurde die Bewirtschaftung des Waldes eingestellt, frei nach dem Motto: “Der Wald kommt auch ohne menschliche Eingriffe klar.”

Blick auf das Hessische Kegelspiel
Ackerscholle mit Aussicht
In der Rückschau Blick auf den markanten Gehilfersberg
Nach einer Sage nutzten Riesen die Basaltkegel als Kegelbahn
Der Wald, der ohne menschliche Eingriffe auskommt
Das sollte mal durch einen Baustatiker geprüft werden…..
Ein kurzer Bypass hinauf zum Plateau des Stallbergs
Basalttypische Formationen
….nebst Blockschutthalden
Rundherum ausgezeichnet und unverlaufbar sind die Wegekennzeichnung der Extratouren

Stallberg, Appelsberg und Rückersberg so die Namen der drei Kegel über die sich die Extratour Kegelspiel zieht. Den Orientierungshügel Gehilfersberg auf dem Radarschirm habend führt der Weg über Großentaft Richtung Osten zurück, um dann nach Querung des Grüsselbachs aufzusteigen zu einem der geschichtsträchtigsten Orte unserer Republik – Point Alpha. In Militärkreisen ist dieser Punkt auch unter dem Codewort “Fulda Gap” bekannt. Wenn es im Kalten Krieg zu einer Eskalation gekommen wäre, dann, so sind sich die Experten einig, wäre hier der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Fulda, so das damalige Feindbild, hätte der Russe platt gemacht um die Türe Richtung Franfurt und den Rhein zu öffnen. Selbst der Einsatz nuklearer Waffen wurde hüben wie drüben durchgespielt. Heute erinnert eine Gedenkstätte an den ehemaligen Grenzverlauf und steht nunmehr als eindrucksvolles Mahnmal neben der markanten Mauergedenkstätte in Berlin.

Großentaft wird nur am Rande gestreift
Kein Lauschangriff – lediglich ein eisiges Ohr hat sich bei minus acht Grad auf dem Schotter gebildet
Osthessischer Dialekt
Blick hinüber nach Thüringen
Weiter geht es auf der Extratour Rasdörfer
vorbei am Rasdörfer Fischweiher
Lampenputzer, Pompesel, Kanonenputzer, Schlotfeger – wie auch immer man die Rohrkolben bezeichnet
Ein Blick zurück auf den hügeligen Friedwald nebst Wallfahrtskapelle
Aufwärts geht es Richtung Point Alpha
Mit 5.000 Mann sicherte im Großraum das amerikanische „Blackhorse Regiment“ diesen Landstrich
Sätze, die in die Weltgeschichte eingegangen sind – angebracht am Point-Alpha-Denkmal
Relikte vergangener Tage
Mit dem linken Bein im Osten – mit dem rechten Bein im Westen…..
Das hätte 1988 noch niemand geglaubt, dass einmal der Wachturm vom Typ BT 4×4 unter Denkmalschutz steht….
Schon pervers: Bewusst ausgehungerte und scharfgemachte Hunde wurden Tag und Nacht in einhundert Meter lange Hundelaufanlagen eingesetzt
Heute verbindet nicht nur das “Grüne Band” Ost- mit Westdeutschland
Die erste Maßnahme der sowjetischen Besatzungstruppen: Ab 1945 wurden alle Straßen und Wege von Ost nach West mit dem russischen Stopschild ausgestattet
Am “Haus auf der Grenze” -eine Anlaufstation zur Gedenkstätte
22. Dezember 1989 11 Uhr…: dann war hier der Spuk vorbei
Weg der Hoffnung – Path of hope: ein sehr beeindruckendes Kunstobjekt mit vierzehn Stationen. In Anlehnung an den biblischen Kreuzweg steht der Weg der Hoffnung für das Leiden der Menschen aber auch für ihren Glauben an gewaltlose Veränderungen
Hier laufen für einige Kilometer zwei Extratouren zusammen
Eine Point Alpha Stiftung hegt und pflegt das Areal

Einmal mehr rückt in das Bewusstsein, welches Privileg es ist ohne Einschränkungen und Hindernisse von Hessen nach Thüringen zu wandern und die Weiten der Landschaft zu genießen. Wie auf Point Alpha nachzulesen war, trafen sich dort oben an einer Wegsperre jährlich zu Pfingsten hunderte von Menschen von hüben und drüben zu einem “Heimattreffen”. Eine Verständigung etwa durch Rufen oder Winkern war den Bewohnern des DDR-Grenzgebietes untersagt. So floss auf beiden Seiten manch stille Träne…

Abwärts von Point Alpha führt die Extratour zu einem sehr bemerkenswerten Marktflecken in Thüringen – die Rede ist von Geisa. Die an der Ulster gelegene Stadt war für Fulda schon von je her ein strategisch wichtiger Punkt. So wurden bereits im 13. Jahrhundert Mauern und Türme errichtet, um als Vorposten das Fuldaer Land abzusichern. 1602 erblickte hier der Universalgelehrte Athanasius Kircher, seines Zeichens Erfinder der Laterna Magica, Sprachgelehrter der auch die Sinologie begründete, Kartierer von Meeresströmungen und Mondkrater, Erforscher der Pestkrankheit mit selbst konstruierten Mikroskop und und und…. das Licht der Welt. Selbst Goethe widmete dem Genie ein Gedicht. Vorbei am neugotischen Rathaus und dem ehemaligen Schloß geht es über den Gangolfiberg zum südlichsten Zipel der Extratour-Spezialroute, dort wo das Kreuz der Geiserämter steht.

Ein Kleingartenbesitzer hat es scheinbar verpeilt, dass hier kein Stacheldraht mehr notwendig ist….
Die Stadtkirche Geisa mit der markanten Fachwerkshaube, die auf dem Steinturm aufgesetzt wurde
Guter alter VEB-Stahl der immer noch seinen Zweck erfüllt
Das neugotische Rathaus von Geisa
Auf dem größten Stadthügel wird an den berühmtesten Sohn der Stadt erinnert
Daneben die alte Gerichtsstätte..
..und an exponierter Stelle des Gangolfiparkes blickt Petrus herab

Locker könnte man in Geisa länger verweilen, jedoch die Tour will fortgesetzt werden. Hinter Geisa steigt man ein in den Schlangenpfad, ein schmaler Weg der sich um den Bocksberg schlängelt. Vorbei am Ulsterblick, der eine Blickachse auf das unterliegende Scheid einerseits und die weiter entfernten Salzberge bei Philippsthal andererseits ermöglicht, geht es peu a peu aufwärts um am Kreuz der Geiserämter vom Osten gen Westen auf das fulminante Panorama des Hessischen Kegelspiels zu blicken. Wieviele DDR-Bürger, die hier einst saßen und sehnsuchtsvoll gen Westen schauten? Gedanken, die sicherlich auch von den bedrückenden Impressionen von Point Alpha geschürt wurden, steigen hoch. Auch die Landmarke Gehilfersberg springt eimal mehr in das Auge. So verbleiben ab hier noch neun Kilometer, den Weiler Wiesenfeld und die nachfolgende Acker- und Wiesenlandschaft querend, um zurück zum heutigen Startort Rasdorf zu gelangen.

Blick hinüber auf die gewaltigen Salzberge bei Phlippsthal
Blick hinüber zum Hessischen Kegelspiel
Wiederaufforstung – ein durchaus umstrittenes Thema
Man muss schon ein Extremwanderer und leidensfähig wie Thorsten Hoyer sein, um 1.300 Kilometer auf dem Grünen Band in vierundzwanzig Tagen auf Material wie diesem zu absolvieren
Ausblicke, Ausblicke, Ausblicke…..
Im Blickfang der außergewöhnliche Friedwaldhügel
Der größe Dorfanger Hessens findet man in Ransdorf

Aus drei mach eins. Drei Premiumwanderwege, die für sich schon Wanderspaß pur bieten, in gebündelter Form zusammengeführt, das garantiert Wandererlebnisse auf höchstem Niveau. Perfekt auch die Jahreszeit. Lichte Waldpassagen ermöglichen Durch- und Ausblicke, die man so in der belaubten Zeit nicht einfangen kann. Abwechslungsreich auch die Textur der Strecke. Der Ashaltanteil in toto niedrig, lebendig der Wegeverlauf und mit 1.100 Höhenmetern ist die 43 Kilometer lange Strecke bestens austariert. Eines bleibt gewiss: die Rhön, ob auf der thüringischen, der hessischen, oder der bayrischen Seite bietet noch weiteres Entdeckungspotential. Und wie auf einer Wanderinformationstafel in Geisa hinterlegt: “Unsere Wanderwege sind 365 Tage im Jahr geöffnet….”

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