Hauenstein, den 10. Oktober 2022 – “Man muss die Keschde feiern wie sie fallen.” Südpfälzer pflegen eine besondere Lebenskultur und finden immer wieder einen guten Grund Feste zu feiern, große Weingläser zu schwingen und die saisonale Produkte wohlweislich zu vermarkten. So ist der goldene Oktober die Hauptsaison für die Keschde wie man in der Pfalz die Esskastanie bezeichnet, die einst die Römer an den Rhein brachten. Heute sind die braunen Kastanien, die einst ein typisches Arme-Leute-Essen waren, eine Delikatesse. Man pflegt mittlerweile einen regelrechten Kult rund um die Keschte und kredenzt gerne neuen Wein zu frisch aufgelesenen Kastanien frei nach der Pfälzer Devise: “Wo’s Keschde gibt, gibt’s auch Woi”
Zudem hat man mit dem Keschdeweg Deutschlands längsten und attraktivsten Kastanienweg entwickelt, den man natürlich am Besten im Oktober, dann wenn die stacheligen Igel gen Boden rauschen, unter die Wandersohle nehmen sollte.
Keschdetour I: Hauenstein – Albersweiler
Der Keschdeweg startet offiziell in Hauenstein, bei den Pfälzern als “Hääschde” bekannt. Überreginal punktet der Ort mit Felsen, Schuhe und Kastanien sowie einem großen Keschdefest Mitte Oktober. Vom Bahnhof geht es vorbei an der Schuhmeile, dort wo mehr als eine Millionen Schuhe angeboten werden, den Mischberg umrundend und Hauenstein von West nach Ost querend, vorbei am Deutschen Schuhmuseum, dort wo unter anderem eine Schuhleiste von Charles de Gaulle und eine Wanderschlappe von Helmut Kohl besichtigt werden kann. Den Buntsandhügel Weimersberg umrundend taucht man direkt ein in ein regelrechtes Kastanienmeer. Kein Wunder, nun ist Hauptsaison und in 2022 verzeichnet man auch im Segment der Esskastanien ein regelrechtes Mastjahr.
Quer durch Lug führt der Pälzer Keschdeweg hinauf zum 401 Meter hohen Hornstein. Ein Blick zurück lohnt – denn die spektakuläre Dahner Felsregion zieht sich mit ihren östlichen Ausläufern bis in die Hauensteiner Region. Am Hornstein juckt es regelrecht unter den Füßen, den hier könnte man bereits auf einen tollen Felspfad Richtung Wernerberger Geierstein einsteigen – jedoch auf dieser Tour steht der Kastanienweg an. So geht es weiter durch die Kastanienflut, Wernersberg querend und unterhalb des Heimelsteinmassives weiter nach Annweiler am Trifels.
In Annweiler am Trifels lohnt es einen Aufenthalt einzuplanen. Unter dem Motto “Beschde Keschde” ist die lokale Gastronomie voll auf das Thema eingestellt. Hochsaison für Meisterköche – und in der Tat man ist wirklich verblüfft über die aromatischen Bereicherungen die hier auf den Tisch gezaubert werden. Hinter Annweiler am Trifels schlägt der Keschdeweg einen großen Bogen um die hier anzutreffende Mittelgebirgsregion. Bergtechnisch kann man sich allerbestens austoben, sofern man keine Steigungen scheut. Einmal mehr überzeugt der Wanderweg. Kastanien in Hülle und Fülle und tolle Wege in einem offensichtlich noch intakten Waldgebiet. Wäre an diesem Tag die Madenburgschänke auf der gleichnamigen Burgruine geöffnet – so wäre ein Schlenker hinauf zur Burgruine durchaus angebracht gewesen.
Bei Eschbach verändert sich das Landschaftsbild. An der Kante des Pfälzer Waldes wechselt man in die Weinebene der Region. Gen Leinsweiler wandert man durch die nicht minder schönen Weinhügel um nach Querung dieser Ortschaft hinauf zum Slevogthof zu steigen. Hier bietet es sich an auf einem der Rastbänke eine Pause einzulegen, um die Blicke über die markante Rheinebene, die gegenüber vom Odenwald begrenzt wird, schweifen zu lassen.
Zwischen Slevogthof und die Hexentanzplatz scheint ein Keschde-Highway zu liegen. Einheimische und Gäste sind hier in gebückter Haltung unterwegs um die Keschden einzusammeln. Unterhalb des 533 Meter hohen Förlerbergs führt der Keschdeweg durch die Waldregion abwärts zum Ziel des ersten Tages – Albersweiler.
Keschdetour II: Albersweiler – Neustadt an der Weinstraße
Der zweite Tag – das gleiche Bild zumindest in Bodennähe – Keschde ohne Ende. Wenn man Sherpas dabei hätte, man könnte zentnerweise die braune Ware heraustragen. Die Textur des Wanderweges verändert sich etwas gegenüber dem ersten Tag. Der Keschdeweg verläuft dichter an der Kante des Pfälzer Waldes und man wird mit schönen Panoramablicken auf die weitläufige Weinlandschaft verwöhnt. Von Albersweiler führt die Passage nach St. Johann, vorbei am ehemaligen Löwensteiner Schloss. Blickt man über die Schulter so strecken sich die Berghügel der Annweiler Region auf der gegenüberliegenden Seite hoch. Oberhalb vom Haardtrand Käfernberg wandert man auf einem schönen Panoramaweg gen Frankweiler. Wer hier wohnt ist begünstigt, denn auf dieser Sonnenterasse genießt man herrliche Ausblicke über die Rhein-Neckarregion.
Auf tollen Pfaden führt der Keschdeweg oberhalb der Weindörfer, die sich wie Perlenschnüre auf dem Gang Richtung Neustadt an der Weinstraße aneinanderreihen. Gleisweiler, Burrweiler, Weyher in der Pfalz bis hin zum Kastanienberg dort wo der bayrische König Ludwig I. eine Sommerresidenz nebst einem Edelkastanienhain errichten ließ. Das Schloß Villa Ludwigshöhe ist ein beliebter Hotspot für Tagestouristen, denn nebenan kann man sich mit der Rietburgbahn zur aussichtsreichen Rietburg hochliften lassen, um auf der dortigen Aussichtsterrasse die Ausblicke zu genießen. Keschdewegswanderer hingegen arbeiten sich weiter in nördlicher Richtung vor. Wenn man jedoch im Wanderflow ist läuft man, wie an diesem Tag, Gefahr den ein oder anderen Abzweig zu verpassen und einige zusätzliche Höhen- und Kilometer zu verbuchen, was jedoch nicht tragisch ist. Auch oberhalb des offiziellen Krschdeweges gibt es Kastanien in Hülle und Fülle
Vorbei am markanten Dichterhain, der sogar eine Baumbliothek beinhaltet, führt hinter dem Schwalbenfelsen ein toller Zick-Zack-Pfad oberhalb von Sankt Martin abwärts zum Bellachini-Brunnen und am nördlichen Ortsende hat man Gelegenheit bei einer Selbstbedienungsweinhütte sich persönlich davon zu überzeugen, dass der Pfälzer Rebensaft sehr bekömmlich ist. Hinter Sankt Martin umrundet man zunächst den Wetterkreuzberg an seiner östlichen Flanke um auf der Höhe von Maikammer die Wiege der Deutschen Demokratie, das Hambacher Schloß, auf den Radarschirm zu nehmen.
Im Volksmund ist es die Keschdeburg, da rings um das Hambacher Schloß viele Kastanienbäume stehen. So ist der Weg von Hambach, einem Ortsteil der Weinmetropole Neustadt, zur “Freiheitsstraße Nr. 0”, der Hausadresse der “Schlossschänke”, von Edelkastanienbäumen regelrecht gesäumt. Lohnend ist eine Einkehr auf der Terrasse des Schloßrestaurants, denn in der Nachmittagssonne kann man hier bei besten Lichtverhältnissen ein herrliches 180-Grad-Panorama einsammeln. Vom Hambacher Schloß wandert man anschließend abwärts zum Neustädter Bahnhof.
Der Pälzer Keschdeweg – zur besten Keschdezeit im Oktober eine absolute Genußwanderung in einem großartigen Umfeld, eingemantelt in die traditionsreiche Pfälzer Lebenskultur. Offiziell mit 64 Kilometer veranschlagt, mit einigen Zusatzhaken auf 70 Kilometer und 1.900 Höhenmeter ausgedehnt. Als Themenweg in dieser Dimension sicherlich einzigartig in Deutschland. Toppen lässt sich das Ganze nur noch, wenn man in Südtirol den mittlerweile 90 Kilometer langen Eisacktaler Keschtnweg von Brixen bis nach Bozen angeht – eine spannendes Pendant für Oktober 2023….
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