Frankfurt, den 07. Dezember 2020 – Man schrieb das Jahr 1971 als man den 490 Kilometer langen Mainwanderweg von der Quelle bis zur Mündung aus der Taufe hob. Frankfurt war zu dieser Zeit als Krankfurt verschrien. Hausbesetzer und Spontis prägten die Szene, Adornos Frankfurter Denkschule erschloß neue intellektuelle Hemisphären und der ungeliebte Nachbar Offenbach war per se als verbotene Stadt klassifiziert. Scheinbar Grund genug für die damaligen Wegeplaner diese Zonen zu meiden und den Mainwanderweg tunlichst von diesem Umfeld weiträumig zu entkoppeln. Bis heute haben jedoch die Streckenverantwortlichen scheinbar die Entwicklung der letzten Jahrzehnte verschlafen und meiden immer noch die vielleicht kosmopolitistische Region unser Landes.
Aus guten Gründen starte ich in Mühltal/Dietesheim am Main, dort wo man noch kostenfrei parken und stromabwärts in die Offenbacher Umlaufbahn, mit Blickfeld Frankfurter Skyline, einsteigen kann. Bis zur City von Frankfurt sind zwanzig Kilometer mehr oder minder auf dem asphaltierten Radwanderweg zu absolvieren. Ebenso verläuft hier die Klimaroute und die Route der Industriekulturen. Bereits zwei Stunden vor Sonnenaufgang sind die üblichen Verdächtigen auf der Piste. Läufer die im ländlichen Umfeld zwischen Mühltal und Maintal entlang des Mains joggen, Vierbeiner die am anderen Ende der Leine ihre Besitzer durch die Landschaft zerren und Berufstätige die zur Arbeit nach Offenbach oder Frankfurt radeln.
Entlang des Mühlheimer Mainufers erreicht man nach fünf Kilometern die Mainfähre von Rumpenheim, die dritte von insgesamt dreizehn Mainfähren. Gegenüber erhebt sich, noch eingemantelt in der frühwinterlichen Dunkelheit, Schloß Rumpenheim. Bereits im 17. Jahrhundert legte hier die Hanauer Grafschaft den Grundstein, später flanierte hier der europäische Hochadel, ob Kaiser Franz Joseph, oder der Russische Zar Alexander. Heute sind hier Eigentumswohnungen eingebracht und der angedockte Schloßpark ist zu tageslichttauglichen Zeiten allemal einen Besuch wert. Hier bei Rumpenheim setzt auch eines der ausgeprägtesten Flußmäander des Mains ein. Der Mainbogen zwischen Offenbach und Rumpenheim markiert an dieser Stelle die Stadtgrenze von Frankfurt und Offenbach und gegenüber setzt bei Fechenheim das Frankfurter Einfallstor, die Hanauer Landstraße, die direkt zur Europäischen Zentralbank führt, ein. Für Wanderer und Radler jedoch ist die Mainbogenumrundung als naturbelassene Runde durchaus eine Oase fernab des hektischen Großstadttreibens.
An der unteren S-Schleife des Mainbogens ist die Mainstadt erreicht, die von je her polarisiert. Autobesitzer, die mit dem Autokennzeichen OF unterwegs sind wissen davon ein Lied zu singen. Jedoch – Offenbach ist im Wandel. Die hier ansässige Hochschule für Gestaltung genießt einen exzellenten Ruf, das hier ansässige Deutsche Leder- und Schuhmuseum manifestiert die Bedeutung der Lederverarbeitung in dieser Region, die Frankfurter Proseccogesellschaft frequentiert mittlerweile gerne den Offenbacher Wochenmarkt als “Place-to-be” und das Hafengelände an der Offenbacher Riviera hat sich als neuer kultureller Treffpunkt entwickelt. An allen Ecken und Enden wird gehämmert und gebohrt – eine der größten regionalen Baustellen, der Kaiserlei-Kreisel, soll im Herbst 2021 fertiggestellt sein.
Man kann es nicht leugnen – hinter der Kaiserleibrücke eröffnet sich eine andere Welt. Das schillernde Offenbach hinter sich lassend erschließt man die Finanzmetrople am Main mit der blicktechnisch fixierenden Achse auf die Frankfurter Skyline. Frankfurt – der Stadtname am langen Ende geprägt vom Main. Franconofurd – Furt der Franken- beschrieb eine Felsbarriere am Mainboden, welche bei Normalpegel eine gefahrlose Querung des Mains ermöglichte. Frankfurt – eine Stadt der Superlative die fasziniert aber auch spaltet. Der größte Flughafen des Landes, der größte Internetknoten der Welt, Sitz der Europäischen Zentralbank, die höchsten Gebäude Deutschlands, die weltweit höchste Apfelweinlokaldichte. Trennt der Main, wie im ersten Maintourenbericht veranschaulicht Nord- von Süddeutschland spricht man in Frankfurt von Hibbdebach und Dribbdebach. Mit deutschen Untertiteln belegt bedeutet Hibbedebach “hüben” und Dribbdebach “drüben” – ergo auf der anderen Seite des Baches gelegen. So petzte der deutsche Apfelweinpabst Heinz Schenk in seinen besten Zeiten gerne in Dribbdebach, also in Sachsenhausen, seine “Schoppen”, wie der Südhesse sein mit Stöffchen gefülltes Apfelweinglas zu bezeichnen pflegt.
Außerhalb der Pandemiezeiten sollte man es auf jeden Fall nicht versäumen, die “Guud Stub” den Frankfurter Römerplatz und die neue Altstadt, die quasi um die Ecke liegt, zu besuchen. Hinter der Europäischen Zentralbank wurde die “Schöne Aussicht” mit hochwertigen und höchstpreisigen Eigentumswohnungssilos bestückt. Vorbei geht es an Frankfurts bekanntester Brücke, dem Eisernen Steg. Die Stadtväter waren Mitte des 19. Jahrhunderts zu geizig um eine zusätzliche Mainbrücke zu bauen. Flugs gründeten weitsichtige Bürger einen Verein zur Errichtung einer eisernen Fußgängerbrücke. Der Verein erhob eine Brückenmaut von einem Kreuzer und konnte, dank der hohen Frequenz die Konstruktion bereits 1886 an die Stadt übereignen. Hier am Eisernen Steg wandert man durch das Frankfurter “Nizza”, dessen Namen auf einen Frankfurter Stadtgärtner zurückging, der 1875 mediterrane Pflanzen einsetzte, die sich dank windgeschützter Südlage bis heute prächtig entwickeln. Am Holbeinsteg, der sich in Sichtweite des Westhafens befindet, wird der Main gequert um hinüber zur Frankfurter Museumsmeile zu wechseln. Museen von Weltruf reihen sich hier am Sachsenhäuser Mainufer auf. Das Städel, das Architekturmuseum, das Filmmuseum, das Museum für Kommunikation, das Museum für Weltkulturen und und und…..
Am Museumsufer stößt man nun auf den offiziellen Mainwanderweg, der sich jedoch auf der Höhe des Metzlerparks gen Süden verabschiedet. Man quert Sachsenhausen diagonal, wobei durchaus der Eindruck bleibt, daß die Wegeplaner einst den kulturell unattraktivsten Wegeverlauf gewählt hatten, frei nach dem Motto “Augen zu und durch”. Vorbei geht es an einem Wahrzeichen der Stadt Frankfurt, dem Henninger Turm, der mit seinem markanten Turmkorb fünfzig Jahre lang als Getreidesilo und Aussichtsturm genutzt wurde. Abgerissen und neu errichtet wurde der neue Henninger Turm vor drei Jahren als Wohnhochhaus in Betrieb genommen. Über den Wendelsweg erreicht man den ebenso wieder neu errichteten Goetheturm. Der Vorgänger wurde 2017 durch Brandstiftung zerstört und der durch Spenden finanzierte Nachfolger vor wenigen Wochen fertiggestellt. Oben vom Turm genießt man spektakaläre Aussichten auf die Frankfurter Skyline und den dahinter liegenden Taunus. Einziges Manko: Der Turm ist nur von April bis Oktober geöffnet und bleibt demnach bis nächstes Frühjahr zugesperrt.
Vom Goetheturm geht es auf uninspirierenden fünfzehn Kilometern durch den Frankfurter Stadtwald. Stadwaldtypisch absolviert man ewige triste Geradeaus-Schneisen. So kann man dank Smartphone-Spotify-Kopfhörer-Equipment den kilometerfressenden Stadtwald ohne bleibende Schäden absolvieren. Grober Unfug ist die Streckenführung unterhalb der Südspitze von Offenbach. Anstelle der sinnlosen Achse über den Müllerweg empfiehlt es sich die Schneise entlang des Hainbachs zu nehmen, dort wo auch der Hugenottenpfad verläuft. Quer durch Offenbach-Bieber führt der Mainwanderweg zwischen Mühlheim und Lämmerspiel Richtung Mühlheimer Seenlandschaft zurück nach Dietesheim. Auf dem Rückweg der nächsten Maintour werden dabei die hier befindlichen Mühlheimer Steinbrüche ein Meilenstein der Strecke sein.
Die dritte Main-stromaufwärts-Exkursion spannend, eindrucksvoll, aussichtsreich und kulturbeladen, so die Erkenntnis nach 43 Kilometern. Wer außerhalb der Pandemiezeiten den Main zu Fuß als Streckenwanderung erschließen möchte ist gut beraten, sich nicht am offiziellen Mainwanderweg, sondern an der flußführenden Passage zu orientieren. Belohnt wird man mit geballten Eindrücken, die man je nach Zeit und Vorliebe an vielen Stellen vertiefen kann. Auch auf der nächsten Mainpassage sind spannende Eindrücke entlang des Untermains erwarten.
Danke für den schönen Bilderbogen !
Ich teile ebenfalls die Meinung das Offenbach besser ist wie sein Ruf.
Gruß
Paul