Jena, den 11. April 2024 – Keine Frage, es ist ein Trail der Superlative und zwar in mehrfacher Hinsicht. Überwiegend naturnahe Wanderwege, aussichtsreiche Landmarken, außergewöhnliche Abschnitte entlang von Muschelkalk-Steilabhängen, bestechende Panoramen die sich um die Metropolregion Jena zentrieren, eine Heidefläche die einst Schauplatz einer der bedeutendsten historischen Auseinandersetzungen der europäischen Geschichte war, sowie Burgruinen und Schlösser die über dem mittleren Saaletal thronen, versprechen ein Wandervergnügen der besonderen Art.
Kein Wunder dass dieser Wanderweg vom Deutschen Wanderverband als Qualitätsweg Wanderbares Deutschland zertifiziert ist; kein Wunder dass 2023 die Leserschaft des Wandermagazins diese Strecke als “Deutschlands schönsten Wanderweg 2023” gewählt haben, und kein Wunder dass einmal jährlich konditionsstarke Superwalker zur 24-Stunden-Wanderung “Rund um Jena” antreten.
Wer wie ich, die Region Saale-Unstrut noch nicht kennt, und Jena nur als hässliches Plattenbaukonglomerat an der A4 verortet, ist bestens beraten sich aufzumachen, um einzutauchen in eine spannende Region in dessen Zentrum eine lebendige Stadt steht, die ein besonderes Flair ausstrahlt, was man in der oberflächlichen Betrachtung zunächst nicht wirklich vermutet.
Die “Horizontale” heißt Horizontale, weil sie weniger auf Bergsteigen angelegt, sondern eher auf Laufen zentriert ist, und daher in Gänze eher horizontal als vertikal konzipiert wurde. Es ist einem gewissen Lothar Seifert aus Jena zu verdanken, der herausfand, dass, wenn man im Paradies, dem geografischen Mittelpunkt Jenas, zum nächstgelegen Berg wandert und einmal den äußeren Waldwegen folgt, neunzig Kilometer zurücklegen kann.
Trail I von Jena-Lobeda nach Jena Zwätzen
Gestartet wird am offiziellen Einstiegspunkt der ersten Etappe, in der Platanenstraße Lobeda West, die man bequem mit der S-Bahn Linie 5 ansteuern kann. Aus dem Stand heraus geht es zunächst aufwärts – hinauf zu den Resten der romanischen Lobdeburg, wo man sich erstmals einen Überblick verschaffen kann.
Für Geologen sind Muschelkalkberge ein wahres Paradies um 300 Millionen Jahre Erdgeschichte intensiv studieren zu können. Und noch im 21. Jahrhundert sind die Kernberge speziell für Wanderer paradiesisch. Trittsicher sollte man allerdings schon sein, wenn auf den kilometerlangen schmalen Pfaden entlang der Muschelkalkhänge unterwegs ist, und bei Unwetter sollte man nach Möglichkeit diesen Abschnitt meiden. Vorbei an historischer Stätte, dem Fürstenbrunnen, erreicht man an der Studentenrutsche, einer markanten steinernen Rinne, einen der vielen vortrefflichsten Aussichtspunkte der gesamten Strecke.
Vom aussichtsreichen Plateau des Hummelsberg schwenkt man, den Stadtteil Ziehenhain umrundend in die Umlaufbahn der Bergkette Windberg, Hausberg, Ziegelberg ein, hinauf zum markanten Fuchsturm. Einst befanden sich hier vier mittelalterliche Burganlagen, davon eine, die die Ottonen, ein sächsisches Adelsgeschlecht, als Königspfalz unterhielten. Auch hier schreiben sich die markanten Aussichtspunkte fort. Interessant ist dabei der immerwährende Perspektivenwechsel im Bezirk der “natura jenensis“, einem pseudowissenschaftlich angehauchten Kunstbegriff von Marketingexperten, womit man der Naturerlebnisregion Jena ein spezielles Etikett angehaftet hat. Jedoch auch mit dem Fuchsturm ist der ersten Wandertag noch nicht zu Ende. Denn vom Fuchsturm führt eine längere Ostpassage zunächst hinab nach Wogau, um oberhalb des nördlichen Gembdentals den “Mons” zu erklimmen, bevor es zum Tagesabschluss hinab zur Bahnstation Jena-Zwätzen geht.
Trail II von Jena Zwätzen via Dornburg nach Jena Zwätzen
Nach offizieller Leseart stehen am zweiten Tag wiederum drei offizielle Etappen auf einen Streich an, diesmal die Abschnitte 4, 5 und 6 der Wanderliste. Nach der verdichteten Berggipfelpassage des Vortages, die auch als Königsetappe der SaaleHorizontale bezeichnet wird, entspannt sich an diesem Tag das Stimmungsbild. Während am Tag zuvor die Thüringer Metropole Jena im Fokus stand, entrückt man auf der nördlichen Passage der unterschwelligen Betriebsamkeit, die mit dem Anblick einer pulsierenden Stadt verbunden ist, und man taucht ein in ein wohlgefälliges durch Acker- und Weinanbau geprägtes Landschaftsgebiet. Gefühlt weitet sich das Saaletal, der Siedlungsdruck minimiert sich auf punktuelle dorfgemeinschaftliche Streuungen, und am langen Ende entschleunigt man selbst von Kilometer zu Kilometer. Von Jena-Zwätzen geht es hinüber nach Kunitz zum Großen Gleisberg, dort wo noch heute die Reste der einstigen Kunitzburg über der Saale thronen. Hier wird Weinanbau betrieben und im Laufe der 900jährigen Zeitgeschichte ging die Burg durch die Hände vieler europäischer Adelsgeschlechter. Von der Kunitzburg aus geht es abwärts nach Beutnitz, dort wo im Umfeld von Löberschutz sich im Mai und Juni nach Angaben ein regelrechtes Orchideenparadies auftut.
Der östliche Zipfel der SaaleHorizontale führt durch das bewaldete Areal nach Tautenburg, in der Nachbetrachtung die vielleicht unspektakulärste Passage des gesamten Trails. Zumindest in den einschlägigen Informationsschriften des Tourismusverbandes wird mächtig auf den Putz gehauen, wenn die Strecke nach Dornburg beschrieben wird. Ohne Frage, die Blicke auf das Saaletal sind hier am nördlichsten Zipfel des Wanderweges sehr schön, jedoch bezüglich der “atemberaubenden Aussichten auf den Balkon Thüringens” speziell von der Sophienterrasse aus, sollte man die Erwartungshaltung doch reduzieren. Zum einen ist die Sophienterrasse zugewuchert, ein Durchblick ist nur punktuell möglich, zum anderen sind jahreszeitenbedingt die Terrassenanlagen unterhalb der drei Schlösser noch nicht wirklich aktiviert, Pflanzenkübel sind noch im Winterlager und die Grünanlagen sind noch nicht so weit. Wer als Tagesbesucher diesen Zipfel ansteuert, mag natürlich eine andere Empfänglichkeit entwickeln als Andere die bereits mehr als 60 panoramageladene Wanderkilometer absolviert haben. Von Dornburg aus führt die SaaleHorizontale zunächst abwärts nach Neuengönna um weiterführend oberhalb von Porstendorf über den Weidenberg zurück nach Jena-Zwätzen zu wandern.
Trail III von Jena Zwätzen via Göschwitz nach Jena
Um die SaaleHorizontale rund zu machen fehlt noch eine Tagestour. Die Passage führt von Zwätzen zum ursprünglichen Startpunkt gen Lobeda, ergänzt um eine abrundende Verlängerungsstrecke entlang der Saale hinein in die Stadt Jena. Zweifelsohne – diese Passage ist abermals ein visueller Schmaus, zudem historisch bereichert. Von Zwätzen aus geht es durch die Steinbachschlucht, zunächst hinauf nach Closewitz. Entlang dieser Passage entfaltet sich in den Monaten Februar und März ein wahrer Blütenteppich, denn zehntausende von Winterlingen entfalten sich mit einem kräftigen Gelbton. Hierfür wurde sogar eigens ein Rundwanderweg angelegt. Hinter Closewitz taucht man ein in die Heidefläche des Windknollen. Hier schlug 1806 der große Militärstrategie Napoleon vernichtend die preußischen Truppen und legte damit die Lunte für den Niedergang Preußens. Zahlreiche Informationstafeln informieren über diesen “Meilenstein” der europäischen Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzten sowjetische Streitkräfte das Gelände als Truppenübungsplatz bis schlussendlich 1997 das artenvielfaltsbeladene Areal als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde.
Vom Napoleonstein geht es steil abwärts führend entlang der Hangkante des Sonnenberges zur Papiermühle und von dort aus in der Gegenflanke wiederum aufwärts hinauf zum Bismarckturm. Schöne Waldpfade führen oberhalb von Lichtenhain durch einen Mischwald nach Ammerbach. Hier im Hinterzimmer von Jena hat man den Eindruck dass man sich fernab einer Großstadt in dörflicher Abgeschiedenheit bewegt. Via Nennsdorf mäandert der Qualitätswanderweg aufwärts zum Jagdberg. Oben angekommen hat man punktuell das Gefühl nochmals in Gänze nahezu die gesamte SaaleHorizontale überblicken zu können.
Welch ein Wanderabenteuer. Die SaaleHorizontale mit Zuwegen zum ÖPNV im Gesamten aufsummierte 104 Kilometer, bestückt mit abwechslungsreichen 2.600 Höhenmetern. Obschon offiziell in neun überschaubaren Wanderetappen konfektioniert, kann man in drei Wandertagen hin- und ausreichend in diese wunderbar wanderbare Region eintauchen. Sportlich ambitionierte Wanderer haben zudem die Möglichkeit einmal jährlich an der mittlerweile schon legendären 24-Stunden-Wanderung teilzunehmen. Die Strecke differiert dabei in einigen Abschnitten und ist sogar separat ausgeschildert. Alljährlich starten eintausend Teilnehmer – 2024 bereits zum 37. Mal. In geraden Jahren führt die Strecke im Uhrzeigersinn um Jena, in ungeraden gegen den Uhrzeigersinn herum.
Ergänzend ist ein abrundender Stadtrundgang durch Jena hochgradig zu empfehlen, genauso wie eine Stippvisite im Tourismusbüro. Hier wird man regelrecht zugeworfen mit Anregungen und Inspirationen um die Region Saale-Unstrut noch intensiver zu entdecken. Allemal ist die SaaleHorizontale ein optimaler Einstieg für ein abwechslungsreiches Wandererlebnis mit Weitblick.
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