25. November 2018 –
Deutschlands häßlichste Stadt? Schon der Titel provozierend und anmaßend. Die Steilvorlage hierzu lieferte das NDR-Magazin “extra 3” Die Redaktion hatte in diesem Jahr die Zuschauer dazu aufgerufen, die nach ihrer Meinung hässlichste Stadte der Republik zu küren. Der “Sieger” dieser zweifelhaften Ehre: Ludwigshafen, welches sich mit deutlichem Abstand gegen Konkurrenten wie Gießen, Dortmund und Saarbrücken durchsetzte
Ludwigshafen – die zweitgrößte Stadt der Pfalz, eine sehr junge Stadt hervorgegangen aus der ehemaligen Mannheimer Rheinschanze, 1853 erstmalig amtlich als eigenständige Gemeinde deklariert, Heimat des größten zusammenhängenden Chemiestandortes der Welt, vormals in bayrischer Hand gewesen (der Städtename wurde zu Ehren von König Ludwig den I. von Bayern vergeben)und in ständiger Dauerfehde mit der auf der anderen Seite des Rheins gelegenen badischen Stadt Mannheim. Aus Mannheimer Sicht wird die Ansiedlung jenseits des Rheins abfällig “Lumpenhafen” genannt, es grassiert die Einstellung “Das Schönste an Ludwigshafen ist die Straße nach Mannheim” und der Spruch “Wen der liebe Gott will strafen, den schickt er nach Ludwigshafen.
Jedoch die Faktenlage sieht anders aus. Nach einer aktuellen Untersuchung des Wirtschaftsmagazins “Wirtschaftswoche” belegt Ludwigshafen unter der Rubrik “Industrie der Zukunft” Platz 8 von 71 kreisfreien Städten über 100.000 Einwohner. Mannheim, welches “nur” auf Platz 13 ausläuft hatte es bereits 1865 versemmelt. Just in diesem Jahr wurde eine Konzession zur Ansiedelung der Badischen Anilin- und Sodafabrik erteilt. Diese war kurz zuvor gegründet worden, hatte aber vom Mannheimer Gemeinderat kein Gelände zugebilligt bekommen, weshalb die „badische“ Firma in die Pfalz übersiedelte. Bald wurde der lange Firmenname in BASF abgekürzt, ein Weltkonzern der die Geschichte und das Erscheinungsbild von Ludwigshafen nachhaltig prägte.
Im Zweiten Weltkrieg wurden Ludwigshafen zu 80 Prozenz zerstört, man mutmaßte sogar, dass der Chemiestandort ein potentielles Abwurfziel für eine amerikanische Atombombe gewesen sei. Schwierig und sehr zögerlich gestaltete sich der Wiederaufbau Ludwighafens. Die Behebung des Wohnraummangels und die Schaffung von Arbeitsplätzen waren oberstes Ziel. Rücksicht auf architektonische Gestaltungsmöglichkeiten und städtebauliche Befindlichkeiten konnten nicht genommen werden. Was zählte waren quick wins. Praktikable Lösungen, wie beispielsweise die Realisierung von Hochstraßen nach amerikanischen Vorbild und der strategische Ausbau der Verkehrsknontenpunkte, wie beispielsweise der außergewöhnliche Keil- und Turmbahnhof, der 1969 als modernster Bahnhof Europas eingeweiht wurde.
Behaftet mit dieser Vorgeschichte galt es auf dieser Tour im Rahmen einer ausgedehnten Stadtwanderung sich ein eigenes Bild über die zweitgrößte Stadt der Metropolregion Rhein-Neckar zu machen, durchaus mit dem Anspruch behaftet die interessanten Facetten der Stadt zu entdecken. Jedoch – schon die Vorplanung gestaltete sich schwierig. Das nicht homogene Erscheinungsbild der Stadt, die architektonische Zerissenheit und die nur punktuell vorhandenen “Kulturdenkmäler” erschwerten die Ausarbeitung einer gang- und erlebbaren Passage mit dem Ziel das “wahre Ludwigshafen” zu entdecken.
Gestartet wurde am Ebertpark, der 1925 eröffnet wurde, benannt nach dem damaligen Reichspräsidenten und heute als grüne Lunge der Industriestadt gilt. Rasch ist von diesem Ausgangspunkt das Klinikum von Ludwigshafen erreicht, dort wo der Ring des Seyns, geschaffen von einem japanischen Konzeptkünstler, das Gebäude prägnant bereichert.
Vorbei geht es am Feierabendhaus des Chemieunternehmens mit vier Buchstaben, dort wo am 19.11.1936 die weltweit erste Tonbandaufnahme im Rahmen eines Konzertes des London Philharmonic Orchestra entstanden ist. Hinein geht es in in den alten Stadtteil Hemshof. Markant ist die hier anzutreffende Bebauung – Backsteinhäuser dominieren, seinerseits typische Arbeitersiedlungen, die in “walking distance” zum unmittelbar benachbarten Chemieunternehmen errichtet wurden. Einzig in der Prinzregentenstraße war der Häuserbau wertiger, dem Umstand Rechnung tragend, dass sich hier die sozial besser gestellten Kaufleute, Betriebsbeamte und Chemiker ansiedelten. Mittlerweile wandelt sich das Viertel, Szenenkneipen halten Einzug, Mundartbühnen etablieren sich, Hinterhöfe werden gewerbebefreit und begrünt.
Leider ist sonntags das BASF-Besucherzentrum geschlossen. So bleibt lediglich eine Stippvisite am Tor 1 des Chemiegiganten. Mit zehn Quadratkilometern ist der Standort Ludwigshafen das größte zusammenhängende Chemieareal der Welt. 2000 Gebäude, 200 Produktionsanlagen, gemanagt von 39.000 Mitarbeitern, 230 Schienenkilometer und 106 Straßenkilometer – die Standortfakten sind schon beeindruckend. Eine Stadt in der Stadt, die niemals schläft. Schon auf der Herfahrt beeindruckt die gewaltige Industriekulisse. Man ist fast geneigt zu sagen: Ludwigshafen eine Chemiefabrik mit angeschlossener Stadt.
Weiter geht der Urban-Walk-Trail durch Hemshof, vorbei an einem der gewaltigen Luftschutzhochbunker, die Prinzregentenstraße passierend und weiterführend zur Kurt-Schumacher-Brücke, die jüngste Rheinquerung zwischen Mannheim und Ludwigshafen. Sie sieht schon markant aus, die asymetrische Hängeseilbrücke. Linker Hand beeindruckt das südliche Ende des BASF-Areals und auf der rechten Ludwigsburger Seite dominiert das Staatliche Getreidelager und das architektonisch mutig gestaltete Rhein-Center.
Zurück von der Brücke geht es südwärts weiter, vorbei an der Rhein-Galerie, ein provokant gestyltes Einkaufszentrum. Zielsetzung war es, die Innenstadt an den Rhein zu verlagern. Entlang der Rheinschanzenpromenade führt die Passage über die Schneckennudelbrücke auf die Parkinsel, die über einen mehr als 150 Jahre alten Schwarzpappelbestand verfügt. Die mächtigen Bäume flankieren die an der Rheinseite gelegene Hannelore-Kohl-Promenade. Am südlichen Ende kommt man am Ludwigshafener Wahrzeichen, der historischen Pegeluhr, vorbei. Seit 1900 wird hier, wenn auch nicht mehr amtlich, der Rheinwasserstand angezeigt.
Zurück Richtung Innenstadt geht es durch die Lagerhausstraße in das “bayrische Viertel”. Im Umfeld der Bayernstraße und der Wittelsbacherstraße sind noch einige baulichen Kulturdenkmäler zu besichtigen. Auf der Homepage der Stadt Ludwigshafen hat man mühevoll einige Objekte zusmmengetragen, die kulturhistorisch besichtigungswert sind, ein zarter Versuch in den Schmauchspuren der Vergangenheit noch einige Merkposten zu identifizieren. Spätestens wenn man am Paul-Kleefoot-Platz unter den massiven Betonpfeilern die Hochstraße Süd quert, wird man wieder eingeholt von dem städtebaulichen Bild welches das Nachkriegsludwigshafen signifikant geprägt hat.
Zügig geht es in die Innenstadt Ludwigshafen. Man kann die Entwicklung nicht schönreden. Tausende Quadratmeter Leerstand, städtebaulich verwachsene Einkaufsschluchten mit dem tristen Charme die eine betonierte Nachkriegsflächenversiegelung mit sich bringt. Das Cafe Laul am Ludwigsplatz, 1952 errichtet und als Kulturmeilenstein mittlerweile geadelt – nicht mehr als ein Lichtstreifen am schmalen Horizont einer Innenstadt, die durch eine einfache anspruchslose Architektur dieser Kommune einen prägenden Stempel aufgesetzt hat. Im Zuge der Hochstraßensanierung ist geplant das Rathauscenter abzureißen. Unklar ist es noch, inwieweit der 72 Meter hohe Rathausbau ebenso unter die Abrißbirne kommt.
Weiter geht es Richtung Lutherplatz, dort wo der markante Kirchenturm als Monolith vorzufinden ist. Einst stand hier die Lutherkirche, die in den Jahren 1858 bis 1862 als neugotischer Bau errichtet wurde. Im Krieg fiel die Kirche den Bomben zum Opfer. Heute steht nur noch der Glockenturm. Im Turm selbst betreibt der Sizilianer Angelo Montana mit seinem Sohn ein Restaurant . Einmal um die Ecke gehend stößt man auf einen der größten Miros aller Zeiten als Kunstwerk im öffentlichen Raum. 1979 entstand die Keramikfassade des katalanischen Künstlers Miró. aus 7200 Keramikfliesen. Ihre Entstehung verdankt die Fassade einem Konstruktionsfehler, da das Museumsgebäude entgegen des eigentlich vorgesehenen Bauplans um vier Meter erhöht werden musste. Die dadurch entstandene Außenfläche vergrößerte sich deutlich und verlangte geradezu nach einer künstlerischen Gestaltung. So wurde in einem kleinen Bergdorf bei Barcelona vom Künstler der im Maßstab 1:10 angefertigte Entwurf auf 20×36 cm große Steinzeugfliesen übertragen und in einem eigens gebauten Ofen gebrannt.
Miro hinter sich lassend geht es in westlicher Richtung weiter unterhalb der südlichen Hochstraßentrasse. Augenfällig die zahlreichen abgemeldeten Fahrzeuge, und Unfallwagen die unterhalb der Hochstraße zwischengelagert werden. Das Szenario erinnert an manchen Ludwigshafen-Tatort-Krimi mit Kommisarin Lena Odenthal. Vom Hochstraßenuntergrund gelangt man nahtlos zur Bahnhofswüste in Ludwigshafen. Der Bahnhof Ludwigshafen – im Nachgang ein Paradebeispiel städtebaulicher Fehlplanung. 1969 als Europas modernste Bahnstation eingeweiht – heute in einem maroden und ungepflegten Zustand, mit viel zu langen Laufwegen. Zudem der Bahnhof nicht einmal als Bahnhof wahrgenommen wird. Eingekeilt in die gigantische Brückenanlage war der Bahnhof die Substitutslösung für den damaligen Kopfbahnhof der am Platz des heutigen Rathaus-Centers angesiedelt war. 1984 schrieb der damalige Oberbürgermeister folgende Zeilen an die Bundesbahndirektion: „Massive Klagen und Beschwerden aufgebrachter Bürger veranlassten mich, vor kurzem den Ludwigshafener Hauptbahnhof nochmals persönlich in Augenschein zu nehmen. Ich muss Ihnen sagen, dass es für mich ein negatives Erlebnis ganz besonderer Art war. Ein Projekt, in das die Stadt Ludwigshafen rund 190 Millionen DM investiert hatte, präsentierte sich in einem Zustand, der nur mit den Attributen ungepflegt, unsauber, ungastlich und unattraktiv zu umschreiben ist. Ich will nicht sagen, dass er ein Schandfleck der Stadt ist, aber ein Aushängeschild ist er auf keinen Fall.“ Status 2018: Unverändert!
Über die Asphaltwüsten im Hochstraßenkreuzungsbereich der Bruchwiesenstraße führt die Passage am Naherholungsgebiet Großen Blies vorbei. Nach zwei weiteren Kilometern ist die Gartenstadt erreicht. Dem städtischen Fingerzeig folgend kommt man hier am Roten und am Grünen Hof vorbei. Beides “Reichsheimstättensiedlung” , die eine in rot, die andere in grün gehalten In den 20er Jahren als Wohnsiedlung primär für Kriegsheimkehrern errichtet und heute als Kulturdenkmal geadelt.
Vom Grünen Hof hinein in das Grüne. Nach der großen innerstädtischen Runde ist zunächst Auslauf im weitläufigen Areal des Maudacher Bruchs angesagt – ein Landschaftsschutzgebiet an einem ehemaligen Altrheinarm, der bereits zu römischen Zeiten abgetrennt wurde. Noch heute ist das Gebiet feucht und sumpfig. In früheren Zeiten wurde hier auch Torf gestochen. Hufeisenförmig zieht sich der Bruch bis zum Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim, ein Ort der von namhaften Persönlichkeiten wie Gorbatschow Clinton, Thatcher, oder Jelzin aufgesucht wurde. Weltpolitik im Pfälzer Landstrich – ein Schleier der noch heute über den Ludwigshafener Stadtteil liegt – und ein Fakt auf den die Oggersheimer mit Stolz zurück blicken. Mit einem Schlenker geht es zurück zur Mannheimer Straße um den vorletzten Meilenstein der städtichen Kulturdenkmalliste zu besuchen – eine Tankstelle. Die Eleganz und die schwungvolle Architektur der 50er Jahre sind der Tankstelle trotz mehrfacher Anbauten erhalten geblieben. 1952 errichtet. “Charakteristisch ist dabei die Überwindung der präzisen rechtwinkligen Formensprache zugunsten einer bewegten, schwingenden Gestalt.” beschreibt philosophisch die Ludwigshafener Denkmalpflege die Ziele der damaligen Baukunst. Nach zwei weiteren Kilometern und insgesamt 35 gewanderten Kilometern ist der Ebertpark wieder erreicht. Bei einem hervorragenden Deidesheimer Riesling im hier ansässigen Turmrestaurant, den man eben nicht im Badischen in dieser Qualität bekommt, hat man Gelegenheit diese außergewöhnliche Stadtwanderung nochmals Revue passieren zu lassen.
Ludwigshafen ungeschminkt. Einmal mehr zeigt sich wie spannungsgeladen eine Stadtexkursion sein kann. Ludwigshafen eine gespaltene Stadt, die spaltet. Sicherlich, Ludwigshafen kann nicht mit den Bambergs dieser Welt verglichen werden. Jedoch ist es allemal spannend sich mit der Entwicklung einer Stadt wie dieser zu beschäftigen. Durch das Objektiv betrachtet übt die Stadt für Freunde der Streetphotography eine besondere Faszination aus. Bemerkenswert übrigens, dass im aktuellen Städteranking des Magazins “Wirtschaftswoche” unter der Rubrik Lebensqualität Ludwigshafen Platz 40 und das benachbarte Mannheim Platz 63 belegt. Um bei den Worten des Sizilianers Angelo Montana zu bleiben “Nicht die Gebäude – die Menschen und die Kultur – das ist Ludwigshafen” Und dass die gesamte Pfälzer Region in Sachen Kultur und Lebensgenuß bundesweit einen Spitzenplatz belegt ist unbestritten.
Hallo Martin, sehr interessant mal Deutschlands “hässlichste” Stadt unter die Lupe zu nehmen. Herausgekommen ist ein spannender Artikel mit beeindruckenden Bildern! Klasse!
Liebe Grüße, Jörg vom Wanderblog Outdoorsuechtig
Toller Beitrag ich habe nur einen fehler gefunden und zwar heißt die S-Bahn Station BASF Süd in wirklichkeit BASF Tor 1 und 2 und ist eine Straßenbahnhaltestelle
Besten Dank für den Hinweis — ist schon korrigiert
Na das ist doch mal Balsam für Ludwigshafener Seelen…
Wir wissen alle dass Lu nicht überall schön ist – aber eben auch nicht überall hässlich…
Danke für diese ehrliche Stellungnahme.
Vielen Dank für die interessanten Einblicke. Für uns als Neu-Maudacher, eine schöne Tour durch unsere neue Heimat.
Tolle Bilder, tolle Beschreibungen mit Hintergründen.
LU ist schön!
Sehr schön und ehrlich geschrieben! Danke für diesen lesenswerten Artikel.
Die Bilder sind klasse. Gerne würde ich sie im Lutherturm bei Angelo im Restaurant ausstellen, um allen zu zeigen, wieviel interessante Seiten Ludwigshafen hat. Wer hat die Bilder denn gemacht, damit ich da nachfragen kann? Herzliche Grüße von der Citykirche “Am Lutherplatz”
Das muss man doch glatt unterstützen!