Erbach, den 1. Mai 2019 –
Eine fast perfekte Wanderung mit einem unrühmlichen Schlußakzent. Aber zunächst der Reihe nach. Anfang der 80er Jahre schickte sich der Hessische Wanderverband an Fernwanderwege auf Basis bestehender Hauptwanderwege zu konzipieren, um ohne vorheriges größeres Karten- und Quellenstudium- Verbindungen aufzeigen, die ohne Umwege, jedoch trotzdem auf attraktiven Wegen zum Ziel führen. So entstand ein Netz von insgesamt elf Wanderwegen, die Hessen von Nord nach Süd und von Ost nach West durchziehen.
Gestartet wird mit dem Hessenweg Nummer 7, der sich vom südhessischen Erbach im Odenwald bis nach Kaub am Mittelrheintal entlangzieht. 200 Kilometer und 3.700 Höhenmeter, so die Eckdaten der Gesamtstrecke, wobei bereits auf der ersten Passage zwischen Erbach und Bensheim, Odenwald sei Dank, mehr als 1.200 Höhenmeter zu absolvieren sind.
Gestartet wird am Bahnhof in Erbach, der oberhalb der historischen Kernstadt der Kreisstadt liegt. Ortsunkundigen sei dringendst eine Besichtigung der Stadt empfohlen, die unter anderem auch das Deutsche Elfenbeinmuseum beheimatet. Vom Bahnhof aus geht es aufwärts, dem Verlauf des Roßbächleins folgend, durch den Wildpark Brudergrund. WWW ist hier angesagt: Wild, Wasser und Wald – so das Szenario, was man kostenfrei genießen kann. Ein kleiner Lehrpfad informiert dabei über Flora und Fauna.
Hinter dem Wildpark öffnet sich das Tal und man erreicht ein Reiterparadies, den Roßbacher Hof, wunderschön im Brudergrund gelegen. Seit dem 18. Jahrhundert wird hier ein Gestüt unterhalten. Die zahlreichen Pferdekoppeln garnieren die sanfthügelige Landschaft in einer besonderen Art und Weise. Hier verläuft auch die historische „Hohe Straße“ die sich Richtung Mossauer Höhe hinauf zieht. Von hier oben kann man die Blicke in das unterhalb liegende Mossauer Tal schweifen lassen, bevor man der Passage weiter durch Ober-Mossau folgt, dort wo die Odenwälder Traditionsbrauerei Schmucker ihren Hauptsitz hat.
Obschon 1. Mai, der eher als „Tag des Feierns“ anstatt als „Tag der Arbeit“ zu deklarieren wäre, geht es im Mossautal zu früher Morgenstunde noch sehr beschaulich zu. Hinter den großen Silos der Brauerei geht es die nächsten Kilometer aufwärts hinauf zum 501 Meter hohen Berg namens Lärmfeuer. Die Namensgebung des Hügels hat einen interessanten Ursprung. In früheren Jahrhundert wurden im Odenwald auf einer Kette von weithin sichtbaren Bergspitzen Signalstationen eingerichtet, die jeweils aus meterhohen Holzstößen bestanden und deren Abbrennen als Alarmzeichen für die Bevölkerung der umliegenden Gebiete galt, besonders bei Kriegsgefahr.
Hier oben am Lärmfeuer ist auch die stattliche Ihrig-Hüttte ein gern aufgesuchter Unterstand vorzufinden. In unmittelbarer Nähe befindet sich das „Haalebeerareal“. „Haalebeerleit sein lustige Leit, sieht mer se net, so heert mer se weit!“ Haaleberrleit waren Heidelbeerleute. Wenn um 1900 im Juli die Heidelbeeren reif waren, bekamen die Kinder Heidelbeerferien um sich einige Pfennige für das größte südhessische Volksfest, dem Erbacher Wiesenmarkt, zu verdienen. Ein Korb in der Hand, eine Blechbüchse am Gürtel, das war das „Robbgescherr“. Die Benutzung eines sogenannten Heidelbeerkamms war dagegen verpönt, da man ansonsten die Pflanzen beschädigte. Abends wurde die Tagesernte Zwischenhändler übergeben, der sie bis nach Mannheim verkaufte.
Vom höchsten Punkt der Passage aus geht es steil abwärts. Rechter Hand blickt man in das liebliche Ostertal, und nach Querung der L 3105 öffnet sich linker Hand der Blick hinein in das Weschnitztal. Den südlichen Ortsrand von Ober-Ostern querend, fokussiert man die nächste Anhöhe die es zu erklimmen gilt, den 476 Meter hohen Stotz. Gefühlt permanent aufwärts gehend folgt man der Wegweisung „Gumpener Kreuz“, einem markanten Kreuzungspunkt in diesen Gefilden. Die Passage wird flankiert von zahlreichen Grenzsteinen, die die Pfälzer Rauten und das Mainzer Rad als Schmauchspuren der Geschichte abbilden. Hier verläuft auch die Grenze des Odenwaldkreises und des Kreises Bergstraße.
Hinab zum Gumpener Kreuz, hinauf zur Perle des Odenwaldes, nach Lindenfels. Man folgt einige Kilometer dem Nibelungensteig, einem der drei Premiumqualitätswanderwege des Odenwaldes. Lindenfels – ein heilklimatischer Kurort, Nibelungenstadt, Drachenstadt, Burgenstadt. allemal lohnt es sich Lindenfels intensiver zzum erkunden. Steil abwärts geht es nach Schlierbach. Lohnenswert ist hier ein Abstecher um den calvinistischen Friedhof zu besichtigen. Statt Grabsteine sind hier Stickel aufgestellt. Der Stickel ist ein weiß bemaltes Holzbrett auf welchem Name, Geburts- und Sterbedatum gemalt sind. Zusätzlich ziert ein gemalter Blumentopf den Stickel, in dem sich eine heranwachsende, eine blühende und eine verwelkte Tulpe befinden, als Symbol für den Kreislauf des Lebens.
Lebendig waldreich und hügelig gestaltet sich die folgende westwärts führende Passage Richtung Bergstraße. Zwischen Seidenbach und Seidenbuch zieht sich der Wanderweg unterhalb des Krehbergs hinauf, um dann in einer weit auslaufenden Gegenpassage in ein Hohlwegsareal zu münden. So gestaltet sich der Streckenverlauf sehr abwechslungsreich.
Die Kreisstraße 59 querend geht es aufwärts zur Bensheimer Weinlage Streichling, die sich bis zum Ortsrand von Bensheim hineinzieht. Ab hier hat die Beschaulichkeit ein Ende, denn jährlich am 1.Mai findet hier die Weinlagenwanderung der Hessischen Bergstraße statt. Auf 20 Kilometer sind zwischen Heppenheim und Zwingenberg insgesamt sieben Weinstationen eingerichtet. Per se sind Weinlagenwanderungen eine ausgezeichnete Möglichkeit einzutauchen in die regionale Weinkultur. Jedoch, die mittlerweile ausufernde Veranstaltung, die hier seit Jahren immer größeren Anklang findet, wirkt für Freunde der gepflegten Weinerkundung eher abstoßend. Nach Veranstalterangaben frequentieren mittlerweile 30.000 Besucher diese Veranstaltung. Bluetooth sei Dank ist es mittlerweile state-of-art den Rucksack mit wattstarken Boomboxen auszustatten um damit sich und sein Umfeld zu beschallen. Schwer narkotisierte Gruppen, die krakelend durch die Weinberge ziehen und sich flaschenweise mit mitgebrachter Ware selbst versorgen, überlastete Weinstationen, Dreck, Abfall und Glasscherben – ein Beleg dafür dass diese Veranstaltung regelrecht entartet ist. Ob sich die Bergsträßer Weinregion damit einen Gefallen tut, eine Weinlagenwanderung als 1. Mai Rummelveranstaltung umzuwidmen mag anderweitig beurteilte werden. Freunde von kultivierten Weinwanderungen sind gut beraten beispielsweise die ebenso im Mai stattfindende Weinlagenwanderung des Odenwaldklubs in Groß-Umstadt zu besuchen, oder vergleichbar wertige Veranstaltungen im Rheingau oder in der Pfalz.
Die Finalrunde führt hoch zum Kirchberghäuschen – im Normalfall eine vortreffliche Einkehrstation mit einem der schönsten Ausblicke oberhalb der Bergstraße. Weinfest- und 1. Mai bedingt herrscht hier verständlicherweise Hochbetrieb, so dass das Belohnungsbier dieser Tour diesmal entfallen muß. Sei es drum – nach exakt 40 Kilometern und 1.275 knackigen Höhenmetern ist der Bensheimer Bahnhof erreicht. Für die Bahnrückfahrt muß man Zeit einkalkulieren. Nach knapp zwei Stunden hat man den Ausgangsort Erbach via Darmstadt wiederum erreicht. Ungeachtet des nicht berauschenden Schlußpunktes in Bensheim ist die Streckenführung fantastisch und erlaubt herrliche Ein- und Ausblicke in den wunderbar wanderbaren Odenwald. Fortsetzung auf dem Hessenweg Nummer 7 – demnächst bei passender Gelegenheit.
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