Frankfurt, den 03. Dezember 2016
Eine außergewöhnliche Weltpremiere, so die gereifte Erkenntnis in der Nachbetrachtung des ersten Frankfurter Wasserhäuschen-Wandermarathons. Wasserhäuschen? Wasserhäuschen! Mittlerweile zum Kultobjekt erhoben, da sogar auf den offiziellen Seiten der Stadt Frankfurt durch eine hin-und ausreichende Würdigung geadelt. Die Geschichte der Frankfurter Wasserhäuschen reicht mehr als 150 Jahre zurück. Man schrieb das Jahr 1863, die Zeit der Frühindustrialisierung. Das Leitungswasser war schlecht und musste abgekocht werden, Bier und Schnaps waren daher Getränke, die allgemein bevorzugt wurden. Hinzu kam, dass zur physischen Stärkung der arbeitenden Klasse es bei vielen Firmen gang und gäbe war, Kartoffelschnaps kostenfrei auszuschenken, mit den nicht wirklich überraschenden Folge, dass der Alkoholismus rapide anstieg.
So viel es den Frankfurter Stadtvätern seinerzeit nicht schwer, dem Antrag zweier Apotheker statt zu geben, um Verkaufsstellen für künstlich erzeugtes Mineralwasser zu genehmigen. Die Herstellung war einfach aber genial. Man nehme Brunnenwasser, Kohlensäureentwickler und Selterssalz, verwirbele das Ganze und fülle das angereicherte Wasser in eine Glasflasche ab, die druckbedingt durch eine innenliegende Glaskugel verschlossen wurde. Das war die Geburtsstunde des „Klickerwassers“ oder in Frankfurter Kreisen auch „Babbel-Juckse-Wasser“ genannt.
Dem cleveren Odenwälder Adam Jöst war es zu verdanken, das sich ab 1909 die Wasserhäuschen in den Frankfurter Stadtvierteln rasant verbreiteten. Neben dem „Bizzelwasser“ erweiterte Jöst seine Angebotspalette. Milch, Obst Brennstoff für die Heizung und die Lunge sowie die legendäre „Jöst-Cola“ wurde an den Büdchen feilgeboten. Zu Spitzenzeiten in den 70er Jahren des 20.Jahrhunderts zählte man 800 Büdchen,Trinkhallen, Wasserhäuschen, heute wird die Zahl auf rund 300 geschätzt.
Wurde im 19. Jahrhundert das Wasserhäuschen seitens der Stadtväter als passable Vertriebsstation von Wasserprodukten zur Reduzierung der Trunksucht des Proletariats angesehen, änderte sich die Stimmungslage der Kommunalpolitiker in den folgenden Jahrzehnten deutlich. Im Zeitverlauf wurde natürlich die Warenpalette des „Wasserhäuschens“ permanent erweitert. Adam Jöst ließ aus Frankreich Weine ankarren und nahm den Biervertrieb über die Büdchen-Infrastruktur auf. Die Wassertankstellen mutierten zu Verkaufssstätten mit einem weitreichenden Angebot zur Deckung der Bedürfnisse des täglichen Bedarfs. Angesichts der Tatsache, dass nach dem Kriege die Häuschen eine Existenzgrundlage für viele Kriegsinvaliden und ärmere Bürger waren, tolerierte man seitens der Stadt die Sortimentserweiterung. Der clevere Kaufmann Jöst traktierte gleichzeitig die Stadt mit immer neuerlichen Eingaben, um den Vertriebskanal „Wasserhäuschen“ nachhaltig zu sichern. So konnte er in einer Eingabe glaubhaft darlegen, dass in näherer und weiterer Umgebung ausschließlich die arbeitende Bevölkerung ansässig sei, die es außerordentlich begrüßen würde, an genannter Stelle für billiges Geld den Durst löschen zu können, ohne gezwungen zu sein, eine Wirtschaft aufzusuchen.
Nachdem Kriege investierte Jöst und sein Mitkonkurrent, die Offenbacher Gebr. Krome, in den Ausbau von Büdchen an Straßenbahnstationen und unterstützen die Stadt bei der Errichtung von Wartehallen, was den Steuersäckel entlastete, eben eine klassische win-win-Situation. Die Welt tickte einfach: biete Wartehalle gegen Konzession. Zur Wasserhallen-Blütezeit in den 70er Jahren verkaufte Jöst sein Trinkhallenimperium an die lokale Bindingbrauerei. Gleichzeitig setzt der Niedergang der Häuschen ein. Der hessische Wirtschaftssminister Karry erließ zudem erschwerend eine Klo-Verordnung, die später wieder entschärft wurde.
In der Bevölkerung häuften sich zudem die Beschwerden, die Lokalredaktionen der örtlichen Presse wurden mit Leserbriefen geflutet. „Bedrohlich wirkende Gestalten, sozial gestrauchelte Personen, die sich an Büdchen volllaufen lassen und Bürgersteige und Häuserecken verkoten, Saufgelage unter freiem Himmel” und und und….. Mitte der 80er Jahre kippte wiederum das Stimmungsbild. 1986 sorgte sich die Fraktion der Grünen im Stadtparlament um den Erhalt der traditionsreichen Wasserhäuschen. Es dauerte jedoch noch bis Anfang der 90er Jahre, bis sich das Meinungsbild in den Medien, bei Politikern und in der breiten Bevölkerung wandelte. Thematische Fotoausstellungen, Radioreportagen, eine sich entwickelnde multikulturelle Bewegung und eine Fokussierung auf soziale Treffpunkte in einem bunten Stadtgefüge trugen zu einem deutlichen Wandel des Bildes von Wasserhäuschen bei.
Aus heutiger Sicht darf man auch nicht verkennen, dass trotz, oder gerade wegen der digitalen Omnipräsenz ein mehr der Wunsch nach sozialem Kontakt eine der Hauptgründe darstellt, Büdchen aufzusuchen. Das Häuschen als bevorzugte Nachrichtenzentrale in einem Mikrokosmos mit nachbarschaftlicher Ausprägung im sonst anonymen Haifischbecken einer Großstadt. Der Kioskbetreiber als Kümmerer, Betreuer, Sozialberater, Freund und Nachbar, als erste Anlaufstation bei einem Notfall. Diese Tendenz hat zu einer Renaissance der Büdchen geführt, die mittlerweile “hipp” und trendy” sind.
Unkonventionell auch der gemeinschaftliche Umgang an den Tresen der Häuschen. Kein Standesdünkel, keine Unterscheidung nach Herkunft und Aussehen. Bemerkenswert die allgemein zu beobachtende innere Ordnung und Disziplin im Umfeld der Häuschen. Augenfällig die Vernetzung der Büdchenbetreiber. Man kennt sich, man kennt die Vorlieben der Gäste, hier ein Bierchen, da ein Käffchen, dort ein “Hallo” oder Guude” an einen vorbeilaufenden Passanten. Wasserhäuschen eine Oase in der Alltagshektik einer pulsierenden Großstadt? Man könnte geneigt sein, die Büdchenszene zu glorifizieren und auszublenden, dass es an manchen Ecken durchaus Problemzonen gibt. Jedoch sollte man nicht außer acht lassen, dass das klassische Wasserhäuschen, fernab der Tankstellensubkultur und Supermarktketten nach wie vor seine Existenzberechtigung hat und ein wesentlicher Bestandteil der Frankfurter Stadtkultur ist. Respekt vor all den Pächtern und Betreibern die auf unterschiedlichster Art und Weise die Büdchentradition pflegen, Anerkennung an Gruppen wir die Linie 11 (Slogan: Wir lieben Wasserhäuschen – Nein Tanke! Ich hol mein Bier am Büdchen“ ) und die Frankfurter Rundschau, die sich seit Jahren für die Wasserhäuschenkultur einsetzten. So richtet seit einigen Jahren die FR jährlich mit der Linie 11 einen Leserwettbewerb auf der Suche nach dem „Wasserhäuschen des Jahres“ aus.
Wandertechnisch muß man natürlich bei derartigen Touren Abstriche machen. 43 ehrliche Kilometer mit einem Asphaltanteil von 98,8 Prozent, oftmals durchsetzt von Lärm, Gestank und Krach. Jedoch eröffnet solch eine Themenwanderung die einmalige Chance den Puls einer Stadt zu erfühlen, neue Sichtweisen – und achsen zu ergründen, und ein Stück kulturelle Zeitgeschichte aufzunehmen. Nicht zu vergessen die facettenreiche Begegnung mit Betreibern und den Gästen – eben ein Wandererlebnis der ganz besonderen Art.
Danke für den sehr schönen und liebevollen Bericht
Bericht wäre noch besser, wenn man sich vorab mal um die Öffnungsszeiten gekümmert hätte. Die meisten Büdchen waren zu…Allerdings haben alle Betreiber etwas gemeinsam, sie arbeiten sehr hart und das 7 Tage die Woche und hätte man sie informiert, dass ein solcher Marathon stattfindet, wären die auch vor Ort und hätten noch einiges zu dem Artikel beitragen können (Bus und Bahn Tour mit Hubert Gloss; Stadtevents). Das Snack FM wird mit Leidenschaft seit 5 Jahren von mir geführt. Jeden Tag, 7 Tage die Woche, und ich nehme mir den Sanstag Vormittag, um mal Luft zu holen, bißchen Zeit für meine Familie zu haben(zumindest mal zusammen frühstücken ist drin) und meine wichtigsten Erledigungen in Ruhe machen zu können! Snack FM ist dann ab 12 Uhr für alle Sportbegeisterten, Lottospieler, Hundeausführer, Dartspieler, Knobler 9 lange, intensive und spaßige Stunden geöffnet! Das ist auch Standort abhängig, denn man steht sich die Beine in den Bauch am Samstag vormittag, es sei denn einmal in 5 Jahren kommt ein Marathonläufer, der sich wundert, dass zu ist und meint er müsste das negativ in einem Bericht erwähnen! Ich finde „das geht gar nicht!“ Am Sonntag hat sich der Läufer dann von dem anstrengenden Tag erholt, während in Seckbach ab 9 Unr wieder 12 Stunden lang leckere, frische Backware vom Huck, hausgemachte Suppen, gute Gref Völsings und jede Menge Spaß bis 21 Uhr unter die Leut gebracht wurde.
Richtig lieber Pierre Skolik. Geht nicht – geht wirklich nicht. Zunächst besten Dank für das offene Wort und den Hinweis. Es liegt mir fern die Arbeit Aller die mit Herzblut und viel Engagement die Frankfurter Wasserhäuschenkultur pflegen zu diskreditieren. „Blöd gelaufen“ im wahrsten Sinne des Wortes trifft den Sachverhalt schon eher und dass nicht der Anspruch besteht dass die Kultobjekte der Frankfurter Szene 24/7 zur Verfügung ist auch klar. Ich habe die Bildunterschrift optimiert – und möge auch dieser Kommentarwechsel dazu beitragen die Dinge in das rechte Licht zu rücken. Weiterhin viel Erfolg in der Kulthütte. Beste Grüße – Martin- N.B. Im Blogbeitrag vom 22.12.18 „Die Hessische Apfelweinstrasse“ ist SnackFm auch vertreten.
Vielen Dank für die tolle Anregung
Das werden wir (in Teilen) nachlaufen.
Na dann viel Spaß Marcus auf dieser Kulturwanderung der besonderen Art