Oberursel/Hohemark 2. Juli 2016 –
Der Taunus. “Der Taunus ist das schönste Mittelgebirge der Welt”, stellte bereits vor 190 Jahren der Naturforscher und Weltenbummler Alexander von Humboldt fest. Der Taunus? Im 21. Jahrhundert schwelgen Automobilfans mit Faible für die Marke Ford in Erinnerung, eingedenk des Umstandes, dass die Kölner Autoschmiede dem damaligen Zeitgeist entsprechend Fahrzeuge nach Städte und Landschaften benannte. So gab es einen Ford-Köln, einen Ford-Rheinland, einen Ford-Eifel und bis 1967 den Ford-Taunus inclusive der Taunomatic für Automatikfahrzeuge. Sprachhistorisch vermutet man jedoch, dass der Name “Taunus” einen keltischen Ursprung hat.
Naturräumlich betrachtet, liegt das Mittelgebirge mit seiner höchsten Erhebung, dem Großen Feldberg (879 m) in Hessen und Rheinland-Pfalz, zählt zu den ältesten Gebirgszügen unseres Landes, und hat sich analog dem heimischen Odenwald durch die Absenkung des Rheingrabens ausgebildet. Eingekesselt vom westlich gelegen Hunsrück, vom nördlichen Westerwald und vom östlich gelegenen Gießener Becken läuft das Schiefergebirge im Rheingau aus.
Grund genug um das Angebot des Naturparks Taunus zu nutzen, um 24 Stunden einzutauchen in eine wunderbar wanderbare Region unter der Headline “Im Reich des Schinderhannes – Taunus-Steige, tiefe Täler und tolle Türme” Ursprünglich sollte die Wanderung bereits Anfang Juni mit 60 gemeldeten Teilnehmern starten – bedingt durch schwerste Unwetter hatte der Veranstalter jedoch den Termin um vier Wochen verschoben. Immerhin 33 ambitionierte Langstreckenwanderer konnten den Ersatztermin noch wahrnehmen.
Pünktlich um 19.00 Uhr bläst Wolfgang Baumann, passionierter Jäger und Naturparkführer mit seinem Jagdhorn zum Halali. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der vier Guides starten wir bei sommerlichen Temperaturen von 23 Grad vom Taunus-Informationszentrum, welches strategisch günstig am Tor des Taunus und am Endpunkt der U3-Haltestation gelegen ist.
Bereits auf den ersten Kilometern wird deutlich, dass es sich, wie bereits in der Auschreibung proklamiert, um kein klassisches 24-Stunden-Wanderevent handelt, gespickt mit Events, Kilometern und Höhenmetern, sondern um eine Natur- und Kulturerlebniswanderung, die eine klare Zielsetzung hat, nämlich Gelegenheit zu bieten, bewusst einen kompletten Tag einzutauchen in eine faszinierende Mittelgebirgslandschaft. Mit profunder Fachkenntnis vermitteln dabei die ausgebildeten Landschafts- und Naturparkführer wissenswertes über den Lebensraum, so dass man fast geneigt wäre, darüber nachzudenken, die (im übrigen sehr moderate) Startgebühr in Höhe von EUR 49,–, als Weiterbildungskosten steuerlich geltend zu machen.
Bereits nach wenigen Kilometern, hinter der Viermärkerschneise, richtet Naturparkführerin Susanne unser Augenmerk auf die hier 1888 gepflanzten und ursprünglich aus Alaska stammenden und bis zu 40 Meter hohen Thujen, bei uns eher als Friedhofsbäume verbreitet, und deren Holzqualität eine hohe Güte aufweist, obschon das Holz ein äußerst geringes spezifische Gewicht aufweist.
Hier erreichen wir auch einen Einstiegspunkt zu der landgräflichen Gartenlandschaft Bad Homburgs, welche 1770 von einem gewissen Landgraf Friedrich angelegt wurde. Vom Bad Homburger Schloss ausgehend ließ Friedrich die Tannenwaldallee, eine zwei Kilometer lange Allee, die am Waldrand in die Elisabethenschneise übergeht, anlegen. Diese insgesamt 7,6 Kilometer lange Achse stellte das Grundgerüst der landgräflichen Gärten dar, wurde zwischenzeitlich mit viel Aufwand rekultiviert und ist heute ein beliebtes Naherholungsziel.
Rasch ist der Elisabethenstein erreicht. Guide Wolfgang erläutert, daß 1822 Teile des damals als Eschbachstein bezeichneten Felsens abgesprengt werden mussten, um die Elisabethenschneise gradlinig führen zu können. Seitdem wird die 410 Millionen Jahre alte Taunusquarzit-Felsgruppe Elisabethenstein genannt -ergo eine sprengkraftunterlegte Namensänderung.
Wanderchef und Naturparkführer Michael Mohr führt uns zur nahegelegenen Luthereiche, einem Naturdenkmal, und vor 199 Jahren am 31. Oktober 1817 zum 300-jährigen Reformationsfest gepflanzt. Vorbei an stattlichen Buchen und Nadelbäumen geht es stetig aufwärts gehend hinauf zum Naturdenkmal Marmorstein. Die marmorartige Maserung des Quarzitgesteins hat dieser Felsgruppe, die von alten knorrigen Eichen eingerahmt wird, den Namen gegeben. Hier trifft man übrigens auch auf den 135 Kilometer langen Elisabethenweg, der einer historischen Route folgt, der von Frankfurt zur Elisabethenkirche in Marburg führt – eine sehr empfehlenswerte Tour, über die in diesem Blog auch schon berichtet wurde. Kurz vor dem Kastell erreicht man an einer Waldkreuzung eine 12,5 Meter hohe Jupitersäule als Replikat der Großen Mainzer Jupitersäule, der größten in Deutschland gefundenen Säule zu Ehren des höchsten römischen Gottes, Jupiter Optimus Maximus.
Nach insgesamt acht Kilometern ist die Saalburg, das einzig rekonstruierte Kastell am gesamten Limes-Verlauf, erreicht. Während 1.850 Jahre zuvor bis zu 2.000 Römer im Kohortenkastell verpflegt wurden, werden an diesem Abend 33 Wanderer außerhalb der Weltkulturerbeareals mit einer deftigen Abendsuppe vom Naturparkteam versorgt. Sicherlich unvorstellbar für die damalige römische Besatzungsmacht der Gedanke, das knapp zweitausend Jahre später zivilisierte Mitteleuropäer freiwillig 24 Stunden durch das Limesareal ziehen, um unter anderem respektvoll die römische Baukunst zu bewundern. Nachrichtlich ist noch anzumerken, dass an der Saalburg der deutschen Motorsport begründet wurde. 1904 donnerten erstmals die Rennboliden an dem hier installierten Start- Zielpunkt unter den Augen von einer Million Zuschauer, darunter Kaiser Wilhelm II vorbei.
Gemütlich dagegen starten wir in die Nachtrunde vorbei am Hessenpark bei Neu-Anspach Richtung Weiltal und über die Taunusdörfer Dorfweil, Brombach und Hunoldstal nach Merzhausen. An der Talmühle schwärmt Wanderführer Wolfgang von dem hier hausgekelterten Apfelwein und dem Prädikatsjahrgang 2015. Da nach Mitternacht das beliebte Ausflugsziel geschlossen hat, werden wir hier vom Versorgungsteam mit Wasser und Schorle Jahrgang 2016 alternativ versorgt. Unterwegs passieren wir Waldabschnitte wo es von Leuchtkäfern, umgangssprachlich Glühwürmer genannt regelrecht wimmelt. Sie werden auch Johanniswürmchen genannt, da sie um die Zeit der Johannisnacht besonders aktiv sind. Das Leuchten dient dabei dem Zweck der Partnersuche. Das Weibchen, das am hellsten leuchtet, lockt am meisten Männchen an. Während Frau sich bei einschlägigen Parfümerien mit entsprechend teuren Surrogaten eindeckt, hat es die Natur oftmals einfacher eingerichtet. Allemal ein außergewöhnlicher Sichtkontakt in der lauen Sommernacht bei angenehmen 18 Grad. Genauso außergewöhnlich die Möglichkeit Fledermäuse an der letzten Rastation im aktiven Flugbetrieb zu beobachten. Wenige hundert Meter weiter haben wir im freien Feld Gelegenheit, einen pachtvollen Sternenhimmel zu bewundern. Tachenlampen aus, Blicke nach oben gerichtet und für eine Minute eine beeindruckende Stille – Genußerlebnisse die solch eine Wanderveranstaltung allemal bereichern.
Nach insgesamt 20 Kilometern ist Merzhausen erreicht. Hier ist große Pause angesagt. Für die Nachtwanderer ist die Turnhalle aufgesperrt, Turnmatten stehen zur Verfügung um eine einstündige gelenkschonende Rastpause einzulegen. Unterdess hat das umtriebige zweiköpfige Versorgungsteam wiederum eine Versorgungstation aufgebaut um mit Kaffee, Obst und Energieriegel die Mannschaft bei Laune zu halten.
Kurz die Nacht zu dieser Jahreszeit. Bald ist das unter Denkmalschutz stehende Areal Meerpfuhl bei Merzhausen erreicht. Bizarr die Impression der aufziehenden Morgendämmerung, die sich in der Teichlandschaft spiegelt. Kurz danach ist die Landsteiner Mühle erreicht, dort wo der zertifizierte, knapp 40 Kilometer lange Qualitätswanderweg Taunus-Schinderhannes-Steig einsetzt, den wir ab nun bis zum Endpunkt in Eppstein folgen. Zunächst will das Frühstück jedoch erst verdient werden. Ein knackiger Kurzanstieg hinauf nach Treisberg, dort wo die Kaffeemaschine des Naturparkteams bereits auf vollen Touren läuft.
Bevor es nach der Frühstücksrast hinauf zum 34 Meter hohen Aussichtsturm auf dem Pferdskopf geht, schärft Wanderführer Michael noch unsere Sinne bezüglich des Namensgebers des Steiges, ein gewisser Johannes Bückler alias Schinderhannes, 1779 bei Nahstätten geboren, ein Räuber, Erpresser und Mörder, dessen Gerichtsakte 72 Seiten umfasste und 221 belegte Straftaten beschrieb und oftmals und fälschlicherweise als Robin Hood des Taunus/Hunsrücks glorifiziert wird. Bereichert mit dieser Erkenntnis geht es hinauf zum Aussichtsturm Pferdskopf. Von hier kann man Rundblicke auf die Taunushöhen und das Usinger Becken genießen. Verwolkt jedoch der Hausberg des Taunus, der Feldberg, und von Westen ziehen dunkle Wolken heran als Vorboten einer drohenden Regenfront.
Daß der Taunus-Schinderhannes-Steig ein Qualitätsweg ist, zeichnet sich auf dem weiteren Streckenweg ab. Herrliche Wurzelpfade, durchsetzt mit Steinblöcken, die an die Entstehungsgeschichte des Taunus erinnern – ein gepflegtes auf und ab – Wanderspaß pur. Eine halbe Stunde später setzt ein kräftiger Regenguß ein, und bietet Gelegenheit die hier eingerichteten Unterstände aufzusuchen. Weiter geht es zum “Roten Kreuz” einer bereits zu römischen Zeiten genutzte Passstraße. Während vor knapp 2.000 Jahren Römer den Übergang zum Kastell “Kleiner Feldberg” sicherten, frequentieren heute motorisierte Tagesbesucher aus Frankfurt und Offenbach die hier angesiedelten gastronomischen Einrichtungen.
Just hinter dem Roten Kreuz, dort wo der Veranstalter eine Trinkstation eingerichtet hat, setzt ein Steilabstieg ein, aus Sicht mancher Mitwanderer ein “Brutalabstieg”. Der Weg eingekiest und nur rudimentär verdichtet, wobei die aufgelockerte Beschichtung zumindest im trockenen Zustand eine gewisse Standfestigkeit bietet – für Radfahrer jedoch absolut ungeeignet ist. Wadenbeißend geht es abwärts Richtung Glashütten. Bereits zwei Kilometer vor der Ortschaft kreuzen wir einen einen Glasweg, der als Rundweg zu den historischen Glasöfen angelegt wurde. Themenbezogene Glasinstallationen erinnern daran, dass im hiesigen Waldareal einst Glashütten betrieben wurden.
Den Ortsrand von Glashütten touchierend geht es weiter via Schloßborn zunächst moderat und abschließend mit einem kraftvollen Aufstieg hinauf zum 507 Meter hoch gelegenen Atzelberg zur wohlverdienten Mittagspause. Pasta, Kaffee und Kuchen stehen für die Langstreckenwanderer bereit. Die Schlechtwetterfront verzogen, der Himmel reißt auf, die Sonne übernimmt die Regie am Himmel und willkommener Anlass für eine gepflegte Mittagsrast. Gelegenheit natürlich auch die 31 Meter hohe Aussichtsplattform, die vis a vis dem 100 Meter hohen Fernmeldeturm errichtet wurde, zu erklimmen. Belohnt wird man mit herrlichen Rundumblicken. Frankfurt noch etwas im Dunst liegend, Königsstein, Eppstein, der Hintertaunus – der Aufstieg hat sich allemal gelohnt.
Unterdess beratschlagen die Wanderführer über eine Modifizierung der eingeplanten Strecke. So war es zunächst geplant, den Schinderhannessteig folgend nach Eppstein, über den dortigen Kaisertempel nach Hofheim abzusteigen. Angesichts der noch zur Verfügung stehenden Zeit und der grundsätzlichen Haltung, nach Möglichkeit mit allen Teilnehmern ohne Blessuren an das Ziel zu kommen (zwischenzeitlich waren fünf Teilnehmer ausgestiegen) wird eine Streckenanpasung zum Endziel Eppstein vereinbart.
Mittlerweile hat sich die Sonne endgültig durchgesetzt. Abwärts nach Eppenhain, aufwärts zum Rossert. In diesem Areal, öffnet sich ein naturbelassenes und weitreichendes Rotes Fingerhutfeld-Areal als Extrabelohnung und Bonusrunde für die Wanderer, die schon mehr als 20 Stunden auf den Beinen sind. Natur pur unter besten Voraussetzungen – gegenüber hat sich der große Feldberg seines Wolkenbandes entledigt. Auf schönen Waldwegen geht es nach Eppstein, vorbei an der der gleichnamigen mächtigen Burganlage hinab zum Bahnhof, dort wo es via Bus zurück zum TIZ, dem Taunus-Informationszentrum geht.
Der Landrat des Hochtaunuskreises hat es sich nicht nehmen lassen, hier den Finalisten persönlich die Teilnehmerurkunde zu überreichen. 61 absolvierte Kilometern, 1660 Höhenmeter aufwärts und 1.764 Höhenmeter abwärts – so die Bilanz nach 24 Stunden. Eine außergewöhnliche Wanderung, und das in mehrfacher Hinsicht geht zu Ende. Die Veranstaltung, die in 2016 zum zweiten Mal durchgeführt wurde hat eine klare Fokussierung. 24 Stunden bewusst einzutauchen in den Naturpark Taunus. 24 Stunden lang mit allen Sinnen, Landschaft und Natur zu erfahren, die Spuren der Vergangenheit aufzunehmen, kulturhistorisches zu erfahren, begleitet von kompetenten Naturführern, die sichtbar Freude daran haben, an dem was sie tun. Enttäuscht brach eine sportlich ambitionierte Mitwanderin aus Kassel mit den Worten “Das ist nicht mein Ding – da könnte ja eine meine Oma mitlaufen” die Tour an der Mittagsrast ab, nachdem sich die Verantwortlichen entschieden hatten, die Strecke abzukürzen, um mit einer kalkulierten Restmarschzeit von drei km/h mit allen verbleibenden Teilnehmern das Ziel zu erreichen. Respekt vor der Entscheidung des Ausrichters, der klar den Fokus auf ein natur- und kulturorientiertes Wandererlebnis gerichtet hat, flexibel und bedarfsorientiert die Strecke anzupassen. Ein klares Wort an dieser Stelle: für leistungssportlich ausgerichtete Wanderfreunde, die mit anspruchsvoller und ausdauernder Marschgeschwindigkeit eine hohe Kilometerzahl absolvieren möchten, ist diese Veranstaltung nicht geeignet. Hierfür gibt es anderen Orts adäquate Angebote. Wer jedoch die Muse hat, sich bewusst einzulassen in ein eindrucksvolles Naturwandererlebnis ist bestens beraten im nächsten Jahr sich rechtzeitig anzumelden, wenn der Naturpark, wie aus gut unterrichteten Kreisen zu erfahren ist, wiederum zu einem 24-Stunden-Wandererlebnis einlädt. Bleibt zu wünschen, dass es gelingt, diese Veranstaltung zu dauerhaft etablieren, mit einer klaren Fokussierung auf die Kernkompetenz des engagierten Teams. Natur und Kultur pur – ein Plädoyer für das Leitthema dieses Blogs – ausgerichtet für ambitionierte natur- und kulturinteressierte (Langstrecken)wanderer
Bleibt nachrichtlich und abschließend anzumerken, das A. von Humboldt nachweislich nicht die Gelegenheit hatte den Odenwald zu besuchen und daher die Aussage hinsichtlich des weltschönsten Mittelgebirges nur unter diesem Vorbehalt zu sehen ist. Ungeachtet dessen – ein dickes “Dankeschön” und herzlichste Grüße in den wundervollen Taunus aus dem nicht minder herrlichen Odenwald.
Allen Mitwanderern nochmal herzlichen Dank für die tolle Wanderung.
Ich hoffe es ist uns gelungen, euch den Taunus aus einer anderen Perspektive im Rahmen unseres Events zu zeigen. Eine Veranstaltung, die zwar etwas Ausdauer vorausgesetzt hat, aber auch keine Leistungssport-Veranstaltung war.
Ich würde mich sehr freuen, Euch wiederzusehen.
Und wer die Tour verpasst hat…vielleicht gibt es 2017 wieder eine Tour…die Spatzen pfeifen es ja von den Dächern 🙂
Gruß
Michael (Naturparkführer im NP Taunus)
Wow, das klingt echt toll! Endlich auch mal ein Langstrecken-Wanderevent für Fotobegeisterte! 🙂
Viele Grüße aus dem Harz,
Maddie von http://www.maddieunterwegs.de