Schnee. Schnee per se ist aus der Wanderbrille betrachtet nicht unbedingt prickelnd, zumindest in den flachen heimischen Gefilden. Schnee gehört in die Berge. Im benachbarten Tirol, in der Olympiaregion Seefeld hat man den Trend der Zeit erkannt und den ersten Tiroler Winterweitwanderweg in 2019 aus der Taufe gehoben.
So hat der Touristikverband ein attraktives Gesamtpaket geschnürt. 56 Kilometer im Schnee, drei Übernachtung inclusive Gepäcktransport und einer Hüttenübernachtung auf 1.700 Meter Höhe, buchbar jeweils von Mitte Januar bis Mitte März – dann also, wenn im Allgemeinen das sechzehn Kilometer sonnendurchflutete Leutaschtal mit hin und ausreichend Schnee versorgt ist. 142 Winterwanderwegskilometer und 256 Loipenkilometer eingemantelt zwischen Wetterstein- und Karwendelgebirge eröffnen dabei für Winterwanderer und Skilangläufer herrliche Panoramasichten.
Gestartet wird im Weiler Burggraben auf 1.100 Meter Höhe am Gasthof Mühle, dort wo das Gepäck abgegeben werden kann. Idealerweise bietet es sich an bereits am Vortag anzureisen, die köstliche Tiroler Küche zu genießen und ausgeruht in die erste Etappe nach Weidach einzusteigen. Zur Orientierung hat der Ausrichter ein 70seitiges!!! Booklet übersandt. Akribisch wurde jeder Wegzeichnungsstandort abgelichtet und mit einer Streckenrichtungsangabe versehen. Wirklich gut gemeint, aber für den Wandereinsatz nicht notwendig. Tendentiell genügt es der Wegekennzeichnung und den gespurten Wegen zu folgen auch wenn drei, vier Stellen hinsichtlich der Kennzeichnung optimiert werden können, für all diejenigen die ohne Trackingunterstützung unterwegs sind.
In Burggraben, die erste Ortschaft hinter Mittenwald, ist das Leuttaschtal noch eng. In Sommermonaten empfiehlt es sich den Wasserfallweg entlang der Geisterklamm zu wandern – im Winter ist die Klamm geschlossen. Ungünstig und ungewöhnlich die Wetterkondition zu unserem Start. Laue Temperaturen von bis zu 10 Grad plus haben die Schneefallgrenze nach oben geschoben – es regnet. So gilt es den Schirm auszupacken, dem Wegeverlauf der ersten Etappe zu folgen und sich gedanklich auszumalen, welch herrliches Bergpanorama man auf dem ansonsten sonnenverwöhnten Hochplateau genießen könnte.
Wir wanderen entlang der Leutascher Ache, einem Nebenfluss der Isar. Die Quellhöhe liegt über 1.800 Meter hoch. Bedingt durch den Höhenunterschied erscheint die Fließgeschwindigkeit sehr hoch, und der Fluß ist jahreszeitbedingt durch die Sedimente schlammbraun eingefärbt. Bei Reindlau wird die Leutascher Ache gequert und über den Puitbach erreicht man den Ortsteil Lehner, dort wo Langläufer üblicherweise einen Einschwung in Polis Hütte auf dem Radarschirm haben. An Tagen wie diesen hält sich jedoch die Frequenz in Grenzen.
Nach der Rast ist vor der Rast – es tratscht weiter. Vorbei geht es am Alpenbad Leutasch bis Kirchplatzl um dann über einen Waldabschnitt den idyllischen Weidachsee zu umrunden, dort wo die Leutascher Fischerei fangfrische Forellen verkäuft – natürlich erst ab April.
Im Booklet des Touristenverbandes wird bei Schönwetter unbedingt empfohlen einen Aufstieg zum Katzenkopf anzuhängen. Belohnt wird man angabegemäß mit atemberaubenden Panoramablicken und regionalen Köstlichkeiten auf der Katzenkopfhütte. Ansonsten wäre am Weidacher See die erste Etappe zu Ende. Trotz Sauwetters und mangelnder Aussichtsperspektive hängen wir insgesamt fünf Kilometer Zusatzweg und 250 Extrahöhenmeter an. Scheinbar sind wir die Einzigen die bei diesen widrigen Umständen den Gang zur Katzenkopfhütte wagen. Der Liftbetrieb ist eingestellt, das Hüttenpersonal ist just beim Eintreffen gerade am Abschließen. Die freundliche Servicekraft, die gebürtig aus Moskau kommt, spendiert uns zur Belohnung ein Getränk bevor die Hütte abgesperrt wird. So gilt ein “Спасибо” für die russisch-tiroler Gastfreundschaft. Während das Servicepersonal per Schlitten nach Weidach runterfährt geht es für uns zu Fuß zurück hinab nach Weidach, dem Endpunkt der ersten Tagesetappe.
Schneewandern macht hungrig, durstig und müde. So die Erkenntnis nach dem ersten Tag, gepaart mit der Zuversicht, daß es wettertechnisch nur noch besser werden kann. Das Wetterradar meldet Temperatursturz mit einhergehenden Schneefall für die nächsten 48 Stunden, ein Lichtblick nach der Regenlast des Vortages.
Von Weidach führt die zweite Etappe über den Lottensee zur legendären Wildmoosalm nach Mösern. Das informative Booklet hat die Einkehrmöglichkeiten umfassend aufgelistet. Lottenseehütte, Wildmoosalm und die Möserer Seestuben signalisieren Einkehrstreß. Akribisch wird angegeben welch köstliche Versuchungen, von Tiroler Speckknödelsuppe bis zum warmen Apfelstrudel zu erwarten sind. Man merkt, die Leutascher Touristikspezialisten haben den Nerv der Zeit getroffen um zielgerichtet Wanderfreunde anzusprechen.
Vorbei an der Talstation des Kreithlifts, der zum Katzenkopf hinaufführt, geht es durch das verschneite Fludertal. Rührig das Engagement des Touristikverbandes. Ein aufwändig eingerichteter “Mentalpowerweg” konzipiert für Frühlings- Sommer- und Herbstwanderer, begleitet uns auf den nächsten Kilometern. Da wir am Vortag bei widrigen Verhältnissen bereits den Katzenkopf erklommen hatten sind wir mental hochgradig gestärkt, um diese Etappe erfolgreich zu meistern.
Auf schönen Pfaden gelangt man zum Lottensee, dort wo sich jährlich ein regelrechtes Naturphänomen abspielt. Dank stark verkarsteter Böden überschwemmen im Frühjahr nach Einsetzen des Tauwetters die Wiesen und ein See bildet sich, um nach einigen Wochen wieder zu verschwinden. Ab und an sprudeln auch Springquellen aus der Tiefe und bereichern den Sommer mit einer Seenlandschaft. Noch heute rätselt man über das Kommen und Gehen des Sees.
Es wundert nicht, daß die Wildmoosalm partiell bis 22.00 Uhr geöffnet hat. Die Tränke ist beliebt und gefürchtet. Trotz voller Hütte, der Service ist 1a, die Bildgalerien an den Wänden veranschaulichen, daß auch viele Promis diesen Ort aufsuchen, und ein an der Theke installierter Schnapsbrunnen verdeutlicht, wo hier die Prioriäten liegen. Rund um den Brunschkopf geht es zum Möserer See, wo die nächste Station, die Möserer Seestub,n nochmals eine Einkehr ermöglicht. Steil abwärts geht es hinab nach Mösern, dem Zielort der zweiten Etappe. Bei schönem Wetter lohnt in Mösern ein Besuch der Friedensglocke, der größten Glocke im Alpenraum. Schon Dürer schwärmte hier vom Aussichtspanorama über das untenliegende Inntal.
Let it snow. Auch am nächsten Tag arbeitet die Naturschneemaschine auf Hochtouren. Es schneit ohne Unterlaß, was jedoch wandertechnisch kein Hemmniss darstellt. Für den heutigen Tag steht die härteste Tagestour an. Aufstieg zur 1.753 hochgelegenen Wettersteinhütte. 800 Aufstiegsmeter werden es am Ende des Tages sein. Bei dichtem Schneetreiben starten wir in Mösern zur Ropferstub,m, ein Platz der im Regelfall herrliche Panoramaaussichten ermöglicht. Da die Stuben erst um 10.30 Uhr öffnet verzichten wir auf Blaubeer-Schmarrn, heißen Hollunder und Alter Marille.
Dort wo einst Wölfe, Bären und Luchse vom Inntal in die Alpen zogen, führt heute der Winterweitwanderweg durch das enge Katzenloch. Durch die Weiler Moos, Obern und Klamm wandernd erreicht man die letzte Einkehrstation vor der Wettersteinhütte, die Tiroler Stub,n in Leutasch.
Nach der Mittagsrast geht es über die Leutascher Ache durch Klamm Richtung Gaistal. Auch das Gaistal böte Gelegenheit für eine ausgedehnte Exkursion bis zur Ehrwaldalm. Weiterführend hätte man dann auch die Option zur Talstation der österreichischen Zugspitzbahn nach Ehrwald zu wandern, um dann sich auf Deutschlands höchsten Gipfel hinaufliften zu lassen. Bei bester Wetterlage hat man dann die Gelegenheit die Blicke bis in die Dolomiten schweifen zu lassen.
Auch wenn am Wegeschild zur Wettersteinhütte angegeben ist “leichter Aufstieg”, die Schneedecke fordert durchaus einige Körner, wobei der Anstieg der ersten vier Kilometer durchaus als moderat bezeichnet werden kann. Wie bei vielen anderen Berghütten drücken die letzten tausend Meter, insbesondere auch unter dem Aspekt, daß in den höheren Lagen die Schneehöhe zunimmt. Begünstigt sind diejenigen die hier mit Schneeschuhen unterwegs sind. Allemal – das Tagesziel die Wettersteinhütte und die damit verbundene Übernachtung im Hüttenlager ist zweifelsohne daß Highlight der Tour. Wie immer, man ist viel zu früh auf der Hütte, natürlich zur Freunde der Hüttenwirts. So bleibt es nicht aus, dass mehr als ein Weißbier und mehr als ein Marillebrand bis zur Nachtruhe durch die Kehle rinnt. Im Sommer bietet es sich an von hier über die Knorrhütte die Zugspitze zu erklimmen.
Die Belohnung – der nächste Morgen. Das Timing war perfekt. Nach drei regen- und schneereichen Tagen drückte sich ein winterliches Hochdruckgebiet durch. Die Nacht sternenklar. Der blaue Morgenhimmel hebt sich über das Bergpanorama, lange bevor die Sonne auf der Gegenseite aufsteigt. Alleine der Aussichtsmöglichkeiten willens lohnt der Anstieg hinauf – eine triviale Erkenntnis für Hüttenwanderer. So geht es nach dem Hüttenfrühstück bei besten Wetterverhältnissen abwärts nach Leutasch.
Stahlblau der Himmel, perlweiß die Schneedecke die die Alpenkämme einhaust – nun wird geerntet, was sich in den vergangenen Tagen regelrecht niedergeschlagen hat. Via Klamm führt der Pfad zum Kirchplatzl. Markant und ungewöhnlich das breitausgefächerte Walmdach der hier eingebrachten Pfarrkirche. Offiziell führen die restlichen drei Kilometer hinüber nach Weidach, dort wo das Gepäck in der ansässigen Touristeninfo zur Abholung bereitsteht.
Bei herrlichstem Winterwetter wäre es grob fahrlässig frühzeitig den Trail zu beenden. So geht es in eine 13 Kilometer lange Zusatzrunde, zurück nach Burgstall. Dort wo am ersten Tag Regenschirmeinsatz angesagt war kann man nun bei bester Sicht die bis zu 2.500 Meter hohen Bergmassive des Puittals bestaunen. Auf den Loipen herrscht Hochbetrieb, ebenso rund um Polis Hütt, und die Wochenendtouristen schuben permament vom Münchner Großraum in die Leutausch hinein. So genießen wir jeden Kilometer dieser zusätzlichen Passage
Der erste Tiroler Winterweitwanderweg – ein gelungenes Wanderwandergebot – unschlagbar wenn man beste Wetterverhältnissse genießen kann. Die Organisation und Logistik ausgezeichnet und hochgradig empfehlenswert für Wanderbegeisterte, die auch außerhalb der Wandersaison neue Herausforderungen suchen. Mit den Zusatzeinlagen standen am langen Ende 73 Kilometer und 1.894 Höhenmeter auf dem Wandertacho. Unter Berücksichtigung der Schneeeinlage kann man energetisch gesehen die Kilometeranzahl mit einem Körnerfaktor von 1,5 hochrechnen. Klare Erkenntnis für die nächste Wintersaison: auch in 2021 wird eine Winterwandertour im alpinen Bereich eingeplant. Let it snow………
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