Im Vorhof des Frühlings

Rapallo 19. Februar 2020 – 1,8 Kilometer pro Stunde – 44 Kilometer am Tag. Mit dieser durchschnittlichen Geschwindigkeit bewegt sich der Frühling vom südwestlichen Zipfel Europas in die nördlichen Gefilde unseres Kontinents, wobei als Parameter der Sproßaustrieb diverser Pflanzen angesetzt wird. Lagebedingt begünstigt sind dabei die maritimen Küsten Europas und hier insbesondere die Mittelmeerküsten.

So bietet es sich an, wenn man dem drögen Winterwetter überdrüssig ist, den Frühling ein wenig vor Ort zu begleiten. Dabei ist Ligurien ist bereits im Februar ein ausgezeichnetes Wanderziel. Hervorragend die Wanderwegsinfrastruktur, angenehm die Temperaturen, die durchaus 15 Grad und mehr erreichen können, und ausgezeichnet die ligurische Küche.

Start dieser Exkursion ist eine der spannensten Passagen der Riviera di Levante. Es geht von Rapallo nach Camogli über die Halbinsel Portofino. Rapallo. Geschichtslehrer bekommen feuchte Augen bei diesem Stichwort – denn hier wurde 1922 eine der bedeutensten völkerrechtlichen Verträge geschlosssen. Die idyllisch im Golfo del Tigullio eingebette Stadt ist ein idealer Ausgangspunkt für weitreichende Wandertrails.

Gestartet wird am Wahrzeichen der Stadt, an der alten Hafenburg Rapallos. Entlang der Strandpromenade, der Lungomare Vittorio Veneto, dort wo tagsüber die Generation 70 plus die Sitzbänke okkupiert, geht es vorbei an Hotels und Restaurants Richtung Yachthafen.

Das Wahrzeichen Rapallos, die alte Hafenburg aus dem 16. Jahrhundert
Die Restposten der Nacht verziehen sich und legen den blauen Mittelmeerhimmel frei
Kein Roller – kein Auto – die Uferstraße von Rapallo zu früher Stunde regelrecht ausgestorben
Blick vom Yachthafen auf Rapallo
Das erste Haus am Platze, das Hotel Excelsior, welches am westlichen Ortsausgang über Rapallo thront
Vorbei am Capo Pomaro

Der Via San Michele di Pagana folgend erreicht man nach drei Kilometern die gleichnamige Ortschaft, ein Ortsteil Rapallos. Gut beraten ist man der Fußwegbeschilderung zum Nachbarort Santa Margherita Ligure zu folgen um einen Bypass über die ligurischen Hügel zu nehmen. Es wäre schlichtweg lebensgefährlich der SP 227 zu folgen, dort wo Roller, Busse und Lieferfahrzeuge auf der Küstenstraße durchrasen. In der Hochsaison ist die Strecke, die nach Portofino führt, hoffnungslos verstopft.

Auf dem Weg nach San Michele di Paga
Küstenwanderungen sind besonders reizvoll…
..und eröffnen an jeder Biegung überraschende Perspektiven
Durchweg gut ist die Wanderwegeinfrastruktur im Einzugsbereich der Halbinsel Portofino

Nicht umsonst wird Santa Margherita Ligure als Perle von Tigullien bezeichnet. Die Ortschaft ist ein noch erschwinglicher Vorposten von Portofino und Einstiegspforte zum Parco Naturale di Portofino. Das kleine historische Zentrum ist allemal sehenswert, die Uferpromenade adrett gestaltet und zur Badesaison herrscht hier Hochbetrieb.

Wandern ohne Treppen – an der Riveria ein Ding der Unmöglichkeit
Deutschenglische Sprachirritationen
Zur Wintertzeit werden Boote und Kutter gerne ertüchtigt
Und angeln kann man hier das ganze Jahr
Ein Mann aus der Region: Christoph Columbus – in Genua geboren
Im Zentrum von Santa Margherita Ligure
Opulent ausgestaltet ist die Santuario di Nostra Signora della Rosa
Opulent auch die Dolci in Ligurien: 20 Millionen Kalorien in einem Schaufenster gebündelt
Glücklicherweise ist Liguriens Küste von postmodernen Hotelbunkern verschont geblieben. Statttdessen findet man traditionsreiche Häuser vor
“Hier geht es lang”. Garribaldi der italienische Nationalheld gab die Richtung vor
Keine Spur von Winter
“My home is my castle” wie hier die Condominio Villa d,Arze
Vorbildlich gelöst – Zigarettenkippen auf der Straße: Fehlanzeige

Von Santa Margherita hat man direkt neben der Küstenstraße einen aufwändigen Rad/Fußweg errichtet der phantastische Ausblicke auf das Mittelmeer ermöglicht. Bei Paraggi, der kleinen Bucht, die bekannt ist für ihr kristallklares Wasser, folgt man dem “Pedonale per Portofino”. Findige Marketingsexperten haben diesen Absschnitt als “Passeggiate dei Baci” aufgebohrt. Wenn man wollte, könnte man von hier aus direkt die Halbinsel Portofino queren, um über den 610 Meter hohen Monte di Portofino via Ruta nach Camogli zu wandern. Zu empfehlen ist jedoch die küstennahe Streckenführung zu wählen.

Punta Cervara – ein markanter Aussichtspunkt. Das Federvieh auf zwei Uhr ist übrigens echt.
Der Streckenverlauf des ersten Drittels dieser Tour
Bella Italia
Und bei Paraggi ist das Wasser besonders klar

Nach insgesamt zehn Kilometern ist Portofino, das teuerste Fischerdorf dieses Erdballs erreicht. So werden beispielsweise für eine popelige 70 qm große Wohnung, die sich über zwei Etagen erstreckt 1,5 Millionen Euro aufgerufen. Sicherlich mag es erhebend sein, wenn Steven Spielberg von den Filmfestspielen in Cannes mit seiner 200 Millionen Yacht einen Kurzabstecher auf einen Espresso nach Portofino unternimmt, außerhalb der Saison ist Portofino ein langweiliges verschlafenes und Nest. Lediglich imposante Abbildungen an den verwaisten Postkartenständern legen Zeugnis von der saisonalen Erschütterung der Luxusgesellschaft ab. Ein Cappucccino für zwei Personen: 2.220 Euro, inklusive Liegeplatzgebühr von 2.200 Euro für eine 55-Meter-Yacht. Kostengünstiger ist ein Kurzabstecher hinauf zum Parco del Castello Brown, benannt nach einem englischen Konsul der Mitte des 19. Jahrhunderts das hier befindliche Castello erwarb. Zurück geht es in nordwestlicher Richtung, Portofino querend, um am Ortsende in einer Bar ohne Promifaktor und Standgebühr einen 2-Euro-Cappucino einzunehmen um dann anschließend den Aufstieg in den Parco Naturale di Portofino anzugehen.

Portofino – der Traum aller Großyachtbesitzer
Nur am Markusplatz in Venedig ist der Kaffee teurer
Tja – vor April ist für den Taschenhändler nichts zu holen
Oberhalb des Hafens ist ein Kunstmuseum eingerichtet.
Ehre wem Ehre gebührt: Denzil Washington stiftete einem Portofiner Restaurantbesitzer diese Tafel
Luxushandtaschenschwingende High-Heel-Trägerinnen, die proseccosediert von den Yachten stolpern wird dieser Anblick fremd sein
Ein Blick hinüber nach Santa Magharita und nach Rapallo. Auf 10 Uhr kann man das Hotel Imperial erkennen (weißer Trakt) dort wo der Vertrag von Rapallo gezeichnet wurde
Die ersten Frühlingsboten
70 Quadratmeter, auf zwei Etagen verteilt -ohne Lift- 1,5 Millionen Euro

Aufwärts, steil aufwärts, geht es nun auf unzähligen Steintreppen hinein in die Halbinsel. Von Meereshöhe hinauf auf 250 Meter Höhe, weiter in einem lebendigen auf und ab um dann steil hinab Richtung Kloster San Fruttuoso zu gelangen. Abseits der Haupttrampelpfade in Portofino ist die Halbinsel eine glatte Empfehlung für ambitionierte Walker. Ein gut ausgebautes Wegenetz entlang der Küste oder durch die Höhenzüge der ligurischen Berge ermöglicht viele Optionen für den Naturliebhaber. Nach zwei Stunden Gehzeit ist das altehrwürdige Kloster, welches man nur zu Fuß oder per Schiff erschließen kann, erreicht. Leider hat sich die Bucht, die im 7. Jahrhundert von Mönchen, die vor den Arabern flohen, nicht zu ihrem Vorteil entwickelt. Der Klosterbau, der im 13. Jahrhundert in den Besitz des genuisischen Adelsgeschlechtes Doria kam, wurde in den 80er Jahren durch unglückliche Restaurierungsmaßnahmen sinn- und planlos verschandelt.

Ausgezeichnet ist die Wegekennzeichnung auf der Halbinsel Portofino
Portofino von “hinten”
Landestypische Trockensteinterrassen
Wanderwege oberhalb der Steilküste..
..einschließlich kurtaxenpflichtiger Ausblicke
Allerfeinste Wegetextur…
..und hunderte von Treppenstufen
Tiefenblick auf das Kloster
Per Boot geht es dreimal um die Ecke Richtung Camogli
Steil abwärts führt die passage hinab zum Kloster St. Fruttuoso
Das Kloster wurde durch zahlreiche Anbauten regelrecht verschandelt
Hierher gelangt man nur zu Fuß oder per Schiff

Drei Möglichkeiten hat man vom Kloster aus. Die Bequemste: eine Schiffspassage nach Camogli. Die Steilste: nördlich durch die Halbinsel. Die Spektakulärste: Die Steilküstenstrecke, mit augesetzten Passagen, immer der Zwei-Rote-Punkte-Markierung folgend. Wetterbedingt gibt es nur eine Lösung: Die Steilküstenpassage. Spektakulär der Wegeverlauf, keine Alternative für Birkenstockträger und ungeübte Freizeitwanderer. Zu Beginn der Passage sind Warnschilder aufgestellt, die auf die Tücken der anspruchsvollen Streckenführung hinweisen. Bei Nässe sollte dieser Weg auf keinen Fall eingeschlagen werden. Belohnt wird man auf dieser Strecke mit phantastischen Blicken auf die ligurische Küstenlandschaft. Anspruchsvoll jedoch die Textur des Streckenverlaufs. Steilpassagen aufwärts, Steilpassagen abwärts, teilweise eingewachsen, passagenweise ausgesetzt, Achtsamkeit auf Schritt und Tritt ist durchaus angesagt.

Warning: “only for skilled hikers”
Stairway to heaven
Die Entschädigung…
Zwei Tunnels gibt es auf dieser Strecke
Ohne Smartphonetaschenlampe steht man hier absolut im Dunkeln
Hammerhart – der Ausgang dieser Gallerie verjüngt sich auf eine Lichte von einem Meter!
Nach der Gallerie ist vor der Gallerie…
Zur Abwechslung wird es ein wenig bröckelig an der Steilküste
…Eisenleiter statt Steintreppe
Camogli in Sicht
Abwärts nach Camogli werden die Pfade wieder breiter

Camogli, das Tagesziel. Bekannt als “Manhatten des Mittelmeers”. Hier stapeln sich siebenstöckige Gebäude stapeln an der Steilküste. Wer die Gelegenheit hat sollte Camogli einmal auf dem Seeweg erschließen um die Schönheit der ligurischen Skyline von der besten Seite zu entdecken. Traumhaft die kunterbunter Kulisse am Golfo Paradiso, gekrönt von der Basilica die Santa Maria Assunta, die das Stadtentrum vom Hafenzentrum eindrucksvoll abschirmt. Camogli wird auch “Stadt der tausend weißen Segelschiffe” genannt. 1880 waren hier 500!! patentierte Kapitäne registriert.

Beste Wegekennzeichnung
Noch knapp vier Kilometer bis nach Camogli
Eine kurze Verschaufpause in San Rocco oberhalb von Camogli. Von hier geht man zwei Kilometer!!!! Treppenstufen abwärts nach Camogli
Die größte Pfanne der Welt – der Stil ist sechs Meter lang. Einmal jährlich werden bei der “Sagra de pesce” 3 Tonnen Fisch, respektive 30.000 Portionen in 750 Durchgängen mit 3.000 Liter Öl gebraten und kostenlos verteilt
Die Skyline von Camogli – am Ende die Basilika
..auf der anderen Seite – ein Blick zurück
Camogli im Februar bei 17 Grad
Aufzüge Fehlanzeige – man liebt hier Treppen
San Valentino wird auch in Ligurien groß gefeiert
Die Hafenseite von Camogli
Camogli inside
Es geht doch nichts über verständliche Piktogramme
Zurück geht es mit Trenitalia die rund um die Uhr zwischen Savonna und La Spezia entlang der Küste pendelt.
Zurück in Rapallo
Nach 29 Kilometern und 1.100 Höhenmetern zuzüglich Rückfahrt per Zug ist der Ausgangsort wieder erreicht

Prädikat: absolut empfehlenswert. Die Passage Rapallo-Camogli eine Scouttour für einen Langstreckentrail der besonderen Art: Genua -Portovenere – insgesamt 200 Kilometer angereichert mit 10.000 Höhenmetern und tausenden in Stein gehauenen Stufen. Nervi, Camogli, Rapallo, Chiavari, Sestri Levante, Deiva Marina, Cinque Terre, Portovenere – allsamt Highlights einer außergewöhnlichen und spektukalären Tour – gangbar in acht Tagen mit Tagespitzen von bis zu 1.600 küstennahen Höhenmetern am Tag im ligurischen Vorgebirge. Dank der hervorragenden Zuganbindung ist solch eine Tour als Standortwanderung (Rapallo) bestens geeignet, vorzusgweise im März, wenn ein entsprechendes Wetterfenster zur Verfügung steht. Aktuell sind Teile der Wanderwege rund um Manarola in der Cinque Terre gesperrt, partiell ist mit einer Freigabe nach aktuellem Stand erst in 2021, zu rechnen. So empfiehlt es sich vorab Informationen über den aktuellen Wegezustand einzuholen. Allemal gilt: Wandern an der ligurischen Küste – eine der schönsten Wandermöglichkeiten Europas.

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