22. Juli 2022 – Das grüne Dach Europas – eine Region der Superlative. Sechsmal so alt wie die Alpen; eine Schatzkammer der Natur; geprägt von Hochmooren, Urwaldkorridore, zerklüftete Gipfel, Felsboliden, gurgelnde Wildbäche und grenzenlose Rückzugsräume. Die Rede ist vom größten zusammenhängenden Waldgebiet Mitteleuropas, dort wo in zwei Nationalparks ein beeindruckendes Naturerbe bewahrt wird. Geologisch spricht man vom Böhmerwald in Gänze, staatsrechtlich vom Hinteren Wald in Böhmen (Sumava) und vom Vorderen Wald, der bei uns als Bayrischer Wald bekannt ist. Die südöstliche Flanke zieht sich zudem bis in das Mühl- und Waldviertel in Österreich.
Möchte man die Region zu Fuß erkunden, dann empfiehlt es sich dort zu starten, wo die höchsten und aussichtsreichsten Erhebungen des Böhmerwaldes anzutreffen sind, nämlich in Bodenmais im Arberland. Hier verläuft auch der bekannteste Fernwanderweg der Region, der Goldsteig. Eine Vielzahl von Rund- und Spezialwegen, wie beispielsweise die 7 Summits, die 12- Tausender-Tour oder die 8-Tausender Exkursion bieten darüber hinaus beste Gelegenheiten in die grenzenlose Waldwildnis einzutauchen.
Die Seven Summits im Bayrischen Wald
“Für alle, denen Mount Everest, Mont Blanc oder Denali zu hoch und anspruchsvoll sind, gibt es im Bayerischen Wald nun eine „gemütlichere“ Alternative: die „Seven Summits Bodenmais”. 46 Kilometer und 1.750 Höhenmeter. Die Wanderung vereint die sieben schönsten Gipfel rund um den beliebten Urlaubsort Bodenmais” so die frohe Botschaft aus der Tourismuszentrale des Ortes und eine ideale Steilvorlage um in die Region mit beiden Beinen einzusteigen. So starten wir von unserem Wanderlager in Bodenmais um in die 7-Summits-Passage in südlicher Richtung einzusteigen. Sicherlich kann man, sofern man auf den ausgeschilderten und kartografierten Wegen bleibt, die Strecke regelrecht abarbeiten – jedoch sollte man ab und an berücksichtigen, dass auch die Augen mitlaufen. So fällt es uns leicht den ersten eingeplanten Gipfel, den Kronberg regelrecht auszusparen. Der Grund ist einfach: “Hierher kommt nur selten ein Wanderer, da höhere und bekanntere Berge wie der Arber oder der Silberberg ganz in der Nähe liegen. Weil aber der Kronberg der Hausberg von Langdorf ist, gibt es trotzdem ein Gipfelkreuz.“, als einfache aber klare Erkenntnis aus der Vorrecherche. So verzichten wir auf den Schwenk und deklarieren flugs den aussichtsreichen Riederinfelsen (dort wo auch ein Gipfelkreuz angebracht ist) als Ersatzgipfel und bleiben im Glauben damit die bessere Entscheidung getroffen zu haben.
Weiter geht es vom markanten Fels vorbei an der urigen Kuh-Alm, die sowohl im Sommer als auch im Winter eine beliebte Anlaufstelle ist, hinüber zur idyllisch gelegenen Gutsalm Harlachberg, um am westlichen Zipfel den Gipfel der 914 Meter hohen Harlachberger Spitze zu erklimmen. Hier genießt man wunderbare Ausblicke auf den gegenüberliegenden höchsten Gipfel des Böhmerwaldes, dem Großen Arber. Steil abwärts führt anschließend unsere Passage über die Weiler Glashütte, Miesleuthen und Hammerbrück, bevor der nächste Gipfel der Seven-Summit-Tour auf die Eroberung wartet – der Sternknöckel. Ab hier heißt es Anlauf nehmen. Nochmals geht es abwärts hinab gen Waid und Mais bevor bis zum zwölf Kilometer entfernten Kleinen und Großen Arber nur noch eine Marschdirektive gilt: “Ab nun geht es aufwärts”.
Von Mais aus folgt man mehr oder minder dem kräftig gurgelnden Moosbach, der unterhalb des Kleinen Arbers entspringt. Mitten im Wald entdeckt man den zweitgrößten Wasserfall des Bayrischen Waldes, den Hochfall – einer ein Kilometer langen weitgehend natürlichen Fließstrecke des Bachs, der hier seit Jahrhunderten sein Wasserbett durch das harte Gestein regelrecht gemeißelt hat. Immer weiter schrauben wir uns aufwärts, dem Hochtoursteig folgend zum Luchsplatzl, um uns auf der Höhe von 1.280 Metern von der 7-Seven-Summits-Tour, die normalerweise über den Kleinen und den Großen Arber führt, zu verabschieden. Der Grund ist trivial, denn am Folgetag steht die 8-Tausender-Tour an, die die beiden Gipfel inkludiert. Alternativ wählen wir einen spektakulären wasserhaltigen Abstieg als erfrischende Bereicherung bei Temperaturen an der 30 Grad-Marke.
Zweifelsohne, die wilde Rißlochschlucht ist das absolute Highlight des Tages. 260 Höhenmeter überwindet der Moosbach auf einer Länge von 260 Höhenmetern und erreicht zudem in mehreren Kaskaden eine Fallhöhe von 55 Metern in der Spitze. Auch in der trockensten Jahreszeit des Tages beeindrucken die Wassermassen. Wer eine Massage für die Seele braucht kann in Bodenmais starten, um in einer Rundtour die berauschende Macht des Wassers zu genießen. Für uns bleibt ein erfrischendes Finale einer anspruchsvollen aber auch sehr aussichts- und erlebnisreichen 37 Kilometer langen Tagestour, die mit 1.400 Höhenmetern bereichert wurde.
8-Tausender-Tour
Es ist die Königsetappe des Goldsteiges und Bestandteil des Europäischen Fernwanderweges E6 – per se ein Pflichtprogramm für Wanderer die den Bayrischen Wald erkunden möchten. Man kann es nicht besser formulieren: “Eine der schönsten, faszinierendsten aber auch schweißtreibendsten Teilstrecken verläuft direkt oberhalb von Bodenmais, die Goldsteig-Etappe N13. Insbesondere die fantastischen Aussichten lassen jedes Wanderherz höherschlagen – ob in den idyllischen Lamer Winkel, ins malerische Zellertal oder vom König des Bayerischen Waldes, dem Großer Arber, hinüber in den Böhmerwald oder hinunter nach Bodenmais. Zwischendurch erwartet dich eine urwüchsige, ursprüngliche und wildromantische Natur. Es geht hindurch durch dichten Bergmischwald, über Gebirgskämme und vorbei an Heidelbeersträuchern. Anstrengende Aufstiege wechseln sich mit sanften Abstiegen ab, bei denen du durchatmen kannst” – so die aufdringlich unaufdringliche Botschaft der Bodenmaiser Tourismuszentrale. Man hat keine andere Chance als die Wanderstiefel zu schnüren, um in Eck, dem offiziellen Startpunkt der 8-Tausender-Tour zu starten.
Der Weg selbst – schlichtweg ein Traum. Felsig die Wege, immer wieder angereichert mit knorrigen Baumwurzeln die es zu übersteigen gilt, in Gänze permanent aufwärts führend, unterlegt mit partiell steilen Auf- beziehungsweise Abstiegen, die die Beinmuskulatur durchaus beanspruchen. Die Strecke ist zudem äußerst beliebt bei Trailrunnern die in Hochgeschwindigkeit über die Höhenzüge des Arberlandes fräsen. Fast im Kilometertakt reihen sich die Höhenzüge dieser Tour aneinander. Mühlriegel (1.079), Ödriegel 1.154), Hängender Riegel (1.183), Schwarzeck (1.236), Reischflecksattel (1.126), Heugstatt (1.262) und Enzian (1.287) verteilen sich gerade einmal auf acht Kilometer. Jedoch sollte man genügend Zeit einplanen, die Aussichten genießen und vor allem bedenken, dass die anspruchsvolle Wegetextur auch eine gewisse Achtsamkeit beim Wandern erfordert.
Hinter dem 1.287 Meter hohen Enzian ist der Schlußsport angesagt. Über die markante Enzianwiese schraubt sich der Goldsteig in gut gangbaren Schleifen hinauf zum Kleinen Arber, der auf 1.384 Meter die Grenze zwischen Niederbayern und der Oberpfalz bildet. Von hier aus geht es knapp einhundert Meter abwärts zur Chamer Hütte, dort wo eine zünftige Einkehr zum Pflichtprogramm für 8-Tausender-Bezwinger zählt, bevor der Große Arber als Gipfelkönig und Streckenhighlight in Angriff genommen wird.
Die Dachspitze des grünen Daches Europas – der Große Arber. Der zweithöchste Berg Deutschlands außerhalb der Alpenregion, gerne als König des Bayrischen Waldes bezeichnet, markant als Orientierungspunkt, beliebt als Aussichtsplattform, begehrt als Wintersportort und würdiger Abschlusspunkt der 8-Tausender-Tour. Der Anstieg ist nicht schwierig, eher lästig, da man eine Vielzahl von Steinstufen hinauf zum Gipfel zu absolvieren hat. Aber wie immer, die Aussicht ist genial. Mehrere “Felsgipfel” ermöglichen unterschiedliche Weitsichten, der schönste Aussichtspunkt ist vielleicht der Große Seeriegel. Bei entsprechender Wetterlage kann man von hier aus sogar die Schneespitzen der Alpen ausmachen. Hier endet die 17 Kilometer lange Tour, die mit 1.084 Höhenmetern eingepreist war. Wer Lust hat kann in weiten Schleifen zur Talstation hinabwandern, komfortabler gondelt man mit der Seilbahn abwärts.
Vom Rachel zum Lusen
Eine wohlweisliche Abrundung der dreitägigen Gipfelexkursion ist eine weitere markante Goldsteigtour die vom 1.453 Meter hohen Rachel, dem zweithöchsten Berg des Bayrischen Waldes, zum nicht minder kleinen Lusen führt, der mit 1.373 Meter fast auf Augenhöhe liegt. Hier wandert man im bayrischen Urwald, dem Nationalpark Bayrischer Wald. Hier reguliert sich der Wald selbst – und es funktioniert. 1990 verzeichnete man ein borkenkäferbedingtes Fichtensterben, welches jedoch zu einer nachfolgenden Waldverjüngung durch die entstandene Mischwaldentwicklung führte.
Wir starten im Weiler Waldhäuser und wandern hinab zur Fredenbrücke, dort wo an der Kleinen Ohe ein Bergbachwaldpfad einsetzt. Traumhaft die Wegestrecke. Zahlreiche Bäche wie die Kleine Ohe, der Hirschsteigbach, die Kleine Triftsseige oder der Schreyerbach sprudeln von den Anhöhen abwärts. Kaum auszumalen welche Wasserkraft sich hier bei Schneeschmelze oder Starkregen entwickelt. Nach fünf Kilometern ist die Racheldiensthütte erreicht, die einzige Einkehrmöglichkeit auf dieser 28 Kilometer langen Mittelgebirgstour.
Auf dem Unteren Horizontalsteig, einem wunderschön zu laufenden Weg, wandern wir hinüber zum Rachelsee. Von hier aus kann über den Kapellensteig hinauf zum Rachel aufsteigen. Hier muss jeder für sich eine Aufwands-/Nutzenrechnung anstellen, da der Auf- und Abstieg von hier aus ein Sackgassenweg ist und man mindestens zwei Stunden für diese Passage einkalkulieren muss. Wir entscheiden uns für den Blick nach oben und den Marsch hinüber zum Lusen. Idealerweise sollte man den Rachel erkunden, wenn man auf dem Goldsteig von Falkenstein kommend unterwegs ist.
Auf dem Weg zum Lusen ist Urwaldfeeling pur angesagt. Man folgt der Beschilderung des Goldsteigs, steigt über Fels und Gehölz und genießt die exzellente Wegeführung, die sich mehr oder minder auf einem Höhenniveau bewegt und toto langsam ansteigend zum Zielberg führt. Botaniker haben hier ihre besondere Freude. Seltene Pflanzenarten, vierzig Prozent der in Deutschland verbreiteten Moosarten und zweitausend Pilzarten wurden hier bereits nachgewiesen. Zwei Highlights liegen darüber hinaus auf der Wanderstrecke. Das Luserner Moor mit seinen Moorstegen und das Teufelsloch, dort wo sich ein gewaltiges Felsblockmeer aus Granit quer über die Wanderstrecke legt.
Neben dem Großen Arber ist der Lusen der vielleicht außergewöhnlichste Gipfel des Bayrischen Waldes. Aus Frostverwitterungen zur Quartärzeit schälte sich auf 200.000 Quadratmeter ein gewaltiges Blockmeer heraus. Wer zum Gipfelkreuz hinauf möchte , der kann sich auf den fest eingelagerten Steinplatten in luftige Höhe hochbalancieren. Markant ist der Hinweg hinauf zum Steinhaufen. Schnurgerade führt der 1,4 Kilometer langer Weg hoch zum Gipfel. Formvollendet zudem der Abschluss im Lusenschutzhaus, welches südlich unterhalb der gewaltigen Granithalde eingebracht ist.
Der Rest dieser mehr als beeindruckenden Tour – ein auslaufender Abstieg hinab nach Waldhäuser, dem Einstiegspunkt dieser Exkursion. Auf guten Waldwegen passiert man noch einige markante Felsbrocken auf der Höhe des Waldhäuser Riegels. Nicht umsonst zählt diese Tour im Gesamten zu den schönsten Passagen auf dem Goldsteig.
Zur Akklimatisierung vom Osser zum Osser
Nach einer längeren Anfahrt ist man durchaus froh die Wanderstiefel auszupacken, das eingerostete Laufwerk zu reaktivieren und sich im Rahmen einer ersten Runde einen Überblick über das in das Visier genommene Wanderareal zu verschaffen. Empfehlenswert ist die hier vorgestellte zwölf Kilometer lange Bergrunde, die mit 695 Höhenmetern über den Kleinen und Großen Osser führt und zudem eine zünftige Einkehrmöglichkeit bei Streckenhälfte bietet.
Wir starten in Himmelreich im Lamer Winkel, oberhalb eines Golfplatzes, (wobei man über die Sinnhaftigkeit eines Golfplatzes in einer Hanglage durchaus geteilter Meinung sein kann). Von Himmelreich führt der Rundweg aufwärts zur Maria-Hilf-Kapelle um weiterführend über den Osser-Riesensteig hinauf zur idyllischen Osserwiese zu wandern, bevor man den 1.266 Meter hohen Kleinen Osser erklimmt. Von hier aus kann man wunderbar auf die angepeilten Höhenzüge der nächsten Wandertage blicken.
Wandern auf dem grünen Dach Europas heißt Wandern auf allerhöchstem Niveau. Einzigartig die Region, außergewöhnlich der Naturraum, bestechend die Infrastruktur und wer sich sich zudem für die bayrische Küche und den Variantenreichtum der lokalen Brauereiprodukte begeistern kann, taucht hier in eine paradiesische Wohlfühlglocke ein. Die hier vorgestellten Touren eignen sich wohlweislich für einen ersten Überblick und hinterlassen in der Hinterstube einen markanten Anker für weitere Entdeckertouren in einer Region die keine Grenzen kennt.
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